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3 – Panik

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Gähnend stehe ich in meinem Badezimmer und kaschiere meine dunklen Augenringe mit Hilfe von etwas Concealer und Puder. Es ist jetzt kurz vor acht Uhr und um halb neun will ich mich mit Marius und Alicia im Kaffee treffen. Da wir das Café um zehn Uhr öffnen, haben wir ungefähr eineinhalb Stunden Zeit, um alles vorzubereiten. Marius meinte gestern, eine Stunde wäre ihm zu wenig, mit Backen der Puddingschnecken, den Marzipantörtchen und und und. Eine halbe Stunde mehr würde ihm erstmal ausreichen, da er mit den Torten und Kuchen sowieso erst später anfängt, denn die meisten Gäste essen erst nachmittags Kuchen und Torten. Alicia war ebenfalls für das frühere Treffen, damit wir uns mehr Zeit lassen können, für alle möglichen Dinge, wie Tische wischen, Geschirr einräumen und anderen Dingen, die zu erledigen sind. Relativ schnell habe ich eingesehen, dass sie Recht haben und habe Marius ebenfalls versprochen, mich um eine Verstärkung zu kümmern. Ich sehe ein, dass er alleine gar nicht dazu fähig ist, alles in dieser kurzen Zeit zu backen, schon gar nicht die Torten und Kuchen. Auch wenn es bis jetzt nicht so viele sind, die er backen muss. Gestern hatten wir zwei Torten und davon ist knapp die Hälfte noch übrig. Da ich den Rest nicht wegschmeißen möchte, habe ich mir gedacht, sie entweder am Ende des Tages den Obdachlosen in der Straße zu geben oder den Gästen zu schenken. Mal sehen, ob es sich überhaupt anbietet, es kommt schließlich immer drauf an, wie viel am Ende des Tages noch da ist.

Ursprünglich wollte ich die restlichen Torten und generell das Gebäck vom Vortag am nächsten Tag nochmal verkaufen, jedoch meinte meine Mutter, das wäre nicht gut und man dürfe es nicht. Ich bin der Meinung, wenn ich vorher dazu sage, dass sie vom Vortag sind, macht das keinen Unterschied. Zumal es genügend Menschen gibt, die finden, dass das Gebäck vom Vortag besser schmecke. Außerdem beschweren sich die Behörden, dass viel zu viel Müll produziert wird, da werde ich das Gebäck sicherlich nicht wegschmeißen.

Während ich mit dem Auto durch die Straßen Birminghams zum Café fahre, driften meine Gedanken zu dem – noch – namenlosen Mann mit den schwarzen Haaren.

Ich weiß nicht warum, aber er hat bei mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen, sodass ich mich frage, ob er heute wieder ins Café kommen wird. Die Frage ist, was erwarte ich, wenn er wieder auftaucht? Dass er wieder mit mir flirtet? Hat er das überhaupt? Hat er mit mir geflirtet? Er hat mit mir geflirtet. Definitiv. Oder?

Der Mann, der mich überhaupt nicht kennt und den ich ebenfalls überhaupt nicht kenne, hat mit mir geflirtet.

Auf einmal wird mir schlecht, sodass ich beinahe den Wagen anhalten muss. In mir kommt plötzlich jedes kleinste Detail aus der Beziehung mit Mark hoch, jedes kleinste bisschen. Jeder Kuss, jede Berührung, jedes Mal, wie er die Worte »Ich liebe dich« sagt, jeder Streit. Jedes tolle Erlebnis mit Mark und dann, wie aus dem Nichts, kommt das kalte Ende.

Es fühlt sich an, als würde ein Blitz direkt in mein Herz einschlagen. Durch diese Gefühle bin ich nicht in der Lage, das Auto weiter zu fahren, also fahre ich an den Straßenrand. Nach Luft schnappend springe ich aus dem Wagen und lasse mich auf den Gehweg sinken. Die Hände an den Kopf gepresst, schluchzend, kauere ich mich zusammen, als hätte ich Angst vor etwas. Panische Angst. Alles wird mir aus den Händen gerissen, jegliche Kontrolle wird der Angst und Panik überlassen, sie halten nun die Fäden in den Händen und ich bin machtlos. Ich habe keine Kontrolle mehr, alles rast an mir vorbei. Ich bekomme nicht mit, was sie mit mir anstellen. Meine Gedanken sind ausschließlich bei ihm, bei Mark. Bei dem Mann, der mir alles gegeben hat. Liebe, Freude, Geborgenheit. Einfach Alles. Und mir ebenfalls alles genommen hat, einfach so.

