Читать книгу Samson und die STADT des bleichen Teufels - Andreas Dresen - Страница 16

Sackgasse

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Sie waren so schnell gelaufen, wie sie konnten, doch nun waren sie an einem Punkt angekommen, an dem sie sich entscheiden mussten. Zwischen alten, verfallenen Hallen ging diese kleine Gasse entlang, auf der sie sich nun befanden. Hin und wieder stand eine Laterne, dicht gedrängt an die Mauern, aber kein Licht kam aus ihren erblindeten Scheiben. Die Gasse endete an einem weiteren Kanal, der sich grün und träge durch Ruinen schob. Seine Mauern waren nicht verziert, wie die des Kanals am Eingang von Tarda Tekbat. Dies hier war also offenbar kein Stadtteil gewesen, der Besuchern den unermesslichen Reichtum der Stadt zeigen sollte. Hier war alles schnörkellos und zweckmäßig.

Meera erkannte die Situation sofort. Schnell hatte Fahrat ihr erklärt, welches Grauen hier in Tarda Tekbat auf sie wartete.

„Wir sollten uns trennen, um ihnen die Jagd schwerer zu gestalten. Du springst hier am besten in den Kanal und watest auf die andere Seite. Es sieht nicht aus, als sei er besonders tief. Dadurch sollten sie deine Spur verlieren. Ich laufe zurück und überquere den Kanal etwas weiter nördlich, da ist eine schmale Stelle, die kann ich gut überspringen. Wenn wir einzeln die Stadt verlassen, dürfte es ihnen schwerer fallen, uns zu verfolgen.“

Fahrat überlegte kurz, dann nickte er. Das schien eine gute Idee zu sein. Auch wenn es ein wenig … feige wirkte.

„Wo treffen wir uns wieder?“, fragte Fahrat. Hinter ihnen erklang eine Fanfare, die wie das Trompeten eines wütenden Elefanten anmutete. Sie drehten sich um und sahen einen Schnüffler, der sich bis auf wenige Meter an sie herangeschlichen hatte.

„Lauf jetzt, Mann. Ich finde dich schon. Ich finde dich immer.“ Sie lächelte Fahrat an. Die Geste irritierte Fahrat. Flirtete sie etwa mit ihm?! Jetzt?!

„Wir treffen uns spätestens bei Kairo und seinem Portal. Etwas nördlich, dort hinten, auf den Hügeln, wird er morgen kurz vor Sonnenaufgang auf uns warten.“

Mit diesen Worten drehte sie sich um und zertrat den Schnüffler. Dann verschwand sie um die nächste Ecke und war außer Sichtweite.

Fahrat starrte ihr mit offenem Mund hinterher. Das Mädchen hatte den Schnüffler mit einem einzigen Tritt außer Gefecht gesetzt! Er war beeindruckt, mit welcher Lässigkeit ihr immer das glückte, wofür er sich unheimlich anstrengen musste. Allein schon, wie sie nach Tarda Tekbat gekommen war! Sie hatte anscheinend das „Portal am Ende der Welt“ genutzt.

„Ausgerechnet Kairo“, grummelte Fahrat. Mit dem hatte er noch ein Hühnchen zu rupfen. Ihm lastete Fahrat es an, dass er von Ava getrennt worden war. Obwohl er ahnte, dass das nicht ganz fair war. Doch das machte ihn nur noch ärgerlicher.

Er bückte sich und entnahm dem Schnüffler das Herz aus Gold. Jetzt fehlt mir noch eins, dachte er amüsiert, dann habe ich schon drei von den Dingern. Drei göttliche „Geschenke“. So wie Ava drei Wassernüsse bekommen hatte. Nur waren ihr die Wassernüsse von einer Göttin geschenkt worden. Einer netten Göttin. Diese Goldklumpen aber … er dachte den Gedanken nicht zu Ende, denn er hörte erneut ein metallisches Schaben. Es knarzte so laut, dass es Fahrat fast in den Ohren wehtat. Er blickt auf und sah einen Hacker auf sich zuwanken. Er schien dem Ruf des Schnüfflers gefolgt zu sein. Groß und mächtig stand er in der engen Gasse. Fahrat wusste, dass er so einen schon einmal gesehen hatte. Obwohl er irgendwie anders zusammengesetzt aussah, war er genau wie das Monster, das auch in die Kanalisation der STADT eingedrungen war, durch das Portal, das Reugel damals nach Tarda Tekbat geführt hatte. Und er hatte nichts, mit dem er sich hätte wehren können. Schwert und Degen konnten nichts gegen das Metall, aus dem diese Dinger bestanden, ausrichten. Das hatte er schon auf der Flucht mit Reugel lernen müssen.

