Читать книгу Krimi Paket 9 starke Thriller im August 2021 - Alfred Bekker - Страница 8
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Оглавление"LaRue!"
Eric LaRue blickte auf und erschrak dabei. Er fühlte den Schweiß auf seiner Stirn stehen. Kalten Angstschweiß. Eine Sekunde lang überraschte es ihn, noch am Leben zu sein, dann wusste er, dass er eingenickt gewesen war und geträumt hatte. Es war nicht das erste Mal, dass ihm das passierte. Nachts fand er oft keinen Schlaf. Dafür überkam es ihn dann am Tag.
"Hey, aufwachen! Du hast Besuch!"
Jetzt erst war LaRue richtig wach. Er rieb sich die Augen und hörte den Gefängniswärter vor sich hin murmeln. "Verdammter Nigger!", knirschte es unter seinem ungepflegten buschigen Schnurrbart hindurch, auf dessen Haaren er immer herum kaute, wenn er Langeweile empfand.
LaRue kannte ihn.
Der Kerl hieß McBride, war in seinem Job ziemlich fett geworden und mochte niemanden, dessen Haut auch nur eine winzige Nuance dunkler war, als seine eigene.
Eric LaRue streckte die Handgelenke durch die Gitterstäbe. Eine Sekunde später waren sie zusammengekettet.
McBride drehte den Schlüssel herum, die Zellentür sprang auf und dann führte er den Gefangenen vor sich her. Es ging durch mehrere weitere stark gesicherte Durchgänge.
"Es ist dein Bruder, dieser Winkeladvokat, der dich sehen will", brummte McBride. Er grinste über das formlose Gesicht, aber davon konnte LaRue nichts sehen. "Ich hoffe er hat schlechte Nachrichten für dich! Jemand wie du, der sich an 'ner weißen Frau vergreift, gehört hingerichtet! Und zwar unverzüglich, ohne Aufschub und Revision und den ganzen Unsinn!" McBride zuckte die breiten Schultern und schob Eric LaRue in den Besuchsraum.
Eric schluckte.
Sein Bruder Miles saß dort und tickte mit den Fingern auf dem Tisch herum. Eric brauchte nicht erst abzuwarten, bis Miles den Mund aufmachte. Er wusste auch so Bescheid. Miles blickte auf. Sein Gesicht sprach Bände.
"Tut mir leid, Eric", flüsterte Miles. Eric setzte sich. Er hatte jetzt fast so weiche Knie wie in dem Traum, als es zur Hinrichtung ging. Diesen verdammten Traum, den er jetzt mit grausamer Regelmäßigkeit hatte, wenn er die Augen schloss. Der Puls schlug ihm bis zum Hals, die Kehle war wie zugeschnürt. Er glaubte, sein Gesicht würde brennen. Er hatte diesen Augenblick lange kommen sehen. Aber jetzt, wo er gekommen war, war es doch schockierend.
"Wir haben alles versucht, Eric", hörte er die Stimme seines Bruders, der sich mit der flachen Hand über das Gesicht fuhr. Miles vermied es, den Todeskandidaten offen anzusehen. Aber die halbe Sekunde, in der sich ihre Blicke dann doch trafen, sah Eric ein Glitzern in Miles' Augen, das er nicht bei ihm gesehen hatte, seit sie kleine Jungs gewesen waren. Tränen.
"Du kannst nichts dafür", hörte Eric sich selbst sagen und hatte dabei fast das Gefühl, als wäre es jemand anderes, der da sprach. Jemand, der viel mehr Kraft hatte, als er. "Du hast alles versucht!" Das hatte Miles wirklich. Die letzte Instanz hatte ihr Urteil gefällt. Eine Wiederaufnahme konnte es nur geben, wenn plötzlich ganz neue Beweise auftauchen sollten - aber was sollte da schon kommen? Eric LaRue war zum Tode verurteilt worden und dieses Urteil würde nun in absehbarer Zeit auch vollstreckt werden. Der Termin stand bereits fest.
"Ich war beim Gouverneur", berichtete Miles, um irgendetwas zu sagen. Er fühlte sich sichtlich unwohl in seiner Haut. "Aber er wird dich nicht begnadigen, Eric."
"Ist das sein letztes Wort?", flüsterte Eric mit erstickter Stimme. Er brauchte die Antwort im Grunde nicht abzuwarten. Er kannte sie im voraus.
