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»Das war eine Sitzung!« Renate seufzte selig. Ihre Kaffeetasse hielt sie auf Höhe ihres Mundes, wodurch ihr Kopf zur Hälfte verdeckt wurde. Sie sog genussvoll das Aroma ein.

Kurt-Otto sah sich noch nicht in der Lage, ein abschließendes Urteil zu fällen. In seinem Kopf dröhnten noch immer die tiefen Bassschläge der Nacht. Sein Magen rumorte unwillig. Er hatte Kopfschmerzen, und ihm war schlecht. Die wenigen Stunden, die nach ihrer Rückkehr im Morgengrauen von der Nacht übrig geblieben waren, hatte er nicht selig verschlafen können, sondern mit Sodbrennen wach gelegen. Sauer sprudelnd hatte sich die Magensäure den Weg nach oben gebahnt. Nicht einmal die beiden dicken Daunenkopfkissen, die er sich aus dem Gästezimmer geholt hatte, um die Fließrichtung des Mageninhalts wieder der Schwerkraft anzupassen, hatten sein Leid lindern können.

Nachdem sie Eugen Werum notdürftig verarztet und der Obhut der herbeigerufenen Sanitäter übergeben hatten, war der Abend vollends aus dem Ruder gelaufen. Renate hatte einfach nicht nach Hause gewollt, weshalb Kurt-Otto sich schließlich in sein Schicksal fügte und beschloss, sich nicht mehr in die hinterste Ecke des Foyers zu zwängen. Das war sein Fehler gewesen. Wie lange und wie oft hatte Hans Menges immer wieder das gleiche Gezeter von sich gegeben? Das war alles nur mit süßem Morio-Muskat-Sekt zu ertragen gewesen. »Winternheimer, das Schwein! Der Verbrecher! Mir hätte er fast die Frau weggenommen! Den Schädel schlage ich ihm ein, wenn er es noch einmal versucht. Ehefrauen gehören nicht auf eine Fassenachtssitzung. Viel zu gefährlich! Nur unter Aufsicht. Oder gleich daheim lassen, wie bei mir.«

Den Rest seines Monologs hatte Kurt-Otto erfolgreich im Sekt ertränkt und mittlerweile weitgehend vergessen. Menges hatte auch dann noch weiter vor sich hin geplappert, als ihm längst schon keiner mehr zuhörte.

Ein spitzer Schmerz fuhr Kurt-Otto in den Schädel und signalisierte, dass die bloße Erinnerung daran tunlichst zu vermeiden war. Es wollte ihm aber nicht gelingen. Er stöhnte vernehmbar.

Renate lächelte versonnen und trank schlürfend ihren heißen Milchkaffee.

Ein halbes Dutzend Winzerkollegen hatte sich nach und nach zu ihnen gesellt. »Auf einen Secco mit der Edelfäule!« Berthold Baumann, Gustav Eifinger aus Stadecken und Klaus Dörrhof waren auch dabei gewesen. Da Klaus der Pächter eines nicht unbedeutenden Teiles seiner Weinberge war, schien er sich bemüßigt zu fühlen, eine Flasche nach der anderen seines wirklich guten Perlweins zu ordern, den sie hier im Ausschank hatten. Dass sie ihn den Rest der Nacht alle nur noch mit »Kurt-Botrytis-Cinerea Hattemer« anredeten, hatte er wacker zu überhören versucht. Immerhin besser, als wenn sie ihn Graufäule genannt hätten.

Ob sich Renate jemals Gedanken darüber machte, wie hartnäckig sich ein aus der Weinlaune eines Fassenachtsabends geborener Spitzname halten konnte? Manche Bewohner ihres Dorfes trugen bis heute die Beinamen längst verstorbener Vorfahren. Sie konnten tun und lassen, was sie wollten, die mitunter bösen und herabwürdigenden Uznamen wurden sie nicht wieder los. Wollte seine Frau denn wirklich mit einem Winzer im Ruhestand zusammenleben, den alle im Dorf nur noch »den Grauschimmel« nannten?

