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Unser Autopilot

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Wer entscheidet eigentlich, was ich tue? Die übliche Antwort ist klar: »Natürlich ich!« Wir erleben uns als freie Individuen, die eigenständig darüber bestimmen, wie wir uns verhalten, was uns gefällt, wen wir mögen oder womit wir uns beschäftigen. Angeblich kann ich frei entscheiden, ob ich noch eine Zigarette rauche oder nicht, ob ich in meiner Wut den anderen beleidige oder wie ich mit Verletzungen oder Enttäuschungen umgehe. Wenn wir uns selbst aber ein bisschen genauer beobachten, dann stellen wir fest, dass die meisten unserer Alltagshandlungen nicht auf Entscheidungen beruhen, sondern unbewusst und automatisiert ablaufen. Jeder Raucher weiß, wie mechanisch er zur Zigarette greift. Wir essen noch einen Schokoriegel, nicht weil sie uns so gut tut, sondern weil wir einem inneren Programm folgen und nicht einmal merken, wie wir uns schon wieder ein Stück Schokolade in den Mund schieben. Erst beim letzten Stück fällt uns dann auf: »Jetzt hab ich ja die ganze Tafel gegessen, eigentlich wollte ich doch nur …«

Wenn wir uns ganz genau beobachten, stellen wir sogar fest, dass nicht nur einige, sondern fast alle unsere Handlungen automatisch ablaufen. Das gilt zunächst einmal für unsere Bewegungen und Alltagshandlungen, etwa wenn wir in einen Apfel beißen oder an den Fingernägeln kauen. Richte deine Aufmerksamkeit für einen Augenblick auf dich selbst: Was tust du sonst noch, während deine Augen auf das Papier schauen? Was läuft neben deiner Haupttätigkeit ganz automatisch und unbewusst ab? Wackelst du vielleicht mit deinem Fuß? Ziehst du deine Schultern hoch? Fährst du mit der Hand durch die Haare?

Alle diese Bewegungen laufen ohne unser bewusstes Zutun ab, wir entscheiden uns nicht dafür, sondern sie werden getan. Aber auch komplexere Verhaltensweisen laufen oft unbewusst ab, etwa wie ich reagiere, wenn im Auto vor mir ein Sonntagsfahrer mit 50 km/h über die Landstraße schleicht. Auch in unseren Lebenszielen folgen wir oft Automatismen und Gewohnheiten. Wir werden beispielsweise innerlich angetrieben, viel zu leisten, Besitz anzuhäufen oder anderen zu gefallen. Eventuell stellen wir unser ganzes Leben in den Dienst eines solchen »Auftrags«.

Letztlich ist es natürlich auch entlastend, dass wir nicht alles selbst entscheiden müssen. Wir haben ein wunderbares Steuerprogramm in uns, das uns hilft, den Alltag zu bewältigen und mit all den Tausenden von Reizen und Informationen zurechtzukommen. Dieses Programm übernimmt all unsere Routinehandlungen. Ich brauche eben nicht jedes Mal neu zu überlegen, wie die Kaffeemaschine funktioniert, auf welchen Knopf ich drücken muss und wo die Tasse hingehört, sondern mein inneres Steuerungsprogramm hat sich das alles längst gemerkt und übernimmt das für mich. Vermutlich 99 Prozent unserer Handlungen werden durch dieses Programm gesteuert, das wir auch unseren »Autopiloten« nennen können. Meistens ist er hilfreich für uns, denn er spart uns viel Energie und Aufmerksamkeit. Doch es gibt auch Situationen in unserem Leben, in denen es besser wäre, wenn wir unseren Autopiloten auch mal ausschalten könnten. Piloten im Cockpit eines Flugzeugs können das. Sie entscheiden, ob sie den Autopiloten einschalten oder lieber selbst den Steuerknüppel in die Hand nehmen. Bei heikleren Manövern und auch bei Starts und Landungen steuern auch heute noch die Piloten selbst, denn es wäre viel zu gefährlich, dies dem Autopiloten zu überlassen. Ich jedenfalls würde in kein Flugzeug einsteigen, das immer vom Autopiloten geflogen wird und in dessen Cockpit sich nur noch ein Computer befindet. Unser Autopilot lässt sich jedoch nicht so einfach ein- und ausschalten. Er übernimmt das Ruder, wann er will, und oft macht er auch, was er will, ohne Rücksicht darauf, ob das sinnvoll ist oder nicht. Paradoxerweise übernimmt er gerade in heiklen Situationen die Regie.

Neulich sprach ich mit einer Frau, die unter einer zerstörerischen Form von Eifersucht litt. Wenn ihr Freund sie nicht täglich mehrmals anrief, wurde sie sehr misstrauisch und befürchtete, er könne sie betrügen. Ihr innerer Dialog lief etwa so ab: »Der liegt bestimmt mit einer anderen Frau im Bett, warum sollte er sich sonst nicht bei dir melden? Neulich im Café hat er ständig nur zu den Frauen am Nachbartisch gestarrt. Der hat sicher längst eine andere.« Sie fühlte sich verlassen und ausgenutzt und geriet in innere Unruhe und heftige Wut auf ihren Freund. Aus ihren Gefühlen wurde langsam ein innerer Auftrag: »Fahr hin, du musst schauen, was er da wieder macht. Wenn du ihn erwischst, weißt du zumindest, woran du bist.«

Am Abend war es dann so weit. Sie fuhr wie getrieben zu seiner Wohnung, lief durch den Garten und sah ihn … allein im Arbeitszimmer am Computer sitzen. Beschämt schlich sie wieder zu ihrem Auto und hoffte, er habe sie nicht gesehen. Sie war glücklich, dass ihre Angst wohl unbegründet war. Zugleich aber war sie wütend auf sich selbst. Sie verstand selbst nicht, dass sie ihrem Freund schon wieder misstraut hatte. Das Schädliche an ihrem Verhalten war: Es war nicht das erste Mal, dass sie zu ihm fuhr und ihn kontrollierte. Im Laufe weniger Monate war sie bestimmt zwanzig Mal zu seiner Wohnung gerast. Und er war auch nicht ihr erster Partner, dem sie auf diese Art und Weise misstraute. Zwei Beziehungen waren bereits an ihrer Eifersucht und ihrem Kontrollbedürfnis zerbrochen.

Nun leiden wir nicht alle unter einer rasenden Eifersucht, aber jeder von uns kennt eigene Verhaltensweisen, auf die er kaum einen Einfluss zu haben scheint. Der Autopilot hat längst entschieden, wohin es gehen soll, und wir benehmen uns eher wie ein Roboter als wie ein selbstbestimmt handelndes Individuum.

In welchen Situationen ist in deinem Leben der Autopilot eingeschaltet, obwohl dir das vielleicht gar nicht guttut? Lass dir einen Moment Zeit, um eine Situation zu finden, in der du dich leicht in einen Roboter verwandelst. Vielleicht ist es ein Ereignis aus der jüngsten Vergangenheit, vielleicht liegt es aber auch schon länger zurück oder hat sich in deinem Leben schon öfters wiederholt.


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