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1 Geigenzauber und drei zickige Elfen

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Es war ein öder, trüber Tag. Ein Nachmittag zum Vergessen.

Der Himmel war mit dicken, dunklen Wolken verhangen, es regnete Bindfäden.

Sinja schaute müde ihre Geige an und hatte keine, aber wirklich überhaupt keine Lust, auf ihrem Instrument zu üben. Den ganzen Tag bis eben hatte sie, vom frühen Morgen an in ihrer langweiligen Schule in der Titusstrasse verbracht, erst im Unterricht, dann beim Mittagessen und in der Hausaufgabenbetreuung. Danach war dann noch etwas Zeit geblieben zum Relaxen und für ihre Lieblingsbeschäftigung, Bücher lesen. Es gab eine Schulbibliothek und das war an diesem Ort der einzige Lichtblick. Sinja hatte den Ehrgeiz, alle Bücher, die dort standen gelesen zu haben, bevor sie am Ende des Schuljahres die Schule wechseln musste.

Der Unterricht an der Titusschule war eigentlich okay und machte Spaß, außer Mathe und Sport.

Zahlen und Rechnen waren einfach nicht ihr Ding.

Trotzdem bekam sie es hin, bei den Klassenarbeiten gute Noten zu schreiben.

Sport dagegen war ihr absolutes Hassfach.

Das gab blaue Flecken, weil man ständig von Bällen getroffen wurde und da die Jungs beschlossen hatten, darauf keine Rücksicht zu nehmen, hatte Sinja bald keine Lust mehr auf diese Spiele.

Sie hatte einige Regeländerungen vorgeschlagen, die aber leider alle abgelehnt wurden.

„Brennball ist Brennball!“, hieß es. „Da gibt's keine Extraregeln für Mädchen!“

Also ließ sie sich am Anfang des Spiels abwerfen und verbrachte so den größten Teil des Sportunterrichtes auf der Bank. Beim letzten Mal hatte sie deswegen als einzige in der Klasse eine drei in Sport. Peinlich!

Ansonsten war sie aber eine sehr gute Schülerin und hatte ein Superzeugnis.

Von den zwölf Mädchen in der Klasse war sie mit fünfen gut befreundet.

Mit Pauline, einer von den fünfen hätte sie am liebsten Tag und Nacht verbracht. Weil die beiden sich so ähnlich sahen, hatte man sie des Öfteren für Zwillinge gehalten und sie hatten damit ihre Späße getrieben. So war die Schule erträglich.

Es war aber eben auch verdammt anstrengend und das wollten ihre Eltern manchmal nicht sehen. Nach der Ganztagsbetreuung war sie oft einfach k.o. und hatte keine Nerven mehr, sich noch mit Achtel-, Viertel- und Halben Noten, mit Pausen und Taktstrichen zu befassen, mit der richtigen Hand- und Bogenhaltung, Auf- und Abstrich und was man sonst noch alles lernen musste, wenn man Geige spielen wollte.

„Nein, ich habe heute keiiiiiine Lust!“, grummelte sie vor sich hin und stampfte zornig mit dem Fuß auf.

„Das hab‘ ich gehört, auch wenn du es in dich hineinbrummst“, kam es streng aus der Küche zurück, „ich hab' immer noch gute Ohren!“

„Jaaaaa, Mama! Ist ja gut!“, sagte Sinja genervt, mehr zu sich selbst als zu ihrer Mutter und rollte die Augen.

Hätte sie nur einige wenige Minuten weit in die Zukunft blicken können, so hätte sie gesehen, dass dieser trübe Tag einen komplett anderen Verlauf nehmen sollte, als all die anderen Tage ihres bislang neunjährigen Lebens. Vielleicht hätte sie sehen können, dass sich heute dieses, ihr Leben auf geheimnisvolle Weise für immer verändern würde. Sicher hätte sie über diesen Tag ganz anders gedacht. Aber so….

