Читать книгу Jetzt spinnen wir um die Wette, Henriette! - Andrea Charlotte Berwing - Страница 14
ОглавлениеBöse Jungs
Karsten und Tom lauern noch öfter Henriette auf, die nun den längeren Weg über die Zinnowitzer Straße nehmen muss.
„Gib mir einen Kuss!“, fordert Karsten, Tom steht daneben und wartet.
„Wie bitte?“ Für Henriette ist die Situation komisch.
Wenn sie ihre langen Haare versteckt, wird sie noch mit junger Mann angesprochen. Schmal ist sie und hochgewachsen, doch davon will sie noch gar keine Ahnung haben.
„Einen Kuss“, wiederholt Karsten und guckt ihr gespannt in ihre blaugrauen Augen. Henriette versucht auszuweichen, indem sie zwei Schritte nach hinten geht und über die Bordsteinkante stolpert.
Karsten und Tom nutzen die Situation und nehmen ihr blitzschnell den Schulranzen und die Jacke weg. Henriette wehrt sich, doch vergeblich, sie bleibt hilflos. Die beiden Jungs laufen hoch zur Habersaathstraße und werfen Henriettes Sachen auf die Straße. Ihr klopft das Herz bis zum Hals vor Angst, langsam holt sie ihre Sachen und geht nach Hause. Sie dreht sich noch mehrmals um, ob sie von den beiden Jungs verfolgt wird. Niemals bekommen die einen Kuss, ich hasse sie, denkt sie wütend.
Glücklicherweise fragt Madleen, ein großes stämmiges dunkelhaariges Mädchen Henriette, ob sie Lust hat, mit ihr nach Hause zu kommen. Ohne lange zu überlegen, stimmt sie zu.
„Los, komm!“, bekräftigt Madleen nach der sechsten Stunde ihr Angebot.
Die ein wenig verängstigte Henriette ist froh, auf diese Weise den ihr immer wieder nachstellenden Jungs zu entkommen und läuft mit Madleen mit, über die Torstraße in die Chausseestraße. Vorbei an der Tierversuchsstation, durch deren gekippten Fenster sie Hunde winseln hören. Vorbei an einem kleinen Glaskasten mit einem Polizisten darin vor einem Gebäude. Die Ständige Vertretung.
Madleen hat noch vier Geschwister, die sie neugierig begrüßen. Sie wohnt in der Chausseestraße in einer riesengroßen Altberliner Sechsraumwohnung. Mit Stuck an den Decken und vielen Wodkaflaschen auf dem Couchtisch und in der Küche.
„Wo sind denn deine Eltern?“, wundert sich Henriette. „Du hast doch gesagt, sie sind zu Hause?“
Henriette kriecht ein stechender Geruch in die Nase. Zwei Katzen schauen sie aus grünen Augen geheimnisvoll an, sie haben jeweils die Couch und einen Sessel belegt. Draußen hinter den morschen Fenstern ist der Lärm der vorbeifahrenden Zweitakter zu hören.
„Schau mal, hier sind meine Eltern“, fordert Madleen Henriette geheimnisvoll auf und winkt sie durch einen langen Flur zu einer der vielen abgehenden Türen.
Gemeinsam schauen sie durch das Schlüsselloch ihren Eltern beim Poppen zu, so wie es Madleen nennt. Der Vater von Madleen ist klein und dünn, die Mutter klein und dick. Irgendwie verdrängt Henriette die Bilder wieder.