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3KOLLEKTIVES ARBEITSRECHT 3.1VERFASSUNGSRECHTLICHER AUFTRAG DES KOLLEKTIVEN ARBEITSRECHTS

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Bevor die rechtliche Bedeutung und die Inhalte des kollektiven Arbeitsrechts dargestellt werden, ist zunächst eine Abgrenzung zum Individualarbeitsrecht geboten und sinnvoll. Aus dem Wortsinn des Substantivs „Individuum“ oder dem zugehörigen Adjektiv „individuell“ kann man ableiten, dass es sich bei dem „Individualarbeitsrecht“ um Rechtsbeziehungen zwischen Individuen, also zwischen Einzelnen, handelt. Ganz konkret geht es hier um die arbeitsvertraglichen Verhältnisse zwischen einem einzelnen Arbeitnehmer und einem einzelnen Arbeitgeber.

Demgegenüber beschäftigt sich das kollektive, also das gemeinschaftliche Arbeitsrecht, mit den Rechtsverhältnissen zwischen Gruppen von Arbeitnehmern und Gruppen von Arbeitgebern. Als Oberbegriff für beide Gruppen verwendet man im Arbeitsrecht das Wort „Koalition“. Eine Koalition ist laut Duden ein „Bündnis zur Durchsetzung gemeinsamer (politischer) Ziele“.

Die Zusammenschlüsse, also die Koalitionen von Arbeitnehmern zur Durchsetzung gemeinsamer Ziele, nennt man Gewerkschaften. Schließen sich hingegen mehrere Arbeitgeber zu Koalitionen zusammen, um ihre Interessen zu bündeln, so nennt man diese meist Arbeitgeberverbände.

Das Recht, sich zu Gewerkschaften oder Arbeitgeberverbänden zusammenzuschließen, nennt man Koalitionsfreiheit. Diese ist in Deutschland über Artikel 9 Abs. 3 des Grundgesetzes verfassungsrechtlich geschützt. Das Koalitionsrecht ist ein selbstständiges Grundrecht, steht jedermann, also nicht nur deutschen Staatsangehörigen, zu und wird für alle Berufe gewährleistet. Es umfasst das Recht, eine Koalition zu gründen, eine Mitgliedschaft einzugehen oder zu beenden oder in der Koalition zu verbleiben. Ausdrücklich schützt es auch vor dem Zwang, einer Koalition beitreten zu müssen.

Grundrechte gelten als Abwehrrechte der Bürger gegenüber staatlichen Eingriffen. So garantiert Artikel 9 Abs. 3 GG nicht nur die Koalitionsfreiheit, sondern auch die Freiheit zum Abschluss von Tarifverträgen. Diese sog. Tarifautonomie ist sowohl vom Staat als auch von Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu respektieren.

Für Sie als Beschäftigte oder Beamte im öffentlichen Dienst bedeutet die Koalitionsfreiheit ganz konkret, dass es Ihre ganz persönliche Entscheidung ist, ob Sie einer Gewerkschaft beitreten möchten, ob Sie dort aktiv mitarbeiten oder nur eher passives Mitleid sein wollen oder ob Sie diese Gewerkschaft durch Kündigung Ihrer Mitgliedschaft wieder verlassen wollen. Niemand, auch nicht der Staat, kann und darf Ihnen vorschreiben, dass Sie Gewerkschaftsmitglied sein müssen oder nicht sein dürfen. Gleichermaßen verhält es sich für Ihren Arbeitgeber: Auch dieser kann – meist über die kommunalverfassungsrechtlich zuständigen Organe – frei entscheiden, ob er einem Arbeitgeberverband angehören möchte oder eben auch nicht. Auch wenn Ihr Arbeitgeber als Kommune selbst dem Staat zuzurechnen ist, ist er an dieser Stelle Grundrechtsträger und kommt in den Genuss der Koalitionsfreiheit.

Doch aus welchem Grund schließen sich Arbeitnehmer zu Gewerkschaften und Arbeitgeber zu Arbeitgeberverbänden zusammen, und warum ist das Koalitionsrecht sogar ein Grundrecht?

Die Hauptaufgabe von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften ist der Abschluss von Tarifverträgen (siehe auch Kapitel 2.3, „Rechtsquellen“).

Diese Tarifvertragsparteien sind berechtigt, auf privatrechtlicher Ebene Tarifverträge zur eigenverantwortlichen Regelung des Arbeitslebens abzuschließen. Dabei sind jedoch gewisse Rahmenbedingungen in formeller wie in materieller Hinsicht zu beachten:

So bedarf der Abschluss eines Tarifvertrags gemäß § 1 Abs. 2 TVG zwingend der Schriftform.

Das Tarifvertragsgesetz (TVG) räumt in § 2 ausschließlich den dort aufgeführten Personen und Koalitionen das Recht zum Abschluss von Tarifverträgen ein:

•den Gewerkschaften

•den Vereinigungen von Arbeitgebern (also Arbeitgeberverbänden)

•Zusammenschlüssen von Gewerkschaften und von Vereinigungen von Arbeitgebern (sog. „Spitzenorganisationen“)

•einzelnen Arbeitgebern

Dieses Recht bezeichnet man in der Fachsprache auch als „Tariffähigkeit“.

