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3.3.2 Kräuter

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Im Vergleich zu Gräsern und Leguminosen weisen die meisten Kräuter einen geringeren Nährwert auf und der Anteil an Stängeln und anderen von Raufutterverzehrern schlecht verwertbaren Teilen ist in der Regel grösser. Zudem neigen die Blätter vieler Kräuter bei der Heubereitung zum Zerbröckeln, so dass sie teilweise auf dem Feld liegen bleiben. Der heutige Futterbau schenkt aus diesen Gründen den Kräutern im Wiesland fast nur noch negative Aufmerksamkeiten (Exkurs 6).

Entsprechend wird meist nur die Reduktion der Kräuter im Futterbau thematisiert. Dabei stehen zwei Kategorien von Kräutern im Fokus. Die erste betrifft die «Verdränger», also Krautpflanzenarten, welche überhandnehmen können und so futterbaulich wertvolle Gräser und Leguminosen verdrängen oder auch als Lückenfüller geschwächte Bestände kennzeichnen. Bekannte Beispiele sind Blacke, Wiesenkerbel, Hahnenfuss, Wiesenlabkraut, kriechende Ehrenpreisarten oder Waldstorchenschnabel. Diese Arten können bei falscher Nutzung, bei Bodenverdichtung oder bei übermässigem Einsatz von Gülle zur Dominanz gelangen und den Futterwert von Wiesen stark reduzieren oder in Extremfällen Wiesen futterbaulich unbrauchbar machen. Die «Güllezeiger» unter den Kräutern sind meist Tiefwurzler, welche Nährstoffe aus tieferen Schichten als die Gräser aufnehmen können. Bei starkem Einsatz von Gülle sickert diese (zu) tief ein und gibt diesen Arten einen Wachstumsvorteil. – In extensiv genutzten Wiesen haben in den letzten Jahren das Einjährige Berufskraut (siehe Kap. 6.3.3) und der Klappertopf (Kap. 7.5.7) stark zugenommen und verursachen zunehmend Probleme.

Die zweite Kategorie betrifft Giftpflanzen, die bei kleineren oder grösseren Massenanteilen bei Raufutterverzehrern gesundheitliche Probleme verursachen können. Diese Kategorie besteht nur aus wenigen und zudem fast ausschliesslich auf das extensive Spektrum der Wiesentypen beschränkten Arten. Dazu zählen die Herbstzeitlose, das Wasser-Greiskraut oder der Klappertopf. In Weiden kommen weitere Arten wie das Jakobs-Kreuzkraut dazu.

Vor allem in höheren Lagen können giftige Arten, zum Beispiel Germer, Eisenhut oder Gelber Enzian, stark überhand nehmen. In Weiden sind Giftpflanzen aber für die Weidetiere kein Problem, da sie verschmäht und stehen gelassen werden. Dadurch breiten sie sich jedoch beim Ausbleiben entsprechender Weidepflege immer mehr aus und können dann unter der ersten Kategorie durch Verdrängung wertvoller Futterpflanzen den Futterwert und den Ertrag einer Weide beträchtlich reduzieren (Abb. 8).

Die Giftkräuter dürften in ihrer negativen Wirkung und ihrem Gefahrenpotenzial in den letzten Jahren stark überbetont und überschätzt worden sein. Dies gilt beispielsweise für die Kreuzkrautarten, den Klappertopf oder die Herbstzeitlose (z. B. BOSSHARD et al. 2003). Befragungen von Landwirten zeigten, dass diese Arten selbst im Heu bei höheren Anteilen kaum je Probleme verursachen (BOSSHARD, unveröffentlicht), was aber nicht heisst, dass es in Einzelfällen nicht zu Krankheitserscheinungen oder Abgängen kommen kann, wie verschiedentlich dokumentiert worden ist.

Zu fast allen unerwünschten Arten und ihren Bekämpfungsmöglichkeiten gibt es zahlreiche Literatur in Form von wissenschaftlichen Untersuchungen oder Merkblättern (z. B. Merkblätter 4 und 7 der Arbeitsgemeinschaft für den Futterbau AGFF, www.agff.ch/deutsch/online-shop/merkblaetter.html).

