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Die ideologischen Ursprünge der Revolution

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Der Gesinnungswandel, der aus treuen Untertanen der KroneGroßbritannien PatriotenPatrioten und Rebellen machte, hatte sich erstaunlich rasch vollzogen. John AdamsAdams, John bezeichnete diesen intellektuellen Prozess rückblickend als den eigentlichen Kern des Geschehens. Die Revolution, so schrieb er 1815 an Thomas JeffersonJefferson, Thomas, habe in den Köpfen der Menschen stattgefunden, und sie sei schon abgeschlossen gewesen, bevor 1775 bei Lexington und ConcordLexington und Concord (Schlacht bei) Blut vergossen wurde. Diese Beobachtung trifft insofern zu, als die Ursprünge des britisch-amerikanischen Disputs, wie der Historiker Bernard BailynBailyn, Bernard nachgewiesen hat, in erster Linie geistig-ideologischer Natur waren. Das beharrliche Pochen auf die „alten englischenGroßbritannien Rechte“ diente nicht der Verschleierung materieller Interessen, wenngleich diese sicher auch eine Rolle spielten. Den unerlässlichen Nährboden für die Widerstandshaltung bildete vielmehr ein Geflecht von Denkgewohnheiten, Verhaltensweisen und Wertvorstellungen, das in tiefere Bewusstseinsebenen hineinreichte und breite soziale Schichten beeinflusste. Die gebildeten Kolonisten schöpften ihre Argumente und Konzepte aus vielen Quellen: aus den Werken englischer Juristen wie Sir Edward CokeCoke, Sir Edward und William BlackstoneBlackstone, Sir William; aus der liberalen Natur- und Vertragsrechtslehre John LockesLocke, John; aus der Literatur der AufklärungAufklärung, speziell in der Variante des schottischen Utilitarismus. Ganz besonders empfänglich waren sie selbst und ihr Publikum aber für die Maximen der englischenGroßbritannien Oppositionsliteratur, deren beide Elemente – das radikale aus John TrenchardsTrenchard, John und Thomas GordonsGordon, Thomas Cato’s LettersCato’s Letters und das konservativ-nostalgische des Patriot King von Lord BolingbrokeBolingbroke, Henry St. John, Viscount – in ihrem Bewusstsein zu einer verhältnismäßig geschlossenen Weltanschauung, zu einer spezifisch amerikanischen Country-IdeologieCountry-Ideologie verschmolzen. Sie diente als Rahmen, in den sich alle anderen, oft widersprüchlichen Denkmuster und geistigen Strömungen einfügen ließen, und der die Orientierung erleichterte, wenn nicht erst ermöglichte. Im Lichte dieser Ideologie mit ihrem extremen Machtmisstrauen, ihrer Hochschätzung der klassisch-römischen Bürgertugend (virtuevirtue) und ihren Warnungen vor einem unmerklichen, schleichenden Verlust der Freiheit reimten sich die Ereignisse seit 1763 zu einem logischen Ganzen, zu einer von langer Hand geplanten, weit verzweigten und systematisch vorangetriebenen Verschwörung gegen die Kolonien zusammen. Die neuen Steuern, das Insistieren der BritenGroßbritannien auf der absoluten ParlamentssouveränitätParlamentssouveränität, der Ausbau der Kolonialverwaltung, die Verlegung von Truppen in die Städte und schließlich die harte Bestrafung von MassachusettsMassachusetts – all das waren keine Reformen, sondern Anhaltspunkte für einen generellen Anschlag auf das Selbstbestimmungsrecht der Kolonisten, auf einen „deliberate, systematic plan of reducing us to slavery“, wie es der junge virginische Pflanzer Thomas JeffersonJefferson, Thomas 1774 in seinem Pamphlet A Summary View of the Rights of British AmericaA Summary View of the Rights of British America (1774) ausdrückte. Solche Vorstellungen trugen irrationale Züge, aber sie besaßen einen wahren Kern, weil die englische Regierung in der Tat eine fundamentale Veränderung der imperialen Beziehungen anstrebte. Die calvinistischenCalvinisten Geistlichen der NeuenglandNeuengland (s.a. Nordosten, Regionen)-Kolonien steigerten die Verschwörungsängste noch durch ihre eigene manichäisch-apokalyptische Sicht der Dinge: Waren ihnen während des Siebenjährigen KriegesFrankreichSiebenjähriger KriegSiebenjähriger Krieg (French and Indian War) noch die Franzosen als Werkzeuge des Antichrist erschienen, so deuteten sie nun die „Privilegierung“ der katholischen Siedler in QuebecQuebec und die Bestrafung von Massachusetts durch LondonLondon als ein neues Kapitel im eschatologischen Kampf zwischen Gut und Böse, der gemäß der Offenbarung des Johannes die Wiederkehr Christi und den Beginn des Millenniums, des tausendjährigen Friedensreiches, einleitete. Damit ging auch die religiöse Klammer verloren, die englische und amerikanische Protestanten über den Atlantik hinweg zusammengehalten hatte.

In den Kolonien wirkten die Ängste nicht lähmend, sondern setzten zusätzliche Energien frei. Die „Aufdeckung“ der englischenGroßbritannien Machenschaften steigerte offenkundig das Selbstbewusstsein und das Machtgefühl der PatriotenPatrioten. Hatten sie zunächst nur die Befugnis des Parlaments angezweifelt, „interne“, die Selbstverwaltung der Kolonien berührende Abgaben zu erheben, so stellten sie wenig später die Geltungskraft des imperialen Steuerrechts insgesamt in Frage, um dann schließlich dem King in Parliament jegliche Gesetzgebungskompetenz abzusprechen. Die Berufung auf die Ancient Constitution und die historischen Rechte der Engländer wurde im Laufe der Debatte durch die Konzepte des Gesellschaftsvertrags und der „natürlichen Rechte“ aller Menschen ergänzt und überwölbt. Auf diese Weise gelang es, die städtischen Mittel- und Unterschichten zu mobilisieren und die Autorität von englischer Regierung und Westminster-Parlament sowie mehr und mehr auch die Zuneigung zur KroneGroßbritannien zu untergraben. Die Propaganda der Patrioten und die inkonsequente Haltung der verantwortlichen Politiker in LondonLondon entzogen überdies den Gegnern der Unabhängigkeit, den Loyalists oder – im Sprachgebrauch der Patrioten – ToriesTories, die das monarchische System und die gesellschaftliche Hierarchie als gottgegeben verteidigten, allmählich den Boden und stempelten sie zu Feinden des Volkes. Eine wachsende Zahl von Amerikanern, die den patriotischen Führern folgten, empfanden sich demgegenüber nicht mehr als Untertanen, sondern als freie Bürger, die ihr Schicksal selbst in die Hand nahmen.

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