Читать книгу Charlys Sommer - Anett Theisen - Страница 34
Don’t Lose My Number – Phil Collins
Оглавление„Sehen wir uns beim Frühstück?“ Er sah sie bittend an.
Sie zögerte. „Vielleicht. – Vielen Dank für den Ausflug und gute Nacht.“ Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, hauchte ihm einen Kuss auf die Wange und war in ihr Zimmer geschlüpft.
Mit dem Gefühl, etwas Wichtiges versäumt zu haben, ging er zu seinem eigenen. Er schlief unruhig, träumte wild und saß sehr früh im Frühstücksraum. Sie war nicht da und kam auch nicht, so lange er sein Frühstück auch ausdehnte. Schließlich ging er zur Rezeption und fragte nach. Bereits abgereist, war die einzige Auskunft, die er erhalten konnte.
Ziellos und gedankenverloren wanderte er durch die Stadt, bis er sich am frühen Nachmittag entschied, den Freizeitpark anzuschauen, von dem sie gesprochen hatte. Vielleicht war es was für Maja und die Jungs. Fürst Pückler und seinen Park hob er sich für den nächsten Tag auf.
Auf dem Parkplatz fiel ihm auf, dass die gelbe BMW fehlte. ‚War das etwa ihre? War sie deshalb so vorsichtig, als es ums Motorradfahren ging, weil sie nicht wollte, dass ich es weiß? Warum nicht?’, grübelte er. ‚Und warum bin ich nicht auf den Gedanken gekommen, aufs Kennzeichen zu schauen? Im Grunde weiß ich nichts von ihr.’
Als er in den Porsche einsteigen wollte, stutzte er. An der Scheibe der Fahrertür steckte eine Visitenkarte. ‚Meine eigene.’
Sein Herz sank. ‚Sie will meine Kontaktdaten nicht haben und ich Depp habe sie nicht einmal nach ihrem richtigen Namen gefragt. Es war ein Abenteuer, ach, nur eine vergnügliche Episode’, dachte er. ‚Ich werde sie nie wiedersehen.’ Unerklärlicherweise stimmte ihn dieser Gedanke traurig.
Er wusste selber nicht, warum, aber er drehte die Karte um. Auf der Rückseite prangten in blauem Kugelschreiber eine Zahlenreihe und darunter „CU Charly“.
***
Charly war schon vor der Frühstückszeit fertig bepackt an der Rezeption. Sie wollte es nicht riskieren, das Motorrad vor die Tür zu fahren und doch noch auf Gereon zu treffen. So schleppte sie lieber den Tankrucksack und beide Alukoffer bis zum Parkplatz. Sie fuhr über Landstraßen durch die Lausitzer Heide- und Teichlandschaft Richtung Hoyerswerda, frühstückte in einem Café und bummelte durch die Stadt, bevor sie weiterfuhr nach Torgau. An Schloss Hartenfels saß sie lange am Wendelstein und dachte nach. Sie teilte ihr Mittagessen, zwei Äpfel, mit den Bären im Burggraben.
Am späten Nachmittag schneite sie bei ihrem Vater herein. Sie war unruhig und wäre am liebsten sofort nach Hause gefahren, erinnerte sich jedoch rechtzeitig daran, dass zu Hause der Kühlschrank leer und es Sonntag war und blieb letztlich doch über Nacht. Morgens verbummelte sie sich, schraubte hier, putzte da. So war es früher Nachmittag, bis sie auf dem Heimweg war. Via Autobahn, es war nun einmal der direkteste Weg und die Gegend zu zersiedelt, als dass sie viel Spaß an der Überlandfahrt hatte. Kurz vor zu Hause hielt sie an einem Supermarkt. Kaum hatte sie ihn betreten, warf sich vor ihr ein etwa zweijähriger, blondgelockter Junge in einer trotzigen Haltung auf den Boden.
„Hallo, junger Mann“, sprach sie ihn an und bot ihm ihren Korb an. „Magst du mir beim Einkaufen helfen?“
Aus dem Konzept gebracht, blickte er sie an und nickte dann.
„Frag schnell deine Mama, ob ihr das auch recht ist“, ermunterte sie ihn und half ihm beim Aufstehen.
Die Mutter, einen zweiten Lockenkopf im selben Alter im Einkaufswagen, nickte ihr dankbar zu. Ungefähr im gleichen Tempo wie sie dirigierte Charly den Jungen durch den Laden. An der Obsttheke fragte sie ihn, ob er sich etwas aussuchen wollte.
„E-mee-nee“, nickte er und zeigte auf die Himbeeren.
“Und für Deinen Bruder?”
“E-mee-nee”, wiederholte er.
Schmunzelnd ließ sie ihn zwei Packungen Himbeeren in ihren Einkaufskorb legen. Sie verließen das Geschäft gemeinsam und Charly reichte der Mutter das Obst. Sie hatte die ganze Zeit gegrübelt, woher sie die Frau kannte.
„Täusche ich mich, oder gehört Ihnen die Fuchsstute mit der Blesse, die aussieht wie ein Fragezeichen?“, sprach sie die Frau an.
„Das klingt nach Florentine“, antwortete diese.
„Dann habe ich Sie erst vor kurzem am Aussichtsturm gesehen“, erläuterte Charly. „Zumindest Florentine.“
„Gut möglich. Mein Bruder reitet sie gelegentlich. Die beiden lassen mir keine Zeit mehr dazu.“
„Das glaube ich gern. Wollt ihr auf meinem Motorrad sitzen, während eure Mama die Einkäufe ins Auto packt?“, fügte sie an die Jungen gewandt hinzu, die begeistert aufschrien und wild herumzuhüpfen begannen. Sie nahm einen an jede Hand und steuerte sie zur BMW, die sie glücklicherweise in einer ruhigeren Ecke geparkt hatte. Mit je einer Hand an jedem Kind fragte Charly sich, wie man mit Zwillingen in diesem Alter überhaupt irgendetwas erledigt bekam.
