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7 Ein gefährlicher Weg ins Tal und ein `Galadinner´

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Endlich hatten die zwei Sonnen ihren Tanz beendet und die Dunkelzeit war gekommen.

Dunkelzeit war das, was in der Menschenwelt Nacht hieß, nur, dass es in Dorémisien niemals richtig finstere Nacht wurde, da die zwei Himmelslichter auch auf der anderen Seite der Welt noch sehr hell schienen. Hatten die Augen sich an das dämmrige Licht erst einmal gewöhnt, dann konnte man auch nach dem Ende des Sonnentanzes noch einigermaßen sehen, stellte Sinja fest. Man sah dann zwar keine Farben mehr, aber man rannte nicht gegen Bäume oder stolperte über Wurzeln, weil diese Dinge doch noch in Umrissen erkennbar waren.

Als die Dunkelzeit nun angebrochen war, machten sich die vier mit `Allegro´ und den zwei beladenen Ponys auf den Weg.

Emelda ging oder flatterte voran, dann kamen Amandra und Gamanziel, die jeweils eins der Ponys führten. Sinja bildete mit `Allegro´ die Nachhut. Ohne die Ponys wären sie gut und gerne doppelt so schnell gewesen, aber trotzdem zu langsam, um ihr nächstes Ziel ohne Proviant zu erreichen. Also hatten sie, wohl oder übel die zwei Lasttiere mitnehmen müssen, was die Reise erheblich verzögerte, da sich die Gruppe der Geschwindigkeit der Ponys anpassen musste.

„Wenn wir zügig durchgehen, können wir zum nächsten Sonnentanz bei `Jambus´ in der `Fermata´ sein“, sagte Emelda.

Die `Fermata´ war eine Einsiedelei und lag auf einer Halbinsel, die der Fluss `Largo´ umfloss. Er machte dort eine große Schleife, sodass das Gelände nur über einen schmalen Zugang zu erreichen war. Auf dem Weg dorthin mussten allerdings die Wälder von `Adagio´ durchquert werden.

„Wir wissen momentan nicht“, stellte Emelda besorgt fest, „ob wir dort eventuell aufgehalten werden. Wir müssen abwarten, ob sich ein Waldläufer zu uns gesellt. Vielleicht weiß der mehr über die derzeitige Lage in den Wäldern weiß, als wir. Vielleicht bekommen wir ja auch noch Nachricht aus Fasolânda.“

„Das ist ziemlich viel vielleicht!“, bemerkte Gamanziel.

„Ja, das stimmt“, antwortete Emelda, „genauer haben wir´s momentan leider nicht. Wir können nur hoffen, dass der `Glissando´durchkommt und die anderen wenigstens wissen, wo wir stecken.“

„Zum Glück ist unsere Gruppe relativ klein. So fallen wir weniger auf“, stellte Amandra fest.

„Ich will euch ja nicht beunruhigen“, fuhr Emelda mit ihrem Bericht fort, „aber ich habe auf meinem Rundgang heute Mittag einiges gesehen und gehört, was mir nicht gefallen hat. Wir sollten wachsam sein und die Ohren und Augen in alle Richtungen offenhalten.“

„Und wir sollten vor allem nur das Nötigste reden“, schaltete sich Gamanziel ein.

„Das Gequatsche stört unsere Aufmerksamkeit und macht uns unnötig auffällig.“

Die Reisegruppe machte sich an den langen Abstieg.

Während ihres Ausflugs mit `Allegro´ hatte Sinja die Schwierigkeiten nicht wahrgenommen, denen sie sich jetzt ausgesetzt sahen.

Der Schimmel war über Hindernisse einfach hinweggesprungen oder hatte seine Flügel eingesetzt. So waren die beiden natürlich wahnsinnig schnell vorangekommen.

Jetzt hieß es, auf schmalen, felsigen Wegen, auf denen ein Pony mit Satteltaschen bepackt gerade eben Platz hatte, Schritt für Schritt Richtung Tal zu marschieren.