Ganz vorsichtig, um jede Erschütterung zu vermeiden, griff er nach seiner Kaffeetasse und überprüfte, ob Renate schon Kondensmilch hineingegossen hatte. Er wollte die Auswirkungen der Nahrungsmittel auf seinen grollenden Magen nach und nach testen, um zur Not kurzfristig reagieren zu können. Keine unkalkulierbaren Mischungen. Vorsichtig nahm er einen kleinen Schluck in den Mund und ließ ihn auf der Zunge kreisen. Sein Magen verlautbarte halbwegs versöhnliche Töne. Das Problem war lediglich sein Schädel.

»Dass du aber auch nie nach Hause willst!«, sagte er leidend. Seine Stimme klang heiser.

Renate sah ihn leicht amüsiert an, bevor sie antwortete. »Soll ich lachen?« Sie verzog das Gesicht in gespielter Empörung. »Wer von uns beiden hat sich denn um kurz vor vier widerstrebend an der Theke der Sektbar festgehalten und mich genötigt, noch zwei Secco mit ihm zu trinken?« Sie hob ihre Kaffeetasse und wollte mit ihm anstoßen. »Zum Wohl! Auf den Blauschimmel!« Sie hielt kurz inne, als würde sie nachdenken. »Oder war es der Äscherich?«

Kurt-Otto zuckte zusammen. Die Erinnerung schmerzte. Er hatte wieder Menges’ lallende Stimme im Ohr: »Alles Scheiße, alles Mist, wenn du nicht besoffen bist.« Stöhnend fasste er sich an die Stirn. »Bitte hör auf damit.«

»Einen einzigen Luftballon hast du über die Nacht gerettet. Alle anderen waren weg oder geplatzt, und deine neue Wintermütze ist auch verschwunden. Deswegen hatten wir bei der Preisvergabe keine Chance! An mir lag es nicht. Bei mir hat mehr als die Hälfte überlebt. Weißt du noch, wo du die Mütze ausgezogen hast? Dann kann ich nachher zur Sporthalle fahren und sie suchen.« Renate stellte die Tasse vor sich ab. »Die war wirklich schön und nicht billig. Ich wollte die Plastiktrauben wieder abtrennen und sie dir zu deinen Arbeitsklamotten legen. Im nächsten Januar hättest du sie beim Rebschnitt tragen können.«

Kurt-Otto versuchte zu ergründen, ob sie das wirklich ernst meinte. Ihr Gesichtsausdruck gab ihm keine eindeutige Antwort. Er würde alles tun, nur nicht mit einer leuchtend grünen Wollmütze im Frühjahr im Teufelspfad Reben schneiden. Kahle Hänge, keine Blätter, grauer Hintergrund. Diese Kopfbedeckung würde ihn auf Kilometer erkennbar machen. Der nächste Spitzname, der womöglich von Dauer sein könnte, fiel ihm ein: die grüne Steuerbordboje im Südhang. Nein danke, darauf konnte er gut verzichten, zumal er nicht wusste, wann und wo im Weit der närrischen Höhle er die Krönung seiner Verkleidung abgenommen hatte. Er hoffte inständig, dass sie längst im großen Abfallcontainer hinter der Halle gelandet war und der thermischen Verwertung im Mainzer Müllheizkraftwerk zugeführt wurde. Wobei das nicht zwangsläufig geschehen musste. Elfriede Kappel leitete wie ein General den für die Reinigung der Halle zuständigen Ordnungstrupp des Fassenachtsvereins, dem neben einigen älteren Damen als einziger Mann Elfriedes Gatte angehörte, der ebenso widerstandslos wie alle anderen ihre barschen Befehle entgegennahm. Sie hegte eine gewisse Freude daran, verloren gegangene Kleidungsstücke und Accessoires ihren Eigentümern zurückzubringen. Garniert mit spitzen Bemerkungen, wo und unter welchen Umständen sie sich des Flachmanns mit Monogramm, des Büstenhalters oder des Strumpfbands wohl entledigt hatten. Sämtliche Versuche, die großflächige Verbreitung solchen Detailwissens zu unterbinden, waren in der Vergangenheit gescheitert. Am besten würde er sich nachher, wenn der größte Teil seines Restalkohols abgebaut und die Fahrtüchtigkeit wiederhergestellt war, selbst mit seinem Traktor in Bewegung setzen und für die vollständige und unwiederbringliche Eliminierung seiner Kopfbedeckung sorgen. Es war allerdings noch nicht absehbar, wann und gegebenenfalls ob dieser Zustand überhaupt jemals wieder erreicht sein würde. »Jetzt ist es aber auch gut mit der Feierei. Zum Glück ist Fassenacht erst wieder in einem Jahr.«

