Читать книгу Liebe Angst, Zeit, dass du gehst - Annett Möller - Страница 10

ERSTE ZWEIFEL — DER WEG IN DIE ANGST

Оглавление

Es ist müßig, darüber nachzudenken, was gewesen wäre, wenn … Das Leben läuft nun mal oft nicht so, dass Zeit genug ist abzuwägen. Türen gehen auf, und du musst dich manchmal schnell entscheiden, ob du durchgehst oder nicht, ohne dass du die Konsequenzen absehen kannst.

Aber was macht es mit dir, wenn du einen Weg eingeschlagen hast, der ganz knapp an dem Ziel vorbeiführt, das du eigentlich erreichen wolltest? Wenn dir das tatsächlich Erwünschte und Erhoffte die ganze Zeit weiter vor Augen ist, wie eine Karotte, die dem Esel vor der Nase baumelt? Dann gehst du vermutlich weiter, weil der ganz große Traum so greifbar nah ist.

So war es zumindest bei mir. Die Entscheidung für den Job in der Nachrichtenmoderation fiel leicht, weil sie absolut logisch war. Ich war beim Fernsehen, wo ich immer hinwollte. Ich durfte moderieren, was ich immer tun wollte. Und das nicht bei irgendeinem Sender und nicht in irgendeiner Show, sondern bei einem der größten Sender Deutschlands in deren Flaggschiff: den Nachrichten. Ich hatte mich reingearbeitet und fühlte mich gut dabei. Dass dieser Sender außerdem viel von dem zu bieten hatte, was mir so viel mehr entsprach, war die Karotte vor meiner Nase oder eben der leicht bittere Beigeschmack dieses Erfolgs.

Ich war von Natur aus immer schon locker und schlagfertig, lebenslustig und mein Ding war die Unterhaltung. Statt Zeitung habe ich lieber Magazine gelesen, mit bunten, leichten Themen. Statt Politik und Wirtschaft hat mich immer mehr Mode, Prominenz und Gesellschaft interessiert. Mein BWL-Studium hatte ich aus Mangel an Interesse nicht abgeschlossen. Und genau an diesen Inhalten schied sich der gewählte Weg eben auch von dem gewünschten. Jetzt ging es um genau die Dinge, die mich noch nie besonders vereinnahmt hatten. Und die Themen, die mich begeisterten, fehlten. Obwohl der Job als Nachrichtenmoderatorin mir auch Spaß machte, wuchsen unbewusst Zweifel in mir, was mein Können betraf. Sie kamen immer mal wieder für kurze Momente auf, waren aber nie lange präsent, weil ich viel zu sehr damit beschäftigt war, meine Arbeit zu machen. Dennoch waren sie da, tief unter der wunderbar glatten Oberfläche.

So viel und so sehr ich mich auch in die Themen hineinbegab, die ich moderierte, so lang die Nächte vor meinen Sendungen auch waren und obwohl ich das, was ich da machte, verdammt gut machte: Diese Unsicherheit, so kann ich im Rückblick sagen, blieb mir all die Jahre. Und sie wurde später, durch die Panikattacken, immer massiver – wie hätte es auch anders sein können? Die Arbeit in diesem Job bedeutete für mich außerdem, mich zu einem Teil selbst zu verleugnen, um einem Bild zu entsprechen, von dem ich meinte, es nach Außen präsentieren zu müssen. Meine Persönlichkeitsanteile, die meiner Vorstellung von der seriösen Nachrichtensprecherin nicht entsprachen, unterdrückte ich. Es war fast wie eine Rolle, in die ich schlüpfte. Natürlich brachte ich auch große Teile meines Wesens mit ein, aber ich ließ eben auch ganz viel weg von dem Menschen, der ich eigentlich war. Vielleicht ist das im Leben einfach so, wenn du erwachsen wirst, dachte ich mir. Vielleicht musst du das hinnehmen.

Eine Geschichte aus der Anfangszeit meiner Moderationskarriere macht deutlich, wie sehr ich, wenn auch unbewusst, im Zwiespalt mit mir selbst war.

Es war im Januar 2008, ich hatte den Job gerade ein paar Tage. Die Weihnachtsfeier unserer Redaktion wurde in einem eleganten Restaurant mitten in Köln nachgeholt. Kolleg*innen der vielen Außenstudios waren da, alles angenehme Menschen, viele schon lange dabei. Ich war gerade mit dem Taxi angekommen und stand an, um meinen Mantel an der Garderobe abzugeben. Dabei hörte ich, wie sich zwei Kollegen vor mir unterhielten: „Hast du die Neue schon gesehen? Die ist toll!“ Wow. Ich freute mich riesig über diese Bemerkung und gleichzeitig war es mir unangenehm. Die beiden gaben ihre Mäntel ab und gingen in Richtung ihrer Plätze, ohne mich gesehen zu haben. Zum Glück. Auch wenn ich sonst immer einen Spruch auf den Lippen hatte: Lob machte mich sprachlos. Nach außen wirkte ich dennoch total selbstbewusst. Gleichzeitig war in mir eine Stimme, die mich fragte: „Krass, du hast genau das erreicht, was du wolltest. Du bist Fernsehmoderatorin. Aber warum fühlt es sich nicht hundertprozentig toll an? Warum kannst du es jetzt nicht genießen?“ Und ich konnte mir die Antwort selbst geben: „Weil das nicht hundert Prozent du bist! Weil du nicht wie andere ein abgeschlossenes Studium hast. Weil dein Traum doch eigentlich ein anderer ist.“ Dabei fühlte ich mich undankbar. Ich hätte doch so zufrieden sein können! Ich hatte meine Ziele so hoch gesteckt und hatte so viel Kraft investiert, um nun hier an diesem Ort in dieser Position zu sein. Ich war da, wo so viele andere gerne hinwollten.