Immer wieder rutschte eines der schwer beladenen Tiere auf dem losen Geröll aus und drohte, den steilen Abhang hinunterzustürzen. Steine rollten polternd ins Tal und lösten kleine Lawinen aus. Mit jedem Klappern von Steinen oder Geröll wurde Gamanziel nervöser.

„Wir trampeln hier herum wie die Trolle!", flüsterte sie besorgt, "wenn wir weiterhin so einen Lärm produzieren, können wir auch gleich eine Blaskapelle vor uns hermarschieren lassen, die unser Kommen ankündigt.“

„Du hast recht“, antwortete Amandra leise “aber wir müssen uns ein wenig ranhalten, wenn wir rechtzeitig im Wald sein wollen. Wir können nicht auf jedes Steinchen achten. Nachdem, was Emelda vorhin berichtet hat, weiß der `Unerhörte´ ohnehin, dass wir unterwegs sind!“

„Ja, sicher“, aber wir müssen ihm ja nicht noch lautstark Bescheid geben, wo wir gerade sind. Seien wir einfach ein wenig vorsichtiger!“

„Okay!“

Der Plan war, noch vor Beginn des nächsten Sonnentanzes, wenn es wieder heller würde, Schutz zu finden in den Wäldern von `Adagio´. Die Elfen hatten zwar davon gesprochen, dass diese momentan auch nicht der sicherste Ort seien, aber in der weiten Ebene von `Leggiero´, durch die der Weg bis dorthin führte, gab es kaum ein Versteck, höchstens ein paar Büsche und Sträucher und einige Erdlöcher. Solange sich die Gruppe in der Ebene bewegte, waren sie für jedermann sichtbar, so gut wie schutzlos und ein leichtes Ziel für jeden Angreifer.

Je länger sie unterwegs waren, desto besser gewöhnten sich alle an das angeschlagene Tempo. Sie hatten sich aufeinander eingestellt, liefen gleichmäßiger und sicherer und kamen dadurch zügiger voran. Schon bald würden sie den Fuß des Berges erreicht haben.

Der Weg wurde breiter und angenehmer zu gehen. Links und rechts waren auf einmal Pflanzen zu sehen, bunte Büsche und Blumen in den seltsamsten Formen und Farben, die selbst im Dämmerlicht noch hell und freundlich leuchteten.

„Was ist denn das hier?“, fragte Sinja erstaunt und zeigte auf ein merkwürdiges Gewächs, das am Rand des Weges stand.

„Pscht! Das ist eine Elfenharfe“, erklärte Gamanziel.

Und wirklich: das Gewächs hatte einen Stamm, der wie ein Fragezeichen geformt war. Aus dem Bogen des Fragezeichens hingen in langen, dünnen Fäden die Früchte nach unten, sodass die Pflanze in der Tat das Aussehen einer Harfe hatte. Außerdem gab es noch das Fagott zu sehen, eine etwa eineinhalb Meter hohe schlanke, braune, baumähnliche Holzröhre mit wenigen kurzen, dürren Ästchen und einen Geigenbaum, dessen violett – braun - pinke Blätter die Form eines Streichinstrumentes hatten. Sinja konnte sich nicht satt sehen an all diesen außergewöhnlichen Erscheinungen.

"Das sieht ja hier aus wie im großen Musiksaal!", staunte sie.

Gamanziel zeigte ihr einen Paukenbusch, Pikkologräser, die aussahen wie kleine, dünne Flöten, den Bogenbusch, dessen Äste die Form von Geigenbögen hatten und den Trommelstock, ein dünner weißer Stab, ähnlich einer Spargelstange, der kerzengerade aus dem Boden wuchs. Das alles fand sich zwischen Wiesen- und Steppengras, gelbem Ginster und Holunderbüschen, sowie Brombeerhecken wie Sinja sie von zuhause kannte.

Wie aus dem Nichts fingen auf einmal `Allegros´ Flanken an, zu zittern.