Während sie begeistert auf der Maschine herumrutschten, überboten sich die Kleinen darin, ihr zu berichten, dass Onkel „Geo“ auch ein Motorrad habe, imitierten eifrig das Brummen eines Motors und wollten unbedingt die Hupe drücken.
„Das dürfen sie auf dem Motorrad meines Bruders auch immer“, bemerkte die Mutter entschuldigend, die unbemerkt neben sie getreten war.
„Ist ja nichts Schlimmes“, lachte Charly. „Onkel Geo?“ fragte sie.
„Er heißt Gereon.“
Charly stutzte kurz, ließ sich aber nichts anmerken. ‚Konnte es tatsächlich sein, dass sie ausgerechnet die Schwester des Mannes traf, mit dem sie am Wochenende…, ja, was eigentlich?’, überlegte sie. „Gut, jeder ein Mal“, sagte sie streng.
Die Jungen nickten, drückten andächtig auf die Hupe und freuten sich über das misstönende „Miep“. Dann ließen sie sich unter Protest von ihrer Mutter zu deren Auto ziehen. Charly winkte ihnen nach und befestigte den Tankrucksack. Sie überlegte kurz und folgte ihnen. „Entschuldigen Sie, dass ich noch einmal störe.“
„Kein Problem, Sie haben mir beim Einkauf so sehr geholfen“, antwortete die Frau freundlich.
„Ihr Bruder fährt einen blauen Porsche?“, vergewisserte sie sich.
„Ja.“ Die junge Mutter lächelte fragend.
„Falls Sie ihn sprechen, grüßen Sie ihn bitte von Charly“, antwortete sie, nickte abschließend und ging zu ihrem Motorrad.
***
„Würdest du mir einen Gefallen tun, kleiner Bruder?“
„Was denn, große Schwester?“ Gereon war auf dem Heimweg und hatte kurz bei seinem Schwager angehalten, um seine Neffen und Maja zu besuchen.
Maja packte ihm einen dicken Stoß Zeitschriften vor die Nase. Obenauf lag ein Hochzeitsmagazin.
„Die zum Altpapiercontainer mitnehmen?“
„Mache ich. – Ist es dafür nicht ein bisschen spät?“, fragte er, ließ sich aufs Sofa fallen und hob die Hochzeitsbroschüre hoch.
„Nicht von mir“, schnaubte Maja. „Eine Freundin hat mir von Designerkleidern vorgeschwärmt.“
Gereon blätterte angelegentlich in dem Heft herum, es fiel an einer oft geknickten Seite auf. Verwirrt starrte er auf ein Bild von … Charly … in einem eleganten Brautkleid.
„Gereon, was ist?“ Maja musste ihre Frage wiederholen, ehe ihr Sinn zu ihm durchdrang.
Er drehte die Zeitschrift so, dass sie das Foto sehen konnte. „Ich habe mit dieser Frau so quasi das Wochenende verbracht“, kiekste er in unnatürlich hoher Stimmlage und räusperte sich. Er berichtete in wenigen Sätzen.
Jetzt sah Maja irritiert auf das Foto. „Ich habe sie heute Nachmittag beim Einkaufen getroffen. Sie hat mir mit den beiden Rabauken geholfen. Sie durften sogar auf ihrem Motorrad sitzen.“
„Motorrad? Was für eins?“ Elektrisiert rutschte er auf die äußerste Sofakante und sah zu ihr hoch. Sie zuckte die Schulter, hatte nie seine Leidenschaft dafür geteilt.
„Es war gelb“, fügte sie hinzu, als sie bemerkte, wie sehr er sich wünschte, mehr zu wissen. „Ziemlich groß für sie.“ Maja maß die ungefähre Höhe von Sitz, Tank und Lenker ab.
‚Etwa doch die BMW aus Görlitz?’, überlegte er.
„Eins hat mich verwundert“, sprach sie weiter.
„Ja?“
„Das Kennzeichen war nicht von hier. Sie hat aber, ich sag mal ‚normal’, eingekauft, auch Kühlsachen und nicht nur was zum Knabbern, wenn du verstehst, was ich meine?“ Sie zwinkerte ihm zu.
Er nickte.
„Singlehaushalt, den Mengen nach“, sagte sie verschmitzt lächelnd.
„Das Kennzeichen?“, hakte er nach.
„Aus Chemnitz. Die anderen Buchstaben weiß ich nicht mehr, und die Zahl hab ich nur behalten, weil es der Geburtstag der Jungs ist. Vierzehn“, erklärte sie. „Ach, und sie hat Florentine am Aussichtsturm gesehen.“
‚Natürlich, die junge Frau mit dem Braunen!’ Schlagartig begriff er, warum sie ihm bekannt vorgekommen war. „Kennst du jemanden, der einen großen und recht schweren Braunen hat?“ Er versuchte, sich an besondere Kennzeichen des Wallachs zu erinnern. „Abgesehen von der Größe war er recht unauffällig.“ Jetzt war er es, der die Schultern zuckte.
„Nicht direkt. Ich höre mich um und im Reitstall fragst du, wenn du Florentine das nächste Mal bewegst.“
„Hm, ja.“
„Übrigens, ehe ich es vergesse, sie bat mich, dich von Charly zu grüßen.“
‚Ich werd nicht wieder. Sie lässt mich in Görlitz sitzen, trifft hier ausgerechnet meine Schwester beim Einkaufen und lässt auch noch grüßen! Raffiniertes kleines Luder, ich kriege dich! Auch wenn ich zugeben muss, dass mir dein Versteckspiel Spaß macht.’