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2.1.3 ÖkonomikÖkonomik

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ARISTOTELESAristoteles untergliederte die praktische Philosophie in EthikEthik, PolitikPolitik und ÖkonomikÖkonomik. Die EthikEthik als Lehre vom moralischen HandelnHandeln/Handlung und guten Leben war für ihn die Grundlagendisziplin einerseits für die politische Philosophie als Lehre vom gerechten Staat und von legitimer Herrschaft und andererseits für die ÖkonomikÖkonomik als Lehre von der Hauswirtschaft. Nach ARISTOTELES handelt einer im weiteren Sinn ›ethisch‹, wenn er sein HandelnHandeln/Handlung an dem orientiert, was Sitte ist, was in der Polis Geltung hat und daher allgemeine Verbindlichkeit beansprucht. Im engeren Sinn ›ethisch‹ handelt jedoch derjenige, der den überlieferten Handlungsregeln und Wertmaßstäben nicht frag- und kritiklos gehorcht, sondern es sich zur Gewohnheit macht, aus Einsicht und Überlegung das moralisch GuteGute, das zu tun, wie es die jeweilige Situation erfordert.

ARISTOTELESAristoteles hat die EthikEthik und die WirtschaftWirtschaft noch nicht in der strikten Weise voneinander getrennt, wie dies heute geschieht. Jeder Bürger der Polis musste moralisch erzogen, d.h. in die Wertmaßstäbe der Polisgemeinde eingeübt werden, um moralische KompetenzKompetenz, moralische zu erwerben, die ARISTOTELES als TugendTugend (areté) bezeichnete. TugendTugend ist jene Tüchtigkeit der Seele, die den einzelnen befähigt, ein Ziel zu anzustreben, über dessen Wert in der Polis ein Konsens besteht, und dieses Ziel mit wirtschaftlich vertretbaren Mitteln umzusetzen. Moralisches, wirtschaftliches und politisches Handeln sind demnach für ARISTOTELES voneinander unabtrennbar. So wie es keine nur moralischen Handlungen gibt in dem Sinn, dass man bloß das Gute will, ohne sich ernsthaft Gedanken darüber zu machen, wie es verwirklicht werden kann, so gibt es auch keine bloß politischen Handlungen: Wer in Staatsangelegenheiten – Verfassung, Gesetzgebung, militärische Erfordernisse, Gerichtswesen u.a. – Entscheidungen zu treffen hat, kann dies einerseits nicht ohne Bezugnahme auf moralische Vorgaben, insbesondere die Prinzipien der GerechtigkeitGerechtigkeit und der Autarkie tun, und andererseits nicht ohne wirtschaftliche ÜberlegungenWirtschaft. Andernfalls würde es zu entarteten Verfassungsformen bzw. zum wirtschaftlichen Ruin der Polis kommen. Ein Politiker, der nicht das für alle GuteGute, das und damit einen moralischen Anspruch zur Grundlage seines Handelns macht, verfehlt mit dem Ethischen auch das Politische. Er beraubt sich des Handlungsmaßstabs, der ihm die Grenzen des für die Polis Erstrebenswerten aufzeigt. So wird das Politische zum Selbstzweck, und zügelloses Machtstreben, Kampf und Gewalt treten an die Stelle einer PolitikPolitik, deren Ziel das Wohlergehen und das gute Leben der Bürger ist. Vernachlässigt der Politiker dagegen das Ökonomische, so bleibt er zwar der ethischen Vorstellung eines guten Lebens und den damit verbundenen Zielen der Polis verpflichtet, aber es gelingt ihm nicht, seine an sich erstrebenswerten Ziele in die Praxis umzusetzen.

Schließlich gibt es auch keine bloß ökonomischen Handlungen. Unter Ökonomie versteht ARISTOTELESAristoteles das Nützliche; darunter fällt alles, was mit der Hausverwaltung zusammenhängt: die Regelung der Arbeits- und Erwerbsverhältnisse in Bezug auf die Familienangehörigen durch den pater familias, dessen Entscheidungen moralische Tüchtigkeit und politisches Engagement voraussetzen. Wo sich das Wirtschaftliche verselbständigt, wie dies etwa beim Gelderwerb der Fall ist, der darauf abzielt, den Reichtum über das zum Leben Benötigte hinaus zu vermehren, spricht ARISTOTELES von einer widernatürlichen Erwerbsarbeit, die weder mit dem moralischen noch mit dem politischen EthosEthos vereinbar ist und mit der tugendhaften Grundhaltung das Fundament der Polis insgesamt korrumpiert. Werden also die Ansprüche der WirtschaftWirtschaft nicht durch ein Moralprinzip restringiert, droht der menschlichenMensch Praxis eine Enthumanisierung, denn wo die Durchsetzung von Eigeninteressen um des größtmöglichen Profits willen zum höchsten Handlungsziel avanciert, wird es eine immer breiter werdende Kluft zwischen Reichen und Armen geben. Rigoroses Streben nach NutzenmaximierungNutzen schafft ungerechte Verhältnisse, die ethisch nicht zu rechtfertigen sind.

