Читать книгу Samson und die STADT des bleichen Teufels - Andreas Dresen - Страница 13

Der Auftrag

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„Devil!“ Es klopfte an der Tür. „Devil, wir sind da.“

Nur undeutlich hörte Devil Malone die Stimme des Emissärs durch das Surren des Solariums. Er öffnete die Augen und sah durch die grüne Schutzbrille in die grellen Röhren, die mit einem leichten Flackern seinen Mangel an Sonnenlicht ausgleichen sollten.

„Ich komme.“ Er hob den Deckel des Geräts und setzte sich auf. Er fröstelte. Nachdem er nun eine gute Stunde auf dem Glas gelegen hatte, hatte sich sein Körper aufgeheizt. Nun spürte er unbehaglich die feuchtkühle Atmosphäre, die hier, tief unter der STADT, herrschte. Oft, sogar immer öfter, so kam es ihm vor, vermisste er trotz seiner Gerätschaften die wärmenden Strahlen der echten Sonne. Er zog sich die Brille vom Gesicht und schmiss sie in die Ecke. So lange war es schon her, dass er die echte Sonne hatte sehen dürfen. Viel zu lange. Aber bald würde seine Zeit kommen. Devil schlang sich den weichen Frotteebademantel um die nackten Schultern und verließ das Zimmer. Der Emissär wartete bereits vor der Tür auf ihn.

„Du warst lange im Solarium.“

„Ich habe es unter Kontrolle.“ Devils Antwort fiel knapp aus. Sein Ton machte dem Emissär unmissverständlich klar, dass sich Devil nicht weiter dazu äußern würde. Er stellte sich ans Fenster und blickte hinaus. Aus der Dunkelheit der Unterwelt glitzerten ihm hunderte Lichter entgegen, es flackerte, blinkte und zischte überall.

„Als ich hier ankam, gab es nichts, außer der großen Grotte. Ich saß alleine im Dunkeln. Und nun schau dir das an!“ Mit einer Handbewegung befahl er den Emissär neben sich. Der hagere Mann gesellte sich mit staksigen Schritten zu ihm.

Sie sahen gemeinsam hinab auf Dark Vegas, das sich in die Dunkelheit der großen Grotte schmiegte wie ein Schimmelpilz auf altes Brot.

Grellweiße Neonröhren bedeckten in langen Bahnen Decke und Boden der Grotte und tauchten sie in ein unwirkliches, scharfkantiges Licht. Es gab keine Schatten, nur Licht und Dunkelheit. Schwarz und weiß. Die Wände der Grotte waren durchlöchert, mit kleinen Höhlen durchsetzt, in die sich die Vergnügungssüchtigen zurückzogen, um ein bisschen Privatsphäre zu haben. Auf dem Boden aber pulsierte das Leben. Dark Vegas war mehr als eine unterirdische Stadt – es war das pulsierende Herz in der Finsternis. Wer hierher kam, wollte nicht schlafen, er wollte leben. Ein Meer aus künstlichen Lichtern, grell angestrahlte Tempel der Lust, Paläste der Verführung und Stadien voller Glücksspiel.

An den Rändern des glitzernden Kessels stapelten sich die Hütten der Verarmten und Abhängigen, die aus Plastikmüll und leeren Getränkekisten zusammengeschustert waren. Manch einer hatte seine notdürftige Unterkunft sogar mit einer zerfetzen Glitzergirlande oder ehemals bunten Wimpeln geschmückt – es wirkte wie eine ironische Geste. Die Vororte waren dunkle Ghettos, die gierig wie ein Parasit vom Lebenssaft der unterirdischen Stadt tranken und tranken und nicht genug kriegen konnten.

„Hier gab es nichts, weniger als nichts! Nur die große Leere.“ Devil lachte jetzt. „Und jetzt schau dir das an! Das gehört alles mir! Sie kommen in Scharen, trinken, spielen, vergnügen sich.“ Er ließ seinen Blick schweifen. „Wie viel haben wir heute eingenommen?“

„Die Zahlen stehen noch aus, Devil. Aber sie sind rückläufig, das ist abzusehen.“ Die Miene des Emissärs blieb unbewegt. Das gleiche Gesicht, das er aufsetzte, wenn er oben in der STADT seinem Beruf nachging und als Totengräber wartend neben den offenen Gräbern stand. Er war es, an den sich die Hinterbliebenen wandten, wenn sie … spezielle Wünsche hatten.