Renate reckte sich in die Höhe und blickte ihn entgeistert an. »Das ist nicht dein Ernst. Du kennst unser Programm, und du weißt, wie sehr ich diese Tage liebe und die Tradition unterstützen will!«

Kurt-Otto sank in sich zusammen. Zum Glück ersparte sie ihm die Aufzählung der Höhepunkte bis zum Aschermittwoch. Der Auftakt war mit der gestrigen großen Sitzung im eigenen Dorf vollbracht. Es folgte eine dringend nötige Phase der Ruhe und Regeneration, bevor es am kommenden Donnerstag mit der Altweiberfassenacht weiterging. Renate verschwand an diesem Tag schon frühmorgens, um direkt nach dem Unterricht mit einem Pulk überdrehter Kolleginnen das Nieder-Olmer Gymnasium in Richtung Mainzer Domplatz zu verlassen. Da der Direktor ihrer Schule dem Komitee eines der größten Fassenachtsvereine der Landeshauptstadt angehörte, gewährte er seinem Kollegium stets freigiebig Sonderurlaub, den die Damen nur zu gerne zum gemeinschaftlichen Feiern nutzten. Ein zusätzlicher Tag der Erholung für Kurt-Otto, bevor der Wahnsinn nicht mehr aufzuhalten war.

Die Fassenachtsposse im Staatstheater, der Ball der Prinzengarde in der Rheingoldhalle, die Prunkfremdensitzung im Schloss und mindestens zwei Umzüge in den umliegenden Ortschaften waren sein von Renate eingeforderter Mindestbeitrag zum Erhalt des lokalen Brauchtums, das, so wurde sie nicht müde zu betonen, davon lebte, dass sich die Einheimischen beteiligten. Ansonsten überließ man Frohsinn und Narretei den Zugereisten und Touristen, die gern herkommen durften, sich aber den örtlichen Traditionen zu fügen hatten.

»Marion ist nicht mal geblieben, bis ihr Mann dran war.« Renate blickte ihn an.

Kurt-Otto versuchte, Ordnung in seinen dröhnenden Schädel zu bringen. Das wollte nicht gelingen. »Wie?«

Renate verdrehte die Augen. »Winternheimer, unser Till, dein Kollege? Warst du gestern nicht auch mit dabei?« Sie lächelte amüsiert. Als sie weitersprach, passte sie ihre Lautstärke und die Geschwindigkeit ihrer Worte seinem lädierten Zustand an. »Die gesamte Familie Winternheimer muss mit, um ihn zu sehen. Seine Frau, die Zwillinge und seine Eltern. Manch einem Familienmitglied ist dabei deutlich anzusehen, dass er oder sie alles schnellstmöglich hinter sich bringen möchte. Marion ist jedes Jahr sofort nach dem Finale weg, wie du weißt.« Renate schnaufte verächtlich. »Verständlicherweise. Keine Ehefrau sieht gerne dabei zu, wie ihr Mann danach jede angrapscht, die nicht bei drei auf dem Baum ist. Ein Wunder, dass sie das überhaupt aushält.«

»Woher weißt du, dass sie diesmal früher gegangen ist?«

»Uschi Reifenberger hat es mir erzählt. Die sitzen doch immer mit Winternheimers zusammen am Tisch, ganz vorne in der Mitte, wo auch Dr. Jennewein sitzt. Die Prominenz. Das ist im Kleinen wie im Großen so.«

»Das habe ich nicht mitbekommen.«

»Natürlich nicht, so etwas entgeht euch Männern. Marion ist noch vor der Pause raus. Davor hatte sie eine Nachricht auf ihr Handy bekommen. Die hat sie anscheinend nervös gemacht. Sie hat sich immer wieder umgesehen und ist dann weg und nicht wieder zurückgekommen. Uschi hat Daniel später gefragt, was los war. Du weißt ja, wie neugierig sie ist. Aber Winternheimers Sohn wusste von nichts.« Renate griff nach einem der Körnerbrötchen. Zur Feier des Tages schien sie heute auf ihr Quellmüsli zu verzichten.