Auch wenn wir heute – zweieinhalb Jahrtausende nach ARISTOTELESAristoteles – dessen integratives Handlungsmodell nicht ohne weiteres heranziehen können, um unsere Probleme zu lösen, da wir es nicht mehr mit den überschaubaren Verhältnissen in einem Polisverband, wie der griechische Stadtstaat es war, zu tun haben, sondern mit den komplexen Strukturen einer Weltgemeinschaft von global players, so hat sich mittlerweile doch herausgestellt, dass eine Trennung von WirtschaftWirtschaft, EthikEthik und PolitikPolitik nicht wünschenswert ist, weil sie unsere demokratischen Grundlagen zerstört und damit die soziale Verträglichkeit destabilisiert.

Die in der humanistischen Idee des homo sapiens zusammengefasste Vorstellung von Ganzheitlichkeit beinhaltet, dass die Tätigkeiten von Kopf, HerzHerz, M. und Hand (PESTALOZZIPestalozzi, H.) so miteinander kooperieren, dass sie sich gegenseitig zur Entwicklung und kreativen Umsetzung von Vernunftkonstrukten anspornen. Aus diesem dem homo sapiens immanenten Dreierverband haben sich homo faber und homo oeconomicus abgesetzt, indem sie vom Kopf lediglich die ZweckrationalitätZweckrationalität und Erfindungsgabe, von der Hand nur die Bedienungsfunktion mitnahmen und das Herz in den Privatbereich verbannten. Das so entstandene Ideal einer instrumentell verkürzten menschlichen Praxis, die auf der Basis von Nutzenkalkülen und Maximierungsstrategien ein maschinell unterstütztes quantitatives Wachstum in Gang setzte, hat dazu geführt, dass die auf diese Weise arbeitenden MenschenMensch ebenso verkümmerten wie die durch sie ausgebeutete NaturNatur. Das Menschenbild, das uns heute aus der Werbung und der Unterhaltungsindustrie entgegenblickt, ist der homo consumens, der genuss- und vergnügungssüchtige MenschMensch, der sich alles einverleibt, worauf er Lust und woran er Spaß hat. Gemäß dem Motto ›Nach uns die Sündflut‹ soll das Leben voll ausgeschöpft werden, und die materielle Basis dazu wird von der WirtschaftWirtschaft erwartet, die diese Erwartung umso lieber bedient, da sie ihren Profit aus dem Massenkonsum zieht.

Wie ist es zu diesem Abstieg vom homoMensch sapiens über den homoMensch faber und den homoMensch oeconomicus zum homoMensch consumens gekommen? Was ist aus unseren humanistischen Wertvorstellungen geworden, die wir doch eigentlich immer noch hochschätzen, wenn wir uns die ethische Perspektive zu eigen machen? Gibt es in unserer gewachsenen Kultur nichts, das wir bewahren oder in erneuerter Form für die Zukunft fruchtbar machen wollen? In unserer abendländischen Tradition können wir auf zwei ganz große Sinnkrisen zurückblicken. Die eine steht in einem engen Zusammenhang mit dem Idealismus der christlichen Metaphysik, in deren Gefolge das Leiblich-Materielle und damit zugleich alles mit den Sinnen Erfaß- und Erfahrbare bis zur Verteufelung jeglichen Genusses abgewertet wurde – bei gleichzeitiger Aufwertung, ja Vergöttlichung geistig-immaterieller WerteWert. Doch der Körper rebelliert, wenn seine BedürfnisseBedürfnis unterdrückt, als etwas Verächtliches, da schlechthin Sinn- und Vernunftloses abgetan werden. So wird verständlich, dass der des Sündenfalls verdächtigte Körper seine Rechte wieder geltend machen wollte und dabei ins andere Extrem gefallen ist. Das Resultat war der homoMensch consumens.

Und damit war die andere Sinnkrise vorprogrammiert, die aus dem Umschlag des extremen Idealismus in einen nicht weniger extremen Materialismus resultierte, der unsere heutigen Wertvorstellungen dominiert. Wir kennen trotz der Vielfalt an WertenWert in den verschiedenen Dimensionen unserer Lebenswelt nur noch einen Grundwert: den des Profits. Der WertbegriffWert hat sein qualitatives Moment verloren und wird nur noch auf quantifizierbare Gegenstände bezogen. Wo von Wertakkumulierung und Wertsteigerung die Rede ist, gilt nur das als wertvoll, was zur Gewinnmaximierung beiträgt. Das Geld avanciert zum WertWert schlechthin, weil es das Mittel ist, durch das man sich alles übrige, was man hochschätzt, verschaffen kann.