Exkurs 6

Mehr als nur Beigemüse: Kräuter der Wiesen als Medizin und Verkaufsargument für gesunde Milch

In Kunstwiesenmischungen sind zwar zahlreiche Gräser- und Leguminosenarten enthalten, aber kein einziger Vertreter der Kräuter. Kräuter gelten im heutigen Futterbau entweder als problematisch oder als wertlos. So gibt es auch für Naturwiesen in der Literatur keinen angestrebten Mindestanteil für Kräuter.

Sind Kräuter also nur für den Naturschutz und allenfalls die Imkerei von Interesse? Dass sie für die Honigtracht der Wiesen sorgen und den grössten Anteil an der Artenvielfalt im Wiesland haben ist unbestritten.

Der futterbauliche Wert dagegen ist heute weitgehend vergessen. Das war nicht immer so. Noch im 19. Jahrhundert wurden verschiedene Kräuter durch Saatgut gezielt eingebracht, beispielsweise der Pastinak (Pastinaca sativa). STEBLER und SCHRÖTER schrieben 1892: «Ein rein schädliches Unkraut, das vom Standpunkt des praktischen Landwirts gar keinen Nutzen hat, gibt es wohl kaum». KLAPP (1956) weist auf die Wirk- und Aromastoffe und die hohen Mineralstoffgehalte vieler Kräuter hin. Und SCHNEIDER (1954) kommt zum Schluss, dass das Futter der Fromentalwiesen dank der zahlreichen Kräuterarten «ein reichhaltig zusammengesetztes Futter liefert, das im Hinblick auf die Tierfütterung sehr hoch einzuschätzen ist.»

Während es unter den Gräsern und Leguminosen kaum Heilpflanzen und nur ausnahmsweise giftige Pflanzen gibt, gehören unzählige Kräuterarten der Wiesen zu den Heilpflanzen. THOMET et al. (1989) fanden unter den 345 festgestellten Pflanzenarten in artenreichen Wiesen 72 Heilpflanzenarten, das sind über 20 Prozent der vorkommenden Arten.

Viele Bauern sind aus eigener Erfahrung überzeugt, dass artenreiche Wiesen für ihre Tiere wertvolles «Medizinalheu» liefern und setzen dieses Futter entsprechend gezielt ein. «Aus (berg)bäuerlicher Sicht ist dieses Futter nicht nur im Krankheitsfall geeignet, sondern gilt als gesund schlechthin: «Wenn die Flachlandbauern dieses Heu nur den Rindern geben, so ist das der grösste Fehler, den sie machen können. Jeder Flachlandbauer macht heute ja fünf bis sechs Schnitte. Er schneidet das Gras mit drei bis vier Wochen ab. Dann haben sie so viel Eiweissgehalt und Energie, dass die Kuh das gar nicht mehr verschaffen kann. Dann gibt es einfach einen Knall. Eine solche Kuh ist mit drei bis vier Jahren hinüber, wenn sie dreimal gekalbert hat, ist sie durch. Deshalb gibt es nichts Besseres als Magerwiesenheu zu futtern, weil das viele Rohfasern hat.» (Zitat aus einem Interview mit einem Bergbauern, JURT 2003).

Bisher konnte eine Heilwirkung von Heu aus artenreichen Wiesen allerdings wissenschaftlich nie einwandfrei nachgewiesen werden (vgl. Schmid in THOMET et al. 1989). Viele Untersuchungen existieren aber zur Wirkung einzelner Wiesen-Heilpflanzenarten. In der Rindvieh- und Pferdefütterung werden heute zunehmend – teuer zu bezahlende – Heilpflanzenzusätze eingesetzt, die oft genau diejenigen Arten enthalten, welche in artenreichen Mager- und Fromentalwiesen in grossen Mengen – und kostenlos – vorhanden sind oder waren, zum Beispiel Salbei, Kümmel, Schafgarbe, Beinwell oder Frauenmantel.