»Miss? Miss, kann ich Ihnen helfen?«

Eine Stimme spricht auf mich ein, die dazugehörige Person rüttelt mich leicht. Es ist eine weibliche Person, die auf einmal scharf die Luft einzieht.

»Malia, steh auf! Ich bin hier, es wird alles gut.« Immer noch schluchzend setze ich mich langsam auf und stelle fest, dass es Myra ist, die mich gefunden hat.

»Myra, ich vermisse ihn so«, schluchze ich leise, während seine Schwester mir über meinen Rücken streicht. Ich sehe, wie sie schluckt und einmal nickt.

»Ich weiß, Süße. Er dich auch, das weiß ich.« Ihre Stimme klingt eher wie ein Flüstern, dennoch kann ich sie verstehen, antworte aber nicht, da habe ich keine Energie zu. Wir bleiben noch einige Zeit in dieser Position auf dem Gehweg sitzen, bis ich mich wieder beruhigt habe.

»Geht es wieder, Mali?« Langsam nicke ich, stehe auf, um meine Kleidung richten zu können. Die schwarze Jeans, die ich trage, hat ein paar Staubflecken, die jedoch mit etwas Klopfen verschwinden.

»Ich denke schon. Danke Myra.«

»Hey, ist doch kein Problem. Ich weiß, wie viel dir mein Bruder bedeutet hat und ich kann dich gut verstehen. Mir geht es häufig nicht anders«, gesteht sie seufzend. Ich sehe sie mitleidig an. Für sie war es damals genauso unerwartet wie für mich, keiner wusste, dass Mark solche Gedanken hatte. Noch nicht mal seine zwei Jahre jüngere Schwester.

»Du siehst aus, als könntest du einen Milchkaffee gebrauchen. Kennst du ein gutes Café in der Nähe?« Da Mark und ich länger zusammen waren und ich mich schon immer gut mit Myra verstanden habe, kennt sie mich gut und weiß, was ich in solchen Situationen brauche. Doch leider haben wir in den letzten Monaten nicht viel Kontakt gehabt, weil ich mich hauptsächlich um das Café gekümmert habe. Es würde mich nicht wundern, wenn ich vergessen hätte, ihr zu sagen, dass ich mir meinen Traum erfüllt habe und ein Café besitze.

»Zufällig ja. Steig ein, wir fahren hin«, antworte ich grinsend und steige zurück in den Wagen. Die Panik ist wie weggeflogen, sie kommt und geht, wann sie will, als besäße sie die gesamte Kontrolle über mich.

Nachdem Myra ebenfalls im Auto sitzt, starte ich es und lasse langsam die Kupplung kommen. Während ich zu meinem Café fahre, unterhalten wir uns über die letzten Monate.

»Ich habe angefangen, meine Bachelorarbeit zu schreiben. Gar nicht so einfach, wie ich am Anfang dachte. Die letzten Tage saß ich gefühlt Tag und Nacht am Laptop und in der Bibliothek. Ich hätte mal mit dir zusammen abbrechen sollen«, jammert sie, worauf ich schmunzeln muss.

»Ich habe es dir gleich gesagt, aber du wolltest nicht auf mich hören.«

»Ja ja, dafür bekomme ich einen anständigen Job«, grinst sie und streckt mir die Zunge raus. Wenn sie wüsste, denke ich mir und lache.

Nach etwa fünf Minuten parke ich hinter dem Café. Zusammen gehen wir um das Gebäude herum und ich sehe, dass Alicia schon die Tische und Stühle draußen aufschließt.

»Oh Mist, Alicia, es tut mir leid. Es kam etwas dazwischen, sodass ich anhalten musste. Ich erkläre es euch heute Abend. Ist Marius schon drin?« Ich sehe sie an und erwarte, dass sie sauer oder Ähnliches ist, jedoch lächelt sie mich lediglich an.

»Ist schon in Ordnung. Marius hat dich gesehen und meinte dann, wir würden schon mal ohne dich anfangen. Er meinte auch, er habe nicht angehalten, weil schon jemand bei dir war, aber du kannst ihn auch selbst nochmal fragen«, erwidert sie lächelnd und sieht mich mitleidig an. Ich nicke und bedanke mich bei ihr, dann gehe ich, gemeinsam mit Myra, in mein Café.