Fahrat war wie gelähmt. Was sollte er tun? Was konnte er tun? Diese Maschinen waren so schnell, viel schneller als Menschen es je sein könnten. Weglaufen war also auch keine Option mehr. Fahrat wurde klar, dass er verloren hatte. Er hoffte, Meera würde durchkommen. Er war froh, dass sie sich getrennt hatten. Sie gefiel ihm gut. Es wäre zu schade gewesen, sie an einen Hacker zu verlieren.

Fahrat blieb stehen und starrte das Metallbiest an.

Es machte einen weiteren Schritt auf ihn zu, dann krachte es wieder. Die Maschine hob blitzschnell eine Extremität, die vermutlich einen Arm darstellen sollte. Das Metall blitzte im Licht der untergehenden Sonne auf. Fahrat erschrak und schloss die Augen. Es krachte erneut. Er wartete auf den finalen Schlag, aber nichts geschah.

Langsam öffnete er die Augen. Die Maschine stand weiterhin vor ihm. Leise jaulend schienen kleine Riemen und Zahnräder langsam durchzudrehen. Die Maschine kämpfte gegen etwas an und hatte darüber das Opfer vor sich offenbar vergessen.

Fahrat hob den Blick und traute sich, das Maschinenwesen genauer zu betrachten. Und verstand plötzlich. Die Gasse war zu eng für die Maschine! Sie hatte sich zwischen beiden Häuserwänden so eingekeilt, dass sie weder vor noch zurück konnte. Nur noch die Beine konnten sich bewegen, doch trotz aller ihr zur Verfügung stehenden Kraft, kam sie nur Millimeter für Millimeter vorwärts.

Anscheinend, dachte Fahrat, sind sie schnell, aber auch ziemlich dumm. Sie finden meine Fährte nur über die Schnüffler und haben so wenig Selbsterkenntnis, dass sie noch nicht einmal abschätzen können, ob sie durch eine Gasse passen oder nicht.

Er grinste. Sein Mut kehrte zurück. Langsam, Schritt für Schritt, trat er näher an das Gerät heran. Er betrachtete die Räder, die Riemen und die stählernen Dornen und Schneiden. Mitten im Brustkorb sah Fahrat etwas glühen. Dort, wo bei uns die Seele sitzt, dachte er.

Er schaute dem Riesen ins ausdruckslose Gesicht.

„Es tut mir leid, mein Freund. Aber wenn du dich wieder bewegen kannst, dann wirst du mir keine Chance dazu geben.“

Dann griff er zu. Blitzschnell grub er seine Finger durch Kabel und Gestänge, drückte sie durch Rädchen und ölverschmierte Winkel. Dann hatte er das Herz aus Gold in den Fingern und zog es langsam aus der Brust der Maschine. Diese schaute ihn kurz an, gab ein letztes Wimmern von sich und fiel dann, als ob der unsichtbare Faden, der alles beieinandergehalten hatte, plötzlich durchgeschnitten worden wäre, in sich zusammen. Es krachte und polterte, als Blech, Stahl und Eisen auseinanderbrachen. Übrig blieb ein Haufen Schrott, wie man ihn auf jedem Autofriedhof finden konnte.

Triumphierend steckte er den Goldklumpen zu den anderen beiden.

„Drei. Langsam lohnt sich die Sache“, murmelte Fahrat, denn er wollte dieses mächtige und in der STADT sicherlich auch wertvolle Stück Edelmetall nicht einfach auf der Straße liegen lassen. Schließlich würde er, wenn er endlich wieder zu Hause wäre, Geld für eine neue Wohnung brauchen.

Als er sich wieder erhob, atmete er erleichtert durch. Dann machte er sich auf die Suche nach Meera und ihrem Treffpunkt auf den nördlichen Hügeln. Wenn es stimmte, was sie gesagt hatte, würden sie noch eine ganze Nacht zusammen verbringen können. Fahrat sprang in den kleinen Kanal, der mit einer brackigen, stinkenden Brühe gefüllt war und versuchte an die andere Seite zu gelangen, als ihm ein Gedanke kam:

„Ob ich mich vorher waschen sollte?“

Samson und die STADT des bleichen Teufels

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