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15 - Der unscheinbare Professor Gräulich
Оглавление»Nickel? Ein recht ungewöhnlicher Name, für einen Hund.« Kim betrachtete den rehbraunen Cockerspaniel und versuchte, hinter den eigentlichen Grund von dessen Namen zu kommen.
»Na ja, Nickel und ich, wir sind mitunter auch etwas außergewöhnlich. Zumal ich eine Vorliebe für etwas andersartige Namen habe, wie man an dem Meinigen sehr gut erkennen kann«, erklärte Madame Zink, während sie ein weiteres Kaffeegedeck für den Professor auflegte. Mit einem lächelnden Augenzwinkern, sagte sie: »Nickel und Zink, das passt doch gut, nicht wahr? Von Zink zu Nickel ist es nicht mehr weit … Man weiß immer sofort, um wen es sich handelt, wer zu wem gehört.«
Professor Gräulich hatte sich unterdessen in den breiten, mit einer Flickendecke abgedeckten Sessel gesetzt. Hinter seiner groß umrandeten Nickelbrille, bewegten sich flinke blaue Augen, die Quentin und Kim aufmerksam beobachten.
»Professor Gräulich ist mein Untermieter. Auch wenn mein Haus über eine Vielzahl von Zimmern verfügt«, sie unterbrach sich selbst, »ich weiß, von außen wirkt es klein und unscheinbar. Aber von innen, da sieht das Ganze ganz anders aus.« Sie lachte herzhaft. »Doch zurück zu unserem Professor. Wie gesagt, auch wenn das Haus viele Zimmer hat, hat er es sich nicht nehmen lassen, auf dem Dachboden wohnen zu wollen. Nun ja, Professoren, sie sind mitunter auch sehr eigen, um nicht zu sagen, ein klein wenig wunderlich. Nicht wahr, mein Bester.« Sie lächelte dem Professor zu, und in ihrem Blick lag die gesamte Vertrautheit, die die beiden miteinander verband.
Zink nahm die Platte mit den Kaffeeteilchen und bot sie nochmals an. »Noch ein Stückchen von der leckeren Hefeschnecke? Nein? Ich habe auch noch Dampfnudeln in der Küche. Möchte jemand? Ich hole sie, dann können Sie zugreifen, wann immer Sie möchten.« Es dauerte nicht lange und sie war mit einer blauen Kuchenplatte, auf der sechs propere Dampfnudeln, mit krustigem Boden lagen, zurück.
Professor Gräulich griff, etwas verlegen, nach einer verlockend aussehenden Dampfnudel, während er immer wieder die Schultern hochzog, breit grinste, und sich dabei kleine Stücke des leckeren Hefegebäckbratlings abzupfte.
Auch Nickel und Rhapsodie umrundeten den Tisch, bettelten leise fiepend, was ihnen sofort eine Rüge von Madame Zink einbrachte.
»Professor, lehren Sie an einer Universität?«, interessierte sich Quentin für den Professor. Er fand den unscheinbaren Mann nicht unbedingt sonderbar, dafür allerdings umso interessanter. Irgendetwas ging von diesem Mann, den er auf Mitte vierzig schätzte, aus. Auch wenn Quentin nicht hätte sagen können, was es war. Er fühlte sich zu diesem Mann irgendwie hingezogen; und das war für Quentin eine ganz neue Erfahrung, denn eigentlich brauchte er immer eine Zeit lang, bis er sich jemandem öffnete, nicht weiterhin reserviert gegenüberstand. Mit dem Professor jedoch verhielt sich dies anders. Gleichzeitig warnte ihn aber auch genau dieses Gefühl, vor diesem Mann, und versuchte, Quentin auf Distanz zu zwingen.
Auch Kim war von Professor Gräulich recht angetan.
»Wie bitte?« Er lächelte, gedankenversunken. »Nun ja, das kann man so nicht sagen. Ich habe sehr wohl an einer sehr alten Uni einen Lehrstuhl inne, aber die Anzahl meiner Lesungen, sind heutzutage, relativ gering gehalten.«
»Nicht so bescheiden, mein Bester. Professor Gräulich ist immer dermaßen bescheiden. Er mag zwar nicht allzu viel Zeit an Universitäten verbringen, dafür ist er aber stetig in unserer alten Abtei zu finden. Die Mönche dort, sie können gar nicht genug von Professor Gräulichs Vorlesungen bekommen«, unterbrach ihn Zink.
»Madame Zink, so können Sie das nicht sagen.« Leicht verlegen, rutschte der Professor auf dem Sessel hin und her, wobei die Flickendecke verrutschte. Er zupfte sich sein Hosenbein zurecht, nahm die Tasse, schlürfte leise seinen Kaffee, und sah hinter seiner Brille hindurch, die anderen an.
