Читать книгу Sinja und die Zaubergeige - Andreas Milanowski - Страница 16
14 Ein Brief von `Seriosa´ - Vorsicht, Falle!
ОглавлениеEmelda und Amandra buddelten, was ihre Hände hergaben. Sie hatten einen Platz ausgesucht, der ein wenig abseits ihrer Behausung lag. Falls sie im Kampf getötet und die Moroks ihren Unterstand erobern und durchwühlen würden, sollte der Kristall auf jeden Fall sicher sein und dem Feind nicht sofort in die Hände fallen.
Der Kristall war ja nicht nur ein magisches Instrument, das Energie und Heilung spendete, sondern er war auch ein sehr wichtiges Symbol des Königinnentums von Fasolânda. Viele Kämpfer hatten ihre Kraft zum Kampf daraus gezogen, die Königin und den Kristall zu beschützen. Wenn dieser jetzt verloren ginge, wäre das eine ganz entscheidende Schwächung des Königreiches gewesen. Die beiden Elfen waren daher entschlossen, den Stein bis zum letzten Atemzug zu verteidigen.
Als nächstes begannen sie, mit den mitgebrachten Messern Pfähle anzuspitzen und diese vor ihrem Unterstand mit der Spitze nach vorne schräg in den Boden zu rammen. Dies sollte die Gifhars stoppen und so den Moroks den Angriff erschweren. Mittlerweile waren die Reiter auf ihren Tieren schon gut zu erkennen.
„Wir müssen versuchen, sie so lange zu beschäftigen, bis die Sonnen untergehen. Wenn die Dunkelzeit kommt und sie haben uns noch nicht erwischt, dann haben wir eine Chance“, sagte Emelda.
Amandra stimmte kopfnickend zu. Die Staubwolke am Horizont wurde größer.
„Woher kam eigentlich der `Glissando´?“, wollte Amandra wissen.
„Das weiß ich auch nicht. Vielleicht ist es der, den Gamanziel bei unserer Abreise abgeschickt hatte.“
„Dann müsste er eine Nachricht von Königin Myriana oder wenigstens von `Seriosa´ tragen.“
„Na, dann lass uns mal nachsehen. Komm her Piepmätzchen. Lass dir dein Geheimnis entlocken. Putt, putt, putt……“, scherzte Emelda.
„Du bist albern, Emelda. Du musst ihm ein Körnchen anbieten.
Die Vögel wollen ja schließlich auch von etwas leben, hihi.“
„Na gut“, sagte Emelda, „hier hast du ein Körnchen und jetzt lass uns mal sehen, was unsere liebe Königin uns geschrieben hat.“
Sie nahm dem Vogel, der ihr in die hohle, ausgestreckte Hand gesprungen war, die kleine Papierrolle ab, die um sein rechtes Bein gewickelt war.
Die Schriftrolle, oder besser, das Röllchen war zwar mit der Krone der Königin versehen, was bedeutete, dass es aus dem königlichen Palast kam, aber es war ohne das königliche Siegel, also nicht von Königin Myriana selbst gezeichnet, sondern lediglich von `Seriosa´, was am großen `S´ unter dem Schreiben zu erkennen war. Dem Siegel fehlte links unten eine kleine Ecke. Emelda sah die, in schönster Elfenschrift verfasste Botschaft und konnte nicht glauben, was sie las:
Meine heldenhaften Elfinnen,
Zu meinem großen Bedauern muss ich euch leider die Mitteilung machen, dass Sinja Wagemut von einem dunklen Reiter gefangen genommen und verschleppt wurde.
Eure Freundin Gamanziel ist im Kampf getötet worden.
Der `unerhörte Herrscher´ verlangt für Sinjas Auslösung die Übergabe des magischen Kristalls, den ihr bitte an die Moroks aushändigt, die demnächst bei euch als Boten erscheinen werden. Es tut mir sehr leid, dass ich euch nichts Besseres mitzuteilen habe.
Bleibt tapfer, aber riskiert nicht sinnlos euer Leben im Kampf gegen diese Übermacht.
Gehorcht und es wird euch nichts geschehen. Eure `Seriosa´, Beraterin der Königin Myriana
`S´
„Ich kann das nicht glauben. Amandra, schau dir das mal an.“
Emelda gab Amandra den Brief.
„Oh Nein! Das darf nicht wahr sein. Dann ist alles vorbei.
Sinja gefangen, Gamanziel tot? Oh nein!“
Amandra begann zu schluchzen.
„Das kann natürlich sein“, überlegte Emelda, "wenn der `Unerhörte´ noch einen dritten Nauron losgeschickt hat. Der könnte Sinja und Gamanziel angegriffen haben. Das ist möglich und es wäre eine Katastrophe. Andererseits - überleg doch mal: Königin Myriana hat ein Leben lang gegen das dunkle Schweigen gekämpft und jetzt, wo der entscheidende Kampf bevorsteht, ausgerechnet jetzt sollen wir den Kristall einfach diesen verlausten Typen aushändigen. Ich glaube das nicht. Da ist was oberfaul!“
„Hmmmm, da könntest du natürlich recht haben.“
Amandra beruhigte sich wieder.