Nachdem 1999 in der Schweiz Antibiotika als Futtermittelzusätze verboten wurden, kamen einige der genannten Heilpflanzenarten als Einzelkomponenten zur Leistungsförderung in der Schweinemast zu neuen Ehren. Eine Übersicht über die Einsatzmöglichkeiten und die Wirkstoffgruppen der verschiedenen Pflanzenarten gibt die Webseite www.landwirtschaftskammer.de/landwirtschaft/tierproduktion/schweinehaltung/fuetterung/pflanzliche-futterzusaetze.htm, ein Beispiel für den Einsatz in der Rinderfütterung s. www.lgc-sa.ch/images/Artikel_SchweizerBauer_Nutral_Produkte.pdf.

Unbestritten ist auch, dass die Kräuter erhöhte Gehalte an Mineralstoffen und Spurenelementen aufweisen und so die Zufütterung entsprechender Futterzusätze unnötig machen oder vermindern können. Seit kurzem wird die Wirkung verschiedener Kräuter und Legum i nosen auf die Milch- und Fleischqualität breiter diskutiert. So erhöhen tanninhaltige Arten wie Esparsette oder Hornklee – beides zugleich Indikatorarten für artenreiche, extensiv bis wenig intensiv genutzte Wiesen gemäss QII – gemäss laufenden Untersuchungen der Forschungsanstalt Agroscope den Anteil an Linolensäure in der Kuhmilch und im Schaffleisch deutlich. Linolensäure gehört zu den langkettigen, ungesättigten Omega-3-Fettsäuren. Diese gelten als besonders gesund, und ihr Gehalt stellt damit ein Qualitätskriterium für Milch und Fleisch dar. Zugleich vermindern die Tannine den Methanausstoss der Widerkäuer, wirken antiparasitär und verbessern die Verdauung (www.legumeplus.eu).

Milch ist also nicht gleich Milch. Milch aus naturnaher Produktion beziehungsweise aus artenreichen Wiesen könnte damit in Zukunft mit einem Mehrwert verkauft werden. Während genau dies dem erfolgreichen «Heumilch»-Label in Österreich gelungen ist, steht ein Erfolg beim ähnlichen Projekt «Wiesenmilch» in der Schweiz noch aus. Immerhin wirbt der Schweizer Bauernverband – ansonsten alles andere als ein Verfechter artenreicher Wiesen – in seiner Plakatkampagne 2015 erstmals mit der Artenvielfalt von Wiesen beziehungsweise der besonderen Geschmacksnote von Alpenkräutern für Schweizer Milch. So könnte der Konsument in Zukunft mit seinem Kaufverhalten über die Wertschätzung und den Erhalt artenreicher Wiesen mitentscheiden.

Im Gegensatz zur futterbaulichen Sichtweise haben Kräuter aus der Perspektive von Naturschutz und Ästhetik einen zentralen Stellenwert im Wiesenökosystem. In allen artenreicheren Wiesentypen machen Kräuter meist mehr als drei Viertel der Pflanzenarten aus, und auch die seltenen Arten finden sich fast ausschliesslich in der Gruppe der Kräuter. Das Blütenangebot der Kräuter wiederum ist für viele Insektenarten Nahrungsbasis. Ein angemessener Anteil an Kräutern ist besonders in ökologischen Ausgleichsflächen deshalb ein wichtiges Qualitätskriterium. 70 Prozent der 46 beziehungsweise 82 Prozent der 34 (Qualitätsschlüssel QII für tiefere Lagen mit geringeren Anforderungen beziehungsweise entsprechender Schlüssel für höhere Lagen) Arten(gruppen), welche als Indikatoren für Öko-Qualität beziehungsweise seit 2014 Qualitätsstufe II zählen und von denen mindestens 6 vorkommen müssen, sind denn auch Kräuter, der Rest Gräser und Leguminosen (Weisungen Öko-Qualitätsverordnung beziehungsweise ab 2014 BFF-Qualitätsstufe II, www.blw.admin.ch).

Das Naturwiesland der Schweiz und Mitteleuropas

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