Читать книгу Das Erbe der Macht - Die komplette Schattenchronik - Andreas Suchanek - Страница 50
21. Wer ist der Verräter?
Оглавление»Er hat euch einfach gehen lassen?«, fragte Max ungläubig. Sein Blick huschte von Clara zu Chloe und wieder zurück. »Keine Strafe? Ihr müsst nicht mal die Vorlesung von Ingenieursmagie besuchen?«
»Das muss dafür ich«, warf Chris frostig ein. »Weil er genervt war. So viel zu einem Ablenkungsmanöver.«
Sie waren im Turmzimmer zusammengekommen, nachdem Leonardo die beiden Frauen zuerst mehrere Minuten lang angebrüllt und anschließend aus seinem Büro geworfen hatte.
Max saß im Schneidersitz neben Kevin und kaute gedankenverloren auf seinem Kaugummi herum. »Ich habe ihn immer für ein wenig ruppig gehalten, aber scheinbar ist er ja ganz nett.«
»Haha. Du bist ein ewiger Optimist.« Chloe kam doch tatsächlich zu ihm, kniff ihn in seine Wange und kehrte zurück zu ihrem Platz, dem Schreibtisch, auf dessen Kante sie sich niederließ. »Aber ernsthaft, er war verdammt sauer. Wir konnten gerade noch sagen … Verräter … Suche … Angst.«
Clara saß im Sessel, kaute auf ihrer Unterlippe und wirkte, als habe sie soeben ein Todesurteil erhalten. »Ich war immer die Beste. In den Vorlesungen. In Recherche. Im Kampf. Aber jetzt habe ich gegen Regeln verstoßen.«
»Oh, oh, unsere Streberin ist in Ungnade gefallen«, foppte Kevin. »Mach dir nix daraus, passiert jedem mal. Nun wissen wir immerhin, dass es tatsächlich einen Verräter gibt und der Rat an dem Tag, an dem diese Zusammenkunft stattfand, noch nicht viel weiter war.«
»Und«, warf Chloe ein, »wir wissen, dass Gryff ermittelt. Möglicherweise hat er inzwischen etwas herausgefunden. Wenn wir nur eine Möglichkeit hätten, an diese Information zu gelangen.«
Seltsamerweise überzog ein zarter Rotton Claras Wangen, als Chloe von Gryff sprach.
Ne, echt jetzt? Max schaute fragend zu Kevin, der jedoch nur verständnislos dreinblickte. Natürlich bekam er wieder gar nichts mit. Typisch.
»Es ist also jemand vom Rat.« Chris befand sich in der Horizontalen, hatte wie immer sein Shirt abgelegt und machte Liegestütze.
Wenn es nach Max ginge, hätte er das durchaus öfter machen können. Dass er mit einem der beiden Zwillingsbrüder zusammen war, hieß ja nicht, dass er dem anderen nicht bei seinem beeindruckenden Muskelspiel zuschauen durfte. Chloe machte es genauso.
Ihre Blicke trafen sich. Sie grinsten einander an.
Prompt traf ihn ein Rippenstoß von Kev. »Hörst du wohl auf, meinen Bruder anzustarren.«
»Wer, meint ihr, ist es?«, fragte Clara und lenkte die Diskussion wieder zurück auf das eigentliche Thema. »So viele Möglichkeiten gibt es ja nicht.«
»Tomoe hat sich sehr gegen eine Untersuchung mit Wahrheitszauber gesträubt«, überlegte Max.
»Das hätte ich auch.« Chloe verzog abschätzig die Lippen. »Ist doch widerlich, so ausgelesen zu werden. Aber ich kann mir das bei ihr nicht so richtig vorstellen. Und warum sollte sie das tun? Sie lebt dafür, das Vermögen der Lichtkämpfer zu vermehren, und darin ist sie verdammt gut.«
»Hoffentlich ist sie nicht der Verräter«, seufzte Max. »Stellt euch vor, unser Geld ist plötzlich weg.«
»Du Materialist«, lachte Kevin.
»Leonardo«, verkündete Chris. »Bestimmt ist er es. Das würde auch erklären, warum er mich vom aktiven Dienst …«
Alle anderen stöhnten synchron auf.
»Jetzt hör doch mal auf damit«, schimpfte Kev. »Werd einfach wieder gesund. Dann kannst du durch die Gegend ziehen und Kreaturen jagen.«
»Pfff«, bekam er nur als Antwort.
