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12 - Rhapsodie

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Leises Vogelgezwitscher ließ Kim erwachen. Verschlafen schlug sie die Augen auf und sah das frühe Morgenlicht langsam durch die Rollladenschlitze in den Raum eindringen. Sie drehte sich um, blickte auf Quentin, der noch tief und fest schlief. Ein kurzer Blick auf den Wecker zeigte ihr, dass es erst kurz vor fünf war. Sie stöhnte leise auf, kuschelte sich eng an Quentin. Mit zärtlichen Streicheleinheiten weckte sie ihn auf.

»Kim, du Schmusekatze, ist es schon wieder Zeit, zum Aufstehen?« Quentin kam langsam zu sich. Mit schnellem Ruck zog er sie zu sich heran.

Nach einer intensiv zärtlichen Kuschelstunde, schwang sich Kim aus dem Bett. Mit flinken Fingern durchwühlte sie den ersten Kleiderkarton, der ihr unter die Augen kam. Eine gelbe Jeans unterm Arm, sowie mit einem hellgelben Shirt und einer dunkelblauen Strickjacke, als auch mit ihrer Unterwäsche bewappnet, machte sie sich auf den Weg zum Bad.

Bevor sie es erreichte, fiel ihr der Modergeruch auf, der immer intensiver, immer aufdringlicher wurde.

Kim fröstelte.

Ein Kälteschauder nach dem anderen jagte ihren Rücken hinunter.

Ihr fielen wieder Noras Worte ein.

Imperato, er ist hier!

Ihre Haare stellten sich. Verängstigt sah sie den Flur entlang, hin zu ihrem Schlafzimmer, in dem Quentin lag, der unterdessen wieder eingeschlafen war.

Was mach‘ ich nur? Was, wenn es diesen Dämon tatsächlich gibt?

Noch eisigere Kälte beschlich sie.

Er ist jetzt ganz in meiner Nähe. Ich kann ihn riechen!

Sie wollte schon wieder zurück zum Schlafzimmer rennen, als sie Quentins Schnarchen vernahm.

Na toll, was für ein Beschützer!

Enttäuscht ließ sie die Schultern hängen. Sie ließ ganz bewusst ihre Klamotten fallen, um sich gleich darauf, nach ihnen zu bücken.

Zeit, ich muss Zeit schinden. Wenn er mich tatsächlich beobachtet, muss er nicht auch noch wissen, dass ich von seiner Existenz weiß, und Angst vor ihm habe.

Sie unterdrückte den Laut der Angst, der sich über ihre Lippen hinausquetschen wollte.

Wir wohnen nun einmal in diesem Haus, folglich muss ich mich damit abfinden, dass es diesen Imperato, ab sofort, in meinem Leben gibt. Und ich muss lernen, mich gegen ihn zu wehren.

Kim wusste, sofern Nora Recht hätte, das Ziel des Dämons, ihr und Quentins Tod sein würde. Und sie wusste auch, dass sie sich nicht vor dem Dämon fürchten durfte. Angst war die Nahrung der Dämonen. Die Angst ihrer Opfer. Wenn nur ein Teil der Dinge stimmte, von denen sie schon in Gruselromanen und Horrorfilmen gelesen und gehört hatte, war sie sich sicher, dass das Letzte, was sie einem Geist oder Dämon zeigen durfte, Angst war. Angst würde sie noch angreifbarer werden lassen. Und das durfte auf gar keinen Fall geschehen.

Während sie mit langsamen Handbewegungen ihre Kleider zusammenraffte, sah sie sich verstohlen nach dem Dämon um.

Ob sie Imperato wohl auch sehen könnte? Schemenhaft, vielleicht?

Sie warf einen unsicheren Blick über ihre Schulter.

Nein, da war nichts.

Auch vor sich konnte sie keinen Schatten ausmachen.

Nur der Gestank, der penetrante Modergeruch, zog sich in dem langen, breiten Flur entlang, und kam ihr immer näher.

Eilig packte sie ihre Kleider, fuhr mit einem hastigen Ruck hoch, und rief laut: »Wo immer du dich auch aufhalten magst, Imperato, ich fürchte dich nicht!«

Innerlich bebte sie, vor Angst. Sie hatte all ihren Mut gebraucht, um ihre Worte auch glaubhaft in den leeren, mit frühem Morgenlicht durchfluteten Flur zu werfen.

