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9 - Verdacht auf Imperato
ОглавлениеSie saßen und saßen, redeten und redeten. Nora erzählte alles, was sie über Evelyn wusste, und auch einiges, das sie von ihrer Mutter erzählt bekommen hatte.
Kim saß stillschweigend da.
Während Noras Erzählungen war sie immer stiller, und von Sekunde zu Sekunde blasser geworden.
In ihrem Kopf hämmerte wieder und wieder Noras Satz: Sind Sie sicher, dass der Leichenwagen, nicht womöglich die Weiche zum Jenseits für Sie sein soll?
Sie hob den Kopf und ihr Blick schlich zu Nora hin. In ihrem Augenaufschlag lag all ihr Unverständnis, ihr Nicht-verstehen-können.
»Ich krieg‘ das einfach nicht zusammen«, hauchte sie. »Nora, wie haben Sie das gemeint? Wie kann der Leichenwagen, dort draußen«, ein hastiger Blick in Richtung Fenster, begleitete ihre Worte, »eine Weiche zum Jenseits sein?«
»Die Seelen der Toten, die in ihm transportiert worden sind, sie sind es, die Ihnen die Tür öffnen und die Schwelle zum Jenseits ebnen können.« Sie kaute auf ihrer Unterlippe herum. »Wenn es nicht gar bereits dieses Haus für Sie tun wird. Womöglich brauchen Sie den Leichenwagen sogar zur Unterstützung oder als Hilfe. Was immer der tiefere Sinn dieses Wagens auch sein mag, ich bin mir sicher, dass es kein Zufall ist, dass Sie genau diesen Wagen gekauft haben. Sich einen Leichenwagen zugelegt haben!«
»Unsinn! Das Auto haben wir, ich, denn Kim ist ja nach wie vor gegen den Wagen, gekauft. Er war billig, und das war der einzige Grund, weshalb ich mich zum Kauf dieses Autos entschieden habe. Keinen anderen Grund sonst, hat es gegeben«, antworte Quentin, seinen Unmut unterdrückend. »Folglich nur Zufall, Nora, nichts weiter. Alles, einfach nur purer Zufall!« Er nahm das Weinglas und trank einen großen Schluck.
»Okay, glauben Sie an einen Zufall, wenn es Ihnen so besser gefällt, oder es für Sie dadurch leichter wird, damit umzugehen. Ändern tun Sie mit dieser Einstellung dennoch nichts, an den Dingen, die alsbald auf Sie zukommen werden. Und sie werden auf Sie zukommen, da bin ich mir ganz, ganz sicher.« Sie fuhr sich über die Stirn und zupfte ihr Pony zurecht. »Ich kann es Ihnen noch nicht einmal verübeln, dass Sie an all das nicht glauben, oder sich sogar dagegen sperren, es auch nur annährend in Betracht ziehen, daran zu glauben, oder auch nur glauben zu wollen«, erwiderte Nora mit ernstem Gesicht.
Betretenes Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus.
Noras Augen lagen auf Quentin. »Wann haben Sie denn den Leichenwagen gekauft?«
Quentin dachte nach. Auch darüber, wie er überhaupt auf den Wagen aufmerksam geworden war. Es war ein Flyer, den er, vor ungefähr elf Monaten, in seinem Briefkasten vorgefunden hatte und der ihn auf ihn hatte aufmerksam werden lassen.
Der Leichenwagen, auch wenn davon nichts in dem Flyer gestanden war, er war einfach ein Schnäppchen gewesen. Hatte allerdings auch fast ein Jahr gedauert, bis er verkauft wurde. Sicher, ihm wäre ein anderes Auto auch lieber gewesen. Aber was sollte es, seine Leichenwagenzeit war ein für alle Mal vorbei. Heute wurden keine weiteren Leichen darin transportiert. Warum also diese ganze Aufregung, all der Mummenschanz, um diesen Wagen?
»Haben Sie sich niemals darüber gewundert, dass es so ein altes Modell ist? Und dass Sie so lange darauf warten mussten?«, wollte Nora von Quentin wissen, wurde jedoch von Kim unterbrochen.
