Читать книгу Jetzt spinnen wir um die Wette, Henriette! - Andrea Charlotte Berwing - Страница 17
ОглавлениеDie Wüste geht unter
„Was habt ihr, eine Überschwemmung, Flutkatastrophe? In der Wüste? Matilan? Man muss es hinnehmen? Ich glaub‘s nicht. Vier Jahre, dann länger! Null Problem.“
Bernd ist sofort entschlossen. Er schreit durch die große Wohnung, läuft mit dem Handy am Ohr von einem Zimmer zum anderen. Iris ist überrascht.
„Matilan. Vier Jahre ist doch super, da kann sie Deutsch lernen und zur Schule gehen. Iris hat sie schon eingesackt, an Kindes statt angenommen, sozusagen“, posaunt Bernd lauthals ins Telefon. Er legt das Telefon auf den gläsernen Couchtisch am Fenster im Wohnzimmer und geht ins Bad.
„Sag mal“, Iris steht sofort auf und läuft ihm hinterher, „vielleicht sagst du mir mal, was los ist.“
„Hast du doch gehört“, schnauft Bernd auf der Toilette. „Süße, lass mich doch mal in Ruhe mein Geschäft machen, ist doch auch für mich aufregend. Lea bleibt die nächsten vier Jahre bei uns.“
Die anfängliche Spannung fällt von Iris ab, ihre Knie werden weich, sie hockt sich an die Wand vor der Toilette. Wenn Träume wahr werden, glaubt man sie nicht, denkt sie, und es haut einem die Beine weg. Bernd kommt aus der Toilette raus, sieht Iris und hockt sich neben sie.
„Süße, das hast du dir doch gewünscht, vier Wochen, vier Jahre. Jetzt haben wir jemanden aus der Familie, um den wir uns kümmern werden. Ist doch egal, wie weit entfernt verwandt. Sprache ist lebendig, Familie auch. Und wir zahlen ja alles; da sollte es ja wohl keine Probleme geben mit den Behörden.“
Iris glaubt es auch noch Tage später nicht. Zu sehr verwob sich ihr insgeheimer Wunsch mit der Realität. Sie kümmert sich liebreizend um Lea, die jetzt zu Hause von ihr gepflegt wird. Abends liest sie ihr Geschichten vor und zeigt ihr Bilder dazu. Leas Lieblingsbuch ist ein Russisches: Der Feuerdrachen. Lea, die sich ebenfalls in einem Traum befindet, saugt die neuen Eindrücke förmlich auf. Die deutsche Sprache, so befindet Lea für sich, hört sich an wie Trommelschläge auf dumpfem Holz mit einem leichten schönen Klingeln darin, wie von heiligen Glocken. So eine, die Iris immer benutzt, wenn sie zum Essen ruft. Lea fängt an, Iris zu beobachten und zu entdecken. Die feinen Linien um ihre Augen herum, die meisten sind Lachfalten, der gutmütige Blick ihrer blauen Augen. Der immerwährende Schalk in ihnen, wenn sie ihren Mann Bernd anschaut, und das Glucksen ihres Lachens. Die rundliche Silhouette gibt Lea ein Gefühl von Geborgenheit. Urplötzlich kommt Bewegung in Bernd und Iris. Lea soll eingeschult werden. In vier Wochen ist es so weit. Zuckertütenfest. Iris lernt mit Lea im Eiltempo Deutsch, sie kauft sich eigens ein Fremdsprachenbuch dafür in Leas Sprache, mit dem sie nun zusammen lernen. Morgens, mittags und abends, je zwei Stunden büffeln. Schreiben fällt Lea unendlich schwer, Iris rauft sich verzweifelt die Haare, doch sie kämpfen sich durch, Strich für Strich, Kurve für Kurve, Zeile um Zeile.