»Nein, nein. Nicht immer so bescheiden! Sie müssen wissen, Quentin und Kim, der Professor liebt es, in alten Schriften zu schmökern. Damit kann er ganze Tage und Nächte verbringen, ohne überhaupt zu bemerken, wie viel Zeit verstreicht. Zudem hat er eine Vorliebe für das Mystische. Geheimnisse, er liebt es, hinter solche zu kommen, sie zu lösen.« Sie lachte und entblößte dabei ihre weißen Zähne. »Ja, so ist er, der gute Professor. Immer ein wenig zerstreut, viel zu bescheiden, wenn Sie mich fragen, und ewig auf der Suche nach Antworten. Sein Spezialgebiet sind die Unerklärlichen Phänomene. Ich verrate doch kein Geheimnis«, sie zwinkerte Gräulich zu, »nicht wahr, Professor, wenn ich den beiden das sage? Immerhin wird auch ihnen die Begegnung mit dem Übernatürlichen nicht erspart bleiben.« Ihr Blick wanderte vielsagend vom Professor zu Quentin und Kim.
»Was wollen Sie damit sagen?« Quentin setzte sich steil auf. Seine Nackenhaare stellten sich.
»Übernatürlich? Was deuten Sie damit an? Ist es dieser Imperato, geht es darum? Meinen Sie ihn damit?« Kim fühlte bereits wieder das leise Angstkribbeln in der Magengegend.
»Nur nicht so neugierig, alles zu seiner Zeit.« Sie neigte den Kopf, strich mit dem Zeigefinger durch die Luft, hin und her. »Wie ich aus Ihren Worten herauszuhören glaube, haben Sie bereits schon die Bekanntschaft mit Imperato gemacht. Schade, ich dachte eigentlich, dass ich Ihnen hierzu etwas erzählen könnte, aber wenn Sie bereits schon alles wissen …« Zink ließ sich seufzend in ihren Sessel zurückfallen.
»Oh doch«, ereiferte sich Kim, »Sie können uns noch sehr viel darüber erzählen. Eigentlich sind wir auch genau aus diesem Grund zu Ihnen gekommen. Wir wollten von Ihnen wissen, ob Sie uns sagen können, was es mit der Villa Punto, und so einigen Gerüchten um diese, auf sich hat. Nora hat uns nämlich erzählt, dass dort ein bösartiger Dämon sein Unwesen treiben soll, der uns nach dem Leben trachtet. Imperato.« Kim zupfte sich wieder und wieder ihre wilden Locken aus der Stirn.
Ihre innerliche Aufgewühltheit machte sich nach außen bemerkbar. Sie konnte ihre Hände nicht stillhalten.
»Die gute Nora … Sie ist zu lange alleine gewesen. Sie übertreibt immer maßlos. Ganz so schlimm wird es bestimmt nicht kommen. Andererseits, man kann ja nie wissen …« Zink verstummte und sah den Professor mit hochgezogener Augenbraue an. Dieser schüttelte fast unmerklich den Kopf.
Kim jedoch bemerkte die stumme Unterhaltung der beiden, und fragte: »Was wollen Sie vor uns geheim halten?«
»Nichts, Kim, gar nichts. Nur, es gibt Dinge, zu denen kann man erst dann etwas sagen, wenn andere, wichtigere Dinge, besprochen worden sind.«
»Was kann es Wichtigeres geben, als das Wissen, wie man einen bösen Dämon bekämpfen kann?« Kims Gesicht wirkte blass, im Kerzenlicht der Dreidocht-Kardamomaromakerze, die ihren tanzenden Schatten auf sie warf.
Professor Gräulich schüttelte unmerklich den Kopf, und flüsterte vor sich hin: »Ts, ts, ts, als wenn es auch gute Dämonen gäbe.«
»Wie bitte, Professor? Was haben Sie gesagt?« Quentin war sich nicht sicher, den Professor richtig verstanden zu haben.
»Ich? Ich habe nur zu mir selbst gesprochen.« Gräulich winkte ab.
»Aber was, was haben Sie zu sich gesagt?« Quentin gab nicht nach.
»Dämonen, es gibt unter ihnen keine guten. Sie sind alle durch und durch böse. Nur manche von ihnen, eben ein bisschen mehr als andere. Aber gute Dämonen, so etwas gibt es nicht, da bin ich mir ganz sicher. Zumindest sind mir noch keine, aus der Kategorie Gute Dämonen, untergekommen.«
»Wollen Sie damit sagen, dass Sie schon einem Dämon begegnet sind?« Kim war aschfahl, jede Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen.
