Читать книгу Ruhe da oben! - Andreas Knuf - Страница 12
Die Macht unserer Gedanken
ОглавлениеMit meinen Klientinnen und Klienten mache ich oft eine kleine Übung, die uns die Macht unserer Gedanken verdeutlicht: Bitte stell dir vor, dass vor dir eine in Scheiben geschnittene Zitrone liegt. Zuerst schaust du dir die Zitronenscheiben einfach nur an, dann nimmst du eine in die Hand und riechst daran. Der säuerliche Geruch steigt in deine Nase und … Meistens kann ich schon hier die Übung beenden, denn fast allen läuft allein bei dieser Vorstellung der Speichel im Mund zusammen. Wenn nicht, erzähle ich weiter, wie wir die Zitronenscheibe langsam zum Mund führen, den Mund öffnen und mit unserer Zunge die saftige Zitronenscheibe berühren. Spätestens hier ist es dann um uns geschehen!
Diese einfache Übung zeigt uns die Macht unserer Vorstellungen und Gedanken. Wir brauchen uns »nur« etwas vorzustellen und unser Organismus reagiert genauso, als wäre die Situation real. Er kann nicht unterscheiden, ob es sich um eine Vorstellung in unserem Kopf oder um die Realität handelt. Es hilft überhaupt nichts, uns klarzumachen, dass wir ja nur an eine Zitrone denken. Wir können uns noch so oft sagen: »Das ist nur ein Gedanke«, es läuft uns trotzdem das Wasser im Mund zusammen.
Die Werbeindustrie hat sich dieses Prinzip zunutze gemacht. Sehe ich nur oft genug die glückliche Rama-Familie am Frühstückstisch im Garten, dann kaufe ich irgendwann diese Margarinesorte. Natürlich weiß ich: Es ist ja nur Werbung, die wollen mir was verkaufen, die Leute in dem Werbespot sind gar nicht wirklich glücklich, sondern es sind Schauspieler, die nur so tun als ob. Und trotzdem greife ich irgendwann im Supermarkt zur Rama-Packung, denn ein Teil von mir glaubt: »Mit Rama bin ich ein glücklicherer Mensch!«
Gedanken können zwar keine Berge versetzen, wie immer behauptet wird, aber sie verändern tatsächlich unsere Wirklichkeit. Sie nehmen Einfluss auf unsere Körperempfindungen, auf unsere Gefühle und auf unser Verhalten, also sogar darauf, was uns in der Außenwelt begegnet. Die Macht unserer Gedanken erleben wir täglich viele Male, wir nehmen ihren Einfluss jedoch nur selten bewusst wahr. Zum Beispiel können wir durch unsere Gedanken Gefühle hervorrufen. »Ich werd schon sauer, wenn ich nur dran denke«, meinte neulich eine Freundin zu mir, die sich darüber ärgerte, dass ihr neuer Freund sie zur Hausarbeit und zum Badputzen verdonnern wollte.
Du kannst nun ausprobieren, welche Auswirkungen deine Gedanken auf deine Gefühle und Empfindungen haben. Du brauchst dir dafür nur eine Situation vorzustellen, in der du dich so richtig geärgert hast. Versuch dir die Situation möglichst detailliert vorzustellen: Was ist genau passiert? Wer oder was hat dich geärgert? Höchstwahrscheinlich gerätst du durch die bloße Erinnerung an die Situation und das Nachdenken darüber wieder in das Gefühl von Ärger hinein, das du damals erlebt hast.
Natürlich können wir diesen Einfluss unserer Gedanken auch positiv nutzen, indem wir an angenehme Ereignisse denken. In vielen Entspannungsverfahren werden die Teilnehmenden gebeten, sich eine Blumenwiese oder einen anderen für sie schönen Ort vorzustellen. Und tatsächlich ändert sich durch das bloße Vorstellungsbild unser Anspannungsniveau. Die Muskeln lösen, das Gesicht glättet sich und unser Atem wird tiefer. Eine Zeit lang haben meine Frau und ich am Abendbrottisch ein sehr schönes Ritual praktiziert. Wir haben uns gegenseitig die einfache Frage gestellt: »Wann ging es dir heute gut?« Statt meiner Frau also zu erzählen, was heute nicht so gut geklappt hatte, erzählte ich ihr von den schönen Augenblicken des Tages, dem bunten Herbstlaub in den Gärten, der witzigen Begegnung mit dem Nachbarn oder einem erfreulichen Telefonat. Uns ging es natürlich viel besser, wenn wir uns von all dem Schönen erzählten, als wenn wir über Probleme gesprochen hätten. Die Arbeit an diesem Buch hat uns dazu bewogen, dieses Ritual wieder aufzunehmen. Wie konnten wir es zwischendurch nur wieder vergessen?
Ein ganz amüsantes Experiment zeigt uns zugleich die Macht und Machtlosigkeit unseres Geistes: In einem Schlaflabor wurde Probanden mitgeteilt, dass diejenige Person 10 000 Dollar erhalten würde, die zuerst einschlief. Was war das naheliegende Ergebnis? Alle hatten eine schlaflose Nacht! Die Vorstellung, die 10 000 Dollar zu bekommen, zusammen mit dem krampfhaften Bemühen, möglichst schnell einzuschlafen, hielt alle die ganze Nacht wach. Vieles steht nicht in unserer Macht und ist nicht durch unseren Willen beeinflussbar. Dazu gehört auch das Einschlafen: Je dringender ich einschlafen will, umso schwieriger wird es.