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2.2.1 Anthropologie

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Die philosophische AnthropologieAnthropologie (von griech. anthropos – MenschMensch, logos – Lehre) stellt die Frage nach dem Wesen des Menschen. Die

allem geschichtlichen Wandel vorausliegenden natürlichen Konstanten des Menschseins markieren den Ansatzpunkt der philosophischen Anthropologie, die insofern immer auch Naturphilosophie des Menschen ist, d.h. das Natürlich-Vorgegebene nicht im Geschichtlich-Kulturellen aufgehen lassen kann. …

Die Konstanz des Wesentlichen im Wandel der jeweiligen Konkretionen bleibt das Thema. Daher hat die AnthropologieAnthropologie auch keine Zukunftsbilder zu entwerfen, auf die hin die menschliche Entwicklung zu verlaufen hat, sie ist nicht normsetzend, keine praktische Wissenschaft, welche Prozesse in Gang setzt, sondern eine theoretische Wissenschaft, die mit phänomenologischer Sorgfalt alle Objektivationen des Menschen zu beschreiben und in einen Zusammenhang zu bringen hat. (C. GÜNZLERGünzler, C.: Anthropologische und ethische Dimensionen der Schule, 20,28)

Von der Antwort auf die Frage nach dem Wesen des MenschenMensch hängt für die Ethik sehr viel ab. Um dies an zwei Extremen aufzuzeigen:

 Wird der MenschMensch als ein bloßes Sinnenwesen definiert, das ausschließlich durch seine BedürfnisseBedürfnis und Triebe bestimmt ist, so wie dies z.B. die Behavioristen tun, indem sie menschliches Verhalten ausschließlich nach dem Schema ›Reiz und Reaktion‹ beobachten bzw. auswerten, dann ist Ethik von vornherein überflüssig, weil menschliches Handeln durch die Natur des MenschenMensch so vollständig determiniert wäre, dass für moralische Überlegungen, die ein freies Verfügenkönnen über sich selbst voraussetzen, kein Spielraum bliebe.

Die These vom Menschen als Produkt seiner Anlagen und Umweltverhältnisse wird u.a. von John HOSPERSHospers, J. vertreten:

Wie kann jemand für seine Handlungen verantwortlich sein, da diese doch aus einem Charakter entspringen, der durch Faktoren – zu einem gewissen Teil Erbfaktoren, zum größeren Teil jedoch Faktoren, die der frühkindlichen Umwelt entstammen – geprägt, geformt und zu dem, was er ist, gemacht worden ist, durch Faktoren, die er nicht selbst gemacht und die er sich nicht selbst ausgesucht hat? …

Gesetzt den Fall, dass solche spezifischen Faktoren entdeckt würden: wäre dann nicht evident, dass es töricht und sinnlos und außerdem unmoralisch ist, MenschenMensch für Verbrechen verantwortlich zu machen? …

Denn ebensowenig wie das neurotische hat das normale Individuum den Charakter, der es zu dem macht, was es ist, selbst verursacht. … Und wenn sich, anders als beim Neurotiker, sein Verhalten auch durch Überlegung und Einsicht ändern lässt, und wenn es genug Willenskraft besitzt, um die Effekte einer ungünstigen frühkindlichen Umwelt zu kompensieren, dann ist das nicht sein Verdienst; es hat GlückGlück gehabt. (Zweifel eines Deterministen, in: Texte zur Ethik, 330, 332, 334f.)

Man kann HOSPERSHospers, J. zustimmen, solange er seine These hypothetisch formuliert: Wenn es zutrifft, dass der MenschMensch ohne eigenes Zutun das ist, was er ist, dass er ausschließlich unter kausalmechanischen Zwängen agiert, die seiner Kontrolle entzogen sind, dann wäre es in der Tat sinnlos, sein Verhalten nach moralischen Kriterien zu beurteilen. Alles was man überhaupt tun könnte, bestünde darin, möglichst perfekte Konditionierungsmaßnahmen zu entwickeln, durch die die MenschenMensch optimal an ihre Umgebung angepasst würden1.

 Wird der MenschMensch dagegen als reines Vernunftwesen definiert, so ist Ethik ebenfalls überflüssig, denn als ausschließlich vernünftiger wäre der MenschMensch immer schon der, der er sein soll, und es bedarf keines Nachdenkens darüber, wie er ein guter MenschMensch werden kann.

