Читать книгу Arbeits- und Tarifrecht - André Mangion - Страница 7
Оглавление1EINLEITUNG
1.1BEGRIFF, WESEN UND BEDEUTUNG DES ARBEITSRECHTS
In der Bundesrepublik Deutschland leben rund 83 Millionen Menschen. Der Lebensstandard in unserem Land ist – auch im Vergleich zu unseren europäischen Nachbarn – sehr hoch. Gute Lebensbedingungen, eine ordentliche Infrastruktur und eine angemessene soziale Sicherung gibt es jedoch nicht geschenkt: Die „arbeitende Bevölkerung“ trägt durch ihren Anteil am Sozialprodukt und damit am Steueraufkommen ganz entscheidend zur Sicherung unseres Gemeinwesens bei.
Im Juli 2019 gingen in Deutschland gut 45 Millionen Menschen einer Erwerbstätigkeit nach. Doch was war mit den anderen 38 Millionen Menschen?
Es versteht sich von selbst, dass Kleinkinder, schulpflichtige Jugendliche, Personen im Rentenalter oder gesundheitlich dauerhaft eingeschränkte Menschen nicht zu den Erwerbstätigen gerechnet werden können. Darüber hinaus waren 2,3 Millionen Menschen bei der Bundesagentur für Arbeit oder den Jobcentern arbeitssuchend gemeldet.
Schaut man sich die Gruppe der Erwerbstätigen nochmals genauer an, kann man zwischen Selbstständigen, nicht sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (z. B. Beamten, Richtern und Soldaten) und sozialversicherungspflichtig Beschäftigten unterscheiden. Die letztgenannte Gruppe ist aktuell mit 33,6 Millionen Menschen mit Abstand die größte.
Daher ist dieses Lehrbuch den rechtlichen Rahmenbedingungen der Arbeitsverhältnisse dieser Menschen gewidmet.
Spricht man von „Arbeitsrecht“, so muss man konstatieren, dass es leider nicht das „eine“ Gesetz gibt, in dem alles Notwendige zusammengefasst und geregelt wird. Und wenn man in diesem Zusammenhang über die Stichworte „Recht“ und „Gesetz“ nachdenkt, kann man sich natürlich auch fragen, was denn der Gesetzgeber nun überhaupt mit Arbeitsverhältnissen zwischen Vertragsparteien zu schaffen hat. Dazu sollte man wissen, dass wir in Deutschland in einer „sozialen Marktwirtschaft“ leben. Das ist im Grundgesetz, unserer Verfassung, so festgelegt. Dies unterscheidet uns von anderen Industrienationen, wo teilweise ein lupenreiner „Raubtierkapitalismus“ vorherrscht. „Hire and fire“ ist dort an der Tagesordnung.
Was bedeutet aber nun die Geltung der „sozialen Marktwirtschaft“ für das Arbeitsrecht?
Schon den Mitgliedern des Parlamentarischen Rats, also quasi den Autoren des Grundgesetzes, war klar, dass diejenigen, die über kein anderes Kapital verfügen als ihre Arbeitskraft, in einer wirtschaftlich deutlich schwächeren Position sind als diejenigen, die über Produktionsmittel und anderes Kapital verfügen. So ist das Sozialstaatsprinzip als unveränderliches Staatsformmerkmal in unserer Verfassung (siehe Art. 20 GG) verankert worden.
In Bezug auf das Arbeitsrecht bedeutet das ganz konkret, dass der Gesetzgeber durch das Schaffen rechtlicher Rahmenbedingungen für einen Interessenausgleich, für Chancengleichheit zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern, sorgen muss. Und weil sich die Arbeitnehmer in einer schwächeren wirtschaftlichen Situation befinden als die Arbeitgeber, handelt es sich beim Arbeitsrecht vornehmlich um Vorschriften zum Schutz der Arbeitnehmer.
Der praxisgerechten Darstellung dieser Vorschriften ist dieses Fachbuch gewidmet. Aus Gründen der Lesbarkeit wurde im Text die männliche Form verwendet. Selbstverständlich beziehen sich die Ausführungen auf die Angehörigen beider Geschlechter.