»Einem? Was glauben Sie, weshalb der Professor so viel in der alten Abtei herumhängt? Nicht wegen des guten Weins und des vielen Käses, den die Mönche dort herstellen. Auch nicht nur wegen seinen, über alles beliebten Lesungen. Oh nein, er ist, gemeinsam mit ihnen, auf der Suche nach dem Bösen. Er jagt das Böse, um es einmal auf den Punkt zu bringen.« Zu Gräulich gewandt, stellte sie in festem Tonfall fest: »Diese Dinge, wir sollten sie nicht beschönigen, noch verharmlosen, oder gar verschweigen. Nein, sie müssen auf den Punkt gebracht werden, Professor!«
»Madame Zink, Sie sollten nicht zu viel über meine Arbeit verraten. Die beiden glauben sonst noch, dass wir verrückt sind. Sie wissen, dass dies ein Thema ist, dem die wenigsten Menschen offen gegenüberstehen.« Er sah sie besorgt an, fügte, erneut nach der Kaffeetasse greifend, hinzu: »Auch wenn ich Ihnen zustimme, dass gewisse Dinge auf den Punkt gebracht werden müssen. Doch alles zu seiner Zeit, nicht wahr, meine Beste?«
»Sind Sie so eine Art Geisterjäger?« Quentin konnte nicht glauben, dass er diese Frage gestellt hatte.
»Wenn Sie es unbedingt so ausdrücken wollen.« Sie lächelte Gräulich aufmunternd zu. »Ja, der Professor ist ein Dämonenjäger. Manchmal bekommt er auch Hilfe von den Mönchen … Einen Mönch gibt es, der schon sehr viel, zusammen mit dem Professor unternommen hat.«
»Liebste Zink, glauben Sie nicht auch, dass heute Abend nicht unbedingt der richtige Zeitpunkt, zur Erläuterung von diesen Phänomenen, ist? Ihre Gäste, sie haben doch ganz bestimmt einen Grund, für ihr Erscheinen, hier bei Ihnen«, unterbrach Professor Gräulich Zinks Lobeshymnen.
»Wie konnte ich das nur vergessen! Ich finde Ihr Arbeitsgebiet nur dermaßen interessant, so ungemein aufregend, spannend und faszinierend, dass ich immer wieder gerne davon erzähle.« Sie machte eine vielsagende Pause. »Natürlich nur, wenn wir unter Gleichgesinnten sind.« Vielversprechend, schaute sie zu Quentin und Kim. »Wir sind doch Gleichgesinnte, nicht wahr? Und was Imperato angeht, ob er tatsächlich so bösartig ist, wie die gute Nora erzählt, das wage ich, zu bezweifeln. Immerhin hat Ihre Großtante Jahre mit ihm zusammen in der Villa Punto verbracht.«
»Jahre?« Quentins Augen verengten sich zu Schlitzen. Diese Madame Zink und ihr Professor, die beiden waren ja beinahe noch schlimmer, als es Nora bereits schon gewesen war.
Die beiden waren sich nicht nur sicher, dass es diesen Imperato gab, nein, sie behaupteten nun auch noch, dass Tante Evelyn mit ihm über Jahre unter einem Dach gewohnt haben sollte.
Was ging hier nur vor sich?
Wollte man ihn und Kim verrückt machen?
Sollten sie für geistig nicht zurechnungsfähig erklärt werden?
Konnte es sein, dass man so, womöglich, an das Erbe von Evelyn herankommen wollte? Hatte er gar einen Schatz geerbt?
Sollten sie deswegen in den Wahnsinn getrieben werden?
Quentin konnte seine Gedanken nicht mehr unter Kontrolle halten. Er war hin- und hergerissen von diesen und jenen Argumenten, und dabei entging ihm der Widersinn von diesen.
Seine Gedanken, sie sprudelten in alle Richtungen, nur zu einem konkreten Ende, kamen sie nicht.
Anstelle von Ausrufezeichen, die er sich von einem Besuch bei Madame Zink erhofft hatte, stand er jetzt vor noch mehr geistigen Fragezeichen.
Irritiert griff er nach dem Glas Rotwein, welchen ihnen Madame Zink unterdessen eingeschenkt und vor sie hingestellt hatte. Auch nahm er eins von den kleinen Appetithäppchen und kaute lustlos darauf herum.
Quentin sah sich mit einer total neuen, einer absolut, für ihn fremden Welt konfrontiert, in der von Dämonen und Geistern die Rede war, als wären sie das Selbstverständlichste auf der Welt, im alltäglichen Leben. Als seien sie ein Stück der Normalität, der Realität des täglichen Alltags, der Gegenwart ihres Lebens.
Für einen Realisten, wie Quentin einer war, handelte es sich hierbei um sehr unglaubwürdige, zweifelhafte Themen. Zu sehr stand er mit beiden Beinen im Leben, als dass er an die Existenz des Paranormalen glaubte.
Jedoch, wäre all das bisher Gehörte wahr, hieße dies für ihn, seinen bisherigen Glauben neu überdenken zu müssen.
Sich Phänomenen zu öffnen, die er bisher immer verleugnet, an die er nie zuvor geglaubt hatte.