Читать книгу Das Naturwiesland der Schweiz und Mitteleuropas - Andreas Bosshard - Страница 41
3.3.1 Gräser
ОглавлениеAusdauernde Gräser bilden das Grundgerüst der Naturwiesen Mitteleuropas und sind damit hauptsächlichen für den Ertrag und die Stabilität des Bestandes verantwortlich. Nur Gräser sind fähig, einen dichten, stabilen Wasen zu bilden, und dieser wiederum ist in steileren Lagen für die Befahrbarkeit und den Erosionsschutz entscheidend.
Aus futterbaulicher Sicht wird in produktionsorientiert genutztem Naturwiesland ein Anteil ausdauernder Gräser von 50 bis 75 Massenprozent angestrebt. Sofern dagegen Artenreichtum oder Ästhetik im Vordergrund stehen, ist ein geringerer Gräseranteil erwünscht, weil die Gräser viel weniger Arten aufweisen als die Kräuter, Kräuter zudem für mehr Insektenarten Nahrung bieten (z. B. Nektar), und ein starker Graswuchs, vor allem von rasenbildenden Arten, die Kräuter konkurrenzieren und ihre Vielfalt unter Umständen stark vermindern kann. Auch aus ästhetischer Warte ist ein höherer Kräuteranteil attraktiver, sind doch solche Bestände blütenreicher, farbiger und von den Wuchs- und Blattformen her vielfältiger.
Besonders deutlich zeigt sich die Wirkung einer Übermacht der Gräser in vielen Wiesentypen beim Brachfallen. Durch die ausbleibende Nutzung nehmen einige Grasarten stark überhand, je nach Standort beispielsweise die Fiederzwenke oder der Rotschwingel. Diese Gräser können innerhalb von wenigen Jahren einen dichten Filz bilden, welcher kaum mehr weitere Arten aufkommen lässt (Abb. 26).
Umfangreiche Ansaatversuche haben gezeigt, dass auf der anderen Seite das Fehlen von mehr oder weniger konkurrenzfähigen Grasarten den Pflanzenbestand instabil werden lässt. Wurden nämlich in blumenreichen Ansaatmischungen wüchsigere Gräser ganz weggelassen, konnten sich die Wiesenblumen anfänglich tatsächlich besonders üppig entfalten. Bereits nach wenigen Jahren brachen ihre Massenanteile und Artenzahlen aber ein und gingen deutlich unter die Werte einer ausgewogenen Ansaatmischung mit einem geeigneten Gräseranteil zurück (BOSSHARD 1999). Auch aus Naturschutzsicht ist deshalb ein minimaler Gräseranteil von mindestens 30 Massenprozent wichtig, um die Stabilität des Bestandes sicherzustellen.
In funktioneller Hinsicht trägt die Unterscheidung zwischen Horst- und Rasengräsern viel zum Verständnis des Ökosystems Wiese bei (z. B. DIETL und LEHMANN 2006), eine Einteilung, die auf eine alte englische Futterbautradition zurückgeht (THAER 1801). Horstgräser bilden kräftige Horstbüschel, aber keine Ausläufer. Sie durchwurzeln den Boden kräftig und eher tief und wachsen tendenziell rasch in die Höhe. Dadurch bilden sie relativ rasch viel Biomasse und Ertrag. Horstgräser werden in der Regel nur wenige Jahre alt und müssen regelmässig absamen können, um sich im Bestand zu halten.
Rasengräser dagegen vermehren sich vor allem über – oberirdische oder unterirdische – Ausläufer. Sie sind entsprechend nicht auf eine Vermehrung über Samen angewiesen und ertragen damit häufigen Schnitt meist problemlos oder werden durch diesen sogar noch gefördert. Viele Rasengräser bilden einen stabilen, mitunter dichten Wasen («Rasen»), wurzeln aber nur oberflächlich. Der Ertrag vieler Rasengräser ist deutlich geringer als von Horstgräsern. Die ertragreichsten Rasengräser sind das Englische Raygras, das Wiesen-Rispengras und der Wiesenfuchsschwanz; futterbaulich geringwertig sind das Gewöhnliche Rispengras oder verschiedene Straussgrasarten.
Während Horstgräser vor allem andere Horstgräser konkurrenzieren, lassen sie zwischen den Horsten relativ viel Platz für zahlreiche weitere Arten, insbesondere Kräuter, aber auch Rasengräser. Rasengräser neigen dagegen zu Monokulturen (Abb. 26), wobei es je nach Standort, Bewirtschaftung und Grasart grosse Unterschiede gibt.
Die von der Artenzusammensetzung wie bezüglich mechanischer Belastbarkeit stabilsten Wasen entstehen bei einem ausgewogenen Anteil sowohl an Horst- wie Rasengräsern. Fehlen stabile Rasengräser, weist eine Wiese nach der Mahd viele (Tab. 3) offene Bodenstellen auf, welche beispielsweise die Befahrbarkeit in steilem Gelände oder nach Regen gefährlich mindern können (Abb. 8). Solche Lücken lassen aber auch Platz für die Besiedlung des Bestandes mit «Lückenbüssern» – Pflanzen also, die futterbaulich minderwertig, wertlos oder in seltenen Fällen sogar giftig sind, beispielsweise Fadenehrenpreis, kriechender und scharfer Hahnenfuss oder Kerbelarten. Dominieren dagegen Rasengräser zu stark, nimmt die Artenvielfalt ab und Horstgräser können sich nicht mehr genügend etablieren durch Versamung. Dadurch kann der Ertrag einer Wiese deutlich zurückgehen, und in steileren Flächen kann infolge der nur flachen Durchwurzelung die Erosionsgefährdung ebenfalls zunehmen (Abb. 26 rechts).