1.2GEGENSEITIGE INTERESSEN IM ARBEITSRECHT
Arbeitgeber (siehe auch Kapitel 1.3), also diejenigen, die über die Produktionsmittel verfügen und meist auch das unternehmerische Risiko tragen, und Arbeitnehmer (siehe auch Kapitel 1.3), also diejenigen, die ihre Arbeitskraft einsetzen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, haben unterschiedliche, ja teils sogar gegensätzliche Interessen.
Am deutlichsten wird das natürlich bei der Vergütung für die Arbeitsleistung, also beim Lohn:
Während der Arbeitnehmer selbstverständlich möglichst viel Geld für seine Arbeitsleistung erhalten möchte, liegt es im Bestreben des Arbeitgebers, diese Arbeitsleistung möglichst günstig zu erhalten.
Arbeitnehmer möchten ihren Lohn auch während ihres Urlaubs oder während eines krankheitsbedingten Ausfalls bekommen, Arbeitgeber aber nur bei tatsächlich erbrachter Arbeitsleistung Lohn bezahlen.
Während die Arbeitgeber ihren Personalbestand möglichst frei reduzieren können möchten, sind Arbeitnehmer an einem sicheren Arbeitsverhältnis und Schutz vor Kündigungen interessiert.
Auch möchten die Arbeitgeber im Rahmen ihres Direktionsrechts (s. u.) betriebliche Abläufe und Entscheidungsprozesse weitestgehend selbst bestimmen, wohingegen Arbeitnehmer an einer Begrenzung dieses Rechts und an betrieblicher Mitbestimmung (siehe Kapitel 4) interessiert sind.
Diese Aufzählung ließe sich unter Nennung zahlreicher weiterer Aspekte (Urlaubsansprüche, Arbeitssicherheit, Pausenregelungen, Sonderzahlungen usw.) beliebig fortsetzen.
Es stellt sich angesichts der obigen Aufzählung teils völlig gegensätzlicher Interessen dann natürlich die Frage, wie man hierfür einen für alle Seiten akzeptablen, gemeinsamen Nenner finden kann. Dass dies möglich ist, zeigen die mehr als 33 Millionen in unserem Land geschlossenen Arbeitsverträge. Allerdings erfolgt diese Einigung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern nicht völlig frei von äußerer Einflussnahme. Der Gesetzgeber hat für viele Bereiche allgemeingültige Rahmenbedingungen geschaffen, die beim Eingehen eines jeden Arbeitsverhältnisses somit gesetzlich normierten Standard darstellen (siehe auch Kapitel 2.3).
Das bekannteste aktuelle Beispiel hierfür ist die gesetzliche Festlegung eines Mindestlohns von zurzeit 9,50 € pro Stunde (Stand: 01.01.2021) bzw. 10,45 € ab dem 01.07.2022. Auch der Mindesturlaubsanspruch ist gesetzlich festgelegt und beträgt aktuell 20 Urlaubstage bei einer Fünftagewoche, also vier Wochen pro Jahr.
FALL 1.1
Versuchen Sie einmal herauszufinden, welche Mindestdauer der Gesetzgeber für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für Arbeitnehmer vorgesehen hat!
Wissen Sie auch, wie viele Stunden Sie pro Woche maximal arbeiten dürfen?
1.3ARBEITNEHMEREIGENSCHAFT, ARBEITGEBEREIGENSCHAFT
Nachdem dieses Begriffspaar in den vorangegangenen Abschnitten bereits mehrfach verwendet wurde, ist es nun vonnöten, es inhaltlich konkret zu bestimmen, d. h. zu definieren.
Arbeitnehmer ist, wer aufgrund eines privatrechtlichen Vertrags in persönlicher Abhängigkeit für einen anderen gegen Entgelt unselbstständige Dienste leistet.
Leider ist diese gängige Definition nicht selbsterklärend, sondern bedarf einiger Erläuterungen.
