Читать книгу Café au lait - Anna Dubiel - Страница 10
7 – Heulkrämpfe und Attacken
ОглавлениеZu Hause angekommen schmeiße ich meine Tasche auf das Sofa, kicke meine Schuhe in die Ecke und gehe wie ferngesteuert zu meinem Kleiderschrank. Einmal tief durchatmen, bevor ich ihn öffne und eine große Kiste heraushole.
Mit zitternden Händen trage ich die Kiste ins Wohnzimmer und setze mich zusammen mit ihr aufs Sofa.
Ich schließe kurz die Augen, versuche mich zu entspannen und mich auf das Kommende vorzubereiten. Immer noch zitternd öffne ich langsam die Kiste und es kommt mir ein vertrauter Geruch entgegen. Sanft nehme ich das Shirt, das ich Mark einst geschenkt habe, heraus und presse es an mich.
»Ich wünschte, du wärst hier, Mark«, flüstere ich mit erstickter Stimme und spüre, wie die heißen Tränen über meine Wange kullern. Ich ziehe mir das Shirt über, damit es sich anfühlt, als würde mich Mark umarmen. Als wäre er neben mir, als wäre er bei mir.
»Verdammt Mark, warum hast du das gemacht? Wieso hast du mich allein gelassen und bist einfach verschwunden? Warum nur? Ich brauche dich doch!«, rufe ich verzweifelt, während ich mir ein Bild von uns beiden ansehe.
Es zeigt ihn und mich auf der Hochzeit seiner Tante. Ich trage auf dem Bild ein gelbes, luftiges Kleid und meine Haare hängen mir wellig über die Schultern. Mark trägt einen schwarzen Anzug und strahlt mich mit seinem wunderschönen Lächeln an. Schniefend lasse ich mich in die Couch fallen und erinnere mich an den Tag zurück.
»Mark, Malia, seht mal zu mir! Dann kann ich ein Bild von euch machen!«, kichert Myra und winkt wild mit den Armen. Darauf hin sehe ich grinsend zu Marks Schwester, während seine Augen nur auf mich gerichtet sind.
»Du bist wunderschön, Schatz.« Es ist nur ein Flüstern, aber seine Worte lösen ein unbeschreiblich kostbares Gefühl in mir aus, sodass ich nur noch mehr in die Kamera grinse, die Myra auf uns hält.
»Perfekt«, sagt sie, nachdem sie das Foto geschossen hat und sich dann wieder den anderen Gästen widmet.
»Weißt du, bei unserer Hochzeit in ein paar Jahren möchte ich nicht so viele Gäste dabei haben«, seufzt Mark und schenkt mir einen Kuss auf den Kopf.
»Ach nein? Aber allein deine Familie sind schon knapp zwanzig Personen«, erwidere ich grinsend und sehe meinem Freund verträumt in die Augen.
»Nah, die will ich nicht alle dabei haben.«
»Da weiß ich aber, wer enttäuscht sein wird.« Auf meinen Lippen liegt die ganze Zeit ein Lächeln und auch seine Lippen ziert ein Grinsen.
»Ist mir egal. Eigentlich brauche ich gar keine weiteren Gäste, nur dich«, haucht er und küsst mich sanft. Seine Lippen schmecken leicht nach dem Sekt, den er zuvor getrunken hat. Er grinst in den Kuss hinein, genauso wie ich. Jedes Mal verliebe ich mich neu in ihn, diesen wunderbaren Mann.
Wir haben von einer Hochzeit gesprochen. Von unserer Hochzeit und dann? Ein paar Tage später war er fort, einfach so. Ohne auch nur irgendwelche Anzeichen oder Sonstiges. Schniefend wische ich mir über die Augen, als mir der Brief in die Hände fällt.
Meine allerliebste Malia, mein Schatz,
wenn du diese Zeilen liest, bin ich fort, für immer. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr es schmerzt, hier zu sitzen und dir diesen Brief zu schreiben. Und dann muss ich dir auch noch erklären, warum ich diese Entscheidung getroffen habe.
Eins, was ich ganz am Anfang klarstellen muss, ist, dass es absolut rein gar nichts, mit dir zu tun hat. Du bist absolut nicht der Grund, für diese Entscheidung. Im Gegenteil, du hast es mir unfassbar schwer gemacht, trotzdem kannst du mich nicht aufhalten.
Ist dir schonmal aufgefallen, dass es eher Mädchen sind, die so etwas tun? So eine Tat begehen? Früher, als kleines Kind, dachte ich immer, Jungs dürfen das nicht, weil sie stark genug sind. Wie sich herausstellt, bin ich es nicht. Ich bin nicht stark genug, um durchzuhalten.
Weiter schaffe ich es nicht, weiter kann ich nicht lesen. Es zerreißt mir das Herz, dass ich nichts bemerkt habe, es zerreißt mich und meine Seele. War ich nicht gut genug für ihn? Habe ich ihm nicht ausgereicht, damit er weitermachen konnte und bei mir bleiben konnte? Ist es nicht schwer genug, damit klarzukommen, was passiert ist? Musste er mir auch noch diesen Abschiedsbrief schreiben, der so emotional ist, dass ich es nicht immer schaffe, ihn zu Ende zu lesen. Jedes Mal breche ich zusammen, jedes Mal überrollt mich eine neue Welle der Trauer und ich kann nicht mehr klar denken. In meinem Kopf spielt sich dann immer der letzte Moment mit ihm ab, an dem wir unendlich glücklich auf seinem Bett lagen und er mir immer wieder ins Ohr flüsterte, wie sehr er mich liebe und wie dankbar er mir für alles sei. Damals habe ich nicht verstanden, warum er mir das sagte, aber ein paar Tage später und heute weiß ich, warum er es gesagt hat.