»Nein, Quentin, du irrst dich. Du hast Cemetery Car einen Monat früher angesehen. Ein Jahr liegt das nun bereits zurück. Hast du das vergessen? Gekauft hast du ihn erst gestern.«
»Wie bitte? Wann haben Sie den Wagen zum ersten Mal angesehen?« Nora nestelte aufgeregt an ihren Haaren herum. »Ein Jahr liegt das bereits zurück?« Sie blickte nachdenklich drein, verstummte abrupt. Sie kaute auf ihrem Fingernagel herum und dachte nach. »Ich bleibe dabei: Der Wagen hat auf Sie gewartet, war von Anfang an für Sie bestimmt gewesen!« Zur Bekräftigung ihrer Worte nickte sie wieder und wieder, ohne dabei Quentin oder Kim, aus den Augen zu lassen.
»Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.« Kim war fassungslos.
Der Leichenwagen sollte auf sie gewartet haben.
Jetzt war ihr die alte Karre noch unheimlicher, als sie es ohnehin schon gewesen war.
Auch Quentin hatte, nach dem soeben Gehörten, tatsächlich einmal keinen passenden Spruch, oder gar einen Scherz auf den Lippen. Mehr, als: »Das ist Zufall. Nichts weiter, als purer Zufall. Man sollte da nicht zu viel hineininterpretieren«, fiel ihm nicht ein.
Kim, die sich unbedingt ablenken, auf andere Gedanken kommen musste, fragte: »Womit hat diese Evelyn eigentlich ihr Geld verdient? War sie berufstätig, früher einmal, als sie noch jünger war?«
Quentin schüttelte den Kopf. Darüber wusste er nichts.
»Sie hat geschrieben. Tante Evelyn hat sich mit dem Schreiben ihr Geld verdient. Am Anfang war es wohl sehr mühsam für sie gewesen. Immer wieder hatte sie Absagen bekommen, bis sie eines Tages Madame Zink kennen gelernt hat. Die hatte dann den entscheiden Tipp für Ihre Großtante. Von da an hatte es nicht mehr lange gedauert, bis ihr erstes Buch auf dem Markt war. Die Leute haben sich sogar regelrecht darum gerissen.« Nora sah Evelyn vor sich, wie sie an der Schreibmaschine saß, das Papier wütend herauszog, weil sie mit dem Geschriebenen nicht zufrieden war. Sie lächelte gedankenverloren. »Sie hat hauptsächlich Mysteryromane geschrieben. Wer weiß, vielleicht waren das gar keine Erfindungen, keine Phantasie, wie ich bisher immer angenommen hatte. Vielleicht schrieb sie von Dingen, die sie selbst erlebt hatte, … im Jenseits …«
Quentin, dem es nun endgültig reichte, zumal auch er das mit dem Zufall des Leichenwagens, erst einmal verdauen musste, stand abrupt auf, und sagte: »Es ist spät. Wir sollten schlafen gehen. Morgen früh, wenn es hell ist, sehen die Dinge wieder anders aus.« Er wandte sich an an seine Verlobte: »Kim, würdest du bitte Bettzeug für Nora richten, ich zeige ihr unterdessen ihr Zimmer.«
Kim und Nora folgten Quentins Aufforderung, und räumten noch die Gläser, sowie die beiden Rotweinflaschen weg, leerten den überquellenden Aschenbecher aus, der überrandvoll mit den Kippen von Kim und Nora war. Danach machte sich Quentin auf die Suche nach einem Zimmer für Nora, während Kim aus dem Schlafzimmer Bettzeug brachte.
Als sie sich von Nora verabschiedeten, sagte Nora, noch während sie den beiden hinterher lief: »Imperato, ich kann seine Anwesenheit riechen. Dieser Dämon, seine Anwesenheit, hier in diesem Haus.« Gänsehaut stahl sich an ihren Armen entlang. »Es war kein Gerücht«, flüsterte sie und sah sich dabei ängstlich um.
Kim fuhr erschrocken herum. »Wie meinen Sie das?«
»Riechen Sie doch selbst. Sie müssen diesen abgestandenen Geruch doch auch riechen!«
»Nein, ich rieche nichts«, antwortete Kim, während sie sich schnuppernd umsah, wie ein Hund, der seinen Knochen zu erschnüffeln suchte.