»Marius?«

»Malia!«

Er kommt auf mich zu und nimmt mich in den Arm. Kurz bin ich etwas perplex, doch schließlich erwidere ich die Umarmung. Es fühlt sich gut an. Ich habe schon lange keine Umarmung von einem Mann bekommen, zumindest nicht unter solchen Umständen.

»Möchtest du darüber reden?«, flüstert er mir in mein Ohr. Ich erwidere leise, dass ich es ihm später erklären würde und räuspere mich kurz. Marius gibt sich mit der Antwort zufrieden und verschwindet wieder in der Küche. Meine Füße tragen mich hinter den Tresen, wo ich mir die Schürze umbinde. Myra steht etwas verwirrt im Café und starrt mich an.

»Das ist nicht das, was ich denke, das es das ist, oder?«

»Kommt ganz drauf an, was du denkst. Milchkaffee?«

Sie nickt und sieht sich staunend um. Ich schmunzle leicht, widme mich anschließend dem Kaffeezubereiten.

»Café au lait. Nicht schlecht als Name, passt zu dir«, meint sie und setzt sich in einen der Sessel.

»Danke, hat meine Mum ausgesucht«, lächle ich. Zusammen mit dem Milchkaffee gehe ich zu ihr und stelle ihn vor sie.

»Lass es dir schmecken. Ich muss noch etwas aufräumen, wir machen in einer halben Stunde auf, aber wir können uns nebenbei unterhalten.« Myra nickt, also gehe ich zum Tresen zurück und fange an, aufzuräumen. Das Geschirr von gestern kommt zurück in die Regale, die Teller ebenfalls und das Gebäck, was Marius schon fertig gebacken hat, lege ich in die Vitrine, ebenso wie die Torten von gestern. Alicia kommt irgendwann auch dazu und hilft mir.

»Hier kann ich bestimmt perfekt für meine Bachelorarbeit arbeiten. Es ist ruhig, die Atmosphäre ist echt schön und ich bekomme immer gratis Kaffee«, seufzt sie zufrieden und lehnt sich dabei in den Sessel zurück.

»Und wovon träumst du nachts?« Auch ich lache, während ich die Tische abwische.

»Er wäre stolz auf dich, Mali.« Kurz versteife ich mich und sehe angestrengt auf den Tisch vor mir.

»Wir hätten es zusammen gemacht. Dann wäre es unser gemeinsames Baby. Wenn er hier wäre, bei mir, dann würde er jetzt dort an diesem Tresen stehen und mich anlächeln. Er würde mir zu flüstern, wie sehr er mich liebt. Aber er ist nicht hier und wird es auch nie wieder sein«, schlucke ich. Diese Tatsache tut so unsagbar weh. Auch wenn ich keine Gefühle mehr für ihn empfinde, schmerzt es immer noch sehr. Er und ich haben diese besondere Verbindung und deswegen werde ich auch immer etwas für ihn empfinden, auch wenn es keine richtige Liebe ist.

»Er ist hier Malia. Mark ist immer in deinem Herzen.«

Ich stoße nur ein »Pff« aus und begebe mich wieder hinter den Tresen.

»Er hat dich geliebt«, ruft sie mir hinterher, doch ich reagiere nicht darauf. Wenn er das getan hätte, hätte er mich nicht hilflos verlassen. Nicht einfach so.

»So leid es mir auch tut, Süße, aber ich muss wieder los. Die Uni ruft«, entschuldigt Myra sich und legt mir einen Fünf-Pfund-Schein auf den Tisch.

»Steck den wieder ein, Myra. Du musst hier nichts bezahlen.« Sie sieht mich an, seufzt und steckt das Geld wieder ein. Sie weiß, dass es nichts bringt, mit mir zu diskutieren.

»Danke. Bis die Tage, melde dich mal wieder bei mir«, sagt sie und umarmt mich kurz.

»Mhm.«

Das ist alles, was ich sage. Ich bin nicht in Stimmung für große Gespräche, nicht mehr. Myra winkt mir noch einmal zu und verlässt anschließend das Café.

Ich atme einmal laut durch. Auch wenn ich es wollen würde, könnte ich das Thema Mark nie vergessen. Wie lautet dieses Sprichwort mit der Zeit doch gleich? Zeit heilt alle Wunden?

