Читать книгу Einführung in die Ethik - Annemarie Pieper - Страница 21
2.3.2 MetaethikMetaethik
ОглавлениеDie MetaethikMetaethik könnte man als die WissenschaftstheorieWissenschaftstheorie der Ethik bezeichnen, sofern unter MetaethikMetaethik nicht nur die seit Beginn dieses Jahrhunderts im angloamerikanischen Sprachraum unter diesem Namen bekannt gewordene Richtung in der Ethik verstanden wird, sondern in einem umfassenderen Sinn jede Reflexion, die sich nicht unmittelbar auf den Gegenstand der Ethik, sondern auf die Struktur der ethischen Reflexion selber sowie auf die Art und Weise bezieht, wie die Ethik über ihren Gegenstand spricht. Diese die ethische Reflexion in kritischer Absicht auf ihren Anspruch und ihre Grenzen hin untersuchende Reflexion ist meta-ethisch im eigentlichen Sinn.
Die angelsächsische MetaethikMetaethik dagegen, die die Bedeutung von den im alltäglichen Sprachspiel der MoralSprachspielder Moral verwendeten Wörtern (z.B. sollen, dürfen, Pflicht, gut, Gewissen u.a.) zu analysieren versucht, verfährt nicht eigentlich meta-ethisch, sondern metamoralisch, wenn man den anfangs erläuterten Unterschied zwischen Moral und Ethik (als Wissenschaft von der Moral) beachtet.
Metamoralische Aussagen über moralische Urteile sind neutrale (nicht wertende) Aussagen über Normen als Tatsachen.
Beispiele:
Unter einem guten Menschen versteht man bei uns in der Regel jemanden mit den Charaktereigenschaften x, y, z.
Bei den Sizilianern gilt die Blutrache bei bestimmten Ehrverletzungen als moralische Pflicht.
Die christliche Moral verbietet Unzucht.
Solche Aussagen sind insofern für eine Ethik relevant, als sie das empirische Material beibringen, dessen die Ethik bedarf, um den Begriff der Moral inhaltlich zu füllen. Doch können metamoralische Aussagen auch in anderen Wissenschaften vorkommen (z.B. in der PsychologiePsychologie, SoziologieSoziologie oder Historie), wenn dort im Kontext einer Handlungsanalyse von moralischen NormenNorm oder WertenWert die Rede ist.
Beispiele:
Frau L. Ieidet seit dem Tod ihres Mannes an einem Schuldkomplex.
Die Griechen betrachteten Sklaven als Untermenschen.
Wo immer also Aussagen gemacht werden, die nicht werten oder normative Forderungen enthalten, gleichwohl aber etwas über WerteWert und NormenNorm behaupten, handelt es sich um metamoralische Aussagen. In solchen Aussagen werden WerteWert und NormenNorm – sei es eines Individuums, sei es einer Gemeinschaft – wie Tatsachen behandelt, und derjenige, der die Aussage macht, enthält sich dabei seines persönlichen Urteils bezüglich der Gültigkeit der in seiner Aussage vorkommenden WerteWert und NormenNorm. Er behauptet lediglich, dass sie für Person X oder Gemeinschaft Y de facto Geltung haben, nicht aber, dass sie Geltung haben sollen.
Metaethische Aussagen dagegen behaupten nicht etwas über die Moral und die damit zusammenhängenden Gegenstände, sondern über ethische (wissenschaftliche) Sätze, Theorien, Systeme; d.h. wie die Moral Gegenstand der Ethik ist, so ist die Ethik Gegenstand der MetaethikMetaethik. Die Ethik wird zur MetaethikMetaethik, wenn sie sich in kritischer Selbstanalyse auf ihre methodisch-systematischen Bedingungen hin befragt und ihrer Prinzipien vergewissert. Zusammenfassend sollen die vier unterschiedenen, für die Ethik wesentlichen Aussagenhorizonte und logischen Reflexionsniveaus noch einmal gegeneinander abgegrenzt werden:
Moralische Aussagen sind normative (wertende) Sätze erster Ordnung, die singuläre oder allgemeine Gebote und Werturteile beinhalten, wie sie in der Alltagspraxis mit dem Anspruch auf allgemeine VerbindlichkeitVerbindlichkeit auftreten und zu einem bestimmten Handeln auffordern.
