Читать книгу Siebenmal ermittelt: Krimi Paket 7 Krimis - Alfred Bekker - Страница 32

Der alte Mann von Alfred Bekker

Оглавление

Der alte Mann war hager und gut durchtrainiert. Sein wahres Alter war schwer zu schätzen. Eigentlich unmöglich.

Sein Blick wirkte durchdringend.

Wie der Blick eines Mannes, der alles erkennt, alles erfasst und den man nicht täuschen kann.

Wie ein Schatten war er aus der Dunkelheit aufgetaucht.

“Du warst das mit der alten Frau”, sagte er mit einer dunklen Stimme.

Die Teenagerin stutzte. Ihre Freundin machte eine Blase mit dem Kaugummi, auf dem sie herumkaute.

“Ey Alter, ich schlitz dich auf!”, sagte die Teenagerin jetzt, nachdem sie den ersten Schrecken verdaut hatte. Sie hatte plötzlich ein Springmesser in der Hand. “Red nicht so einen Scheiß oder schlitz dich auf stech dich ab wie eine Sau!”, setzte sie noch hinzu.

“Ich weiß, dass du der alten Frau eins über den Schädel gezogen hast”, sagte der alte Mann furchtlos. “Und jetzt liegt sie im Koma.”

“Ey, Scheiße, Mann…”

“Und das alle nur, weil sie dir ihr Portemonnaie nicht geben wollte.”

“Hau ab, du Wichser!”

“Wegen dieser Sache bin ich hier”, sagte der alte Mann.

“Was willst du, Wichser?”

Der alte Mann blieb vollkommen ruhig. “Für Gerechtigkeit sorgen.”

“Bist du ein Bulle oder was?”

“Ich bin im Auftrag der Tochter dieser alten Dame hier, die jetzt im Koma liegt. Die will auch Gerechtigkeit.”

“Ach, ja?”

“Ich finde, dass du bestraft werden solltest.”

“Man kann mich nicht bestrafen! Weil ich nämlich noch zu jung bin, du Arsch!”

“Da hast du Recht. Und da dich das Gesetz anscheinend nicht angemessen bestrafen würde, muss das wohl jemand anderes erledigen.”

Sie sah aus, als würde sie nicht hundertprozentig begreifen, was der alte Mann damit gemeint hatte.

Aber sie begriff eins: Dass er es ernst meinte.

“Willst du mir drohen?”

“Nein, das ist keine Drohung. Das ist eine Ankündigung”, sagte der alte Mann.

Sie verzog das Gesicht.

“Wenn ich meinem Bruder sage, dass er dich in die Mangel nehmen soll, dann macht der das!”

“Dein Bruder ist bei dieser Rocker-Gang, ich weiß.”

“Dann weißt du ja auch, dass die Ernst machen!”

“Ja, das weiß ich.”

“Wenn der mit dir fertig ist, liegst du auch im Koma, Alter!”

“Und was ist mit dir?”, fragte der alte Mann.

Sie stutzte. Schien einen Moment verwirrt zu sein.

“Häh?”

“Ich fragte: Was ist mit dir, wenn dein Bruder mit dir fertig ist?”

“Ey, hast du Scheiße im Gehirn?”

“Dein Bruder und seine Freunde machen viele schlimme Dinge. Aber alten Frauen Flaschen über den Schädel zu ziehen, gehört definitiv nicht dazu. Das verstößt nämlich gegen ihren Ehrenkodex. Was glaubst du, was er mit dir macht, wenn er davon erfährt, was du getan hast?”

Sie wurde blass.

“Du Arsch…”

“Sag du es mir, was er mit dir machen würde. Du kennst ihn besser als ich.”

“Wenn du die Fresse aufmachst, dann stech ich dich ab!”, kreischte sie.

Ihre Freundin sagte: “Komm wir hauen ab.”

Aber die Teenagerin mit dem Messer wollte davon nichts hören. Sie stürzte sich auf den alten Mann, stieß mit dem Messer zu.

Aber der alte Mann wich geschickt aus.

Der Messerstoß ging ins Leere. Mit einer elegeanten, fast beiläufigen Bewegung, die an die fließenden Bewegungsabläufe des Tai Chi erinnerte, packte er kurz ihren Arm. Ganz beiläufig sah das aus. Und mit dieser eleganten Beiläufigkeit lenkte er die Kraft ihres Klingenstoßes gegen die Angreiferin selbst.

Im nächsten Moment steckte ihr die Klinge im Unterleib.

Die Teenagerin brach zusammen.

Sie stöhnte auf wie ein Tier. Ihre Hände versuchten die Blutung aufzuhalten. Aber das war aussichtslos.

“Scheiße!”, rief sie.

Die zweite Teenagerin stand mit offenem Mund da. Wie erstarrt.

Der alte Mann sagte: “Was ist mit dir?”

“Ich war nicht dabei! Wirklich nicht!”

“Ich weiß. Bei der alten Frau warst du nicht dabei. Aber bei anderen Sachen schon.”

“Scheiße, Sie müssen ihr … helfen!”, stammelte sie nach einem kurzen Blick auf ihre Komplizin, die sich am Boden wandt.

“Nein, muss ich nicht”, sagte der alte Mann. “Aber wenn du mich jetzt auch angreifen willst: Nur zu! Ich töte dich gerne in Notwehr!”

Der alte Mann machte einen Schritt auf sie zu.

Jetzt löste sich ihre Erstarrung. Sie rannte davon. Hetzte, drehte sich kurz nochmal um und war dann verschwunden.