Bezeichnenderweise hat niemand bisher ernsthaft die These vertreten, der MenschMensch sei sozusagen naturaliter schlichtweg vernünftig. Aber die UtopistenUtopie z.B. stellen mit ihren fiktiven Staats- und Gesellschaftsentwürfen die MenschenMensch in einem endgültigen, nicht mehr überbietbaren Endzustand dar, der keine Veränderung mehr zulässt, aber auch keiner Veränderung mehr bedarf, weil alles in bester Ordnung ist, sodass menschliches Handeln nur noch den per se vernünftigen status quo zu bestätigen braucht.

Ethik ist also nur dort sinnvoll, wo eine Spannung zwischen SeinSein und SollenSollen, Faktizität und Normativität besteht, und die meisten anthropologischen Entwürfe haben das Wesen des MenschenMensch aus diesem Spannungsverhältnis heraus als ein duales, in sich zweigeteiltes, gegensätzliches SeinSein (Sinnlichkeit-Vernunft, Leib-Seele, Körper-Geist) begriffen, das durch das Handeln des MenschenMensch mit sich selbst vermittelt und zur Einheit gebracht werden muss. Der Mensch ist weder ausschließlich Sinnen- noch ausschließlich Geistwesen; vielmehr versteht er sich als beides, wenn auch auf je verschiedene Weise. Die Frage, wie er von diesen beiden unterschiedlichen Aspekten her zur Identität mit sich selbst gelangen kann, hat von jeher die AnthropologieAnthropologie beschäftigt.

Während die einen (PLATONPlaton, ARISTOTELESAristoteles, DESCARTESDescartes, R., SPINOZASpinoza, B. de, KANTKant, I., HEGELHegel, G.W.F. u.a.) das Streben nach Einheit des MenschenMensch mit sich selbst als einen Prozess der VergeistigungVergeistigung, der Überwindung des Leiblich-Natürlichen deuteten, betonten die anderen (FEUERBACHFeuerbach, L., SCHELLINGSchelling, F.W.J., MARXMarx, K., KIERKEGAARDKierkegaard, S., NIETZSCHENietzsche, F., SCHOPENHAUERSchopenhauer, A. u.a.) die Leibgebundenheit des Geistes und dachten die Selbstidentifikation des MenschenMensch als einen Prozess der VerleiblichungVerleiblichung. Die Kategorien VergeistigungVergeistigung und VerleiblichungVerleiblichung deuten die Richtung und den Schwerpunkt an, unter dem das Verhältnis des MenschenMensch zu sich selbst anthropologisch reflektiert wurde.

Die moderne AnthropologieAnthropologie nun versucht, von einer empirisch gesicherten, biologisch nachprüfbaren Basis aus zu Erkenntnissen über die »NaturNaturmenschliche« des wirklichen MenschenMensch zu gelangen, aber auch hier begegnet der Dualismus von Leib und Geist unter anderen Vorzeichen von neuem, sei es, dass der MenschMensch konzipiert wird

 als werdender GottGott (SCHELERScheler, M.),

 als nicht eindeutiges Wesen, das als Rollenträger fungiert (PLESSNERPlessner, H.), oder

 als biologisches Mängelwesen, das seine Triebenergie zu gestalten, seine nicht festgelegte Natur durch selbstentwickelte Führungssysteme wie KulturKultur und MoralMoral zu formen vermag (GEHLENGehlen, A.).

Wie immer der MenschMensch anthropologisch im Einzelnen beschrieben wurde, es steht fest, dass er »mehr« als ein Tier und »weniger« als ein GottGott ist. Das spezifisch Humane seines Menschseins zeigt sich in dem, was er

als freihandelndes Wesen aus sich selbst macht oder machen kann und soll. (I. KANTKant, I.: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, in: Werke, Bd. 10, 399)

In diesem Punkt berühren sich AnthropologieAnthropologie und Ethik: Das Wesen des MenschenMensch kann nur unter einem ethischen Vorgriff auf das, was er idealiter sein kann und sein soll, zureichend anthropologisch definiert werden, so wie umgekehrt normative Leitbilder und Idealvorstellungen, die ein Handeln ethisch motivieren sollen, nur dann wirksam sein können, wenn sie an den anthropologisch aufgewiesenen Möglichkeiten und Grenzen des Menschseins orientiert sind.

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