Schnellen Schrittes lief sie auf die Badezimmertür zu, ging hinein. Bevor sie die Tür verschloss, sagte sie: »Wenn ich dusche, haben weder Geister noch Dämonen Zutritt. Ich hoffe, wir haben uns verstanden! Und jetzt mach dich ab, wo immer du auch bist!«

Sofort verstärkte sich der Modergeruch. Sie konnte ihn regelrecht fühlen. Wie kalter Atem fühlte er sich an. Kalter Atem, der ihre Wange streifte, als würde sie von einem kalten Etwas angehaucht werden.

Kim bekam weiche Knie. Sie straffte sich, trotz ihrer Angst.

»Verschwinde von hier, aber sofort! Du magst vielleicht die alte Tante Evelyn erschrecken gekonnt haben, aber bei mir gelingt dir das nicht. Da, sieh genau hin! Siehst du das? Das ist ein Kreuz. Ein geweihtes Kreuz! Das trage ich seit meiner Kommunion. Na, wie gefällt dir das?« Sie griff an die Kette an ihrem Hals, ertastete das kleine goldene Kreuz und hob es, so weit die Kette es zuließ, von sich, hin in die Richtung, aus der der Modergestank kam.

Und, ob sie es sich nun einbildete, oder auch nicht, der Modergeruch verflüchtigte sich. Zurück blieb ein leichter Duft nach Lavendel.

»Evelyn? Tante Evelyn? Bist du das? Bist du da? Danke, dass du ihn vertrieben hast«, flüsterte Kim, als sie den Lavendelgeruch wahrnahm.

An diesem Ort muss ich sehr aufpassen, dass ich nicht verrückt werde. Noch niemals wollte ich einen Geist in meinem Leben haben. Und erst recht nicht einen Geist und einen Dämon, ging es Kim durch den Kopf, während sie unter die Dusche stieg und den leichten Regen der Wasserperlen auf ihre Haut prasseln ließ.

Das sanfte Plätschern des Wassers und der frische Duft ihres Duschgels ließen Kim auf andere Gedanken kommen.

Als sie mit ihrer Morgentoilette fertig war, erinnerte nichts mehr an Modergeruch und Lavendelduft.

Ob ich mir das alles nur eingebildet habe?

Sie ging zurück zum Schlafzimmer, setzte sich neben Quentin aufs Bett, beugte sich über ihn und küsste ihn auf die Nase.

»Aufstehen, du Schlafmütze. Wir haben einen langen Tag vor uns«, säuselte sie, zwischen den Küssen.

»Kim, ist es schon wieder Zeit, zum Aufstehen?« Quentin öffnete die Augen und zog sie zu sich herunter. »Na, wie wär’s? Wollen wir das nochmals machen? War doch schön, vorhin … Auf diese Art möchte ich jeden Morgen von dir geweckt werden.« Seine Hände fuhren zärtlich ihren Rücken entlang.

»Jetzt übertreib mal nicht. Außerdem, geweckt werden, schmusen und dann gleich wieder einschlafen, das sind wohl auch nicht unbedingt die guten englischen Sitten«, lachte Kim, die ihr Geruchserlebnis bereits wieder verdrängt hatte.

»Gute englische Sitten? Was hab ich mit denen zu tun? Bin ich etwa ein Engländer? Mitnichten, meine Herzallerliebste, mitnichten«, lachte auch Quentin. Er drückte sie ganz fest an sich, und sie konnte erneut sein Verlangen nach ihr spüren. Zärtlich nahm er ihre Hand und zog sie unter die Bettdecke.

»Mein Herr, nicht jetzt! Auch wenn es noch so verführerisch ist, und sich verlockend anfühlt, so haben wir dafür so gar keine Zeit. Die Schmuseeinheiten von vorhin, die müssen fürs Erste reichen.« Kim machte sich frei und schwang sich mit einem saloppen Schwung aus dem Bett.

»Wie kannst du nur so herzlos sein?« Quentin winkte sie mit den Händen zu sich heran, doch Kim schnippte mit den Fingern, hob die Hand und ihren Zeigefinger, und rief, gut gelaunt: »Nicht jetzt! Ich geh‘ jetzt runter und mache Frühstück. Und du nimmst am besten eine kalte Dusche, damit du wieder abkühlst, … und auch wieder schrumpfst.« Verstohlen lugte sie zur Bettdecke, unter der sich die leichte Ausbeulung von Quentins Erregung abzeichnete. Sie schüttelte, gespielt entrüstet, ihren Lockenkopf.

Noch bevor Quentin etwas erwidern konnte, lief sie bereits die Treppe hinunter.

»Oh, Weib, wie kannst du nur so herzlos sein? Ich verschmachte hier«, hörte sie ihn, in ebenfalls gespieltem Ton, hinter ihr herrufen.