„Verdammt!“ Devil fluchte und hieb mit der Hand gegen die Scheibe. „Da oben wird Geschichte geschrieben und ich sitze hier fest. Ich muss hier raus, ich muss nach oben! Seitdem die Grenzen der STADT geöffnet sind, strömt das Geld an uns vorbei.“ Er zeigte auf Dark Vegas hinab. „Es brummt immer noch, aber wie lange wird es noch gut gehen? Wir haben Zufluss von außen, neue Wesen kommen in die STADT und damit auch zu uns. Frisches Geld. Aber es bleibt nun auch immer mehr oben an der Oberfläche. Dort ist es den Leuten im Moment aufregend genug. Wenn ich nicht bald an die Oberfläche komme, dann geht mir das ganze Geschäft flöten. Als Morton noch da war, herrschte da oben Zucht und Ordnung. Und jeder, der es anders haben wollte, kam zu mir. Aber jetzt? Jetzt macht jeder, was er will. Das darf ich nicht zulassen.“ Zähneknirschend wandte er sich dem Emissär zu. „Was sagst du dazu?“

„Seitdem Morton verschwunden ist, herrscht da oben das Chaos. Die STADTwache wird der Lage nicht mehr Herr. Die alte STADTwache hat sich mit Mortons Abgang zurückgezogen oder wurde entlassen. Diese Verschwörungstheoretiker“, der Emissär klang ein wenig pikiert, vielleicht sogar angeekelt, „haben die Posten übernommen, sind aber massiv überfordert. Am Ende ist es eben doch nur ein Haufen technikverrückter Menschen, die ein paar Waffen in die Hand gedrückt bekommen haben und nun eine ganze STADT überwachen sollen. Und nicht nur die Menschen, sondern auch all das, was die Menschen nicht sehen. Die Kobolde, die Kreaturen, Drachen, Zauberer, Morx und Korks. Vor allem die Hexen machen, was sie wollen. Ohne Morton, der sie an der Kandare gehalten hat, benehmen sie sich, als gelte das STADTrecht nicht mehr für sie.“

„Hexen“, sinnierte Devil. „Du hast gesagt, es ist Zeit?“

Der Emissär nickte. „Ja, es ist soweit. Sie haben die Verräterin überwältigt. Sie hat sich wie eine Fliege freiwillig im großen Netz verfangen. Das Standgericht dürfte soeben beginnen.“

„Gut, gut.“ Devil rieb sich die Hände. „Wenn alles gut läuft, dann bin ich bald hier raus. Dann werde ich die Sonne wiedersehen. Und das Geschäft auf der Oberfläche wird mir gehören.“ Er zeigte auf den Emissär, der geduldig wartete. „Bring die andere Hexe rein.“

„Emily! Wie schön, dich endlich wiederzusehen.“ Devil zeigte ein dünnes Lächeln und bot ihr einen Stuhl an.

Doch die Hexe blieb unbewegt stehen, taxierte den kleinen Mann mit eisiger Miene. Der ließ sich allerdings nichts anmerken und fuhr gutgelaunt fort:

„Ich freue mich, dass du meiner Einladung gefolgt bist.“

Emily schnaubte ungläubig. „Einladung. Entführt hast du mich! Gegen meinen Willen aus meiner Wohnung gezerrt.“

„Erstaunlich, nicht wahr, wozu die neueste Technik so in der Lage ist. Wer hätte das für möglich gehalten, dass man eine Hexe zu etwas zwingen kann. Eine praktische Erfindung.“ Er hielt einen kurzen Stab in der Hand und betrachtete ihn eingehend. Es war nicht mehr als ein kurzes Stück Holz, in den Runen eingraviert waren. „Der Bruzzler. Eine Erfindung meines guten Freundes Heinrich, den man auch den Hexenhammer nennt. Wirklich erstaunlich, wozu der Geist in der Lage ist, wenn man ihn mit ausreichender Konzentration fokussiert. Heinrich hasst Hexen so sehr, dass er dieses interessante Werkzeug entwickelt hat. Ich habe es einem seiner Gefolgsleute abgenommen, als er hier unten ankam – ein gutes Geschäft, nicht wahr?“

Emily spuckte auf den Boden. Ihre Hände waren auf den Rücken gebunden, an den Knöcheln trug sie silberne Fußfesseln. „Was willst du von mir?“

Devil seufzte. „Keine Zeit mehr für ein höfliches Gespräch? Kein Geplänkel? Nun gut, kommen wir zum Geschäftlichen. Bitte habe Verständnis für die Vorsichtsmaßnahmen, sie dienen nur zu deinem Schutz.“ Er zeigte auf die Fesseln.