Um nicht schon wieder Stress zu bekommen, war jetzt Üben angesagt.

Sie nahm also missmutig das Stück Holz mit den vier Saiten darauf und den Bogen zur Hand, spannte die Schulterstütze ein und strich lustlos über die unterste Saite, um sie zu stimmen.

Es quietschte, brummte, jammerte und kratzte, als hätte ihr Vater den Werkzeugkasten aufgemacht und begonnen, ein Metallteil zu feilen.

Sinja erschrak fürchterlich über das Geräusch, das sie da gerade produziert hatte.

„Oh je!“, dachte sie, „meine arme Geige!“

Ich wusste doch, dass das heute nichts wird. Ich bin viel zu müde!“

Je mehr sie sich in diesen Gedanken hineinsteigerte, desto übellauniger wurde sie.

„Ach, wär´ das schön, jetzt auf dem Sofa zu liegen und noch ein wenig in meinem Buch zu lesen“, dachte sie, „ich will unbedingt wissen, wie die Geschichte weitergeht.“

Kaum war ihr diese Idee gekommen, verwarf sie sie auch schon wieder, weil sie an den Vortrag denken musste, den sie dann von ihren Eltern zu hören bekam.

„Was das alles kostet mit der Geige, der Unterricht, die Instrumentenmiete und das alles, abgesehen von den Nerven und der Zeit....., blah, blah.....und hab auch keine Lust mehr, dich jeden Tag zu erinnern und und und......“.

Wer kennt das nicht?

„Alles, nur das nicht!“, schüttelte sie sich und verzog das Gesicht zu einer Grimasse, die aussah, als hätte sie gerade in eine fette, gelbe Zitrone gebissen.

„Warum hab´ ich das nur alles angefangen?“, fragte sie sich in den letzten Wochen immer häufiger. Schließlich hatte sie selbst vor Jahren den Wunsch geäußert, das Geigenspielen lernen zu wollen. Nur hatte ihr niemand gesagt, dass das mit so viel Arbeit verbunden sein würde.

Und jetzt?

„Wenn ich nicht übe, geht das ganze Generve wieder los und der Abend ist gelaufen, also spiele ich zehn Minuten und rede mich dann irgendwie raus, mit Kopf- oder Bauchschmerzen. Irgendetwas wird mir schon einfallen. Dann hab' ich´s hinter mir.“

Sie schaute ihre Geige lange an, wie man eine Freundin anschaut, die einem gerade etwas sehr Unangenehmes mitgeteilt hat, nahm das Instrument nochmals auf, stimmte es umständlich, holte tief Luft und begann dann, auf der zweiten Saite ganz langsam und leise, eine Melodie aus drei Tönen zu spielen:

E – G – A.

Warum sie gerade diese Noten spielte, wusste sie selbst nicht.

Sie waren ihr in diesem Moment eingefallen.

„Ahhhh! Isch abe drei Noten erfundään! Isch bin eine Genie, ein große Künstlääär!“, rief Sinja, warf mit großer Geste den Kopf in den Nacken und musste selbst über ihre Schauspielerei lachen.

Sie strich noch einmal über die Saiten und diesmal schwangen sie weich und es klang viel, viel schöner und besser als beim ersten Versuch.

Es war nichts mehr zu hören vom Werkzeugkasten-Sound.

Sinja war überrascht, welche Klänge sie ihrem Instrument entlocken konnte.

Irgendetwas war komplett anders als vorhin und auch anders als sonst.

Sie hatte das Gefühl, dass die Töne direkt aus ihrem eigenen Körper kamen, so, als würde sie singen und nicht Geige spielen.

Seltsam! Sehr seltsam!

Sie setzte das Instrument ab und lauschte mit offenem Mund dem letzten verklingenden Ton nach: es war das A.

Sie meinte dabei, den Ton noch ganz lange im Zimmer zu hören, obwohl sie schon längst aufgehört hatte, zu spielen.