»Aber Leonardo käme durchaus infrage«, sprang Max Chris bei.
»Hätte er das Artefakt dann aber eingesetzt?«, gab Chloe zu bedenken.
»Um von sich abzulenken«, warf Clara ein. »Eine perfekte Taktik. Niemand vermutet ihn hinter der Manipulation, weil er es aktiviert hat.«
»Möglich«, gab Chris zu. Er setzte sich auf. Schweiß rann über seinen Oberkörper. »Oder Johanna selbst. Sie war auch dabei.«
»Shit«, fluchte Clara.
Alle starrten zu ihr hinüber.
»Was?«, fragte Chloe.
»Wir waren auch dabei.« Sie deutete auf Max und dann auf sich selbst.
»Stimmt«, erwiderte er. »Und?
»Verstehst du denn nicht, wir waren dabei!«
»Öhm. Du kannst das jetzt auch noch dreimal sagen, das hilft mir nicht weiter.«
»Ha!«, rief Kevin aus. »Ihr beiden seid die Verräter.«
»Das ist nicht lustig«, gab Clara zurück. »Nein, ich meinte etwas anderes. Der Rat ist sicher, dass der Verräter einer der Unsterblichen ist.«
»Genau«, bestätigte Max. »Weil nur die die verbotenen Katakomben betreten kö… – oh, shit.«
Chloe schlug sich mit einem patschenden Geräusch gegen die Stirn. »Es muss gar nicht unbedingt eines der Ratsmitglieder sein. Johanna besitzt diese weißen Steine, mit denen man die Katakomben betreten kann. Sie halten den Alterungszauber ab. Falls der Verräter einen davon besitzt, könnte er jederzeit dorthin vordringen. Das bedeutet …«
»… es könnte jeder sein«, beendete Kevin den Satz. »Verdammt! Daran habe ich gar nicht gedacht. Wissen wir etwas über diese Steine?«
»Zwei kleine Klumpen waren noch übrig. Aber das hat in der Hektik niemand bemerkt. Ich habe sie in meiner Schatulle verstaut.«
Sie rannte aus dem Raum und kehrte kurz darauf damit zurück. »Hier. Mehrfachschutzzauber.« Sie öffnete den Deckel.
Gemeinsam starrten sie auf den mit Samt ausgelegten Boden.
»Liegt da ein Unsichtbarkeitszauber drauf oder sind sie weg?«, fragte Max.
»Oh nein.« Claras Gesicht war kreidebleich. »Das kann nicht sein. Niemand kann den Zauber lösen. Das ist völlig unmöglich.«
»Scheinbar nicht«, kam es von Kevin. Tröstend legte er ihr die Hand auf die Schulter. »Tut mir leid, aber damit ist der Verräter gerade um eine Größenordnung gefährlicher geworden. Wir müssen den Rat informieren. Und Gryff.«
Clara schloss müde die Augen. Max hätte sie am liebsten in den Arm genommen und gedrückt.
»Okay«, verkündete sie. »Ich übernehme Gryff. Kann einer von euch sich um den Rat kümmern?«
Chris machte einen Satz zurück. »Keine Chance.«
»Von mir aus«, erklärte Kevin. »Ich erledige das. Aber zuerst bekommen Jen und Alex ein kleines Update.« Er griff nach seinem Kontaktstein. »Seltsam.«
»Immer noch nicht erreichbar?«, fragte Chloe.
Er schüttelte den Kopf. »Irgendwie ist das nicht unser Tag. Was machen die denn so lange? Ist das normal?«
»Hm.« Chloe sprang vom Schreibtisch auf den Boden. »Bei Jen hat es nicht so lange gedauert, aber ich habe keine Ahnung, was da gemacht wird. Lassen wir die beiden und kümmern uns um unsere Probleme. Sie werden früh genug davon erfahren.«
»Na schön«, sagte Kev. »Clara, du gehst zu Gryff. Ich suche Johanna. Die ist hoffentlich besser drauf als Leonardo. Vermutlich ist sie es danach nicht mehr.«
Vor dem Castillo färbte sich der Horizont blutrot, die Sonne versank.
»Ich besorge Kaffee, Energydrinks und Cola«, verkündete Chloe. »Das wird ’ne lange Nacht.«
Max blieb einfach sitzen und beobachtete das Wuseln ringsum. In Gedanken beschäftigte ihn nur eine Frage: Wer war der Verräter?