Wie viel Zeit soll bitte noch vergehen, damit meine Wunden geheilt werden können? Es ist nun vier Jahre her und es fühlt sich immer noch so an, als wäre es gestern gewesen, dass man mir diesen Brief gegeben hat.

Heute kommen mehr Gäste als gestern. Dabei kann ich mich auch an Einige von ihnen erinnern, worüber ich mich sehr freue. Es fühlt sich wie eine Bestätigung an. Noch mehr freue ich mich, als Marius mir erzählt, dass sein Freund sich gerne hier bewerben würde. Ich sage Marius, er solle seinem Freund ausrichten, er könne morgen vorbeischauen und mit Marius zusammen arbeiten, damit ich sehen kann, ob das klappen könnte.

Den ganzen Tag denke ich nicht an den Mann von gestern, doch gerade, als meine Gedanken zum besten Kaffee der Welt schweifen, erscheint der Schwarzhaarige in der Tür. Augenblicklich fange ich – ungewollt – an zu lächeln. Ich tue so, als wäre ich gerade sehr beschäftigt und wische über den Tresen.

Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass er sich an einen Tisch setzt und mich durchzuckt ein Gefühl der Enttäuschung, weil ich gehofft habe, er würde sich zu mir an der Tresen setzen. Als Alicia gerade zu ihm gehen will, hechte ich hinter dem Tresen hervor, um vor ihr bei ihm zu sein.

»Ich mache das schon, du kannst Pause machen«, sage ich zu ihr und lächle dabei. Alicia nickt beinahe etwas enttäuscht, lässt mich aber mit ihm am Tisch alleine.

»So sehr möchten Sie mit mir alleine sein? Ich wusste, dass ich eine gewisse Wirkung auf Frauen habe, aber so extrem war mir das bis eben gerade nicht bewusst.« Idiot. Selbstbewusst grinst er mich an. Ich muss mich zusammenreißen, damit ich bei diesen wunderschönen Grübchen nicht dahin schmelze. Wieso müssen die auch so schön sein? Es wäre viel leichter, wenn er hässlich wäre.

»Meine Mitarbeiterin hat sich eine Pause verdient. Das ist alles. Was kann ich Ihnen bringen?« Meine Stimme klingt kalt. Warum muss er diese dämliche Bemerkung machen, sowas ist nicht nötig.

»Ich hätte gerne wieder den besten Kaffee der Welt und eins von diesen Marzipantörtchen.« Ich notiere seine Bestellung, nicke und verlasse den Tisch wieder. Erst jetzt fällt mir auf, das ich beinah die ganze Zeit die Luft angehalten habe, denn als ich mit dem Rücken zu ihm stehe, atme ich einmal deutlich aus. Ich lasse mir kurz Zeit, um mich wieder zu sammeln, dann nehme ich eine Kaffeetasse und lasse den Kaffee in sie fließen. Währenddessen nehme ich einen kleinen Teller und lege behutsam ein Marzipantörtchen darauf.

Zusammen mit dem Kaffee gehe ich zurück an den Tisch und stelle beides vor ihm ab.

»Lassen Sie es sich schmecken.«

»Malia, können Sie sich kurz zu mir setzen?« Oh Gott, liebend gerne, damit ich weiter dieser Stimme lauschen kann. Dieser wunderschönen Stimme. Und diese Art, wie er meinen Namen ausspricht, ist einfach nur göttlich. Er könnte ihn den ganzen Tag sagen und ich würde nie genug davon bekommen.

»Tut mir leid, ich muss arbeiten«, sage ich und will gerade wieder gehen, obwohl sich mein ganzer Körper dagegen stäubt.

»Außer mir ist gerade keiner im Café.« Etwas verwirrt sehe ich mich um. Er hat Recht, wir sind die Einzigen im Moment, also habe ich eigentlich keinen Grund, abzulehnen. Mist!

»In Ordnung. Aber ich habe nicht viel Zeit, so ein Café leitet sich nicht von selbst.«

»Das reicht mir vollkommen.«

Meine Mundwinkel zucken nach oben, als ich mich auf den Sessel, der ihm gegenüber steht, niederlasse.

»Fangen wir am besten noch einmal von vorne an, obwohl ich unsere gestrige Konversation durchaus nett fand«, sagt er und nimmt den Teller mit dem Marzipantörtchen in die Hand.

»Guten Tag Malia, mein Name ist Ethan.«

Café au lait

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