„Was war denn das?“, fragte sie sich und war so verblüfft von ihrem eigenen Spiel, dass sie beschloss, es sofort zu wiederholen.

Sie nahm also noch einmal vorsichtig ihr Instrument auf, setzte die Schulterstütze auf ihr linkes Schlüsselbein und den Bauch der Geige unter das Kinn, griff den Bogen leicht und strich, genauso sachte wie beim letzten Mal über die zweite Saite: E-G-A, gaaaanz lange Töne.

Dieses Mal war der Klang noch intensiver als beim letzten Mal, ein ganz klarer und reiner, silbriger Violinenton.

„Hey! Was ich alles kann!“, staunte Sinja.

Sie meinte sogar, im Hintergrund leise einen Chor zu hören, der die gleichen Töne sang, die sie gerade spielte.

Die Geigensaite, der Körper der Geige, die Luft im Zimmer, ihr eigener Körper – alles schwang und vibrierte im Gleichklang mit diesen drei Tönen. Etwas Geheimnisvolles lag in der Luft. Plötzlich konnte sie die Schwingungen sehen. Sinja erschrak.

Mit glitzernden Fäden durchwirkt drehten sich zwei helle blaue Luftsäulen über dem Körper der Geige. Sinja bekam vor Staunen über diese seltsame Erscheinung den Mund nicht mehr zu.

„Was ist denn das“, flüsterte sie vor sich hin.

Die Neunjährige hatte ja schon einiges erlebt, aber das hier….

Sie konnte ihre Augen und Ohren von dem Klang- und Lichterspektakel nicht abwenden.

Das Leuchten der hellblauen Lichtbänder wurde immer strahlender und kraftvoller und füllte bald den ganzen Raum. Die Bänder schwangen hin und her, von links nach rechts, drehten sich in- und umeinander und wieder zurück.

Auf einmal erschien in einem Oval, dass sich zwischen den Lichtern gebildet hatte, erst nur verschwommen, dann immer klarer und deutlicher in den Umrissen ein winzig kleiner Körper, kleiner noch als Sinjas kleinste Puppe.

Es war ein Wesen, kaum größer als ein Schmetterling, mit einer Figur wie ein klitzekleines Mädchen, mit Armen, Beinen, zwei Flügelchen auf dem Rücken. Es hatte lange, spitze Ohren und kupferrote Haare, die in einem strengen Zopfknoten auf den Hinterkopf gebunden waren.

Aus seinem spitzbübischen Gesichtchen schauten zwei wache, grüne Augen dem Tanz der Lichter und Strahlen zu.

Immer, wenn sich eines der Lichtbänder oder einer der schwingenden Silberfäden in seine Richtung bewegten, nahm es die Bewegung auf und tanzte mit den Bändern und Fäden, schwang sich um sie herum sodass ein ständiges Ineinanderfließen seines Körpers und der Lichtbänder entstand.

Mal hängte es sich an die Fäden, machte eine Rolle rückwärts, mal drehte es Pirouetten um die Bänder herum oder schwebte von einem zum anderen.

Sinja schaute dem Treiben zu. Ihre Augen wurden immer größer.

„Was ist denn das“, flüsterte sie noch einmal und rief es dann laut aus: “Was ist denn das?“

„Du kannst vielleicht dämliche Fragen stellen“, kam es von dem kleinen Wesen zurück.

Erschrocken über die plötzliche Ansprache fuhr Sinja unwillkürlich zusammen.

Für seine Größe hatte das Elfchen nämlich eine ziemlich volle, klare und kraftvolle Stimme, die jedenfalls nicht so piepsig war, wie man aufgrund seiner geringen Körpergröße hätte vermuten können.

„Waaaas üüüst denn daaaaas???“, äffte die Elfe Sinjas Verblüffung nach, legte dabei den Kopf schief und verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Sie gab selbst die Antwort:

„Das ist Emelda, die Tonelfe!“

„Emelda wer?“, fragte Sinja.

