Читать книгу Café au lait - Anna Dubiel - Страница 4
1 – Der beste Kaffee der Welt
ОглавлениеLangsam öffne ich die Türen und trete in das kleine Gebäude hinein. Staunend sehe ich mich um, rechts, links, oben, unten, alles. Jeder kleinste Winkel wird genaustens betrachtet. Der Raum, in dem ich stehe, macht einen gemütlichen Eindruck, seine cremefarbenen Wände, die dunklen Fliesen auf dem Boden und die kleinen Sessel und Sofas rund um kleine Kaffeetische verteilt, machen den Anblick komplett.
Staunend und strahlend streiche ich mit der Hand über das kühle Polster der schwarzen Couch vor mir und schreite langsam, wie eine Prinzessin, durch den Raum.
»Das ist alles meins.«
»Du hast dir das alles aufgebaut, Malia.«
»Endlich habe ich es geschafft«, grinse ich meine Mutter Luana an.
»Ich bin sehr stolz auf dich, mein Schatz«, erwidert sie und küsst mich während ihrer Umarmung auf die Stirn. Meine Mutter und ich haben bis auf ein paar Streitigkeiten ein sehr gutes Verhältnis zueinander, jedoch erst seit ein paar Jahren. Früher war das ganz und gar nicht der Fall, aber mehr dazu ein anderes Mal.
Heute ist der Tag, an dem ich endlich mein eigenes Café eröffnen werde. Seit unendlich vielen Monaten arbeite ich bereits daran und heute kann ich es endlich eröffnen.
Beim Bau, beziehungsweise beim Umbau, gab es einige Probleme, weswegen sich der Eröffnungstermin immer weiter nach hinten verschoben hat. Ursprünglich sollte ich am 09. Januar eröffnen, dann am 09. Februar und heute haben wir den 09. April.
»Mum, glaubst du, es werden viele Gäste vorbeikommen?«, frage ich sie nervös, während ich an meiner Lippe kaue. Eine schlimme Angewohnheit, die ich von meinem verstorbenen Vater geerbt habe.
Ich wünsche mir, er wäre heute hier und könnte meinen wahnsinnigen Fortschritt miterleben, doch leider hat man ihn mir vor sechs Jahren genommen, ihn bei einem Autounfall getötet.
»Bestimmt. Bei den vielen Flyern, die du in der Stadt verteilt hast, kommt bestimmt halb Birmingham.«
»Witzig, Mum. Ich meine es ernst. Was passiert, wenn keiner kommt und ich in einem Monat schon wieder schließen muss, wie die Vormieter? Mein Café ist kein Starbucks, das sich immer über Wasser halten kann. Ich brauche Kunden, Mum. Ohne Kunden kann ich wieder dicht machen«, erkläre ich ihr und sehe sie verzweifelt an. Bald drehe ich noch durch.
»Malia, beruhige dich. Du wirst schon ausreichend Kundschaft bekommen, mach dir darüber keine Gedanken«, meint sie sanft, geht zur Theke und nimmt einen Putzlappen aus dem Schränkchen unter der Spüle heraus. Gekonnt wirft sie mir den Lappen zu.
»Lenk dich ab und fang schon einmal an die Tische zu wischen. In zwei Stunden ist Eröffnung, Malia.«
Zwei Stunden. In Gedanken gehe ich den schon seit Wochen geplanten Ablauf durch, während ich jeden der braunen Tische abwische und dadurch von der kleinen Staubschicht befreie.
In einer Stunde kommen Alicia, meine Bedienung, und Marius, mein Koch und Bäcker. Beide habe ich bereits Anfang des Jahres eingestellt, dennoch konnten sie bis heute noch nicht arbeiten, da sich die Eröffnung ja immer wieder verschoben hat. Deswegen habe ich ihnen trotzdem das halbe Gehalt gezahlt, weil ich Angst hatte, ich würde sie verlieren. Ich kenne die beiden bereits seit ein paar Monaten. Nachdem feststand, dass sich der Eröffnungstermin noch etwas verschieben würde, habe ich sowohl Alicia, als auch Marius angerufen und sie gebeten, bei mir zu bleiben. Marius kam das sehr gelegen, denn seine Frau bekam zu der Zeit gerade ihren gemeinsamen Sohn. Bei Alicia brauchte ich etwas länger, um sie überzeugen zu können, aber mit dem Vorschlag, sie könne in der Zeit das halbe Gehalt bekommen, habe ich sie schließlich überreden können. Zum Glück. Vor ein paar Tagen habe ich mich mit ihnen getroffen, um ihnen das Grundprinzip des Cafés zu erklären und, um sie einfach etwas besser kennenzulernen. Bereits nach den ersten zehn Minuten habe ich mich mit ihnen super wohlgefühlt. Ich denke wirklich, dass wir ein tolles Team werden können und dieses Café gemeinsam nach vorne bringen werden. Wenn wir genug Kunden bekommen..