Beispiele:
Du musst jetzt die Wahrheit sagen, um schlimmere Folgen zu verhüten.
Ehrlich währt am längsten.
Metamoralische Aussagen sind deskriptive Sätze erster Ordnung, vermittels deren nicht zu einem Handeln aufgefordert wird, sondern tatsächliche moralische oder moralisch relevante Verhaltensweisen unter Enthaltung eines persönlichen moralischen Urteils beschrieben, analysiert, rekonstruiert, erklärt werden.
Beispiele:
Bei den Indianern gilt der Skalp als Zeichen der Tapferkeit und des Sieges.
Othello glaubte, Desdemona habe ihn betrogen.
Ethische Aussagen sind normative Sätze zweiter Ordnung, die nicht unmittelbar zu einem Handeln auffordern, sondern auf einen Maßstab zur Beurteilung der Moralität von Handlungen rekurrieren und insofern generell zu einer kritischen Willensbildung vor jedwedem Handeln auffordern.
Beispiele:
Es soll immer und überall Freiheit um der Freiheit willen realisiert werden.
»Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.« (I. KANTKant, I.: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, in: Werke, Bd. 6,61)
Metaethische AussagenMetaethik sind deskriptive Sätze zweiter Ordnung, vermittels deren keine Handlungen, sondern ethische Theorien und Systeme beschrieben, analysiert, rekonstruiert, erklärt und unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten kritisch beurteilt werden.
Beispiel:
Die utilitaristische Ethik behauptet das Prinzip der Nützlichkeit als Moralkriterium, gerät aber in Schwierigkeiten, wenn es darum geht, den für alle Betroffenen größtmöglichen Nutzen aus den möglichen Folgen einer Handlung quantitativ exakt zu ermitteln.
Wir haben durch die Unterscheidung zwischen moralischen, metamoralischen, ethischen und metaethischenMetaethik Aussagen vier SprachebenenSprache gegeneinander abgegrenzt, die häufig miteinander verwechselt werden, was zu Missverständnissen führt. Es ist schon eine ganze Menge für die Klarheit gewonnen, wenn man sich beim Nachdenken über Angelegenheiten der Moral erst einmal vergewissert, auf welcher SprachebeneSprache die Frage anzusiedeln ist, die man behandeln möchte, damit bei der Suche nach einer Antwort nicht die Ausgangsfrage verfehlt wird. Wer in einem bestimmten Konfliktfall jemanden um Rat bittet, wird eine normative Handlungsanweisung erster Ordnung erwarten, vielleicht noch nach Gründen fragen, die für oder gegen eine bestimmte Handlung sprechen. Aber er wird sich ganz gewiss nicht für eine Antwort metaethischenMetaethik Typs interessieren, die etwa die logische Struktur eines praktischen Syllogismus erläutert. Oder wenn jemand wissen will, was es überhaupt bedeutet, moralisch zu handeln, und damit auf der ethischen Ebene nach einer normativen Begründung für das Sollen fragt, wird sich nicht mit einer Antwort auf der metamoralischen Ebene zufriedengeben, die ihn z.B. an den bestehenden MoralkodexMoralkodex oder an die zehn Gebote verweist.
Das bedeutet nun aber nicht, dass man die Ebenen nicht wechseln darf; ganz im Gegenteil: wenn man eine die Moral betreffende Frage voll und ganz durchdenken will, stößt man sehr schnell an die Grenze der jeweiligen Sprach- und Reflexionsebene, sodass ein Weiterfragen in einem anderen kategorialen Rahmen sich von selbst ergibt. Aber man muss dann auf die veränderte Fragestellung achten und die neu entworfenen Antworten gegebenenfalls wieder auf die Ebene der Ausgangsfrage zurückübersetzen.
Nehmen wir ein Beispiel. Stellen Sie sich ein interdisziplinäres Gespräch zwischen Vertretern der Naturwissenschaften, der Medizin, der Jurisprudenz, der Psychologie, Theologie, Soziologie usf. vor. Es soll geklärt werden, ob ein bestimmtes Experiment, das bei Tieren die gewünschten Ergebnisse gebracht hat, auch an Menschen durchgeführt werden darf. Die Gefahren sind groß, aber der zu erwartende Nutzen wird noch höher veranschlagt. Ohne die Gründe, die in den folgenden Argumenten stecken, im Einzelnen zu gewichten, soll das Augenmerk ausschließlich auf die jeweilige Sprachebene gerichtet werden, zu der sie gehören.