Er wurde unruhig, blähte die Nüstern und spitzte seine Ohren als lauschte er angestrengt in die Dämmerung.Von einer Sekunde auf die andere schlug die friedliche Stimmung um in höchste Anspannung.

„Still!“, sagte Emelda und in diesem Augenblick nahm Sinja einen Schatten wahr. Weit über ihnen zog er lautlos seine Kreise.

„Bleibt ganz ruhig stehen. Keine Bewegung, kein Laut mehr!“

Auf der Stelle stand die ganze Gruppe still und starr wie Salzsäulen.

Selbst die Ponys bewegten sich keinen Millimeter. Niemand traute sich, auch nur laut zu atmen. Es wurde dunkler und kälter. Der Schatten kam näher.

Aus den Augenwinkeln sah Sinja etwas, das aussah wie ein riesiger dunkler Vogel. Suchend drehte er seinen Kopf langsam von einer Seite auf die andere und wieder zurück. Mit weiten Flügelschlägen kreiste er über der Stelle, an der die Gruppe sich befand und kam immer tiefer und näher. Mit einem Mal legte er die Flügel eng an den Körper und stieß im Sturzflug steil nach unten, direkt auf die Gruppe zu. Kurz vor dem Boden fing er seinen schweren, schlangenhaften Körper ab und stieg wieder nach oben.

Rundherum war es so still geworden, als hätte das Tier jedes Geräusch aufgesogen. Als der Vogel, oder was immer es gewesen sein mochte, ganz dicht an ihnen vorbeiflog, war es Sinja, als könne sie den Atem des Tieres riechen, so nah war er.

Trotz ihrer starren Haltung konnte sie einen kurzen Blick auf das unheimliche Wesen erhaschen.

Es hatte den Körper eines Reptils, einer großen, dicken Schlange, jedoch Flügel und Klauen eines riesigen Greifvogels, wie eine viel zu groß geratene Kreuzung aus Geier und Riesenschlange. Sie schaute in kalte, dunkle Augen in einem geschuppten Vogelkopf.

Im Schnabel des Untiers sah sie zwei Reihen scharfer Zähne blitzen.

Sinja lief ein Schauer über den Rücken. Am liebsten hätte sie sich geschüttelt und laut geschrieen, aber damit hätte sie das Wesen auf sich aufmerksam gemacht und die ganze Gruppe gefährdet. Also beherrschte sie sich mühsam und blieb ruhig.

Die Spannung war nahezu unerträglich.

Der Schlangenvogel kreiste noch mehrmals mit geschmeidigen Bewegungen über der Stelle, an der sie sich befanden, ohne sie zu entdecken. Schließlich schaute er sich noch einmal nach allen Seiten um, stieg dann mit kräftigen, lautlosen Flügelschlägen auf und verschwand in der Dämmerung.

Nach minutenlanger Lähmung stellte sich Erleichterung bei Sinja und den Elfen ein. Auch `Allegro´ wurde wieder ruhiger. Die Anspannung legte sich.

Plötzlich jedoch nahm Sinja direkt neben sich ein Geräusch wahr.

Sie zuckte zusammen.

Ein hohes, helles Klack-klack-klack-klack.....war zu hören.

„Still, was ist das?“, fragte sie flüsternd.

Drei Köpfe fuhren herum, nur einer nicht – der von Gamanziel.

„DadadadadassindmeineZäZäZähne.....klackklackklackakakak“, klapperte sie.

Auch die Elfe hatte sich die ganze Zeit über beherrscht und versucht, kein Geräusch von sich zu geben. Jetzt, da die Attacke des scheußlichen Schlangenvogels überstanden war, ließ sie ihrer Furcht freien Lauf und ihre Zähne klappern.

„Sie wissen Bescheid“, stellte Emelda nach einer Pause nüchtern fest.

„Das war ein Nauron, ein Flugdrache. Der `Unerhörte´ setzt sie normalerweise nur als Späher und Kundschafter ein, selten als Waffe.

