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20. Tu es!

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Die Schattenfrau materialisierte in ihrem Domizil. Die Glasphiole mit dem Contego Maxima wurde warm auf ihrer Haut, wand sich, wollte fort. Sie verstaute das Gefäß, dann atmete sie durch.

Es war ihr schwergefallen, die beiden nicht zu töten. So lange hatte sie auf den Moment ihrer Rache gewartet, und gerade jetzt, wo sich alles dem Ende zuneigte, wurde sie ungeduldig. Das war eine Schwäche, die sie niemals wieder zulassen durfte. Perfekte Planung, exakte Ausführung und dann: Macht, Zerstörung, Chaos.

Rache!

Ihre Gedanken wanderten zurück in die Vergangenheit. Sie hatte so viele Leben gelebt, dass sie nicht einmal mehr wusste, ob die Unsterblichkeit ein Segen oder ein Fluch war. Vermutlich beides. Zuerst hatte sie es verdammt, später den Nutzen realisiert.

Doch sie gab sich keiner Illusion hin. Spätestens jetzt begann die Jagd. Die Lichtkämpfer würden alles daran setzen, sie aufzuspüren, ihre Identität zu enthüllen und sie in den Immortalis-Kerker zu werfen. Nicht, dass sie eine Chance auf Erfolg hatten, aber sie würden auf Spuren stoßen, das war ein Fakt.

»Es ist an der Zeit«, murmelte sie. Der Gedanke löste ein Gefühl der Beklemmung in ihr aus. Der Befehl war nur folgerichtig, doch danach gab es kein Zurück mehr. Niemals.

Sie trat an den Spiegel.

Er war größer als sie selbst und breit. Der Rahmen bestand aus eisengeschmiedeten Glyphen. Sie berührte eine davon, die sofort aufglomm.

Nun musste sie warten.

Wo im Castillo der Wechselbalg auch war, er spürte ihren Ruf. Doch Sicherheit ging vor. Er musste sich zurückziehen, ohne Aufmerksamkeit zu erregen. Dann den geheimen Raum betreten, von dem kein Lichtkämpfer etwas ahnte. Das würde sich bald ändern.

Endlich kräuselte sich die Spiegelfläche.

Ihr eigenes verhülltes Antlitz wurde nicht länger zurückgeworfen. Stattdessen starrte ihr einer ihrer Feinde entgegen. Natürlich konnte er jeden von ihnen imitieren, doch einstweilen hielt er diese eine Form aufrecht, kopierte nur diese Person.

Sie lag direkt hinter ihm, in dem kleinen Raum. Schmiedeeiserne Ketten hielten sie an der Wand. Die Kleidung bestand nur noch aus Lumpen, das Haar hing fettig und zottig herab. Blutkrusten bedeckten die sichtbaren Stellen der Haut, wo der Wechselbalg sich bedient hatte.

»Berichte mir«, forderte sie.

Die Kreatur kicherte. »Sie werden immer paranoider. Angst geht um. Sie hegen den Verdacht, dass es einen Verräter gibt.«

Das deckte sich mit dem, was sie bereits wusste. Sie nickte fragend in die Richtung des Bündels im Hintergrund.

»Zwischen Leben und Tod. Eher Letzteres.« Wieder ein Kichern.

Es gab zwei Gründe, weshalb der Lichtkämpfer unbedingt am Leben bleiben musste. Zum einen würde sein Tod das Aurafeuer auslösen und damit alles verraten. Zum anderen benötigte der Wechselbalg immer wieder ein wenig Blut von ihm, um nicht nur die äußere Hülle zu imitieren, sondern auch das Wesen und die Erinnerungen.

Einzig die ältesten dieser Kreaturen konnten tatsächlich eine so vollständige Kopie aus sich selbst heraus erschaffen, dass sie Phasen einleiten konnten, in denen sie selbst glaubten, die kopierte Person zu sein. Nicht einmal ein Wahrheitszauber vermochte es dann, die falsche Identität zu enthüllen. Perfekt für eine Infiltration.

»Ich hatte soeben eine kleine Konfrontation mit Jennifer und Alexander. Die Jagd beginnt nun erst richtig. Sowohl auf mich als auch auf den Verräter, also dich.«

»Verstanden.«

»Es wird Zeit, dass du ein wenig Chaos auslöst. Für die nächste Phase müssen sie abgelenkt sein«, erklärte die Schattenfrau. »Sie sollen unter Verfolgungswahn leiden, sich gegenseitig verdächtigen, eine Hexenjagd beginnen. Doch sei vorsichtig, sie dürfen auf keinen Fall zu früh erkennen, wer du bist.«

Der Wechselbalg nickte eifrig. Seine menschliche Haut nahm einen ledrig-grauen Ton an, hier und da verlor er die Form. »Es ist alles vorbereitet.« Er verschwand aus dem Zentrum des Spiegels, kehrte mit einem gebogenen Dolch zurück. »Es ist mir gelungen«, verkündete er stolz.

Sie betrachtete die Sigilklinge. Nach dem Kampf gegen Huan und den Bund des Sehenden Auges war das zerstörerische Artefakt in die verbotenen Katakomben gebracht worden. Von dort hatte der Wechselbalg sie geholt. Wurde ein Magier mit einer solchen Klinge getötet, konnte das Sigil nicht mehr neu entstehen. Es wurde zu reiner Energie und verging, kein Erbe entstand.

Das bedeutete natürlich auch, dass – um das ewige Gleichgewicht zu erhalten – einer der Schattenkrieger starb. Ihr persönlich war das völlig egal. Der Graf von Saint Germain und seine vertrottelten Helfer würden aber zweifellos ausrasten. Allen voran Dschingis Khan, der so leicht in Rage zu versetzen war. Sie würde das Ganze einfach dem Bund in die Schuhe schieben, worauf der Unsterbliche einen gnadenlosen Rachefeldzug beginnen würde. Es war so simpel.

»Ausgezeichnet.« Dann sprach sie die Worte, die alles verändern würden. Kein Zurück mehr, kein Warten. Alles oder nichts. »Tu es! Töte einen der Lichtkämpfer.«

Das Erbe der Macht - Die komplette Schattenchronik

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