„Du müsstest das eigentlich wissen. Du hast uns schließlich selbst gerufen!“

Sinjas Blick füllte sich mit Fragezeichen. Ihr Großhirn tanzte Samba.

„Uns? Redest du immer in der Mehrzahl von dir oder gibt es noch mehr von deiner Sorte?“

„…odär giiibt es noch meeehhhr von doiner Sooorteee????

Es gibt noch mehr von meiner Soooorteee“ krähte die Elfe schnippisch, „natürlich gibt es noch mehr von meiner Sorte, oder meinst du, so was wie ich würde alleine existieren? Du hast drei gerufen, also sind drei gekommen! Hier sind wir! Zu Befehl, euer Gnaden!“

„Ich....., ge...gerufen....?“, stotterte Sinja, „ich habe doch nur ein paar Töne auf der......und was soll der Quatsch mit `euer Gnaden´?“

Weiter kam sie nicht.

„Du darfst dir nichts draus machen!“, wurde sie von einem Gesang unterbrochen, der von etwas weiter oben aus den Lichtbändern zu kommen schien....und tatsächlich...., als Sinja genauer hinsah, entdeckte sie eine zweite Elfe, die sich ebenfalls, wie Emelda, tanzend und flatternd in den Lichtbändern bewegte.

„Fräulein Emmi hat heute miese Laune und ist ziemlich zickig. Der Himmel weiß, warum….und außerdem“, flüsterte Elfe zwei vertraulich und ließ ihren rechten Zeigefinger bedeutungsschwer vor ihrer Stirn kreisen „außerdem gehört ihr das ‚E'! Klingelt da was bei dir?“

Der Zeigefinger tippte an die Stirn.

Natürlich klingelte nichts. Sinja wusste nicht im Mindesten, was sie mit den Worten der Elfe anfangen sollte. Woher auch?

„Das ‚E' spielt bei vielen Instrumenten eine wichtige Rolle. Nimm deine Geige zum Beispiel. Du hast eine E-Saite. Oder eine normale Gitarre. Da hast du sogar zwei davon. Und weil das so ist und weil sie das ‚E‘ ist, meint sie, sie müsste überall die erste Geige spielen und große Töne spucken.

Sie hat manchmal `ne ziemliche Klappe, aber sie ist okay. Du wirst schon noch dahinterkommen. Schließlich werden wir noch einige Zeit miteinander verbringen.“

„Oh, Fräulein A ist beleidigt, weil ich mal wieder als erste da war. Wie wär’s denn mit ein wenig Beeilung beim nächsten Mal?“, gab Emelda pikiert zurück.

„Schon gut, Emmi! Ach ja“, sagte Elfe zwei und wandte sich wieder Sinja zu „ich heiße übrigens Amandra und bin der Kammerton, das A. Im Übrigen auch kein ganz unwichtiger Ton. Immerhin werden die meisten Instrumente nach mir gestimmt.“

Amandra sagte das mit nicht zu überhörendem Stolz in der Stimme und strich sich mit einer ausladenden Geste eine schwere Haarsträne aus der Stirn.

Sie turnte ungefähr fünfunddreißig bis vierzig Zentimeter über Emelda herum und machte dort ihre Kapriolen.

Sie war von ähnlicher Statur wie Elfe eins, hatte allerdings schwarzes Haar, blaue Augen und knallrote Lippen, und sah aus wie eine Miniaturausgabe von Schneewittchen - mit Flügeln. Die Flügel dieser Elfen erinnerten Sinja ein wenig an die Fähnchen von Achtelnoten.

Amandra trug ein dunkelblaues Kleid und elegante modisch-schwarze Schuhe mit Silberschnallen dazu.

Plötzlich hörte Sinja aus einer anderen Ecke langsames, leises Händeklatschen. Es sollte klingen wie hämischer Applaus.

„Bravo, bravo, bravo!“, rief eine Stimme von ganz weit unten aus dem Lichterwirbel dazu.