Aufgrund dieser Verarmung des WertbegriffsWert durch seine Reduktion auf zählbare und berechenbare Größen hat auch jeder MenschMensch seinen Preis und wird über seinen Preis bezüglich seines Wertes taxiert. Um ihm mit dem Wert der HumanitätHumanität seine WürdeMenschenwürde zurückzuerstatten, ist ein Umdenken nötig in Bezug auf den Maßstab, der unseren Hochschätzungen zugrundeliegt. Zur Grundlage unseres HandelnsHandeln/Handlung muss neben dem quantifizierenden wieder ein qualitatives Wertbewusstsein treten. Statt noch mehr Waffen, noch mehr Macht, noch mehr Technik, noch mehr Konsum auf der einen Seite, dem auf der anderen Seite noch mehr Ohnmacht, Unterdrückung, Umweltverschmutzung und Armut entspricht, verbunden mit noch mehr Angst, Unfreiheit, Krankheit und Elend – statt eines die Unmenschlichkeit festschreibenden grenzenlosen NutzenwachstumsNutzen einiger weniger auf Kosten der großen Mehrheit muss das neue Wertbewusstsein sich auf einen einzigen Grundwert besinnen, den WertWert der Menschlichkeit, der allein echte Lebensqualität verbürgt.

Menschlichkeit bedeutet: im MitmenschenMensch das andere Ich sehen, dem ich das schulde, was ich für mich selbst beanspruche: SolidaritätSolidarität, ChancengleichheitChancengleichheit, FairnessFairness, Toleranz, das Recht auf freie Selbstverwirklichung. In Anwendung auf MenschenMensch erweist sich der NutzenkalkülNutzen als inhumanes Instrument, durch welches das Gesamtquantum Menschheit klassifiziert, hierarchisiert, instrumentalisiert, in Herrschende und Beherrschte eingeteilt wird. Wo Herrschaftsprinzipien trennen, fordern SolidaritätSolidarität, ChancengleichheitChancengleichheit, Fairness und Toleranz als Ausdruck einfacher Menschlichkeit eine alle Verschiedenheiten übergreifende Einheit, die die MenschenMensch als MenschenMensch miteinander verbündet.

Mittlerweile ist der Ruf nach einem neuen MenschentypusMensch, dem homo oecologicus, immer lauter geworden (vgl. E. MEINBERGMeinberg, E.: Homo oecologicus, Darmstadt 1995), desgleichen die Forderung eines Umdenkens erstens in Bezug auf eine Wirtschaftlichkeit, die unter Berücksichtigung der Rechte künftiger Generationen mit den nicht erneuerbaren Ressourcen sorgsamer umgeht und die Ideologie stetigen Wachstums hinterfragt (Stichwort: nachhaltige Entwicklung); zweitens in Bezug auf einen Umgang mit der NaturNatur, der sich der Eingrenzung von Umweltschäden und dem Schutz der Artenvielfalt verschreibt (Stichwort: Biodiversität), sowie drittens in Bezug auf Formen der Mitmenschlichkeit, die nicht nur den interkulturellen Austausch und die ChancengleichheitChancengleichheit fördern (Stichwort: Erhaltung und Vernetzung kultureller Vielfalt), sondern auch die SolidaritätSolidarität zwischen den Mitgliedern der Gemeinschaft, deren Belastbarkeit mittelfristig allein schon dadurch einem harten Test unterworfen sein wird, dass weitere Rationalisierungsprozesse und ein kaum noch steigendes Wirtschaftswachstum eine Umverteilung der vorhandenen Arbeit nach sich ziehen müssen, mit der Konsequenz, dass Besitzstandswahrung nicht mehr als Recht eingeklagt werden kann.

Der homo oecologicus als postmoderner homoMensch sapiens ist der Mensch der Zukunft, der – nicht nur um zu überleben, sondern auch um einigermaßen gut zu überleben – seinen individuellen und kollektiven EgoismusEgoismus/Selbstliebe so weit einschränken muss, dass er verträglich wird mit den berechtigten Interessen anderer Individuen, anderer Völker und der NaturNatur. Empathie und Toleranz sind die TugendenTugend, die er ausbilden muss, um jene Verstehensleistungen erbringen zu können, die die Voraussetzung für ein nichtrepressives Miteinanderumgehen sind.

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