»Ich liebe dich auch, Quentin«, rief sie nach oben, während sie sich in der Küche umsah.

Beim Frühstück unterhielten sie sich über dies und das, machten Pläne für den Tag, und was sie alles erledigen wollten.

»Zu allererst müssen wir heute nach dem Hund sehen. Wenn Doktor Morgenrot Recht hat, dann können wir ihn nachher auch gleich mit nach Hause nehmen.« Kim drehte sich zu Salbei, der an der Spüle am Fenster saß, und sagte: »Salbei, du bekommst Gesellschaft. Später werden wir einen kleinen Hund mitbringen. Tu ihm nichts, er wird dir mit Sicherheit auch nichts tun.«

Salbei krächzte, als hätte er Kims Worte verstanden. Bereits im nächsten Moment saß er auf ihrem Kopf und knabberte an ihren Locken.

»Nicht, Salbei, das kitzelt. Da, nimm ein Stück Brötchen.« Sie zupfte von ihrem Brötchen eine Krume und hob sie ihm hin.

Sofort schnappte Salbei mit seinem langen schwarzen Schnabel danach. Gleich darauf flatterte er, mit dem Krumen im Schnabel, auf das Geschirrregal zu.

»Irgendwann wird er noch bei seinen sturzflugartigen Landemanövern das Geschirr runterwerfen.« Quentin verfolgte Salbeis Flug. Wieso er ausgerechnet auch noch eine Krähe vererbt bekommen hatte, das wusste er nicht. Als wenn an einer Krähe etwas Besonderes wäre.

Zudem gehörten diese Vögel in die freie Natur oder auf Friedhöfe, aber nicht ausgerechnet in eine Familie, und erst recht nicht in ein Haus. Aber, da es nun einmal Tante Evelyns Vermächtnis war, musste er sich diesem beugen, und versuchen, sich damit abzufinden, ab sofort, mit einer Krähe unter einem Dach leben zu müssen.

»Sag, hast du einen Vorschlag?«

»Hast du etwas zu mir gesagt, Kim?« Quentins Blick suchte gedankenverloren Kims Augen.

»Wo bist du nur mit deinen Gedanken?«, fragte Kim und sah ihn aufmerksam an.

»Ach, ich habe nur über diesen Vogel nachgedacht, und was sich Tante Evelyn dabei gedacht hat, ihn mir zu vererben.«

»Ich finde Salbei toll. Ich hatte schon immer eine Vorliebe für Krähen.« Ihr war die Freude über den Besitz von Salbei, anzusehen.

»Ich weiß, Schatz.« Er blickte zu Salbei. »Es macht den Eindruck, dass er dich auch mag.«

Für Salbei war das das Stichwort. Erneut setzte er zum Flug an, und landete diesmal genau zwischen ihren Tellern. Aufgeregt schlug er mit den Flügeln, während er mit geneigtem Köpfchen zu Quentin hinschaute.

»Was ist, Salbei? Sind das etwa deine guten Tischmanieren? Hat dich Tante Evelyn tatsächlich auf dem Tisch sitzen lassen? Wie wär’s, möchtest du auch noch ein wenig Kaffee?« Vorsichtig streichelte Quentin den Kopf der Krähe. So ganz geheuer war ihm dieses Vogelvieh nicht. Es kam ihm vor, als beobachtete die Krähe ihn. Doch das bildete er sich mit Sicherheit nur ein.

»Sei doch nicht so ironisch, Quentin. Salbei ist ein Vogel, er kann doch nicht wissen, dass dein Sarkasmus mal wieder mit dir durchgeht. Stell dir einmal vor, er würde tatsächlich Kaffee mögen. Woher sollte er denn dann jetzt wissen, dass du die Frage gar nicht ernst gemeint hast?«

»Kim, jetzt hör' aber auf, du tust ja gerade so, als könnte Salbei meine Worte verstehen.« Quentin winkte belustigt ab.

»Das tut er auch, da bin ich mir sicher. Aber jetzt sollten wir uns einmal um einen Hundenamen Gedanken machen. Sag, Quentin, fällt dir ein schöner Name für unseren Hund ein?«

»Hasso. Was hältst du von Hasso?«

»Oh, Quentin. Hasso, das ist ein Name für einen Schäferhund.«

Während Kim und Quentin über einen Hundenamen nachdachten, nutzte Salbei die Gunst der Stunde. Er drehte krächzend seinen Kopf, seine winzigen Lider zitterten. Er gierte mit seinem Schnabel in Quentins Tasse, um gleich danach den Kaffee seine Kehle hinunterlaufen zu lassen.

