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50 Gedanken pro Minute

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Jeden Tag gehen uns viele Tausend Gedanken durch den Kopf. Eine Forschergruppe behauptet, es sollen an die 80 000 sein – das wären dann etwa 50 Gedanken pro Minute. Nur ein kleiner Teil davon dringt an die Oberfläche unseres Bewusstseins und von diesem kleinen Teil nehmen wir wiederum nur die allerwenigsten Gedanken tatsächlich wahr. In unserem Gehirn geht es zu wie auf einer mehrspurigen Autobahn zur Rushhour und nicht wie auf einer einsamen Landstraße in Ostfriesland. Der Strom unserer Gedanken ist endlos und selbst in der Nacht versiegt er nicht. In einigen Schlafphasen arbeitet unser Gehirn munter weiter, ordnet und verarbeitet die Eindrücke des Tages. Viele Tausend Mal am Tag haben wir kurze »Minigedanken«.

Das sind kurze Sätze, einzelne Worte oder Zahlen, die uns in den Sinn kommen. Beispielsweise spüren viele Menschen eine Art »Zwang«, die Nummernschilder von Autos zu lesen, Treppenstufen zu zählen oder Ähnliches. Zu diesen Minigedanken gehören auch Bewertungen von Alltagssituationen. Alles, was uns begegnet, wird sofort eingeordnet und damit auch beurteilt. Während ich das hier schreibe, sitze ich gerade im Zug. In der Reihe vor mir telefoniert eine junge Frau – »Das stört, wann ist die endlich fertig?« –, der Schaffner kommt und ich finde meine Fahrkarte nicht sofort – »Verdammt, hab ich die etwa vergessen?« –, ein Servicemitarbeiter bietet frisch gebrühten Kaffee an – »Riecht der gut, ich will auch einen« –, auf der Anzeige erscheint der Hinweis, dass der Zug gerade 220 km/h fährt – »Ganz schön schnell, merkt man gar nicht« –, eine Durchsage kündigt eine Verspätung an – »Oh nein, das hat mir gerade noch gefehlt.« Und so weiter und so weiter.

Dann gibt es komplexere Gedankengänge wie etwa Bewertungen der eigenen Person oder anderer Menschen – oder auch Planungen: »Wo hast du nur die Zugfahrkarte hingetan? Das ist doch typisch, dieses Chaos. Nächstes Mal werde ich sie ganz ordentlich in die Seitentasche stecken, wo sie ja auch hingehört.« Weiter gibt es Gedankenketten, das sind Aneinanderreihungen von Gedanken, die manchmal in einem logischen Zusammenhang stehen, oft aber auch nur assoziativ miteinander verbunden werden. Hier eine meiner Gedankenketten, während ich im Zug sitze: »Wie lange telefoniert die da vorne eigentlich noch? … Mein Gott, was die mit ihrer Freundin alles zu besprechen hat. … Soso, sie war beim Friseur, sieht gar nicht so aus. … Aber ich müsste auch dringend mal wieder hin, dann gehe ich wieder zu der Friseurin, bei der ich letztes Mal war. … Die kommt aus Thailand, da könnten wir doch nächsten Winter hinfahren. … Aber der Tsunami mit all den Toten. … Bin ich froh, dass Sabine damals zwei Tage vorher zurückgeflogen ist ­– nicht auszudenken, wenn sie noch geblieben wäre. … Aber Fliegen ist ja auch gefährlich, in Madrid ist gerade ein Flugzeug abgestürzt …« Solche Gedankenketten sind oft mit inneren Bildern oder »Filmsequenzen« verbunden, wir haben quasi ein Heimkino im Kopf. Es dauert manchmal mehrere Minuten oder noch länger, bis wir endlich merken, dass wir uns in unseren Gedanken verloren haben. Wenn wir zu sehr in unserem Kopfkino gefangen sind, dann kann unsere Wahrnehmung des Hier und Jetzt komplett ausgeschaltet sein, wir bekommen nicht einmal mehr mit, was um uns herum passiert. Ein typisches Beispiel: Während einer Autofahrt sind wir so in Gedanken versunken, dass wir uns im Nachhinein kaum noch an die Strecke erinnern können und daran, was unterwegs passiert ist. Vor dem Garagentor ­angekommen, fragt man sich dann unsicher: »War da nicht vorhin eine rote Ampel? Hab ich da eigentlich angehalten?«