»Nichts riecht hier nach einem Dämon, oder sonst etwas in der Art. Der abgestandene Mief, der kommt einfach nur davon, weil das Haus eine Zeit lang unbewohnt und ungelüftet war. Und jetzt Gute Nacht.« Quentin drehte sich zum Gehen, fasste Kims Hand und zog sie mit sich fort. Er hatte für heute von Nora und ihrem Angst machenden Gequatsche endgültig die Nase voll. Gestrichen voll!
Er nahm Kims Hand und zog sie mit sich fort.
»Und es riecht doch nach Imperato!«, hörten sie Nora noch sagen, als ihre Zimmertür ins Schloss fiel.
Kaum dass sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, kramte Nora suchend in ihrer Handtasche herum. Mit fahrigen Fingern holte sie ein Fläschchen, einem Parfümflakon gleich, heraus. Zitternd öffnete sie es und bestäubte sich von Kopf bis Fuß damit.
Während sie immer wieder ängstlich über ihre Schulter sah, hoffte sie inständig, dass der Duft des Flakoninhalts, ihr dabei behilflich sein würde, den geschärften Geruchssinn des Dämons täuschen zu können.
Sie ging zum Bett, zog sich aus und legte ihre Kleidung ordentlich zusammen. Immer wieder sah sie sich dabei ängstlich um.
Kaum im Bett, verließ sie es nochmals.
Noch einmal holte sie das kleine Fläschchen aus ihrer Handtasche und beträufelte sich erneut mit dessen Inhalt. Über und über besprühte sie sich, und auch das Bett vergaß sie nicht, ebenfalls auszusprayen.
Wieder stach ihr der scharfe, modrige Müllgeruch in die Nase.
Und sie wusste, dass der Dämon nicht weit von ihr entfernt war.
Überängstlich legte sie sich ins Bett, zog die Bettdecke über den Kopf, um den übel riechenden Gestank nicht weiter riechen zu müssen. Aber auch aus Angst, den Dämon womöglich in ihrem Zimmer zu sehen. Ihn, den sie dermaßen fürchtete, womöglich sehen zu müssen.
Niemals durfte er sie finden, … erkennen.
Sie atmete tief den Duft der frisch gewaschenen Bettwäsche ein. Er roch nach Magnolien und Veilchen. Auch nicht unbedingt Duftaromen, die ihre Nase in dieser Komponente als aromatisch empfand, aber immerhin roch es frisch. Sie drehte sich um, sehr darauf bedacht, auch ja die Decke über sich zu behalten.
Nach unendlich langer Zeit schlief sie endlich ein.
… In ihrem Traum begegnete ihr Evelyn, wie sie einmal war: Jung, schelmisch, immer für einen Spaß zu haben.
Doch dann machte ihr Traum einen Zeitsprung und sie sah Evelyn an ihrem Schreibtisch sitzen, wie sie vor sich hinstarrte, um kurz danach mit fliegenden Fingern in die Tasten ihrer Schreibmaschine zu hauen, so dass sogar im Laufe der Zeit die Buchstaben auf den Tastenfeldern verblassten, mitunter sogar ganz verschwanden.
Sie träumte von jenen Augenblicken, in denen Evelyn neue, inspirative Ideen zu ihren Romanen gekommen waren.
Zeiten, in denen sie sich die Nächte um die Ohren schlug, um ihre Phantasie zum Leben zu erwecken. Charaktere zu erfinden, sie ihre eigenen Abenteuer bestehen lassend.
Erst, wenn sie mit ihren Eingebungen zu Ende war, erst dann fand sie ein Ende, und ließ von ihrer alten Adler Schreibmaschine ab.
Während Nora von Evelyn, deren Lavendelduft, ihrem Sein und Schreiben träumte, füllte sich das Zimmer immer intensiver mit dem Geruch nach Moder, und dem bestialisch säuerlichen Gestank von verwesendem Müll.
Eine schemenhafte Silhouette bewegte sich geräuschlos auf Noras Bett zu, und sah sich dabei um, als suchte, prüfte sie etwas.
Als wollte sie sich vergewissern, dass …