»Hast du eigentlich schon mal einen Kaffee mit deiner neuen Hightechmaschine gekocht?«, ertönt die Stimme meiner Mutter aus dem Lager und reißt mich damit abrupt aus den Gedanken.
Ich schüttele nur den Kopf und gehe in die Küche, wo ich für Marius und Alicia eine Art Willkommensgeschenk vorbereitet habe. Ich habe ihnen jeweils einen Cupcake gebacken und die Worte »Willkommen im Café au lait« draufgeschrieben.
Café au lait. Französisch für Milchkaffee. Meine große Leidenschaft. Wenn man mir einen Milchkaffee hinstellt, würde ich fast alles dafür tun. Genau aus diesem Grund meinte Mum, ich müsste mein eigenes Café eröffnen und es dann auch Milchkaffee nennen. Erst dachte ich, es sei ein Scherz gewesen, aber je mehr ich über ihren Vorschlag nachgedacht habe, desto mehr Gefallen fand ich daran.
Café au lait.
»Vor der Tür steht jemand. Vielleicht könntest du ihm deinen ersten Kaffee anbieten, er sieht nett aus«, weist mich meine Mutter auf den jungen Mann vor der Tür hin, als sie aus der Küche hinauskommt und mir zu zwinkert. Ich jedoch verdrehe die Augen. Sie kann es nicht lassen. Jedes Mal versucht sie mich zu verkuppeln, dabei will ich im Moment keine Beziehung und falls das der Fall sein sollte, würde ich mir den Partner selbst aussuchen wollen. Außerdem weiß sie, dass ich im Moment nicht an Männern, im Sinne einer Beziehung, interessiert bin.
»Wir haben noch geschlossen.« Mehr antworte ich nicht. Mehr brauche ich schließlich nicht zu sagen. Das Café ist noch nicht eröffnet, nicht einmal Marius und Alicia sind hier. Sie werden zwar in den nächsten zehn Minuten kommen, aber ich bin noch nicht soweit. Die Cupcakes stehen noch nicht in der großen Glasglocke, die Cookies liegen noch nicht in der Vitrine, lediglich die Tassen und Teller sind abgewaschen und stehen im Schrank. Gut, die Tische sind ebenfalls gewischt, aber es liegen noch keine Karten auf ihnen.
»Malia, wenn du Kundschaft haben willst, dann öffnest du jetzt diese verdammte Tür und machst diesem Mann dort einen Kaffee«, befiehlt Mum und sieht mich streng an. Seufzend gebe ich mich geschlagen und begebe mich zur Tür.
»Ich fahre jetzt nach Hause und ziehe mich für später um. Schaffst du den Rest alleine?«
Ich nicke einmal und schon verschwindet meine Mutter durch die Hintertür.
Mit einem Klick ist das Türschloss geöffnet und ich schiebe die Tür zur Seite.
»Entschuldigung? Kann ich etwas für Sie tun?«, frage ich den Herren vor mir höflich. Etwas ruckartig dreht er sich zu mir um, als hätte ich ihn erschreckt. Seine blauen Augen sehen mich an, sie strahlen beinah und sind wunderschön. Die schwarzen Haare hat er an den Seiten etwas kürzer als oben auf dem Kopf. Er hat eine dieser Frisuren, die ich bei Männern sehr attraktiv finde.
»Haben Sie denn schon geöffnet?«, erkundigt er sich stirnrunzelnd, auf das Schild mit den Öffnungszeiten zeigend. Seine Stimme klingt rau, aber gleichzeitig auch angenehm sanft.
»Na ja, eigentlich mache ich erst in ungefähr einer Stunde auf, aber Sie sehen aus, als wären Sie auf der Suche nach einem Kaffee«, erwidere ich lächelnd.