„Die zwei sind wirklich die Allergrössten unter den Sonnen, aber es gibt auch noch andere, weniger Tolle. Wenn Mandy und das „große EEEEgo“ dann damit fertig sind, sich selbst zu beweihräuchern kann ich mich vielleicht auch gerade vorstellen, wenn wir schon dabei sind. Ich bin Gamanziel und mir gehört das ‚G', der Erdenton. Ich lege im Übrigen viel Wert darauf, dass mein Name richtig ausgesprochen wird, nämlich mit i-ä am Ende und nicht mit langem ie wie Ziel. GA-MAN-ZI-ÄÄÄL. Ich wäre dir sehr dankbar.“

„Noch eine?“

Sinjas fragender Blick wanderte hektisch von einer Elfe zur anderen und wieder zurück.

Gamanziel, die dritte im Bunde hatte braune Haare, die zu zwei seitlichen Pipi- Langstrumpfmässigen Zöpfen gebunden waren, graubraune Augen und die gleiche, seltsame Art von Flügeln.

Sie steckte in einer grünen Latzhose mit gelbem Hemd und braunen Stiefeln und sah aus, als käme sie gerade von der Gartenarbeit.

Sie flatterte in der Nähe des Geigenkörpers herum, in etwa dort, wo die Lichtbögen und –bänder die Geige verließen.

„Emelda, Amandra, Gamanziel? Aha?

Ich berufen? Warum? Wozu?

Viel Zeit miteinander verbringen? Wer mit wem?

Wieso?

Was soll das alles?

Wo kommt ihr her?

Wie komme ich zu euch und ihr zu mir?

Was….was ist das hier?“

Sinja versuchte mühsam, ihre Fassung wiederzugewinnen und hoffte sehr, auf ihr Dutzend Fragen mindestens genauso viele Antworten zu bekommen.

Sie hatte mit einigem gerechnet, als sie eben die Geige in die Hand genommen hatte, vor allem damit, eine entsetzlich langweilige Viertelstunde mit ihrem Instrument zu verbringen, aber sicher nicht mit dem, was in den letzten Minuten hier passiert war.

„Nun, wollen wir unserem armen, verwirrten Kind mal erklären, was hier gerade vor sich geht?“, spielte Emelda auf einmal die Besorgte.

„Ja, ich denke, wir sollten es ihr schnell erzählen. Schließlich hat sie uns gerufen und es wäre doch doof, wenn wir den ganzen langen Weg umsonst gemacht hätten“, antwortete Amandra.

„Aber wir sind doch nicht ihretwegen hier. Das kann doch nur ein Versehen sein. Meint ihr denn wirklich, dass sie das alles kann?

Guckt sie euch doch nur an. Wie hilflos sie dasteht. Ich glaub´ das nicht!

Keine Ahnung warum und wie, aber da muss ein Fehler passiert sein.

Wir sollten so schnell wie möglich hier verschwinden und die Sache auf sich beruhen lassen. Sie wird uns bald vergessen haben“, hörte Sinja die Stimme der Latzhosenelfe.

„Du urteilst ziemlich hart Gamanziel und das steht dir gar nicht gut an“, wies Amandra ihre Freundin barsch zurecht. Die Töne irren sich nicht. Es kann kein Fehler sein.“

„Amandra hat Recht, Gamanziel! Hast du schon jemals erlebt, dass die Töne sich geirrt haben? Ein einziges Mal? Nein! Das hast du nicht! In unserer Situation können wir jede helfende Hand und jede Seele gebrauchen.“

„Hast du das Fräulein denn schon gefragt, ob es uns überhaupt helfen will?“, fragte Gamanziel gereizt zurück, „im Moment steht sie da und starrt mit offenem Mund auf ihre Notenblätter und hat keine Ahnung, was geschieht und warum, obwohl sie es eigentlich wissen müsste.