Einige Rasengräser, vor allem solche, die in intensiver genutzten Wiesen vorkommen, wie das Gemeine Rispengras, bilden nur ein sehr schütteres, oberflächliches Rasengeflecht und können diese stabilisierende Funktion nicht übernehmen.
Abb. 26. Auf mesischen Standorten (nicht allzu nährstoffreich und nicht allzu feucht) kann sich die Fiederzwenke (Brachypodium pinnatum) nach Aufgabe der Mahd durch klonales Wachstum rasch ausbreiten. Sie bildet einen dichten Filz, den schon bald nur noch die Grasart selber durchdringen kann (Bild links). Viele Arten, vor allem Rosettenpflanzen, werden verdrängt, die Artenvielfalt kann dadurch schon nach wenigen Jahren stark zurückgehen. Da die Fiederzwenke nur oberflächlich wurzelt und andere Arten zunehmend fehlen, die je ein unterschiedliches Wurzelssystem bilden (vgl. Abb 23 und 24), sind Fiederzwenken-Monokulturen deutlich erhöht erosionsanfällig. Im Bild rechts eine abrutschende Wegböschung, deren regelmässige Mahd vor einigen Jahren aufgegeben wurde und an der sich seither ein Reinbestand von Fiederzwenke breit gemacht hat. Zürcher Oberland (CH), 900 m ü.M.
Tab. 3. Vorkommen und Eigenschaften der wichtigsten Gräser der mitteleuropäischen Naturwiesen unterhalb der alpinen Stufe. Quelle der Zuordnungen: DIETL 1986 u.a.; LAUBER und WAGNER 2007; sowie zahlreiche eigene Vegetationsaufnahmen.
Da Rasengräser typischerweise den Grossteil ihrer Assimilationsorgane nahe am Boden haben, können sie sich nur in einem relativ lichtdurchlässigen oder niedrigen Pflanzenbestand gut etablieren. Dagegen können viele Horstgräser ihre Blätter in einem dichten Bestand in den lichten, oberen Bereich verlagern und damit auch in massenwüchsigen Beständen sich gut halten. Rasengräser kommen deshalb zum einen in relativ nährstoffarmen, extensiver genutzten Beständen vor, bei denen das Pflanzenwachstum keine sich rasch schliessenden Bestände bildet.
Die Grenze ist im mittelintensiven Bereich, also bei der Knaulgraswiese erreicht: Während die wenig intensiv genutzten Fromentalwiesen durch Rotschwingel und weitere wertvolle Rasengräser charakterisiert sind, fehlen – mit Ausnahme von Lückenfüllern in schütteren Beständen – kräftige, eigentliche Rasengräser in den nährstoffreicheren Knaulgraswiesen und den gut gedüngten oder überdüngten Goldhaferwiesen weitgehend. In noch intensiver genutzten Wiesentypen kommen sie dann – insbesondere in Form des Englisch Raygras und des Wiesenrispengras – wieder zu grösseren Masseanteilen, vorausgesetzt, es sind Gräser vorhanden, welche die intensive Nutzung ertragen. Dies ist nur in den tieferen Lagen auf guten Böden der Fall. Der Grund liegt darin, dass die hohe Nutzungsfrequenz in solch intensiv genutzten Beständen ein hohes und dichtes Aufwachsen des Bestandes verhindert und immer wieder Licht in die bodennahen Schichten bringt. Insbesondere eine intensive Beweidung fördert Rasengräser, weil der Bestand dadurch permanent kurz gehalten wird und Licht immer bis in die unteren Schichten dringen kann.
Infolge des Fehlens konkurrenzkräftiger Rasengräser sind die mittelintensiv genutzten Wiesen die labilsten Wiesentypen – sowohl was die Wasen- wie die Bestandesstabilität anbelangt.
Für jeden Standort und jede Nutzungsintensität sind die geeigneten Grasarten und -ökotypen in der Samenbank des Bodens oder der Umgebung in Mitteleuropa in der Regel vorhanden (Tab. 3). Sie müssen oder müssten deshalb nur in Ausnahmefällen gezielt mittels Samenmischungen eingeführt werden (Übersaaten). Die Samenproduktion eines reifen Wiesenaufwuchses übersteigt die Saatmenge, welche normalerweise bei Neuansaaten oder Übersaaten eingebracht wird, in aller Regel deutlich (KIRMER et al. 2012). Bei richtiger Bestandeslenkung (Kap. 4.2) können Arten, sofern sie in kleinen Anteilen im Bestand vorhanden sind, also meist innerhalb weniger Jahre wieder etabliert werden.