Mit der Aufnahme fester Nahrung wollte Kurt-Otto sich jetzt lieber noch nicht beschäftigen, auch wenn sein Magen fordernde Geräusche von sich gab. »Vielleicht ist ihr schlecht geworden. Der Dunst im Saal. Es war schon ziemlich stickig und eng.«

»Das glaube ich nicht. Dann wäre sie kurz raus an die frische Luft und wieder reingekommen. Stattdessen hat sie den Vortrag ihres Mannes verpasst.«

Kurt-Otto unternahm einen vorsichtigen Versuch, sich daran zu erinnern, ob er Marion Winternheimer bei der Sitzung am gestrigen Abend überhaupt gesehen hatte. Ihren Sohn Daniel später schon, seine Zwillingsschwester Laura auch. Beide waren sie nach dem Abschluss des Weinbaustudiums in Neustadt im vergangenen Jahr in den Betrieb des Vaters eingestiegen und wirbelten dort mächtig Staub auf. Von großen Um- und Ausbauten war die Rede, obwohl das Gehöft der Winternheimers unten an der Selz so schon kaum Wünsche übrig ließ. Es war ein stattliches Weingut, dem man ansehen konnte, dass schon Georg Winternheimers Vater und Großvater erfolgreich Wein gemacht und diesen noch erfolgreicher verkauft hatten.

Winternheimer selbst, der gestern unter dem Jubel der vom Wein und seiner Darbietung berauschten Menge den SEXIT samt Anschluss des Selztales an das Königreich England proklamiert hatte, verantwortete die geräumige und mit weitverzweigten unterirdischen Kellern versehene Aussiedlung seit den Achtzigern und hatte das Gut vor knapp zwanzig Jahren zudem um eine feine Vinothek und einen Restaurantbetrieb erweitert. Die Gastronomie, die direkt am Fluss lag, hatte er von Anfang an verpachtet. Nicht immer erfolgreich. Verschiedene Köche hatten sich daran probiert, die meisten waren gescheitert. Nicht wenige im Dorf schrieben die Schuld daran Georg Winternheimer und seinem aufbrausenden Gemüt zu. Kaum ein Gastronom schien es länger als ein Jahr mit ihm auszuhalten.

Daniel und Laura hatten zusammen mit den anderen jüngeren Sitzungsbesuchern die Tanzfläche im Foyer unsicher gemacht. Sie schienen mit einer Gruppe unterwegs gewesen zu sein, zu der auch Johanna Menges gehörte, obwohl die ein paar Jahre jünger als die Zwillinge war und gerade erst mit dem Studium begonnen hatte. Kurt-Otto musste schmunzeln, weil er jetzt endlich wieder farbige Bilder vor Augen hatte. Und sie schmerzten nicht. Er befand sich auf dem Weg der Besserung.

Daniel Winternheimer hatte sich ganz besonders aufmerksam um Johanna Menges gekümmert. Kurt-Otto glaubte sich zu erinnern, die beiden über den Abend hinweg mehrmals zusammen gesehen zu haben. Eine gute Partie, aus der Ferne betrachtet, wenn es nicht den Streit zwischen den Vätern gäbe. Es wäre allerdings nicht der erste langjährige Zwist, der durch die Aussicht auf eine reiche Mitgift sein Ende fände. Er nickte anerkennend und musste grinsen. Nicht umsonst hieß es: »Drum prüfe, was sich ewig bindet, dass Hektar zu Hektar findet.« Wenn es so weiterging, gab es bald nur noch ein einziges Weingut im Dorf. Menges, Winternheimer und Dörrhof. Jochen Dörrhof, der vor drei Jahren in den Zehnthof seines Vaters eingestiegen war, wurde stets und ständig mit Daniels Schwester Laura in Verbindung gebracht. Der gestrige Abend hatte dieses Gerücht aber nicht bestätigen können.

Sein Blick wanderte zurück zu Renate, die ihm gegenübersaß und auf ihrem Brötchen kaute. Sie hatte es üppig mit dem selbst gemachten Quittengelee bestrichen. Ihrem Gesichtsausdruck nach schien dieser Samstag ganz nach ihrem Geschmack zu sein. Sie spülte den Bissen mit einem Schluck Milchkaffee hinunter. »Oder gibt es dafür eine ganz andere Erklärung?« Sie blickte ihn vielsagend an und wartete auf seine Reaktion.

