Читать книгу Charlys Sommer - Anett Theisen - Страница 23
Zu verkaufen ein schneeweißes Brautkleid – Jürgen Renfordt
ОглавлениеCharly gönnte sich zunächst auf der Pottensteiner Strecke ein paar Kurven, zum einen, um ihre Gedanken aufs Fahren zu konzentrieren, zum anderen, um die Begegnung mit ihrer Mutter noch ein wenig hinauszuzögern. Schließlich aber fuhr sie doch auf der Autobahn zügig nach Süden. Wenigstens war die Wohnung ihrer Mutter im Norden Münchens und recht weit außerhalb, so dass sie vor Einbruch der Dunkelheit ankam. Sie stellte das Motorrad ab und hörte den Türöffner brummen, noch ehe sie abgestiegen war. ‚Ungeduldig wie immer’, ärgerte sie sich und verdrehte die Augen.
Gitta erwartete sie im Atelier.
„Sag nichts! Es war ein Pferd!“, begrüßte sie ihre Mutter und legte ihren Helm ab.
Die zog die Augenbrauen hoch. „Hoffentlich ist es in zehn – nein, neun – Tagen wieder weg!“
Charly konnte sich ein teuflisches Grinsen nicht verkneifen. „Dann hat deine Make-up Artistin wenigstens eine Herausforderung.“
Ihre Mutter sah hilfesuchend gen Himmel, beließ es aber dabei. „Kann’s losgehen?“
„Ja.“ Charly schälte sich aus der Textilkombi und ließ sich in eines der Kleider helfen. Die nächsten Stunden vergingen mit unablässigem An- und Ausziehen.
Ihre Mutter konnte sehr anstrengend sein, aber hier im Atelier, zwischen ihren Entwürfen, den edel schimmernden Stoffen und der punktuellen Beleuchtung, kurz, in ihrer Welt, war sie glücklich und ausgeglichen. Und sie, Charly, liebte es, in den ausgefallenen oder verträumten, aber immer eleganten Kreationen ihrer Mutter vor dem Spiegel zu stehen und sich wie eine Prinzessin zu fühlen, während deren schlanke, kühle Finger an ihr herumzupften, Falten und Nähte arrangierten und Maße absteckten. Ein Rausch aus Taft, Tüll und Seide, der sie oft noch die nächsten Tage begleitete.
Zwischendrin orderte ihre Mutter Pizza, weil man Charly ja ‚nirgends mit hinnehmen konnte, so wie sie aussah’. Ihr war es recht. Sie zog die cremeweiße Atelier-Prinzessinnenwolke jedem Münchner Szeneschuppen vor.
***
Nach nur vier Stunden Schlaf fuhr Charly wieder gen Norden. Der Arbeitstag verging ruhig, sie inspizierten eine neue Arbeitsstelle, ein kleines Schlossensemble, das umfangreich instand gesetzt werden sollte. Einem frühen Feierabend stand nichts im Wege.
So saß sie bereits um kurz nach zwei wieder im Sattel, auf dem Weg nach Chemnitz. Diesmal ließ sie sich Zeit, kurvte über Landstraßen durchs Fichtelgebirge, überdachte auf einer ausgiebigen Wiesenrast die vergangene Woche und schmiedete Pläne, machte noch einen Umweg, damit sie in einem kleinen, guten Restaurant essen konnte und fuhr erst im Licht der untergehenden Sonne auf den großen Hof vor der Werkshalle, die ihrem Vater als Lager, Werkstatt und Wohnung diente.
Sie begrüßte ihren Vater und Steven, dann wanderte sie ziellos durch die Halle und begutachtete die verschiedenen Fahrzeuge, die in unterschiedlichsten Stadien ihrer Wiederherstellung entgegensahen. Ganz rechts, im Übergang zum Lagerbereich, stand der Unimog. Die beiden Männer ließen sie in Ruhe.