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2.4.5 Unternutzung und Nutzungsaufgabe

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Ebenso wie eine Nutzungsintensivierung oder Übernutzung reduziert in der Regel auch die Unternutzung oder Nutzungsaufgabe die Artenvielfalt in Wiesen. Kurzfristig führen Unternutzung oder Nutzungsaufgabe zu sogenannten Verbrachungserscheinungen, mittelfristig kann eine Verbuschung und Einwaldung eintreten. Zwar fällt bei der Unternutzung beziehungsweise Nutzungsaufgabe zunächst die schädigende mechanische Wirkung von Mahd oder Beweidung auf die Pflanzen teilweise oder ganz weg. Doch weil die sich entwickelnde Biomasse nicht abgeführt wird, tritt im Laufe der Jahre oder bereits ab dem ersten Jahr zunehmend Lichtmangel auf, und die Erwärmung des Bodens wird reduziert. Der Lichtentzug durch die Biomasseakkumulation ist dabei oft weniger vertikal über den ganzen Bestand verteilt, sondern konzentriert sich auf eine dünne, teppichartige, aber umso dichtere bodennahe Schicht, den «Streuefilz». Arten, denen es nicht gelingt, mit ihren Blättern diesen Filz zu durchdringen – vor allem Rosettenpflanzen und niederwüchsige Arten –, können innerhalb einiger weniger Jahre verschwinden. Andere Arten dagegen, beispielsweise die Fiederzwenke und weitere sich klonal ausbreitende Grasarten, im Berggebiet auch Zwergsträucher und Arten aus lichten Wäldern, können vom ausbleibenden Schnitt profitieren und zusätzlich zur Verdrängung der lichtbedürftigen Arten beitragen (Abb. 26). Gerade seltene und gefährdete Arten verschwinden oft zuerst und werden durch Generalisten ersetzt, bevor die Bewaldung einsetzt (SPIEGELBERGER et al. 2006). Eine Untersuchung im Schweizer Berggebiet zeigte, dass in Brachflächen ungedüngter Wiesen über 70 Prozent der typischen Wieslandarten deutlich seltener oder nicht mehr vorkamen verglichen mit ungedüngten, regelmässig gemähten Wiesen, und die Artenzahl ging deutlich zurück im Vergleich mit regelmässig genutzten Flächen (MAURER 2005).

Tab. 2. Die für die Artenvielfalt im Wiesland wichtigsten direkten Wirkungen verschiedener Nutzungsund Pflegemassnahmen. * – = geringe, ––– = gravierende Schädigung, V = für die Vegetation, F für die Fauna. Quellen: siehe Text sowie eigene Zusammenstellung.

Gerät/ProzessWirkung / Bedeutung*Erläuterungen
Futteraufbereiter––– FDieser zerschlägt das Erntegut, damit es rascher trocknet, und wird vom Traktor hinter dem Mähwerk mitgeführt. Futteraufbereiter töten praktisch alle Kleintiere, welche sich in der Vegetationsschicht aufhalten.
Anzahl und Art der Überfahrten––– F (V)Je häufiger, mit je schwereren Maschinen und mit je breiteren Pneus das Wiesland befahren wird, desto stärker sind die meist tödlichen Folgen für eine Vielzahl von Tierarten. Das Befahren gilt als der wichtigste negativ wirkende Faktor der Wieslandnutzung insbesondere auf die Fauna.
Mulchgeräte––– FDiese werden vor allem in Weiden zur Weidepflege eingesetzt. Sie zerschlagen das überständige Gras und sind, ähnlich wie die Futteraufbereiter, für Kleintiere, die sich in der Vegetation aufhalten, zu fast 100% tödlich.
Mähwerk–– FRotierende Mähgeräte führen zu deutlich höheren Schäden an der Fauna als Messerbalken.
Schnitthöhe–– F, (V)Je tiefer, desto grösser die Schäden an der Fauna. Aus futterbaulicher Sicht ideal und für die Fauna akzeptabel sind 7 cm.
Art der Futterwerbung (Gras-, Silage- oder Heuwerbung)– F, VSilage ist sowohl für die Fauna wie für die Vegetation ungünstiger als Heubereitung, weil die Ernte weniger Zeit in Anspruch nimmt und weil das Mähgut noch teilweise grün in Folien verpackt oder vom Feld abgeführt wird (geringere Fluchtmöglichkeiten, geringeres Absamen der Pflanzen).
Tageszeit der Mahd– FAm frühen Morgen sind viele wechselwarme Tierarten in ihrer Mobilität und damit in ihren Fluchtmöglichkeiten stark eingeschränkt (Tau, tiefere Temperaturen). Die Mahd sollte deshalb nicht vor 10 Uhr am Morgen durchgeführt werden.
Pestizide–– FAbgesehen von der Einzelstockbehandlung von Blacken ist der Einsatz von Pestiziden im Naturwiesland heute noch die Ausnahme. Der flächendeckende Einsatz von selektiv wirkenden Herbiziden wird durch die Beratung zur Bestandeslenkung oder Sanierung falsch bewirtschafteter Wiesen aktiv gefördert. Aus ökologischen und wirtschaftlichen Gründen ist diese Entwicklung problematisch und abzulehnen, da es Alternativen gibt. Für die Biodiversität problematisch ist zudem der Einsatz von Giftködern zur Mäusebekämpfung.

Wenn die Nutzungsaufgabe dagegen an Standorten erfolgt, an denen die Wüchsigkeit nicht ausreicht für den Aufbau eines Streuefilzes, oder an denen der Streuefilz sehr rasch abgebaut wird zum Beispiel durch Windeinwirkung – also dann, wenn sich die Vegetation links des Buckels der Grime-Kurve befindet (Abb. 17) –, dann resultiert meist nur ein geringer Einfluss auf die Pflanzenartenzusammensetzung. Zum Beispiel in sehr magerem Wiesland führt die Nutzungsaufgabe und Verbrachung also nicht zu einem Artenverlust.

Mittelfristig geht der Verbrachungsprozess auf waldfähigen Standorten in eine Verbuschung und Bewaldung über, was zu einer vollständigen Verdrängung der Wieslandarten durch Waldarten und generell zu einer starken Artenverarmung führt. Wie lange dieser Prozess dauert, hängt von zahlreichen Faktoren ab. Bei hohem Sameneintrag entsprechender Gehölze, beim Vorhandensein von Wurzelbruten (Espe, Schwarzdorn), bei günstigen Wuchsbedingungen und bei einer nicht zu hohen Biomasseproduktion des Wieslandbestandes kann eine Wiese oder Weide bereits nach wenigen Jahren verbuschen und einwalden. Sind die Voraussetzungen dagegen für die Etablierung von Gehölzen ungünstig, kann dieser Prozess unter Umständen Jahrzehnte dauern (SCHREIBER et al. 2009; ZOLLER et al. 1984).

Begrenzte Flächenanteile verschiedener Sukzessionsstadien können die Artenvielfalt von Wiesen und Weiden zwar erhöhen. Höhere Anteile führen jedoch immer zu einem Rückgang der Artenvielfalt, teilweise auch zu einer erhöhten Erosionsanfälligkeit (Kap. 2.6 und 3.3; Abb. 26).

Rund 80 Prozent der floristisch wertvollen Wieslandflächen liegen im Sömmerungsgebiet und in den Bergzonen III und IV (STöCKLIN et al. 2007). Diese Flächen sind durch die Nutzungsaufgabe und die Wiederbewaldung besonders stark gefährdet (Kap. 6.10).

Das Naturwiesland der Schweiz und Mitteleuropas

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