Читать книгу Im Bauch des Wals - Annemarie Bauer - Страница 17
Das Dreieck
ОглавлениеDie Paarbeziehung ist im guten Fall die harmonischste, gleichgewichtigste, überschaubarste Beziehung. In ihr kann sich eine verletzte Psyche erholen, in ihr werden Möglichkeiten des Erlebens – auch der Erotik – freigesetzt, die sich in keiner anderen Konstellation derart entfalten. Sowohl aus der Einsamkeit heraus wie auch aus der Gruppe – etwa einer Schulklasse – heraus sehnen sich Menschen nach einem besten Freund, einem Seelenzwilling, einem Menschen, mit dem sie Erlebnisse teilen können. Nur eine so besetzte Beziehung bewahrt uns vor einem Gefühl der Einsamkeit, das nicht nur den Einzelgänger, sondern auch den Menschen in einer Clique oder in einem Betrieb befallen kann.
Seelische Reife entsteht nicht dadurch, dass Menschen ihre früheren – etwa kindlichen – Merkmale völlig ablegen, sondern durch Umformungen, in denen die Psyche ähnlich ökonomisch vorgeht wie der ganze Organismus. Es ist in der Entwicklung der menschlichen Bewegungsfähigkeit ja auch nicht so, dass wir nicht mehr auf allen Vieren krabbeln können, wenn wir gehen gelernt haben. Die Ökonomie organischer Entwicklung sieht immer so aus, wie es der Denkmalspfleger gegen den Architekten durchzusetzen sucht: Es wird möglichst viel des bereits Vorhandenen erhalten; nur ganz selten wird ein System zerstört und aufgelöst, um ein anderes an seine Stelle zu setzen, viel öfter wird das vorhandene System erweitert, ergänzt, durch neue Funktionen bereichert, in welche die bisherigen harmonisch integriert werden.
So sind in Familien und Gruppen in der Regel Zweier- und Dreierbeziehungen parallel möglich. Vater und Mutter haben ihre Ehe; das Kind hat eine Vaterbeziehung und eine Mutterbeziehung. Oft gibt es regelrechte Arbeitsteilungen – der Vater ist die Autorität in Schulfragen, die Mutter ist zuständig, wenn es Probleme mit den Freundinnen oder Freunden gibt.
Alle Dreiecksbeziehungen sind gefährdet, sich in rivalisierende Zweierbeziehungen auflösen. So soll während Scheidungsauseinandersetzungen das Kind plötzlich entscheiden, ob ihm die Mutterbeziehung „wichtiger“ ist als die Vaterbeziehung.
Das Hinzukommen eines Dritten in eine Zweierbeziehung ist so etwas wie eine Reifeprüfung. Das gilt vor allem für die Geburt eines Kindes, die gerade die modernen, hoch individualisierten Paare auf eine harte Probe stellt.
Sie belastet fast immer die Fähigkeiten eines Paares, den gewohnten Austausch an Zärtlichkeit, Lust und Bestätigung aufrechtzuerhalten. Das Kind schreit Bedürfnisse unabweisbar hinaus, auf deren Befriedigung ein Erwachsener stumm zu warten pflegt und die er nicht einmal sich selbst eingesteht. Es liegt wie ein Magnet im Zimmer, der an sich reißt, was bisher zwischen den Erwachsenen hin und her floss.
In jeder Liebesbeziehung begegnet der Mensch paradoxen Situationen, die der Mathematik des Rechts spotten. Die eigene Eifersucht ist quälend und schreit nach Rücksicht; die Eifersucht des anderen ist lästig und sollte verschwinden. Ich will gerne meinen Partner immer haben, wenn ich ihn brauche – aber weshalb belästigt er mich schon wieder mit seinen Ansprüchen? Ich bin schüchtern und ängstlich, ich würde so gerne erobert und verführt werden – wieso kapiert meine Partnerin nicht, was sie da tun müsste, andere Frauen erraten doch auch die Wünsche der Männer! Ich hätte gern einen Mann, der weiß was er will, und nicht einen Flunsch zieht, wenn ich nicht wieder die Initiative ergreife …
Die Ursachen solcher Widersprüche liegen in dem instabilen Gemisch, aus dem die Liebe der Erwachsenen gemacht ist. Ihre Elemente sind unter anderem die Bindung des Kindes an die Eltern, die Lustquellen der Erotik und eine soziale Norm, die versucht, eine Kultur funktionsfähig zu erhalten und widersprüchliche Interessen auszugleichen. Aus diesen Elementen schafft die Liebe eine Synthese, wie ein Maler aus Pigmenten, Öl und Leinwand ein Bild, ein Kunstwerk eigener, unwiederholbarer Art erschafft.
Die kindlichen Ansprüche an den idealisierten, den absolut vertrauenswürdigen Partner, der es verdient, dass zu ihm aufgeschaut wird (der Mann, derʼs wert ist, die Frau mit Klasse …) sind dabei viel schwerer zu erkennen und zu berücksichtigen als die sexuellen Wünsche. Sie haben auch eine schlechtere Presse, sie werden nicht als das gehandelt, was sie sind – Emotionen, Affekte, Leidenschaften, Irrationales, sondern als Normen, als Verhalten, das sich entweder gehört oder ungehörig ist. Aber die winzigen Kleinigkeiten, aus denen wütende Beziehungskämpfe erwachsen, verraten die hochgespannte Idealisierung einer Beziehung, die wie ein Luftballon bereits durch den winzigsten Defekt ihre Form verlieren kann.
Ein hilfreicher Begriff ist hier die „Grundstörung“, ein von Michael Balint geprägter Ausdruck. Wenn Menschen während ihrer eigenen, frühen Kindheit nicht ausreichend „gespiegelt“, d. h. einfühlend wahrgenommen wurden, bleiben sie in einer für ihre Umwelt rätselhaften Weise unberechenbar. Sie können „normal“ wirken, solange sie in einer Beziehung leben, die ihr brüchiges Selbstgefühl festigt. Diese Stabilität ist aber sehr brüchig, sie kann nicht aufrechterhalten werden, wenn sich das stabilisierende Selbstobjekt verändert oder ein Dritter – unter Umständen sogar das bewusst ersehnte eigene Kind – die Bühne betritt.