»Das tue ich tatsächlich, aber eigentlich suche ich eher den besten Kaffee der Welt.«
»Da scheint heute Ihr Glückstag zu sein, denn zufällig haben wir den besten Kaffee der Welt.«
»Sie haben doch aber noch gar nicht geöffnet.«
»Für den besten Kaffee der Welt mache ich gerne eine Ausnahme«, sage ich und der Mann vor mir lächelt.
»Dann überzeugen Sie mich.« Ich nicke und bitte ihn ins Café.
Während ich hinter den Tresen trete, sieht er sich um. Seine Anwesenheit macht mich irgendwie nervös. Die Art, wie er sich durch das Café bewegt, so anmutig und bedacht, als wäre er ein Gepard. Dazu dieses Aussehen.
Zum Glück steht die Kaffeemaschine so, dass ich ihn während des Kaffeezubereitens weiterhin beobachten kann, denke ich. Er trägt eine schwarze Jeanshose, ein weißes Shirt und darüber eine blaue, verwaschene Jeansjacke. Seine Hände hat er in den Hosentaschen versteckt, die Schultern leicht nach oben gezogen.
Als er sich wieder zu mir dreht und mir dabei zufällig in die Augen sieht, wende ich den Blick schnell ab und starre auf die Kaffeemaschine. Mein Herz schlägt viel schneller als normal und auch mein Gesicht ist auf einmal viel heißer, als wäre es mir peinlich, dass er mich beim Starren erwischt hat.
»Kann es sein, dass Sie neu eröffnen?«, ertönt seine Stimme wieder.
»Richtig. Heute ist der erste Tag«, antworte ich stolz. »Zum hier trinken oder mitnehmen?«
Er sieht auf seine Armbanduhr, beißt sich nebenbei auf die Unterlippe. Gott, sieht das gerade attraktiv aus. Mein Herz schlägt schon wieder schneller als gewöhnlich gegen meine Brust. Ich kenne diesen Kerl noch nicht einmal zehn Minuten, und er löst irgendetwas in mir aus. Etwas, das mir ganz und gar nicht gefällt.
»Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich mich hier hinsetze?«, will er wissen und sieht mir wieder in die Augen.
Diese blauen Augen sehen mich an, starren beinahe. Ich kann das Funkeln deutlich erkennen und fühle selber, wie ich weiche Knie bekomme.
»Ä-Ähm, nein. Sie können sich setzen. Solange es Ihnen nichts ausmacht, dass ich nebenbei noch etwas aufräume«, stottere ich. Er soll gehen. Er muss gehen, sonst kann ich mich nicht konzentrieren.
Wieso hat er diese Wirkung auf mich? Ich kenne ihn doch gar nicht, weiß nicht einmal seinen Namen.
»Nein, macht es nicht«, sagt er und setzt sich an den Tresen, direkt vor mich. Zum Glück muss ich mich jetzt umdrehen, damit ich eine Tasse aus dem Schrank nehmen kann.
Er ist mir zu nah. Viel zu nah. Verdammt Malia, schimpfe ich mit mir, du musst dich beruhigen. Er ist nur ein Kunde. Mit leicht zitternden Händen nehme ich eine Tasse aus dem Schrank und drehe mich langsam wieder um. Während ich auf die Kaffeemaschine starre, kann ich aus dem Augenwinkel erkennen, dass er mich wiederum anstarrt. Er scheint jede meiner Bewegungen zu verfolgen und das macht mich nervös. Sehr nervös.
Dennoch versuche ich, diese Nervosität zu überspielen und mache mich ans Kaffeekochen. Ich muss mich einfach auf die Schritte des Kaffeekochens konzentrieren, dann wird alles gut.
Erst die Kaffeebohnen in den dafür vorgesehenen Behälter füllen, dann den Deckel drauf. Nun die Tasse unter einen der Ausläufe stellen und den Knopf für einen Kaffee drücken. Die Maschine beginnt, die Bohnen zu zermahlen und langsam läuft der frische Kaffee durch den Auslauf. Der vertraute Geruch des Kaffees erfüllt das Café und ich entspanne mich etwas.
Ich beobachte die große Maschine und fange ungewollt an zu strahlen. Gerade habe ich das erste Mal Kaffee mit meiner neuen Hightechmaschine gekocht. Ein Rausch des Stolzes fließt durch meinen Körper und ich fühle mich bereit. Bereit dazu, dieses Café zu eröffnen.