»Was meinst du?« Kurt-Otto wusste nicht, worauf sie hinauswollte.

»Uschi hat so was angedeutet. Sie war da schon nicht mehr ganz nüchtern, daher habe ich anfangs gar nicht kapiert, was das sollte. Erst als der Winternheimer den Werum niedergeschlagen hatte, erinnerte ich mich wieder daran.«

»Spann mich nicht so auf die Folter. Was ist los?«

Renate lächelte, sichtlich erfreut darüber, dass sie von einer Neuigkeit Kenntnis hatte, von der er noch nichts wusste. Das kam äußerst selten vor. Entsprechend lange kostete sie es nun aus. Zum weiteren Spannungsaufbau nahm sie noch einen Schluck von ihrem Milchkaffee und sagte dann: »Sie sitzt auf gepackten Koffern!«

»Wie? Um diese Jahreszeit?«

Renate seufzte. »Marion möchte nicht in den Urlaub, sondern ganz weg. Ein für alle Mal, und das ist mehr als verständlich, bei dem, was er ihr in den letzten Jahren angetan hat.« Entschlossen biss sie in ihr Geleebrötchen.

»Das weiß Uschi alles?« Er schüttelte ungläubig den Kopf. »Und hat es dir im Vollrausch erzählt?« Er wollte abwinken, verzichtete aber darauf, weil er sich nicht sicher war, ob ihm sein angeschlagener Schädel die abrupte Bewegung nachsehen würde. »Nach über zwanzig Jahren Ehe?« Stattdessen nahm er einen kräftigen Schluck vom schwarzen Kaffee.

»Fünfundzwanzig Jahre, um genau zu sein. Die Zwillinge sind bald nach der Hochzeit auf die Welt gekommen. Im Januar haben sie ihren vierundzwanzigsten Geburtstag gefeiert, im Sommer wäre Silberhochzeit.«

Renate und die meisten anderen Frauen aus dem Dorf trafen sich zweimal im Monat bei den Landfrauen. Daher war sie über fast jedes familiäre Ereignis stets bestens im Bilde. Geburtstage, Hochzeiten, Geburten und Trauerfälle wurden meist in aller Ausführlichkeit bei einem Gläschen Perlwein diskutiert.

Kurt-Otto stellte seine Tasse neben das Frühstücksbrettchen. »Das wird teuer für den Winternheimer.« Er langte jetzt doch nach einem Brötchen, entschied sich aber gegen die Dosenbratwurst, die er sonst am Morgen verzehrte. Sie passte besser auf eine Scheibe Brot, und außerdem wollte er seinen sich gerade erholenden Magen nicht überfordern. Kein Gallert, kein weißes Fett, lediglich ein Hauch Butter, das gebot sein angeschlagener Zustand. Der Hunger würde von ganz allein wiederkommen. Spätestens zum Mittagessen wäre er wieder ganz der Alte.

»Du denkst auch immer nur an das eine.«

»Ganz bestimmt nicht!« Er reckte sich trotzig in die Höhe. »Im Unterschied zu allen meinen Winzerkollegen habe ich eine Geschichtslehrerin geheiratet, die nicht einen Quadratmeter Weinbergsgelände oder einen Acker mit in die Ehe gebracht hat. Damals haben sie über mich gelacht, heute klopfen sie mir nach dem dritten Schoppen auf die Schulter und loben meine Weitsicht. Meine Frau hat immerhin eine schöne Beamtenpension.«

Renate verdrehte genervt die Augen. »Schon gut, ich nehme es zurück.«

Kurt-Otto war mit den Gedanken schon wieder bei dem Gerücht, Winternheimers Frau könnte ihn verlassen wollen. Und womöglich die Scheidung einreichen. »Das Weingut vom Winternheimer läuft seit Jahrzehnten hervorragend. Allein in den letzten beiden Jahren hat er fünf Hektar in den besten Lagen dazugekauft, nicht nur hier im Dorf. Wenn das wirklich stimmt und Marion Ernst macht, können sie sich den geplanten Neubau abschminken. Wenn das überhaupt reicht. Sie wird jedenfalls kaum auf alles verzichten wollen.«

Winzerschuld

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