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Grübeln bis morgens um fünf

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Es ist zwei Uhr nachts und Alex liegt genervt und hellwach im Bett. In seinem Kopf rattert es ohne Ende. Aber ihm gehen nicht ständig neue Gedanken durch den Kopf, sondern immer wieder dieselben, wie bei einer Schallplatte mit Sprung, die immer wieder dieselbe Zeile herunterleiert. Er leidet unter einem Phänomen, das viele von uns kennen und das von Psychologen »Grübeln« genannt wird. Grübeln bedeutet, über das immer Gleiche immer wieder nachzudenken. Grübeln zeigt uns deutlich die Sinnlosigkeit vieler Denkprozesse, denn Grübeln ist für nichts gut. Es handelt sich dabei nämlich nicht um gewöhnliches, sinnvolles und zielführendes Nachdenken über ein Problem. In der Regel behindern Grübeleien uns sogar dabei, einer Lösung näherzukommen! Wenn ich bereits wochenlang über ein Thema nachgrüble, dann ist es unwahrscheinlich, dass mir ausgerechnet heute ein Licht aufgeht. Kreisen meine Gedanken beispielsweise immer wieder um die Frage, ob ich meinen Job wechseln oder ob ich meine Partnerin verlassen soll, werde ich in den seltensten Fällen eines Tages plötzlich ganz genau wissen, was nun zu tun ist. Nach dem Grübeln sind wir, was die Lösung angeht, also meist genauso schlau wie vorher.

Wir alle grübeln immer wieder und Menschen in depressiven Krisen grübeln besonders viel. Im englischen Sprachraum verwenden Fachleute den Begriff »Rumination«, der auch für das Wiederkäuen von Kühen benutzt wird. Und so ähnlich fühlt sich Grübeln tatsächlich an: Der Gedanke wurde schon tausend Mal von allen Seiten beleuchtet und doch kann er immer noch nicht »runtergeschluckt« werden.

Alex liegt immer noch im Bett, es ist inzwischen halb vier und er grübelt immer noch: »Warum hab ich damals nur…?«, lautet die immer gleiche Frage, die ihm durch den Kopf geht. »Warum hab ich nur letztes Jahr diese Aktien gekauft, die jetzt nichts mehr wert sind?« Wenn er Glück hat, wird er irgendwann vor Einbruch der Helligkeit doch noch erschöpft einschlafen, und wenn er Pech hat, wird er zwei Stunden später aufwachen mit dem Gedanken »Warum…?«

Zum Grübeln kommt es, wenn unser Geist eine Lösung für ein Problem sucht und nicht »zugeben« mag, dass er keine findet. Denn wenn er mit einer Herausforderung nicht zurechtkommt, dann macht er es sich nicht leicht. Er legt sich nicht einfach aufs Sofa mit einem: »Tut mir leid, ich kann da auch nichts tun!« Er sagt auch nicht: »Du musst jemand anderen um Hilfe bitten. Mir fällt da einfach nichts mehr ein!« Stattdessen sagt er: »Ich muss nur noch mehr darüber nachdenken, irgendwann finde ich die Lösung schon. Ich muss alles noch mal ganz gründlich durchdenken, irgendwo hab ich bestimmt was übersehen.«

Einer der Gründe, warum wir beim Grübeln zu keiner Lösung gelangen, liegt darin, dass unsere Gedanken dann meist eher abstrakter statt konkreter Natur sind. Anstatt uns selbst Fragen zu stellen, die wir eindeutig beantworten können, stellt unser Geist uns beim Grübeln ziemlich allgemeine und offene Fragen, auf die es meist gar keine »richtige« Antwort gibt. Statt zu denken »Was ist damals in unserer Beziehung genau passiert?« oder »Wie genau soll ich beim Jobwechsel vorgehen?«, rumort es in uns »Warum habe ich damals nur meine erste große Liebe verloren?« oder »Warum finde ich in der Firma keinen Anschluss?«. Auf diese letzten beiden Fragen gibt es vermutlich eine Vielzahl möglicher Antworten, deren Richtigkeit wir uns aber nie ganz sicher sein können und die uns deshalb nie wirklich zufriedenstellen werden. Ganz ähnlich ist es beim Sich-Sorgen: Während sich unsere Grübelgedanken meist auf die Vergangenheit oder die Gegenwart beziehen, scheren wir uns beim Sorgenmachen vor allem um die Zukunft. Typische Sorgen sind zum Beispiel: »Was ist, wenn ich den gleichen Fehler noch mal mache und eine Aktie kaufe, die dann auch abstürzt?«, »Was ist, wenn ich nie einen passenden Partner finde?« Wie du siehst, drehen sich die Gedanken beim Grübeln und Sorgenmachen um unterschiedliche Inhalte. Der darunterliegende Prozess ist aber der gleiche. Und die Inhalte haben auch etwas gemeinsam: Sie haben meist einen starken Bezug zu uns selbst. Sie drehen sich um uns und unsere eigenen Handlungen. Dabei sind unsere Gedanken beim Grübeln nicht sachlich und neutral. Ganz im Gegenteil: Meist sind sie sehr bewertend, negativ und unfair uns selbst gegenüber. Wir verurteilen uns selbst und unsere Handlungen und machen uns regelrecht selbst runter: »Warum kriege ich das mit den Beziehungen einfach nicht hin?«, »Wieso bin ich nur so ein Versager?« Es ist kein Wunder, dass solche Gedanken uns runterziehen und unsere Stimmung drücken. Studien zeigen, dass negative Gedanken und Bewertungen beim Grübeln zunehmen. Das trägt wiederum dazu bei, dass unsere negative Stimmung aufrechterhalten oder sogar intensiver wird. Wie bereits beschrieben, verschlechtert Grübeln auch unsere Fähigkeit, Probleme zu lösen und verringert unseren Antrieb. Und es kann unsere Beziehungen belasten: Ein guter Freund erträgt uns zuliebe die immergleichen Schilderungen hoffentlich eine Weile lang. Nach der hundertsten Runde auf dem Gedankenkarussell wird auch er aber genervt sein und ein paar Runden aussetzen wollen.

Ich erzähle hier vom Grübeln, weil es ein sehr gutes Beispiel ist, um die Sinnlosigkeit zu verdeutlichen, die unser Denken manchmal auszeichnet. Außerdem zeigt uns das Grübeln, dass nicht wir es sind, die entscheiden, wann und was wir denken. Meist drängt sich dieses Denken auf und wir geraten unfreiwillig, ja fast schon zwanghaft in Grübeleien, wie bei einem starken Sog, den wir meist kaum bemerken und dem wir uns nicht entziehen können. Nicht wir grübeln, sondern es grübelt uns oder es grübelt in uns. Versuche, sich von unserer Endlosschleife aus Gedanken zu lösen, scheitern meist oder sind nur für kurze Zeit erfolgreich. Vielleicht ist die deutliche Zunahme von Depressionen in den letzten Jahrzehnten auch Folge eines zu aktiven Geistes. Wenn unser Denken ohnehin schon zu aktiv ist und dann auch noch die Aktienkurse abstürzen, um beim Beispiel von Alex zu bleiben, dann sind unsere quälenden Gedanken einfach nicht mehr zu bändigen.

Ruhe da oben!

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