Immer noch weiter weinend, höre ich, wie mein Handy anfängt zu klingeln und ich sehe, dass Ethan mich anruft.
In mir entsteht ein innerer Konflikt. Gehe ich ran oder drücke ich ihn weg? Ich will nicht, dass er hört, wie schlecht es mir gerade geht, außerdem will ich ihm den Grund nicht erklären. Andererseits hat er mir angeboten, dass ich mit ihm reden könne, wenn ich wollte, aber ich kann nicht reden. Meine Stimme wird mir nicht gehorchen und mein Hals schmerzt vom Schluchzen.
Mein Kopf entscheidet sich fürs Ablehnen, meine Hand jedoch greift nach dem Handy und nimmt den Anruf an.
Ich halte das Handy ans Ohr, sage aber nichts.
»Malia? Bist du da?«, ertönt seine Stimme, nachdem ich nichts gesagt habe. Ich räuspere mich kurz und versuche, die Tränen zu unterdrücken.
»J-Ja. Was gibt es?«, frage ich mit kratziger und schwacher Stimme.
»Geht es dir gut? Ich war vorhin nochmal im Café und deine Mitarbeiterin meinte, du wärst nach Hause gegangen, weil es dir schlecht ginge.« Er klingt besorgt. Normalerweise würde ich es charmant finden, heute lässt es mein Herz nur noch mehr schmerzen.
»Alles – alles gut«, murmele ich leise schluchzend und ich weiß, dass er mir nicht glauben wird.
»Sag mal, weinst du Malia?«
»N-Nein.« Wieder ein Schluchzen. Verdammt.
»Verrat mir deine Adresse, ich komme zu dir!«, sagt er schnell und ich höre es im Hintergrund poltern.
»N-Nein Ethan, es – es geht schon, du m-musst nicht kommen«, erwidere ich schnell, auch wenn mein Inneres nichts sehnlicher will, als dass er herkommt.
»Malia, ich merke durch das Telefon, dass es dir nicht gut geht. Sag mir, wo du wohnst, bitte. Ich ertrage es nicht, wenn du weinst«, fleht er beinahe. Schließlich gebe ich mich geschlagen und sage ihm doch, wo ich wohne.
»Ich bin gleich bei dir!« Danach höre ich nur noch ein Piepen und die Leitung ist tot.
Etwas benommen stehe ich auf und packe die Sachen von Mark schnell wieder in die Kiste, damit ich sie wieder in den Schrank stellen kann. Das Shirt jedoch behalte ich an. Ich brauche es einfach, damit ich mich etwas besser fühle.
»Gleich wird Ethan kommen, Mark. Er ist der erste Junge, den ich nach dir an mich heranlasse. Myra meinte, ich solle mich mit ihm treffen, weil ich mit dir abschließen soll, aber es fühlt sich falsch an, Mark, so falsch. Ich hoffe, du hasst mich nicht, aber ich brauche ihn jetzt, nachdem du mich verlassen hast«, weine ich leise.
Kurz darauf klingelt es schon an der Tür und ich schleppe zur Tür hin, öffne sie. Der Schwarzhaarige steht von mir, hält eine Tüte in die Höhe.
»Eis und Schokolade zu Diensten«, grinst er einerseits, doch anderseits sieht er mich mitfühlend an.
»Komm rein«, schniefe ich und gehe in die Wohnung zurück. Ethan folgt mir und ich setze mich zurück aufs Sofa.
»Soll ich die Schuhe ausziehen?«
Ich nicke leicht, starre einfach vor mich hin. Da ich so in Gedanken versunken bin, bemerke ich nicht, wie Ethan in meinen Schubladen in der Küche nach Löffeln sucht und sich dann neben mich auf die Couch setzt.
»Möchtest du drüber reden? Oder einfach nur in den Arm genommen werden?«, fragt er sanft, während er mir den Eisbecher in die Hand drückt.
Ich schüttele einfach nur den Kopf, starre auf den Eisbecher, aus dem ich langsam einen Löffel voll Eis in den Mund schiebe.
»Was ist das eigentlich für ein Shirt? Das sieht voll komisch aus«, lacht er auf einmal und ich erstarre.
»Sag nichts gegen das Shirt!«, fauche ich mit verengten Augen. Ich funkele ihn wütend an, er hat gerade einen ganz wunden Punkt erwischt. Ethan hebt abwehrend die Hände in die Luft und sieht mich entschuldigend an.
»Tut mir leid. Ich wusste nicht, dass es dir etwas bedeutet.«
Still esse ich das Eis weiter, wische mir ab und zu die Tränen aus dem Gesicht.
»Komm her«, murmelt er sanft und zieht mich in seine Arme. Etwas zögernd kuschele ich mich an seinen Oberkörper und schließe die Augen. Ethans Hand streicht sanft über meinen Oberarm, während ich einfach nur stumm das Eis weiter esse und mich langsam wieder beruhige.
Eigentlich bin ich über Mark hinweg, aber seitdem ich Ethan kenne, denke ich doch verstärkt an ihn und es kommen immer mehr Erinnerungen hoch und die Heulkrämpfe und Attacken werden mehr.
»Wenn du reden willst, sag Bescheid. Ich bin immer für dich da«, flüstert Ethan ruhig, ich jedoch schließe die Augen und schlafe vor Erschöpfung ein.