»Ist das Ihr erster Kaffee oder warum stahlen Sie so?«, wundert sich mein erster Kunde. Mein Blick fällt sofort auf ihn und mein Strahlen erlischt.
»Ich habe gerade das erste Mal mit dieser Maschine Kaffee für einen Kunden gekocht und ich bin sehr stolz drauf. Machen Sie mir das jetzt nicht kaputt«, keife ich ihn vielleicht etwas zu unfreundlich an. Er schmunzelt mich an und fängt an zu schmunzeln.
»Sie sind nervös.«
»Bin ich.«
»Verraten Sie mir Ihren Namen?«
Zum Glück ist die Kaffeemaschine in dieser Sekunde fertig und ich kann mich aus dem Bann seiner Augen und Stimme reißen.
»Brauchen Sie Milch oder Zucker?«, weiche ich seiner Frage nach meinem Namen aus und fange an, Zucker in die runden Behälter zu füllen.
»Nein, danke«, erwidert er und sieht mich an. Ich nicke nur und stelle ihm die Tasse mit dem frisch gebrühtem Getränk vor sich. Er bedankt sich erneut, nimmt die heiße Tasse in die Hand und nippt einmal daran. Ich versuche währenddessen, mich voll und ganz auf das Befüllen der Zuckerbehälter zu konzentrieren, doch es gelingt mir nicht.
»Wissen Sie, ich glaube, das ist der beste Kaffee, den ich jemals getrunken habe.« Jetzt muss ich grinsen. »Ich weiß! Wieso sollte ich Sie anlügen? Ich meine, es geht hier schließlich um Kaffee«, erwidere ich schulterzuckend, nehme die Menü-Karten in die Hand und verteile sie auf den Tischen.
»Malia, tut mir leid, dass ich so spät bin. Charles wollte einfach nicht bei seiner Babysitterin bleiben.« Schwer atmend betritt Marius das Café und sieht sehr gestresst aus.
»Ich danke Ihnen sehr, mein Lieber. Sie haben mir so eben den Namen dieser wunderschönen Frau verraten«, teilt der Schwarzhaarige, dessen Name mir noch unbekannt ist, meinem Bäcker mit und grinst zu mir herüber. Marius sieht mich etwas verwirrt an, doch ich zucke nur mit den Schultern.
»Kein Problem, Marius. Du bist nicht viel zu spät, Alicia ist auch noch nicht hier. Aber du kannst gleich mit den Puddingschnecken und den Marzipantörtchen anfangen.«
Marius nickt schnell und verschwindet in der Küche, macht sich vermutlich, hoffentlich, an die Arbeit.
»Da ich jetzt Ihren Namen kenne, Malia, finde ich es nur fair, wenn ich Ihnen meinen verrate.« Mittlerweile ist seine Kaffeetasse leer und er ist aufgestanden. Mit langsamen Schritten kommt er auf mich zu und sieht mich gefesselt an.
Er ist ungefähr einen Kopf größer als ich, was ich erst bemerke, als er direkt vor mir steht. Mein Herz pocht erneut schneller als üblich. So schnell, dass ich Angst habe, er könnte es hören.
Ich weiß nicht, was es ist, aber dieser Mann hat etwas an sich, was mich unglaublich nervös macht. Viele würden dieses Gefühl vermutlich lieben, ich jedoch fürchte mich davor.
Jetzt, wo er vielleicht noch fünfzig Zentimeter von mir entfernt ist, kommt seinem Gesicht meinem immer näher. Mir schießen unendlich viele Fragen durch den Kopf.
Warum macht er das? Will er mich etwa küssen? Wieso tut er das? Er kennt mich doch gar nicht, warum macht er das dann? Was passiert, wenn er mich jetzt küsst? Wie alt ist er überhaupt? Hat er eine Freundin oder Frau? Panik steigt in mir auf.
Am liebsten würde ich ihm jede einzelne Frage entgegen rufen, aber ich stehe lediglich starr vor ihm, bin wie gelähmt. Käme jetzt ein Hurricane oder sowas ähnliches, wäre ich nicht in der Lage wegzurennen.
»Aber meinen Namen werde ich Ihnen heute nicht verraten. Ich muss jetzt zur Arbeit. Ein anderes Mal werden Sie ihn erfahren, aber nicht heute. Sie können sich aber sicher sein: einen Stammkunden haben Sie schon mal.« Danach verschwindet er aus dem Café. Völlig perplex bleibe ich auf der Stelle stehen und starre ihm nach.