Also, wie soll das jetzt weitergehen?“

„Sie hat die Töne gespielt und sie hat sie so gespielt, wie man sie spielen muss, sonst wären wir der Melodie nicht gefolgt. Auch du nicht. Das solltest du zugeben!“, sagte Amandra energisch.

„Hmpfhgnkrznfz!“, knarzte Gamanziel verärgert und schüttelte ihren Kopf, dass die Zöpfe von einer Seite auf die andere flogen, "nee, nee, nee - ich bin raus! Macht das von mir aus, aber ohne mich!"

Amandra wurde sauer.

"Du spinnst wohl! Wie soll das ohne dich gehen?"

"Ja, du hast ja recht. Ist mir so rausgerutscht. Tut mir leid!

Aber denk´doch mal nach: der Kristall, der `Unerhörte´, die ganze Tour durch die Berge....und das soll dieses Kind?.... Niemals!.... Das schafft die nicht!"

„Ihr geht mir ganz schön auf den Sender, ihr zwei. So viele miese Schwingungen bin ich von euch beiden gar nicht gewöhnt“, rief Emelda dazwischen, „gut, ich bin auch etwas gestreßt zurzeit.

Das ist aber kein Grund, so schlechte Stimmung zu verbreiten.

Was soll denn unsere Freundin hier von uns denken?

Wenn ihr fertig diskutiert habt, sagt mir Bescheid.

Ich regele den Rest in der Zwischenzeit schon mal mit der jungen Dame hier!“

Damit überließ Emelda die beiden anderen Elfen sich selbst und ihrem Streit.

Sie kam mit schnellen Schlägen ihrer Notenhalsflügel auf das Mädchen zu geflattert.

„Kind, komm zu Mama und lausche!“, rief das winzige Wesen Sinja großspurig zu. Die war immer noch mehr als verwirrt.

Sie hatte zwar schon einiges gehört über Feen und Elfen, magische Reiche, in denen sonderbare Dinge geschehen, hatte allerdings nie so recht gewusst, ob sie glauben sollte, was sie gelesen hatte oder ob das nur Erfindungen von Schriftstellern waren.

Mit dem Weihnachtsmann war es ja auch nicht optimal gelaufen.

Eigentlich hatte sie immer daran geglaubt, dass es ihn gibt.

Wer sollte schließlich die Teller mit Äpfeln und Nüssen füllen, die ganzen leckeren Süßigkeiten bringen und die Geschenke unter den Weihnachtsbaum legen? Und außerdem hatten ihre Eltern ihr das schließlich so erzählt.

Also würde es sicher seine Richtigkeit haben.

Das ging so bis eines schönen Tages auf einer Autofahrt, Sinja war gerade sieben Jahre alt, ihre um drei Jahre ältere Schwester Marie sie spöttisch fragte:

“Hihi, du glaubst noch an den Weihnachtsmann? Das weiß doch jeder, dass es den nicht gibt. Die Geschenke legen Mama und Papa unter den Baum. Ich hab‘ beim letzten Mal durchs Schlüsselloch geguckt und alles gesehen!“

Das war Sinja so peinlich gewesen, dass sie von diesem Tag an nicht mehr mit anderen über den Weihnachtsmann sprach.

Offiziell war der erledigt.

Schließlich wollte sie nicht für albern oder kindisch gehalten werden.

Aber in ihrer Seele sah es ganz anders aus.

Wenn sie nur genau in sich hinein hörte, war da eine leise Stimme, die wünschte, es gäbe ihn doch.

Ähnlich war es ihr mit den magischen Wesen aus den Büchern gegangen.

Sie hatte diese Bücher verschlungen, seitdem sie die ersten Sätze lesen konnte.

Ihr Verstand hielt all diese Zauberer und Einhörner, diese Trolle und Zwerge, Feen, Elfen und Gnome und was sich sonst noch alles auf und zwischen den Seiten ihrer Bücher tummelte, für Erfindungen der Bücherschreiber.