»Hast du das gesehen, Kim? Igitt, igitt! Den Kaffee kannst du wegschütten, den will ich jetzt beim besten Willen nicht mehr.« Angewidert schob er die Kaffeetasse von sich, was Salbei wiederum als Einladung ansah, und erneut aus der Tasse schlürfte.

»Das kann ja noch heiter werden. Demnächst kann ich unter dem Tisch frühstücken, damit ich nicht mit dem Vieh teilen muss.« Angeekelt, verzog er seinen Mund.

»Lass es gut sein, Schatz. Sag‘ mir lieber einen Namen für unseren Hund.« Kim beobachtete belustigt Salbeis Kaffeezeremonie.

»Rex. Benno«, schlug Quentin vor.

»Das sind doch keine Namen für so einen Wollknäuel. Mich erinnert der Hund an Peppels.«

»Peppels? Den Hund unserer ehemaligen Nachbarin? Warum nennst du ihn dann nicht auch so?«

»Weil Peppels, Peppels ist, und unser Hund seinen eigenen Namen haben soll.«

»Ach, Kim, ich weiß keinen. Los, lass uns aufräumen, den Transporter zurückbringen, und dann nach dem Hund sehen.«

Sie standen auf, räumten ab und stellten das schmutzige Geschirr in die Spülmaschine.

Kim zündete sich eine Zigarette an, stellte sich ans Fenster und sah hinaus. Dabei schlenderte ihr Blick zu dem Leichenwagen hin.

»Eigenartig, im Licht sieht er fast aus, als wäre er fliederfarben«, dachte Kim und bemerkte gar nicht, dass sie ihre Gedanken laut ausgesprochen hatte.

Quentin kam zu ihr, stellte sich hinter sie und sah ebenfalls hinaus. »Nicht fliederfarben, Kim. Lavendelfarben sieht er heute Morgen aus, und dabei bin ich mir sicher, dass seine Farbe eigentlich eine Mischung aus Schwarz und Grau ist. Aber«, Quentin machte eine Pause, »wer weiß, vielleicht sitzt Tante Evelyn gerade in ihm drin, so dass sich vor lauter Lavendelduft der Wagen der Farbe des Lavendels anpasst.«

Kim drehte sich entrüstet um, und pustete Quentin, ungewollt, den Rauch ihrer Zigarette ins Gesicht. »Du solltest mit solchen Dingen nicht scherzen, Schatz.«

»Kleines, du hast dich von dieser Nora ganz verrückt machen lassen, das ist alles. Dass Cemetery Car heute Morgen lavendelfarben aussieht, hat mit dem Lichteinfall etwas zu tun, mehr aber auch nicht.«

»Ich weiß nicht. Ach, lass uns aufhören, darüber zu diskutieren.« Sie gab auf, und winkte ab. »Geh mir aus dem Weg, ich muss noch die Milch in den Kühlschrank stellen.« Sie versetzte ihm einen leichten Schubs, nahm die Milchkanne und stellte sie zurück in den Kühlschrank.

Beim Öffnen der Kühlschranktür, rief sie: »Rhapsodie! So soll unser Hund heißen. Das ist ein schöner und außergewöhnlicher Name für einen Hund, und er passt phantastisch. Rhapsodie, genauso werden wir ihn nennen.«

»Wie du meinst.« Quentin nahm seinen Schlüssel, holte die Papiere des Transporters und sie verließen das Haus.

»Welchen von beiden?« Quentin hielt Kim die Schlüssel des Transporters und den Cemetery Cars vor die Nase.

»… wenn es nicht anders geht. Aber ich sag‘ dir gleich, nur unter Protest.« Kim verzog ihren schönen Mund, so dass ihre Lippen zu einem Strich wurden.

»Du kannst auch den Transporter fahren. Nur, ich kann nun mal nicht beide Autos gleichzeitig fahren, Kim. Und irgendwie müssen wir ja wieder zurückkommen.«

»Ich hab‘ dir gleich gesagt, dass wir den Leichenwagen bei der Leasinggesellschaft hätten stehen lassen sollen. Aber nein, du wolltest ja nicht auf mich hören.« Widerwillig nahm Kim den Schlüssel von Cemetery Car, schloss auf und setzte sich hinein.

Schon beim Einsteigen nahm sie den leichten Duft von Lavendel wahr.

»Zimt, du hast nach Zimt zu riechen. Zimtduftspray hat Quentin in dir versprüht.« Sie drehte den Zündschlüssel um und startete, gleich darauf fuhr sie los.

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