Wenn du von so einem allerdings angegriffen wirst, hast du nichts zu lachen. Hast du seine Zähne und seinen Schnabel gesehen, Sinja?“

„Ja, das hab‘ ich – und seine Krallen.... und ich möchte beidem nicht zu nahekommen!“

„Die Naurons haben ein unglaublich gutes Gehör, weil sie normalerweise in einer geräuschlosen Welt leben. Wenn es dann mal etwas für sie zu hören gibt, dann hören sie das ausgezeichnet. Ihr Sehsinn ist dafür allerdings völlig unterentwickelt. Sie können nur Bewegungen wahrnehmen, keine Formen.Wenn du still stehen bleibst und dich nicht bewegst, kann ein Nauron dich nicht sehen.“

„Gut zu wissen! Gibt es noch mehr solch netter Zeitgenossen?“

„Was meinst du, Naurons oder ganz allgemein Wesen, die danach trachten, uns zum Abendessen zu verspeisen?“, fragte Emelda etwas spöttisch.

„Ach, vergiss es“, sagte Sinja und winkte ab, „war ´ne dämliche Frage.“

„Nein, war es nicht“, erwiderte Gamanziel, „wir müssen vorsichtig sein.“

„Dass der Nauron hier war“, fuhr Emelda fort, „bedeutet allerdings mehreres: Zum einen ist jetzt ganz klar, dass der Feind in `Morendo´ weiß, dass wir aufgebrochen sind. Er lässt nach uns suchen. Zum Zweiten heißt das für uns, dass wir aufpassen müssen. Wo ein Nauron ist, sind die Moroks oft nicht weit. Auf keinen Fall sollten wir uns länger als nötig in der Ebene `Leggiero´ aufhalten. Es könnte sein, dass wir dort mit einem Angriff zu rechnen haben.“

„Lasst uns das mal später besprechen“, stoppte Amandra Emeldas Rede.

„Wie war das im Mittelteil mit dem Abendessen“, fragte sie dann, so fröhlich wie es ihr möglich war. Sie hatte sich während des Nauronangriffs absolut ruhig und cool verhalten und versuchte jetzt, die Stimmung etwas aufzulockern.

„Mir wird das jetzt etwas zu düster hier. Lasst uns mal wieder zu den Dingen des Lebens zurückkehren. Ich finde, dass wir uns nach dem Schreck von eben eine kleine Stärkung verdient haben und solange wir noch durch das Buschwerk geschützt sind, sollten wir eine kurze Rast machen, uns ausruhen und ein wenig erfrischen.“

Sie ging zu den Ponys, kramte in den Satteltaschen und zog einige Dinge daraus hervor, die sie schnell und geschickt im Gras ausbreitete.

„Wenn die Damen dann bitte Platz nehmen möchten“, kam es kurze Zeit später, “es werden Streifen von getrocknetem Schinken an Datteln nach Art des Hauses serviert. Als Getränk empfehlen wir heute frisches Quellwasser.“

Sie setzten sich, nahmen einen der alten Schläuche vom Rücken eines der Ponys und reichten ihn herum, sodass jede einen Schluck Wasser trinken konnte.

`Allegro´ bekam frische Äpfel, die Ponys ebenfalls.

Den Schinken rührte Sinja nicht an.

„Ich esse kein Fleisch“, teilte sie den Elfen mit.

„Puh, das wird aber schwierig. Viel mehr als Schinken und Datteln wirst du nicht bekommen, bevor wir die `Fermata´ erreicht haben. Bei `Jambus´ haben wir noch nie hungern müssen, aber bis dahin sollten wir uns von dem ernähren, was wir mitgenommen haben oder unterwegs aufsammeln“, stellte Gamanziel bedauernd fest.

„Vielleicht finden wir in den Wäldern ein paar Beeren oder Pilze für dich.“

„Ach, macht euch mal nicht zu viele Umstände“, versuchte Sinja zu beruhigen“, ich denke, bis morgen geht das schon klar mit den Datteln.

Süß sind sie ja und ich liebe Süßes.“

Damit waren alle zufrieden und das Essen wurde schweigend fortgesetzt.

Sinja und die Zaubergeige

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