Aber die Geschichten hatten sie dennoch immer fasziniert und wenn sie mit offenen Sinnen durch den Wald lief, bei einem der vielen Sonntagsspaziergänge mit ihren Eltern zum Beispiel oder während einer Wanderung mit der Schulklasse, dann konnte sie die Wesen ganz deutlich sehen und hören.

Sie schwirrten und flatterten überall durch die Luft. Sie hingen in den Ästen der Bäume und auf Blättern. Sie versteckten sich hinter Felsen und Rinde und im Farnkraut und neckten und erschreckten gelegentlich alle, auch und vor allem gerade die, die nicht an sie glaubten und sie daher nicht sehen konnten.

Sinja redete nicht mehr mit anderen Menschen darüber, weder mit ihren Eltern noch mit ihren Freundinnen und schon gar nicht mit ihrer Schwester.

Sie wollte nie wieder wegen solcher Dinge ausgelacht oder verspottet werden oder in peinliche Situationen kommen.

Und jetzt schwirrten diese Wesen vor ihrer Nase herum, angeblich, weil sie von ihr gerufen worden waren und erzählten absurdes Zeug und stritten miteinander und nervten ganz furchtbar.

„Ich habe niemanden gerufen und ich höre auch niemandem zu und überhaupt könnt ihr eure Geschichten erzählen, wem ihr wollt“, sagte sie trotzig.

„Ich weiß nicht, ob ich das hören will! Nein, ich bin sogar sicher, dass ich es nicht hören will!“

In ihr kämpfte die Vorsicht mit der Neugier.

Einerseits wollte sie schon wissen, was das Ganze zu bedeuten hatte, das ihr da gerade wiederfuhr, andererseits fürchtete sie sich vor den ungewöhnlichen Erscheinungen.

Lesen war das eine, aber diese seltsamen Wesen dann im eigenen Wohnzimmer zu haben, das war etwas ganz Anderes.

Außerdem wusste sie nicht, was die Elfen mit ihr vorhatten.

„Also noch mal: ich habe euch nicht gerufen. Verschwindet jetzt und lasst mich in Ruhe weiterüben!“

„Meine Liebe!“, kiekste Emelda, halb sauer, halb belustigt, „da muß ich aber mal kräftig lachen - hahaha!

Wenn ich mich recht erinnere, hast du vorhin ein ziemliches Theater veranstaltet, um nicht üben zu müssen.

Das kommt übrigens, wenn ich mir diese Bemerkung mal erlauben darf, in letzter Zeit ziemlich häufig vor...."

"Verdammt, woher weiß die das?", fragte sich Sinja.

".....und jetzt hast du plötzlich nichts Wichtigeres vor, als Geige zu üben, nur um uns drei schnellstmöglich wieder loszuwerden und deine Ruhe zu haben?

Vergiss es!

Ich will dir mal was sagen:

Du hast die Hosen voll? Okay! Völlig normal! Geschenkt!

Deine Angst ist berechtigt und du wirst bald erfahren, warum.

Es steht dir einiges bevor! Du wirst uns nämlich begleiten.

Wir brauchen dich! Es ist dringend! Es geht um Leben und Tod!“

„Ich muss was....? Wie?... Wofür...? Wohin? Was erzählst du da? Ihr platzt hier einfach rein und….was habt ihr vor? Wollt ihr mich entführen? Das ist ja wohl die Höhe! Ich will gar nicht, dass mir irgendwas bevorsteht!“, rief Sinja, „und ich will auch nirgendwo hin. Was ist denn das für ein wirrer Beitrag?“

Doch Emelda fuhr ungerührt fort:

„Ich hatte dich für etwas mutiger gehalten…. und etwas neugieriger auch, aber egal. Im Moment zählt Folgendes: du hast die drei Noten E – G – A gespielt und du hast sie so gespielt, wie sie die Berufenen spielen, sauber, klar und rein und deswegen sind wir gekommen. Punkt!

E wie Emelda. G wie Gamanziel und A wie Amandra!

