Читать книгу Krimi Doppelband 2222 - Alfred Bekker - Страница 11
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ОглавлениеFrederick Cohn griff zur Fernbedienung und stellte den Ton ab. Der Rest der Nachrichtensendung flimmerte stumm über die Mattscheibe. "Was wirst du jetzt tun, Dad?" Der etwas zwanzigjährige Mann mit dem kahl rasierten Schädel schnippte eine Philipp Morris aus der Schachtel.
Missbilligend blickte David Cohn von seinem Sessel zu seinem Sohn auf, der neben ihm stehend die Nachrichten über den Sanktionsbeschluss verfolgt hatte. Frederick wusste, dass sein Vater es hasste, wenn in seiner Gegenwart geraucht wurde. Und hatte sich frühzeitig daran gewöhnt, solche Blicke zu ignorieren.
"Ich versteh' deine Frage nicht, Frederick." Die Stimme, des kleinen, drahtigen Mannes entsprach der aristokratischen Haltung, mit der er in seinem Sessel thronte: kühl, beherrscht, fast arrogant.
Frederick lachte trocken. "Du verstehst sehr gut, Doktor. Wirst du unterschreiben oder nicht?"
Cohn senior sah durch die Bilder auf dem Fernsehschirm hindurch in irgendeine Ferne. "Die Regierung unserer Stadt hat beschlossen, sich an den Sanktionen zu beteiligen. Ich wüsste nicht, inwiefern für mich da noch ein Entscheidungsbedarf bestehen könnte."
"Einmal Soldat, immer Soldat!" Wieder das zynische Lachen Fredericks. Das war seine Art mit der Arroganz seines Vaters umzugehen. "Insofern, als dass dir in wenigen Tagen auf der Vorstandssitzung der >Transatlantik Traffic Bank< ein millionenschwerer Vertrag zur Unterschrift vorgelegt werden wird." Er war merklich lauter geworden. "Erzähl mir bloß nicht, deine Juristen würden nicht mindestens zehn Gründe nennen können, die einen Rückzug aus diesem Geschäft a priori ausschließen!"
David erhob sich und blieb mit auf dem Rücken verschränkten Armen vor seinem um einen Kopf größeren Sohn stehen. "Dafür, dass du meinen Beruf verachtest, bist du erstaunlich gut auf dem Laufenden."
Für Sekunden fixierten sich die scheinbar so ungleichen Männer schweigend - hier der hagere junge Mann in den schwarzen Wildlederhosen und dem kurzärmligen weißen Seidenhemd, in dessen feinen Gesichtszügen ein spöttisches Lächeln spielte, und dort der grauhaarige Endvierziger in anthrazitfarbener Anzughose und Weste und in blassblauem Hemd mit bordauxrotem Binder. Das Gesicht des Älteren schien aus Marmor gemeißelt zu sein.
David Cohns eisgraue Augen lösten sich von den eisgrauen Augen seines Sohnes. Bedächtig begann er in seinem großen Wohnzimmer auf und ab zu schreiten. Würdevoll und mit kerzengerader Wirbelsäule.
"Als hätte er ein Lineal verschluckt", dachte Frederick. Er hatte seinen Vater selten anders erlebt. Schon auf Fotos, die ihn als jungen Offizier der Air Force zeigten, posierte er genau in dieser Haltung.
Das Geschäft mit der Schweizer Großbank war so gut wie unter Dach und Fach. Er, David Cohn, musste als Vorstandsvorsitzender nur noch gegenzeichnen. Auf der Vorstandssitzung in fünf Tagen, am kommenden Dienstag. Es ging um den Bau eines Goldbergwerkes in Bolivien. Beide Banken wollten gemeinsam investieren und die Finanzierung tragen. Die Verhandlungen mit der Bolivianischen Regierung waren zäh genug gewesen. Und jetzt das.
"Die Regierung hat eine Entscheidung getroffen. Eine weise Entscheidung übrigens. Und ich habe mich daran zu halten", sagte er, ohne seinen Sohn dabei anzusehen.
"Mach dich doch nicht lächerlich, Dad!", platzte Frederick heraus. "Ein paar verkappte Cowboys rasseln mit den Sporen und lockern ihre Colts, und du nimmst das so tierisch ernst, als hätte Gott persönlich ..."
"Lass Gott aus dem Spiel!", unterbrach David scharf.
"… ein elftes Gebot erlassen. Du willst mir doch nicht erzählen, dass eine Heerschar von Brokern in der Wall Street ..."
"Gib die Kunstakademie auf und studiere etwas Vernünftiges!" David machte ein paar energische Schritte auf den Jungen zu. "Dann kannst du dich bei uns bewerben und irgendwann einmal auch mitreden!"
"… dass eine Heerschar von Bankern Millionenbeträge in den Wind schreibt, ihre Schweizer Geschäftspartner vor den Kopf stößt und wochenlang nach neuen auf die Suche geht, nur weil ..."
"Schweig!" Herrschte David seinen Sohn an.
"Ich will dir sagen, was die weitaus meisten deiner properen Kollegen tun werden!" Unbeirrt und genauso laut wie sein Vater fuhr Frederick fort. "Sie werden ihre Juristen solange Nachtschicht schieben lassen, bis die ihnen eine stolze Sammlung von Vertragsklauseln und Gesetzeslücken präsentieren. Und dann werden sie sich die schönsten heraussuchen, um den Regierungsbeschluss ..."
"Vergiss nicht aus welcher Familie du kommst!", brüllte David Cohn. Sein Gesicht nahm eine rötliche Färbung an. "Deine Großeltern", er stach mit dem Zeigefinger nach der Brust seines Sohnes, "und zwei meiner Onkel kamen in deutschen KZs ums Leben!" Die Erregung verzerrte seine Marmorzüge zu einem Spiegel lodernden Hasses. "Ihr Vermögen ist spurlos verschwunden! Versickert in den Labyrinthen der Nazikonten auf Schweizer Banken!" Die Gesichter der beiden berührten sich fast. "Vergiss das nie!"
Die große zweiflügelige Tür öffnete sich. Eine zierliche, elegant gekleidete Frau mit kastaninenbraunem Haarturm erschien im Türrahmen.
"Müsst ihr schon wieder streiten?" Ihre Stimme klang flehend.
"Schon gut, Rachel", flüsterte David.
Sekundenlang standen die Männer so dicht voreinander, dass einer den warmen Atem des anderen auf den Wangen spürte. Stumm sahen sie sich an. Als würde ihre hoffnungslose Liebe füreinander immer noch nach einer Brücke suchen. Und als könnten sie noch immer nicht fassen, dass Welten zwischen ihnen lagen ...