Da ist zunächst der Begriff des „privatrechtlichen Vertrags“. Ausführlich wird dieses Thema in Kapitel 6 (Begründung des Arbeitsverhältnisses) behandelt werden. An dieser Stelle sei jedoch bereits gesagt, dass es sich bei einem Arbeitsvertrag um einen Vertrag nach den Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) handelt. Der Arbeitsvertrag gilt als Unterform eines sog. Dienstvertrags und ist in § 611 a BGB geregelt (bitte nachlesen!).
Unter „persönlicher Abhängigkeit“ versteht man, dass der Arbeitnehmer in den Betrieb des Arbeitgebers und dessen Organisation eingegliedert ist. Auch ist er an die Weisungen des Arbeitgebers gebunden. Für die Definition des Begriffs der „Weisungsgebundenheit“ wendet man eine Vorschrift aus dem Handelsgesetzbuch (HGB) analog an. Danach ist derjenige weisungsgebunden, der seine Tätigkeit nicht frei gestalten kann und nicht frei über Zeit, Dauer und Ort seines Arbeitseinsatzes bestimmen kann. Üblicherweise setzt der Arbeitnehmer auch seine ganze Arbeitskraft für ein und denselben Arbeitgeber ein.
Das letztgenannte Kriterium ist allerdings von der Realität ein wenig überholt worden.
So beträgt die Anzahl der Arbeitnehmer mit geringfügig entlohntem Nebenjob seit Jahren rund 2,5 Millionen. Dennoch besteht in den allermeisten Fällen überhaupt kein Zweifel daran, dass diese Personen abhängig beschäftigt sind.
Mitunter fällt die Unterscheidung zwischen Unselbstständigen, also Arbeitnehmern eines Betriebs, und sog. „freien Mitarbeitern“ (Selbstständigen) etwas schwer.
Anhand der tabellarischen Darstellung sollte Ihnen eine Unterscheidung möglich sein:
Der Begriff des Arbeitnehmers stellt einen Oberbegriff dar. Man kann darunter Arbeiter und Angestellte fassen. Unter Arbeitern versteht man Personen, die überwiegend körperliche Arbeit verrichten. Die Arbeit von Angestellten ist von überwiegend geistiger Tätigkeit geprägt.
Im Bereich des öffentlichen Dienstes hat diese Unterscheidung jedoch an Bedeutung verloren. In dem für den öffentlichen Dienst bei den Kommunen einschlägigen Tarifvertrag, dem TVöD, wird nicht mehr zwischen Arbeitern und Angestellten differenziert. Es ist nur noch von einer Gruppe die Rede, nämlich von den Beschäftigten.
Eine gewisse Sonderstellung innerhalb der Gruppe der Arbeitnehmer nehmen die sog. „leitenden Angestellten“ ein. Dies können z. B. Geschäftsführer, Betriebsleiter oder Prokuristen sein. Die Besonderheit bei den leitenden Angestellten besteht darin, dass sie sich selbst in einem abhängigen Arbeitsverhältnis befinden, aber zur selbstständigen Einstellung und Entlassung von im Betrieb oder in der Betriebsabteilung beschäftigten Arbeitnehmern berechtigt sind (§ 5 Abs. 3 Betriebsverfassungsgeset; bitte nachlesen!). Für diese Personen finden beispielsweise die Schutzvorschriften des Arbeitszeitgesetzes keine Anwendung (§ 18 Abs. 1 Nr. 3 ArbZG). Auch bezüglich des Kündigungsschutzes gelten für diese Personen gewisse Einschränkungen (§ 14 Abs. 2 KSchG).
Einen echten Sonderstatus innerhalb der Gruppe der Arbeitnehmer genießen die Auszubildenden. Das Berufsbildungsgesetz (BBiG) enthält zahlreiche Schutzvorschriften zum Wohle der zur Ausbildung beschäftigten Personen.
Die Definition des Arbeitgeberbegriffs ist hingegen weit weniger komplex. Es handelt sich hierbei nämlich nur um das Korrelat zum Arbeitnehmerbegriff.
Arbeitgeber ist, wer mindestens einen Arbeitnehmer beschäftigt.
Arbeitgeber können zum einen natürliche Personen, also Menschen, oder zum anderen auch sog. juristische Personen sein. Hierzu erfahren Sie mehr im nächsten Kapitel.