Neben kürzeren Gedanken und Gedankenketten kommt es oft auch zu einer Art inneren Unterhaltung zwischen verschiedenen Teilen der eigenen Person. Wir alle haben verschiedene Persönlichkeitsanteile in uns, die nicht immer einer Meinung sind und ihre Meinungsverschiedenheiten ganz offen austragen. Das mag jetzt etwas amüsant klingen, aber wir alle erleben es jeden Tag, meistens ohne diese Dialoge bewusst wahrzunehmen. Neulich habe ich mit einem Klienten ein solches inneres »Streitgespräch« herausgearbeitet. Es ging um eine Situation, die vielen vertraut vorkommen mag: Mein Klient hatte seine Wohnungstür abgeschlossen und war schon drei Stockwerke hinuntergegangen, da »hörte« er plötzlich eine innere Stimme:

»Du hast bestimmt die Herdplatte angelassen. Du musst nachschauen! Jetzt extra noch mal hochlaufen? Die Wohnung wird dir noch abbrennen. Dann hast du ein echtes Problem! Ich werd die Herdplatte schon ausgeschaltet haben. Ich hab noch nie vergessen, sie auszuschalten. Aber diesmal, du warst vorhin ganz hektisch drauf, da vergisst man das schnell mal. Neulich bin ich auch kontrollieren gegangen. Und was war? Sie war natürlich aus. Nur kurz hochlaufen, dauert doch nicht lang. Stell dir vor, sie ist doch an. Neben dem Herd steht diese weiße Plastikschüssel, die brennt gut. …«

Er ging in die Wohnung zurück und schaute nach. Die Herdplatte war natürlich ausgeschaltet.

»Wie kann man nur so blöd sein und kontrollieren gehen? Das ist doch fast schon krank bei dir. Letzte Woche bist du auch schon hochgelaufen, was ist nur los mit dir?«

Du hörst schon: In uns ist viel los! Dieser Gedankenstrom fließt unablässig, er kommt ganz selten zur Ruhe, und wenn, dann nur für kurze Augenblicke. Auch wenn es gar nicht leicht ist, unseren Gedanken auf die Schliche zu kommen, es lohnt sich! Denn was wir denken, entscheidet mit darüber, wie wir uns fühlen, wie entspannt oder angespannt wir sind und wie wir uns verhalten. Um unsere Gedanken besser fassen zu können, habe ich in diesem Buch immer wieder »Gedankenzitate« von mir selbst oder von Freunden oder Klienten eingebaut. Diese sind, wie du schon gesehen hast, kursiv gesetzt. Auch spreche ich von unseren »inneren Stimmen« oder unseren »inneren Botschaften«. Ich meine damit nicht, dass wir alle psychisch erkrankt sind und wirklich Stimmen hören, wie das zum Beisipel bei Menschen mit einer Schizophrenie der Fall sein kann. Vielmehr beschreibe ich einen inneren Dialog, etwas, was wir alle kennen und was vollkommen normal ist.

Unser Geist ist ständig beschäftigt. Er arbeitet ununterbrochen, er kennt keinen Feierabend, kein Wochenende und auch keinen Urlaub, nicht mal eine Pinkelpause! Am Anfang dieses Buches hatte ich dich gebeten, die Augen zu schließen und nur eine einzige Minute lang nicht zu denken. Den meisten von uns gelingt das nicht, weil unser Geist eben 24 Stunden am Tag ununterbrochen aktiv ist.

Eine besondere Herausforderung für unseren Denkapparat sind Ruhephasen, ein Urlaub beispielsweise oder wenn es still um uns herum ist. Wir können unseren unruhigen Geist dann eben nicht abschalten, sondern haben diesen arbeitswütigen Genossen immer dabei. Neulich erzählte mir eine Bekannte: »Es ist gar nicht einfach, Urlaub zu machen, man hat ja gar keine Termine.« Wenn wir unseren Geist mit dem äußerlichen Nichtstun konfrontieren, fährt er sein gewohntes Programm trotzdem weiter: Entweder macht er für uns das schon beschriebene innere Kopfkino, oder er geht die Entspannung mit seiner gewohnten Macher­mentalität an: »Also, wenn du schon Urlaub machen willst, dann aber gründlich. Mach dir keine Sorgen, ich kümmere mich darum!« Vor einigen Jahren bekam ich Besuch von einem Bekannten aus den USA, der im Urlaub so richtig was erleben wollte. Er kam mit einer Liste von Sehenswürdigkeiten, die er Tag für Tag langsam abarbeitete. Er war nach Europa gekommen, um sich von seinem anstrengenden Arbeitsalltag als Computerfachmann zu erholen, aber was hatte sein Geist gemacht? Er hatte sich einfach einen neuen Job gesucht und der hieß »Abhaken der 30 Highlights, die die Stadt München zu bieten hat.«

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