„Irgendwas stinkt an der Sache, aber was? Das Papier mit der Krone ist es nicht. Das ist eindeutig aus dem Palast und duftet nach Rosenwasser. Das kann niemand so perfekt nachmachen.“
„Königin Myriana hat uns immer mit Namen angesprochen, schon als wir noch zusammen in der Prim waren.“
„Aber das Schreiben ist nicht von der Königin, sondern von `Seriosa´ unterzeichnet.“
„Glaubst du, dass `Seriosa´ so eine wichtige Sache wie die Auslieferung des Kristalls auf eigene Faust entscheidet, ohne dies mit der Königin abzustimmen? Ich nicht.“
„Und wenn, dann wäre sie wahrscheinlich nicht mehr lange Beraterin der Königin. Also was läuft da schief? Wer versucht, uns aufs Kreuz zu legen?
Und im Übrigen, die fünf Typen, die da auf uns zugesprintet kommen, sehen nicht aus, als hätten sie eine Friedensfahne dabei.“
„Stimmt! Das sind keine Friedensengel. Das sind ganz normale, stinkende Moroks, so wie sie es schon immer waren.“
„Und die sehen auch nicht aus, als wollten sie nur einen Kristall abholen. Die
wollen uns massakrieren!“
„Hmmmm, sag mal Emelda, hast du einen Brief von `Seriosa´ gelesen?“ fragte Amandra mit gespielter Nachdenklichkeit.
„Ich fürchte, der arme kleine Glissando ist abgestürzt!“
„Neiiiin, das ist ja entseeeeetzlich!“, schauspielerten sie weiter, "vielleicht wurde er auch von den bösen, bösen Moroks abgeschossen!"
„Also, jetzt mal im Ernst, Mandy“, sagte Emelda daraufhin, „von dem, was in dem Brief steht, glaube ich kein Wort und solange wir nicht wissen, was da in Fasolânda gespielt wird, schlage ich vor, alles beim Alten zu lassen. Wir kämpfen gegen die Moroks und verteidigen den Kristall, so wie wir es vorhatten und sollten wir das ganze überleben, dann können wir uns Gedanken darüber machen, wie wir herauskriegen, wer in Fasolânda gerade Dinge tut, die er besser nicht tun sollte.“
„Ich stimme dir vollkommen zu Emelda. Wir sollten nur in der Zeit, bis die Moroks hier aufschlagen die Anwesenheit unseres `Glissando´ nutzen, um den anderen eine Botschaft zukommen zu lassen. Ich denke wir sollten den Vogel mit einer Warnung zu `Jambus´ schicken. Wenn sie sich irgendwo treffen, dann dort. Dort soll der Rat stattfinden, dorthin werden Banglim und Bengali kommen, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Wir sollten unsere Freunde dort warnen und ihnen mitteilen, was wir wissen und wie die Lage bei uns ist, damit sie informiert sind, falls wir es nicht schaffen sollten, in die `Fermata´ zu gelangen.“
Emelda nickte zustimmend und so machte sich Amandra sofort daran, eine Botschaft an `Jambus´ zu verfassen. Die Nachricht wurde um das rechte Beinchen des `Glissando´ gewickelt und der Vogel damit auf die Reise geschickt. Mittlerweile war schon einige Zeit ins Land gegangen und der Sonnentanz soweit fortgeschritten, dass die Dämmerung bevorstand.
Es würde nicht mehr lange hell sein. Darauf hatten die Elfen gehofft.
Die Moroks auf ihren Gifhars waren nicht ganz so schnell vorangekommen, wie sie sich das erhofft hatten, aber immerhin schon so nah, dass Amandra und Emelda einzelne Figuren unterscheiden konnten. Die Staubwolke, die sie hinter sich herzogen, kam immer näher und wurde immer größer.
Das Gruselige an Angriffen der Morendianer war die absolute Stille, in der sie stattfanden. Egal, ob die Naurons mit ihren dunklen Reitern, die Gifhars oder die Moroks angriffen, alles fand immer ohne einen Ton oder ein Geräusch statt, solange sie in Reichweite des `Unerhörten´ waren und unter seiner telemagischen Kontrolle standen. Erst, wenn sie sich aus dem unmittelbaren Machtbereich ihres Herrschers entfernten, waren Geräusche überhaupt möglich. Bis dahin gab es weder Schreie noch Hufgetrappel, kein Surren von Pfeilen, kein Wiehern oder Schnauben, nichts, was man hätte hören können, allenfalls ein `tschak´, wenn ein Pfeil irgendwo einschlug oder stecken blieb. Alles ansonsten Hörbare wurde durch die Telemagie des `Unerhörten´ aufgesogen, wie von einem Schleier bedeckt und damit unhörbar gemacht. Das gab den Attacken etwas Gespenstisches. Weil man es nicht hören konnte, wollte man nicht glauben, dass etwas kam, solange bis es da war. Dann war es zu spät.
Amandra und Emelda hatten allerdings schon so oft gegen Trupps der Moroks kämpfen müssen, dass sie sehr genau wussten, was kommen würde und sie bereiteten sich darauf vor. Bald würde der Sturm über sie hereinbrechen.