Der alte Mann drehte sich zu der am Boden Liegenden um.

“Noch fünf Minuten. Dann bist du tot”, sagte er. “Vielleicht auch zehn. Länger nicht. Ich nehme an, dass eine Schlagader aufgerissen ist.”

“Ich…”

Er beugte sich über sie. Mit schnellen Bewegungen durchsuchte er ihre Kleider. Das war jemand, der gelernt hatte, wie man so etwas machte.

Sie konnte sich nicht dagegen wehren, denn ihre Hände versuchten noch immer, die Blutung aufzuhalten.

Schließlich fand er ihr Smartphone.

Er machte ein Foto von ihr.

“Für deine Profile in diversen sozialen Netzwerken. Deine Freunde sollen dich so sehen wie du jetzt bist.”

“Schwein!”, stieß sie hervor.

Er sah kalt auf sie herab.

“Du wolltest mich abstechen wie eine Sau. Jetzt bist du die abgestochene Sau.”

Der alte Mann war sich nicht sicher, ob sie seine letzten Worte überhaupt noch mitbekommen hatte. Ihre Augen waren nämlich starr und tot.

Sie hatte nicht so lange durchgehalten, wie er gedacht hatte.

“Möge der Richter, vor dem du jetzt stehst, dir ungnädig sein”, sagte der alte Mann halblaut.

*

Ein Bungalow in einem Neubaugebiet im Speckgürtel um die Hauptstadt. Der alte Mann stand vor der Tür und klingelte.

Eine Mittdreißigerin öffnete.

“Guten Tag”, sagte der alte Mann. “Ich wollte Ihnen nur sagen, dass die Angelegenheit erledigt ist.”

Die Mittdreißigerin schluckte.

“Ich wette, das Mädchen musste nicht annähernd so leiden wie meine Mutter.”

“Das trifft leider zu.”

“Meine Mutter wird jetzt ihre letzten Jahre wie eine Zimmerpflanze dahinvegetieren. Möglicherweise bekommt sie alles mit. Eingeschlossen im eigenen Körper. Eine Gefangene, für die es keine Bewährung und keine Hafterleichterung gibt.”

“Ich kann Sie sehr gut verstehen”, sagte der alte Mann. “Auch Ihren Zorn.”

“Meine Mutter hat lebenslänglich.”

“Ich weiß.”

“Und ich auch - in gewisser Weise.”

“Das Mädchen wird nie wieder jemanden etwas antun können.”

Sie schluckte.

“Das ist gut.”

Der alte Mann hob die Augenbrauen.

“Möchten Sie Einzelheiten wissen?”

Die Mittdreißigerin schluckte erneut. “Nein. Aber ich möcht Ihnen danken.”

“Ich tue nur, was getan werden muss. Und das, sonst niemand tut.”

“Ich war erst skeptisch.”

“Ich weiß.”

“Aber jetzt bin ich voller Bewunderung für Ihr Werk. Sie sorgen auf Ihre Weise für Gerechtigkeit.”

“Ein zu großes Wort”, sagte der alte Mann.

Die Mittdreißigerin nickte. “Ich möchte Ihnen etwas geben. Kommen Sie herein?”

“Aber nur kurz. Herr Butter, mein Partner, wartet im Wagen auf mich.”

“Sie arbeiten schon an einem neuen Fall?”

“Ja.”

“Sie scheinen rastlos zu sein.”

“Das bin ich.”

“Kommen Sie herein. Bitte!”

Der alte Mann folgte ihr. Die Mittdreißigerin führte ihn in ein großes Wohnzimmer. “Einen Augenblick”, sagte sie und verschwand im Nebenraum. Als sie zurückkehrte hatte sie einen Briefumschlag in der Hand. Sie reichte ihn dem alten Mann.

“Das ist für Sie”, sagte sie.

“Ich sagte Ihnen doch ganz zu Anfang, dass ich nichts nehmen werde.”

“Ich möchte aber, dass Sie es nehmen.

“Ich suche mir meine Mandanten aus”, sagte der alte Mann. “Man kann mich nicht beauftragen, ich beauftrage mich selbst.”

“Ja, das sagten Sie bei unserem ersten Treffen. Ich erinnere mich.”

“Wie könnte ich das, wenn ich etwas von ihnen nehmen würde?”

“Bitte.”

“Ich bin finanziell unabhängig.”

“Ich danke Ihnen.”

“Leben Sie wohl. Wir wir werden uns nicht wiedersehen.”

“Eine Frage noch…”

Er sah sie ruhig an. “Ich kann nicht versprechen, dass ich sie Ihnen beantworte”, sagte er.

“Warum tun Sie das?”

“Auf wiedersehen.”

“Hat es einen persönlichen Grund?”

“Alles, was wir tun, hat letztlich einen persönlichen Grund”, sagte er ausweichend. “Oder habe ich da Unrecht?”

“Nein.”

Ein mildes Lächeln spielte um seine dünnen Lippen. “Sehen Sie!”

“Sie haben mir meine Frage nicht beantwortet.”

“Ich weiß.”

“Was ich nur wissen wollte: Hat es damit zu tun, dass es vielleicht in Ihrem persönlichen Umfeld ein nicht gesühntes Verbrechen gab.”

Der alte Mann zögerte. “Leben Sie wohl”, sagte er dann.

ENDE

Siebenmal ermittelt: Krimi Paket 7 Krimis

Подняться наверх