A sagt also: Unser Rechtsstaat verbietet Humanexperimente, sofern sie das Leben der Versuchsperson gefährden. B unterstützt dies noch mit dem Hinweis, dass auch die Kirche lebensgefährliche Eingriffe ablehne – sei der experimentelle Zweck auch noch so gut. C fügt hinzu, dass man in gewissen Staaten Schwerverbrecher als Versuchspersonen heranziehe. Alle drei Personen – A, B und C – haben deskriptive Aussagen erster Ordnung gemacht, also metamoralische Aussagen. Selbst wenn ersichtlich ist, dass alle drei Gesprächspartner mit der von ihnen vorgetragenen staatlichen, kirchlichen oder gesetzlich sanktionierten RegelRegel einverstanden sind, haben sie mit ihrem Beitrag lediglich beschrieben, was der Fall ist, d.h. welche RegelRegel faktisch befolgt wird. Nun äußert sich D und sagt: Ein Wissenschaftler, sei er auch noch so qualifiziert, habe nicht das Recht, über fremdes Leben zu verfügen. E kontert, indem er erwidert, er fühle sich als Arzt verpflichtet, seinen Patienten zu helfen, auch wenn es einen gewissen Preis koste. D und E fällen somit normative Urteile erster Ordnung, also moralische Urteile. Nun tritt F auf und erklärt: Menschliches Leben ist schlechthin unantastbar. G schränkt ein: Jeder hat jederzeit das Recht, im Rahmen seiner autonomen Selbstverfügung darüber zu entscheiden, ob er den Tod einem nicht mehr lebenswerten Leben vorzieht. Mit diesen grundsätzlichen Aussagen, die jederzeit kategorisch formuliert werden können, befinden sich F und G auf der normativen Ebene zweiter Ordnung, auf der ethischen Ebene also, auf der universalisierbare bzw. für universalisierbar gehaltene Grundsätze problematisiert werden. Nun lassen wir abschließend noch H und I zu Wort kommen. H sieht sich genötigt, den Begriff AutonomieAutonomie zu klären, und schlägt vor, AutonomieAutonomie mit KANTKant, I. als ein selbst gegebenes Gesetz der FreiheitFreiheit um der FreiheitFreiheit willen aufzufassen. I wendet dagegen ein, dass AutonomieAutonomie eigentlich ein politischer Begriff sei und daher völlig ungeeignet sei, ein Tun- und Lassen-Können im Sinne von WillkürWillkür zu umschreiben. Überhaupt wäre es viel vernünftiger, anstatt der Philosophen die Psychologen zu befragen, was genau unter FreiheitFreiheit zu verstehen ist, und ob dieser Begriff überhaupt operationalisierbar sei. H und I reden auf der deskriptiven Ebene zweiter Ordnung, der metaethischen EbeneMetaethik.
Man könnte dieses fingierte Gespräch ins Unendliche fortsetzen. Die Argumente haben alle etwas miteinander zu tun, und es wird zweifellos schwierig sein, zu einem KonsensKonsens zu gelangen. Aber es sollte immerhin deutlich geworden sein, dass aus deskriptiven Aussagen (gleich ob erster oder zweiter Ordnung) ohne zureichende Begründung keine normativen Aussagen gewonnen werden können. Die Tatsache, dass die Kirche lebensgefährliche Humanexperimente verbietet, ist noch keine zureichende Begründung dafür, dass solche Verfahren prinzipiell verboten sind. Ebenso wenig wie die Tatsache, dass in bestimmten Staaten Schwerverbrecher als Versuchskaninchen benutzt werden, schon ein Freibrief dafür ist, dass man dies überall darf. Aber auch auf den normativen Ebenen ist die behauptete Rechtmäßigkeit eines Geltungsanspruchs nicht ohne zureichende Begründung zuzugestehen. Daraus folgt, dass auf allen vier Ebenen die Aussagen grundsätzlich problematisierbar sein müssen und jeder Ebenenwechsel deutlich kenntlich gemacht werden muss, damit der am Ende erzielte KonsensKonsens – wenn er denn zustande kommt – für jeden Gesprächsteilnehmer dasselbe (deskriptiv) beinhaltet und dieselbe (normative) Verbindlichkeit hat.