"Ich fürchte ja", sagte Miles. Er brachte es einfach nicht fertig, seinen Bruder dabei anzusehen.
Eric nickte. Es überraschte ihn, aber ein wenig konnte er den Gouverneur sogar verstehen. Ein schwarzer Mann hatte angeblich eine weiße Frau umgebracht. Da schlugen die Emotionen ziemlich hohe Wellen. Und warum sollte ausgerechnet ein Politiker sich in dieser Situation ohne Not unbeliebt machen wollen?
Der Fall lag klar, die Beweise sprachen eindeutig für Eric LaRues Schuld. Die Öffentlichkeit war davon genauso überzeugt wie die Jury im Gerichtsaal. Und selbst die Handvoll Demonstranten vor dem obersten Gericht war nicht von Erics Unschuld überzeugt gewesen, sondern einfach nur ganz allgemein gegen die Todesstrafe.
"Die Chancen waren von Anfang an wohl nicht gut, was?", meinte Eric achselzuckend, während er die blanke Verzweiflung in sich aufsteigen fühlte. "Aber ich habe Claire nicht umgebracht... Ich war überhaupt nicht dort!" Er schüttelte den Kopf und fuhr dann fort: "Ich bin unschuldig, aber ich kann es nicht beweisen!"
"Ich weiß, Eric." Miles hörte seine eigene Stimme in diesem Moment wie die eines Fremden. Er fühlte sich scheußlich. Eric LaRue atmete indessen tief durch. "Das wär's dann also", meinte er resigniert.
"Ich habe noch nicht aufgegeben, Eric!", erklärte Miles. "Ich nehme morgen den Flieger nach New York, um mit einem Mann zu sprechen, der dir vielleicht noch helfen kann!" Eric lachte heiser. "Wer sollte das sein? Ein noch besserer Anwalt als du vielleicht? Ein weißer Anwalt womöglich?"
"Nein, ein Privatdetektiv."
Eric lachte heiser. "Was sollte der schon ausrichten? Wir hatten doch schon diesen Spellings engagiert... Und was hat es gebracht?"
"Der Mann, von dem ich spreche, spielt in einer anderen Klasse als dieser Spellings."
Eric winkte ab. "Ach, ja?"
"Ich spreche von einem Mann namens Reiniger", erklärte Miles und versuchte, seiner Stimme dabei einen einigermaßen optimistischen Tonfall zu geben. "Seine Agentur ist eine Top Adresse unter den privaten Ermittlern!"
"Ich mache mir keine Hoffnungen mehr, Miles. Vielleicht ist es besser, es einfach zu akzeptieren. Meine Zeit ist eben so gut wie um."
"Eric!"
"Manchmal denke ich, je eher ich es hinter mir habe, desto besser!"
"Was redest du da!"
Eric LaRue zuckte nur mit den Schultern.
"Es ist so, Miles! Im Grunde haben sie mich längst hingerichtet. Fünfzigmal oder hundertmal. Ich weiß es nicht, ich habe es nicht gezählt. Jede Nacht..." Er stockte. "Verstehst du, wovon ich rede, Miles?"
Miles schaute zur Seite.
"Ich weiß nicht."
"Ich träume immer dieselbe Szene. Ich habe sie mal in irgendeinem Spielfilm gesehen. Jemand wurde aus der Todeszelle geführt, um dann die tödliche Injektion zu bekommen." Er atmete tief durch. "Ich weiß nicht einmal mehr, wie der Film hieß, oder was der Kerl eigentlich verbrochen hatte, der da hingerichtet wurde. Aber jetzt werde ich diese Szene nicht los..."
"Eric..."
"Ich sterbe jede Nacht, Miles. Kannst du dir das vorstellen?"
"Noch ist es nicht vorbei, Eric. Ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben."
Eric LaRues Blick war glasig. Er nickte kurz. "Ich danke dir für alles, was du getan hast!", murmelte er dann. Miles' Lächeln war verkniffen. "Das ist doch das Mindeste!", meinte er schwach.
"Du glaubst, dass du es mir irgendwie schuldig bist, alles zu versuchen, selbst wenn es keinen Sinn hat, nicht wahr? Aber in Wahrheit glaubst auch du nicht mehr an eine Möglichkeit, mich hier lebend herauszubringen!"
"Das ist doch Unsinn, Eric!", war Miles Erwiderung. Aber in Wahrheit hatte Eric es ziemlich genau getroffen.