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20. Mai 2009 - Weymouth, England

Lisa stand in der Küche und bereitete das Abendessen vor. Immer wieder wanderte ihr Blick vom Paprika, den sie gerade für einen Salat wusch und zerkleinerte, nach draußen in den Garten. Sie liebte ihn, hatte ihn selbst angelegt. Im Frühjahr war er besonders schön. All die Margeriten, Krokusse, Primeln, Tulpen, Stiefmütterchen leuchteten farbenprächtig in der Sonne. Dieser Garten erinnerte sie an ihre Heimat, so hat sie ihn in Erinnerung.

Noch nicht einen Tag hat sie es bereut, dass Marc und sie dieses kleine Häuschen gekauft haben. Das war vor fast vier Jahren. Sie fühlen sich beide dem Meer verbunden, wuchsen beide am Wasser auf; sie an der Ostsee, er an der Keltischen See. Damals besichtigten sie mehrere Häuser an der englischen Südküste und hier in Weymouth, in der Grafschaft Dorset, einem Ort, der schon König George III als Erholungsort anzog, gefiel ihnen dieses Haus auf Anhieb.

Marc war gestern wieder von einer Fahrt auf See heimgekommen und hatte nun fünf Tage frei. Lisa hatte keinen festen Job, half aber hin und wieder in einem Kindergarten ganz in der Nähe aus oder auch an der Abendschule, wenn die dortige Deutschlehrerin verhindert war. Aber wenn Marc zu Haus war, widmete sie ihm ihre ganze Zeit.

Sie schnitt gerade Tomaten, die sie mit dem Paprika und etwas Fetakäse zum Salat vermengen wollte, als Marc zu ihr in die Küche kam und ein Stück des gelben Paprikas stibitzte. „In den BBC News kam die Nachricht von einem Leichenfund in Deutschland. Es soll sich um einen Doktor in Frankfurt handeln, der verdurstete. Man fand ihn nackt, an einer Tür gefesselt. Er soll scheußlich zugerichtet gewesen sein.“

„Tja, so was soll vorkommen“, entgegnete Lisa. Sie unterbrach ihre Arbeit nur kurz, um ihm einen Klaps auf die Finger zu geben, die schon wieder in die Schüssel langten. „Ich lass dich auch gleich verhungern, wenn du nicht sofort deine Finger aus der Schüssel nimmst.“

Er grinste sie schelmisch an. „Fesselst du mich dann auch?“

„Wenn du so weiter machst, dann ja.“

„Und dann, was machst du dann mit mir?“ Er fuhr mit einer Hand unter ihr T-Shirt. Zu Hause trug sie keinen BH, aber noch bevor er ihre Brust erreichte, kreischte sie.

„Ah! Nimm deine kalten Pfoten weg!“ Sie packte seine Hand und schob sie von sich.

Er nutzte die Gelegenheit, nahm sie in den Arm und küsste sie. „Ich liebe es, wenn ich um dich kämpfen muss.“

„Ja, ja, ich weiß, aber wenn ich hungrig bin, hast du keine Freude an mir, das weißt du. Also, deck schon mal den Tisch. Der Salat ist gleich fertig. Übrigens ist es kurz vor sechs, also kurz vor sieben in Deutschland. Ich möchte die Nachrichten sehen. Da wird man sicher auch etwas über den Toten berichten.“

Sie stieß ihn sanft von sich. Er grinste, nahm zwei Teller, Schälchen und Besteck und ging damit ins Wohnzimmer. Lisa folgte ihm kurz darauf, in der einen Hand die Schüssel mit dem Salat, in der anderen einen Brotkorb. Sie setzte sich zu ihm und Marc füllte den Salat in die Schälchen. Die ZDF-Nachrichten begannen gerade.

Im Frankfurter Stadtteil Nied kam es heute zu einem grausamen Fund. In einem 8-Familen-Haus wurde eine Leiche entdeckt. Es soll sich um einen 55-jährigen Arzt der Urologischen Uniklinik handeln, wahrscheinlich um Dr. Gerald Arnold. Der Name wurde aber bis jetzt nicht bestätigt. Nach ersten Ermittlungen war der Mann schon über eine Woche tot. Er wurde an eine Tür gefesselt aufgefunden und soll Verletzungen im Genitalbereich aufweisen, die aber nicht die Todesursache sind. Der Mann, dessen Mund zugeklebt war, ist verdurstet. Er war nach seinem Urlaub drei Tage überfällig. Da er nirgends aufzufinden war und auch nicht ans Telefon ging, informierte die Klinik die Polizei. Wir halten Sie weiter mit Informationen auf dem Laufenden. Alle Fakten finden Sie auch auf www.heute.de.

In Berlin wirft die nahende Bundestagswahl ihre Schatten voraus...“

Lisa nahm die Fernbedienung und stellte den Ton leiser. „Verletzungen im Genitalbereich. Da scheint jemand ganz schöne Wut auf ihn gehabt zu haben.“

„Vielleicht hat er jemanden vergewaltigt?“, warf Marc ein.

„Ja, vielleicht.“ Dr. Gerald Arnold. Hm.

Das Gedicht der Toten

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