„Ich möchte dir ein Geschäft vorschlagen.“

„Mit dir mache ich keine Geschäfte.“

„Ach, wirklich nicht?“ Devil lächelte erstaunt. Seine bleiche Haut spannte sich über den Gesichtsknochen und ließ seine Konturen in dem fahlen Licht der Neonlampen gespenstisch hervortreten. „Ich frage mich, wie viele Menschen und Wesen wohl wissen, wie Karen Grün damals in diese schreckliche Lage gekommen ist. Dass sie entseelt wurde. Ihre Kraft aufgab und ins Exil der Menschen flüchtete.“

Emily keuchte auf. „Du wagst es nicht, mich zu erpressen.“

Doch Devil fuhr fort, als hätte er ihre Worte gar nicht wahrgenommen. „Und ich frage mich, wie viele Menschen und Wesen wohl wissen, welche Rolle du damals bei der ganzen Sache gespielt hast.“

Emily wurde bleich. Ihre Kiefer mahlten, als sie Devil zornige Blicke voller Hass und Wut zuwarf.

„Das … wagst … du … nicht.“

„Och, das würde ich nicht sagen. Was denkst du, wird Samson wohl tun, wenn er von all dem erfährt?“

Emily sagte nichts, zog nur die Luft durch die Nase ein, ihre Lippen blieben verschlossen.

„Das war bestimmt ein Schock für dich, ihn so plötzlich zu sehen, nicht wahr? Er ist seiner Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten. Wie war noch mal deine Beziehung zu ihr? Entschuldige, ich habe so ein schlechtes Gedächtnis.“ Er grinste. „Das muss wohl an dem mangelnden Sonnenlicht liegen.“

„Ich lasse mich nicht erpressen.“ Emily hatte endlich ihre Fassung wiedergewonnen. Sie richtete sich auf, drückte die Brust raus und dominierte mit ihrer Erscheinung den gesamten Raum. „Tu, was du nicht lassen kannst. Aber du wirst mich nicht erpressen. Erzähle es dem Jungen ruhig, das ist mir egal.“

„So, ist es das?“ Devil musterte die Hexe erstaunt. „Nun dann. Ich ahnte bereits, dass dein schlechtes Gewissen dich quält. Wenn ich es Samson erzähle, wäre es eine Form der Absolution für dich, nicht wahr? Eine Reinigung, egal wie schmerzhaft.“ Devil schüttelte bedauernd den Kopf. „Nein, es tut mir leid, das kann ich dir dann doch nicht anbieten. Aber ich weiß etwas anderes.“ Er sprang auf und lachte. „Ein plötzlicher Einfall. Unter Druck arbeitet man doch am besten, nicht wahr?“

Er ging hinüber zu der Hexe. Als er direkt neben ihr stand, musste er zu ihr aufblicken, denn er war einen guten Kopf kleiner als Emily. Devil holte Luft, wie um etwas Wichtiges zu sagen. Dann schüttelte er den Kopf. „Nein, nein, so geht das nicht. Willst du dich nicht setzen?“

Er wartete Emilys Antwort nicht ab, sondern ging zu seinem Schreibtisch und holte einen Stuhl. Diesen stellte er neben Emily und stieg darauf. Nun überragte er die Hexe deutlich, als er sich zu ihr hinüberbeugte und ihr ins Ohr flüsterte:

„Dies ist mein Vorschlag: Du arbeitest für mich. Besiege die Hexe Baddha im Zweikampf und werde die Oberste eurer Sippschaft. Sei mein Pfad an die Oberfläche der STADT. Ich werde dich reich entlohnen. Die Macht, die du haben wirst, wird unvorstellbar sein.“

„Und wenn ich mich weigere?“, fragte Emily gelangweilt.

„Dann töte ich den Jungen!“

Samson und die STADT des bleichen Teufels

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