Du hast die Schwingungen gesehen?

Die Lichtbänder und Glitzerfäden, an denen wir hängen?

Du hast sie erzeugt mit deiner Geige. Wir werden von den Fäden in die Menschenwelt gezogen und wir irren uns nicht. Wir können uns gar nicht irren. Das steht nicht in unserer Macht. Du spielst, wir kommen. So funktioniert das, ob uns das gefällt oder nicht.

Lass´ die zwei das ruhig noch eine Weile diskutieren."

Sie deutete mit dem Kopf auf Amandra und Gamanziel, die immer noch heftig stritten.

"Wenn jemand so spielt wie du, dann erscheinen wir. Das läuft von ganz alleine ab, ohne unser Zutun.“

Emeldas Schilderung war so eindringlich, dass Sinja zuhören musste, obwohl sich ein Teil ihrer Seele immer noch dagegen wehrte.

Sie legte ihre Stirn in Falten.

„Hmmm, was würde eigentlich passieren, wenn ich ein C spiele?“ fragte Sinja.

„Aha, sie wird neugierig“, dachte Emelda erfreut und sagte: „Dann erscheint Cichianon, das C, der Grund und den willst du sehen, glaub´ mir!“

Die Elfe lächelte verschmitzt.

„Und D?“

„Doriando, das D, der Ton des Sieges. Unser bester Kämpfer. Muskeln wo du hinguckst. Ein Bild von einem Kerl.“

“Und F?”

“Ferendiano, das F, der Ton der Heiterkeit. Das sind unsere Jungs.“

„Seid ihr alle Paare?“

„Nein“, antwortete Emelda, „wo denkst du hin? Wir Elfen paaren uns erst sehr spät im Leben. Die ersten zwei- dreihundert Jahre, wie ihr Menschen das nennt, haben wir viel zuviel zu tun und sind auch viel zu unruhig um uns um feste Beziehungen zu kümmern.

Das heißt natürlich nicht, dass wir Mädels nicht nach den Jungs gucken und umgekehrt, aber sie sind eher unsere Brüder als unsere Geliebten.

Und: jeder von uns hat natürlich seinen eigenen Ton für den er verantwortlich ist und auf den er oder sie achten muß.“

Plötzlich schlug Emelda aufgeregt mit den Flügeln und kam schnell näher.

Sie winkte Sinja mit dem Zeigefinger zu sich heran.

„Hast du schon einmal die sechste Symphonie von Ludwig van Beethoven gehört?“, flüsterte sie verschwörerisch.

“Nein? Das solltest du unbedingt! Das `Erwachen heiterer Gefühle bei der Ankunft auf dem Lande´?

Nein? Oder…. `Das lustige Zusammensein der Landleute´.

Das ist F...., die Freude...., die Heiterkeit.

Hör´s dir mal an, wunderbare Musik - aber wenn du dann unseren Ferendiano dazu siehst, dann glaubst du nicht, dass er das F ist und.....ach, egal, er ist einfach manchmal ein bisschen daneben.....aber das wirst du noch….mein Gott, wir werden jetzt hier nicht die ganze Tonleiter durchgehen, oder?", wurde sie wieder laut.

"Du wirst sie schon noch alle kennenlernen, wir haben nämlich noch eine Verabredung und es wäre besser, wenn wir dich bald darauf vorbereiten könnten.“

Sie schaute noch einmal zu Amandra und Gamanziel hinüber und rief den beiden zu:

„Mädels! Ich glaube, sie ist soweit. Die Spiegelnummer?“, turnte eine Rolle rückwärts an einem besonders schönen und starken Lichtbogen und verschwand mit einem Schwung aus Sinjas Blickfeld.

„Schon wieder der Spiegel? Muss das sein?, maulte Gamanziel.

„Na ja“, antwortete Amandra, „ich denke hier geht nichts anderes.“

„Na gut, dann halt der Spiegel!“

Sinja und die Zaubergeige

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