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Prolog

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Der Wechselbalg konnte den Schock spüren, der durch das Castillo Maravilla wogte, wie eine alles verzehrende Welle aus purem Schmerz. Gryff Hunter weilte nicht mehr unter ihnen. Er hatte den obersten Ordnungsmagier mit der Sigilklinge getötet, die er den verbotenen Katakomben entrissen hatte. Ein wohliger Schauer rann seinen Rücken hinab, als er an den verblüfften Gesichtsausdruck des Mannes zurückdachte. Niemals hatte jener damit rechnen können, von jemandem verraten zu werden, der ihm so nahestand.

Die Klinge hatte das Sigil zerstört. Kein Aurafeuer erschien daraufhin, kein Erbe entstand. Dass dafür auch ein Schattenkrieger sterben musste – das ewige Gleichgewicht wurde stets erhalten –, war bedeutungslos.

»Das ist erst der Anfang.«

Der Wechselbalg stand alleine an der Balustrade der umlaufenden Galerie im höchsten Stockwerk des Castillos. Von hier oben betrachtete er seine Feinde. Johanna von Orléans, Leonardo da Vinci, all die anderen Unsterblichen und Lichtkämpfer. Wochenlang hatte er in ihrer Mitte zugebracht, sie beobachtet, studiert, diesen Tag vorbereitet.

Die Schattenfrau stand bereit.

Sobald er das Ziel erreicht hatte, würde sie handeln.

Eine Gruppe Ordnungsmagier kam herbeigeeilt. Sie erkannten ihn, nickten professionell-freundlich und stapften weiter. Sie durchkämmten das Castillo, suchten nach Spuren, die auf den Mörder von Gryff Hunter hindeuteten. Noch immer hatten sie nicht begriffen, dass er ein Wechselbalg war, gingen von einem Verrat der Ihren aus. Der Grundstein für eine Hexenjagd der schlimmsten Sorte war gelegt. Misstrauen, Hass, sinnlose Verdächtigungen würden die Streiter für den Wall entzweien.

»Das wird ein Spaß.«

Er fühlte noch immer den Nachhall des eingeleiteten Zaubers, den Johanna ausgelöst hatte. Das Castillo war hermetisch abgeriegelt, lag unter einem Siegel. Niemand kam hinein, keiner heraus. Die Portale waren verschlossen worden, alle Lichtkämpfer, die außerhalb eine Mission bestritten, mussten sofort sichere Häuser aufsuchen. Einsätze wurden abgebrochen. Damit war niemand mehr da, der dem dunklen Rat entgegen trat, ihn von Manipulation, Lug und Trug abhielt. Die Schattenkrieger würden, sobald sie es bemerkten, gnadenlos zuschlagen. Durchaus möglich, dass sie es ihnen bereits mitgeteilt hatte.

»Der Graf von Saint Germain wird glücklich über meine Tat sein.« Er lächelte. Der Plan der Schattenfrau würde sie beide zur Legende machen.

Kurz überprüfte er, ob seine äußere Fassade auch makellos weiterbestand. Gerade im Moment großer Emotion konnte es vorkommen, dass hier und da eine Kleinigkeit transformierte. Ungewollt. Andere Wechselbälger hatten in der Vergangenheit bereits aufgrund kleinerer Fehler sterben müssen. Doch nein, die Hülle saß fehlerlos, kopierte perfekt das Original, das blutend und wimmernd seit Wochen in einem dunklen Kerker lag.

Es ist soweit.

Er musste seine eigenen Gedanken zu einem winzigen Punkt des Geistes werden lassen. Diesen Zauber konnten nur die besten Wechselbälger ausführen. Er unterdrückte das Ich, die Persönlichkeit, und erschuf an dessen Stelle eine Kopie des Originals. In diesem Zustand war sich der jeweilige Gestaltwandler nicht länger seiner eigenen Identität bewusst. Er fühlte, dachte und handelte, wie es die echte Version tun würde.

Dafür reichte Können allein kaum aus. Es wurde Blut von der Blaupause benötigt, dem Menschen, der kopiert wurde. Da dieser noch am Leben war, konnte der Wechselbalg sich jederzeit bedienen.

Tief unter ihm brach ein Tumult aus, die erste falsche Verdächtigung war ausgesprochen worden. Das Chaos begann. Er lachte. Seine Gedanken zerfaserten, sein Ich verschwand.

Ein Lichtkämpfer stand auf der Balustrade, schaute bedrückt nach unten und hoffte darauf, dass der Verräter bald gefunden wurde.

Das Erbe der Macht - Die komplette Schattenchronik

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