Nun stellen Sie sich einmal vor, Sie würden zusammen mit einigen Kolleginnen und Kollegen Ihrer Verwaltung eine neue Gewerkschaft gründen, weil Sie mit der Arbeit der etablierten Gewerkschaften nicht zufrieden sind. Die Gewerkschaft hieße z. B. „Neue kommunale Bedienstetengewerkschaft“ (NkB) und hätte – Sie mitgerechnet – zehn Mitglieder. Müsste dann die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) als Spitzenverband der über 11.000 Städte und Gemeinden in Deutschland mit Ihrer „NkB“ beispielsweise in Verhandlungen über einen neuen Entgelttarifvertrag eintreten?

Möglicherweise wird Ihnen bereits Ihr „Bauchgefühl“ sagen, dass dies nicht der Fall ist. Ihrer „NkB“ fehlt nämlich eine Eigenschaft, die man als „Tarifmächtigkeit“ bezeichnet. Eine tariffähige Vereinigung, wie es die „NkB“ wäre, muss aufgrund ihrer Mitgliedergröße und ihres Organisationsgrads so leistungsfähig und „mächtig“ sein, dass sie auch tatsächlich auf den anderen Tarifvertragspartner Druck auszuüben vermag. Dies wäre hier wohl nicht der Fall: Eine Streikandrohung von zehn kommunalen Beschäftigten würde die VKA nicht ernsthaft unter Druck setzen.

Letztlich ist noch die Frage zu klären, für welchen tariflichen Geltungsbereich tariffähige Parteien Tarifverträge abschließen dürfen. Es geht also um die sog. „Tarifzuständigkeit“. Mit dem Begriff „tariflicher Geltungsbereich“ ist hier die betriebs- oder unternehmensbezogene, die räumliche oder regionale, die branchen- oder berufsbezogene Ebene gemeint. Die Tarifzuständigkeit wird meist in der Satzung der tariffähigen Vereinigung festgelegt.

Bezogen auf das Beispiel der „NkB“ würde das bedeuten, dass in deren Satzung die Tarifzuständigkeit für „die Interessenvertretung der Beschäftigten des allgemeinen inneren Verwaltungsdienstes bei den Kommunen in NRW“ festgelegt werden könnte. Sollte nun die „NkB“ beispielsweise einen Gehaltstarifvertrag für das Pflegepersonal an kommunalen Krankenhäusern abschließen, wäre dieser Tarifvertrag aufgrund fehlender Tarifzuständigkeit rechtsunwirksam.

Selbstverständlich darf der Regelungsinhalt des Tarifvertrags auch nicht gegen höherrangiges Recht, wie z. B. ein Gesetz, verstoßen (siehe Kapitel 2.3, „Normenpyramide“), es sei denn, dieses enthält eine ausdrückliche Öffnungsklausel.

Nachdem nunmehr dargestellt wurde, welche Parteien unter welchen Voraussetzungen Tarifverträge abschließen können, stellt sich zwangsläufig die Frage nach deren Inhalten und Regelungen.

Freilich kann an dieser Stelle keine konkrete Inhaltsangabe aller möglichen Tarifverträge erfolgen. Eine abstrakte Darstellung ist hier jedoch möglich:

Tarifverträge enthalten immer einen normativen Teil und einen schuldrechtlichen Teil.

Der normative Teil hat eben diesen Namen erhalten, weil in ihm Normen, also Regeln, definiert und festgelegt werden. Diese Regeln wirken unmittelbar auf die Arbeitsverhältnisse der Mitglieder der Tarifvertragsparteien, ohne jedoch Bestandteil des Arbeitsvertrags zu sein. Obwohl es sich also um Tarifvertragsinhalte handelt, wirken diese Regeln, diese Normen wie Gesetze. Doch weil sie eben nur so wirken und nicht in einem formellen Gesetzgebungsverfahren zustande gekommen sind, bezeichnet man sie auch als „Gesetz im materiellen Sinne“.

Dieser normative Teil enthält:

Inhaltsnormen (Arbeitszeit, Krankengeldzahlung, Arbeitsentgelt, Überstundenverpflichtung, Arbeitspflichten usw.)

Abschlussnormen (Abschlussgebote und -verbote bezogen auf den Arbeitsvertrag, Formvorschriften, Probezeiten usw.)

Beendigungsnormen (Kündigungsfristen und -verbote bezogen auf den Arbeitsvertrag, Übergangs- und Sterbegelder usw.)

Der schuldrechtliche Teil des Tarifvertrags regelt ausschließlich Rechte und Pflichten zwischen den Tarifvertragsparteien, also z. B. zwischen Gewerkschaft und Arbeitgeberverband.

Der schuldrechtliche Teil enthält:

Friedenspflicht (kein Arbeitskampf während der Laufzeit eines Tarifvertrags)

Durchführungspflicht (die Tarifvertragsparteien müssen bei ihren Mitgliedern auf Einhaltung des Vertrags hinwirken)

•Pflicht zur Teilnahme am Schlichtungsverfahren, bevor Arbeitskampfmaßnahmen angewendet werden dürfen

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