Читать книгу Im Bauch des Wals - Annemarie Bauer - Страница 13
Autismus
ОглавлениеDas Versagen des frühen Reizschutzes führt in seinen extremen Formen zu autistischen Störungen. Bei den schwersten Fällen des kindlichen Autismus scheint eine organische Disposition vorzuliegen, welche es dem Kind erschwert, andere Menschen in ihren Potenzialen als Spender von Reizschutz zu nutzen. Die betreffenden Kinder nehmen keinen Kontakt auf und geraten sehr leicht in Panik, wenn z. B. eine ihrer stereotypen Handlungen unterbrochen wird oder die Ordnung in ihrem Spielzimmer ein wenig verändert ist. Während solche extremen Fälle sehr selten sind, lassen sich mildere Formen dieser Verwendung der Ordnung bei den meisten Menschen beobachten.
Wenn sich in der Umwelt nichts ändert, wenn wir nach einer Trennung alles so wiederfinden, wie wir es verlassen haben, beruhigt und entlastet uns das. Wie sehr, das erkennen wir oft erst, wenn während unserer Abwesenheit ein Einbrecher unsere Wohnung durchwühlt oder ein Hagelsturm unseren Garten demoliert. Verletzungen der körperlichen Ordnung durch Krankheiten, Operationen sind noch belastender. Die Belastung steigt, je ausgeprägter das Trauma Grundbedürfnisse verletzt, je mehr Grundbedürfnisse verletzt werden und je nachlässiger sich die Umwelt nach dem Trauma um Wiedergutmachung bemüht.
So wird der Einbruch belastender, wenn die Versicherung nicht zahlt und die Polizei dem Beraubten vermittelt, er sei durch eigene Nachlässigkeit an dem Geschehen beteiligt. Wenn eine Vergewaltigung ein extrem traumatisierendes Ereignis sein kann, liegt das auch daran, dass eine Frau von einem Mann, den sie sich als Beschützer wünschte, missbraucht worden ist und anschließend häufig aus ihrer Umwelt absurde Vorwürfe einer Mitverantwortung kommen.
Die so geschaffene Kluft zwischen dem Trauma und der ohnedies unserem Erleben eigenen Tendenz, Traumen vorauszusehen und zu vermeiden, verstärkt traumatische Erfahrungen massiv. Hier wurzelt ein sozialer Mechanismus, der für die Traumatisierten höchst verhängnisvoll sein kann: Um sich zu entlasten und eigene Fantasien, Wiedergutmachung leisten zu müssen, abzuwehren, werden Traumatisierte durch Schuldzuweisungen erneut verletzt.
Um sich diesem Prozess zu entziehen, setzen nicht wenige Traumatisierte ihre seelischen Verletzungen, an denen sie sich schuldig fühlen, in körperliche um. Wenn die Spannung durch innere, unsichtbare Unordnung unerträglich wird und seelisches Leid mit Erfahrungen der Abwertung und Schuldzuschreibung verknüpft wird, beruhigt eine sichtbare Wunde. Daher die Neigung vieler in dieser Weise belasteter Menschen, sich selbst Verletzungen zuzufügen, sich mit scharfen Klingen zu schneiden, sich Haare auszureißen oder Nägel zu kauen.
Die Regression auf archaische Ordnungsbedürfnisse bestimmt auch viele Symptome der Zwangskranken. Diese werden süchtig nach Handlungen, die geeignet scheinen, auf einfache Weise einen unordentlichen Zustand (schmutzige Hände) in einen ordentlichen (saubere Hände) zu verwandeln. Die Sucht auf die Entlastung von der Angstspannung drückt sich dann in der Wiederholung der entspannenden Aktion aus.