Die inneren Zweifel wuchsen im Laufe der Zeit wie kleine, von außen unsichtbare Wurzeln unterhalb der Oberfläche. Und irgendwann fingen sie an, sich in einem Netz feinster Strukturen immer weiter zu verzweigen.

An dem Abend der Weihnachtsfeier wurde extrem gute Musik gespielt, und es reizte mich unendlich, zu tanzen, doch ich hielt mich zurück. Statt den ganzen Abend auf der Tanzfläche zu verbringen, blieb ich die meiste Zeit am Rand und sah verkrampft zu. Zu tanzen machte mir immer noch irrsinnige Freude, egal bei welcher Gelegenheit, und ich lebte darin eine Seite von mir aus, die ich mochte.

Tatsächlich hatte ich an der Garderobe aber nicht nur meinen Mantel abgegeben, sondern auch einen großen Teil von mir selbst.

Hier stand ich nun, und während die Tanzmaus in mir rief: „Los, rauf auf die Tanzfläche. Hab Spaß und genieß den Abend!“, führte ich gepflegte Konversation, weil die Nachrichtenmoderatorin in mir noch lauter rief: „Oh Gott, sei bloß nicht zu sexy. Fall bloß nicht auf. Du musst doch jetzt seriös sein.“ In mir tobte ein Kampf. Das einzige Ziel war, nicht anzuecken und damit am Ende noch für negative Schlagzeilen zu sorgen.

Die Schlagzeilen erschienen wenige Wochen später trotzdem. Gerade saß ich mit einer Freundin abends in einem Restaurant beim Essen, als ich sah, wie der Verkäufer einer Tageszeitung von Tisch zu Tisch ging. Er trug das Blatt mit der Titelschlagzeile vor sich her: „Ich jobbte auf der Reeperbahn“, dazu ein nicht gerade vorteilhaftes Bild von mir bei einem meiner Tanzauftritte. Innerhalb von Sekunden stand mir der kalte Schweiß auf der Stirn: Jetzt war es raus. Ich hatte natürlich gewusst, dass es einen Artikel geben würde, aber das Interview war harmlos gewesen. Dass meine Vergangenheit direkt die oberste Schlagzeile auf dem Titel werden würde, damit hatte ich nicht gerechnet. Ich hätte mich am liebsten unter dem Tisch verkrochen und wäre dort gern für die nächsten Wochen geblieben. Vor meinem inneren Auge sah ich mich schon am nächsten Tag mit hochroter Birne in die Redaktion kommen und alle würden mich anstarren. Verdammt. Dabei war ich mal so stolz auf diese Zeit und mich gewesen, und jetzt plötzlich hatte ich das Gefühl, einen Makel zu haben, der mich erneut als Newsmoderatorin auszubremsen drohte.

Denn tatsächlich hatte es zuvor schon zwei Situationen gegeben, in denen meine noch frische Position beim Nachrichtenfernsehen gewackelt hatte – eben weil meine Tanzvergangenheit zum Tuschelthema geworden war. Irgendwer hatte es „ausgegraben“ und an die Chefredaktion meines damaligen Senders weitergetragen. Und eine Moderationsposition bei einem anderen Sender war mir aus diesem Grund dann abgesagt worden. Die Tanzvergangenheit sei nicht seriös. Das sei ein Ausschlusskriterium, hieß es.

All das und die Angst, wieder nicht „passend“ zu sein, kam in diesem Augenblick im Restaurant wieder hoch. Gott sei Dank wussten meine neuen Chefs das alles bereits und standen hinter mir.

Auch wenn sich gefühlt bereits jeder Mensch im Restaurant mindestens einmal zu mir umgedreht hatte, wartete ich tapfer auf meinen Nachtisch. Meine Freundin versuchte der Situation mit Humor zu begegnen und kaufte direkt mehrere Exemplare. Wir lasen erst mal, was es da über mich zu erfahren gab.

Tja, und eigentlich war der Artikel nur heiße Luft und vollkommen unspektakulär. Was sollten sie auch erzählen: Ich hatte in bunten, schillernden Kostümen in Discos getanzt und mir damit meine Ausbildung finanziert. Mehr nicht. Aber bei einer Nachrichtenfrau war das natürlich eine Schlagzeile wert. Auch wenn mir meine Vorgesetzten daraus keinen Strick drehen würden: Es war nicht das, was der Sender in der Zeitung sehen wollte. Aus der Sicht meiner Chefredaktion, der Seriosität, Glaubwürdigkeit und Skandalfreiheit enorm wichtig waren, kann ich das tausendprozentig verstehen.

Diese Geschichte sollte danach am besten unerwähnt bleiben oder eben möglichst klein gehalten werden, so die Einigung mit meinen Chefs. Wenn mich von da an, zum Beispiel in einer Talkshow, jemand danach fragte, wechselte ich schnell und charmant das Thema. Besser nicht zu sehr darauf eingehen. Für mich aber fühlte es sich an wie Selbstverleugnung, als ob ich nicht sein durfte, wer und wie ich war.

Dass ich mich damit in eine Rolle begeben hatte, die mir nicht behagte und mir nicht entsprach, beschäftigte mich unbewusst mehr, als ich es für möglich gehalten hätte.

Es war wenige Wochen nach meiner ersten Moderation der Hauptnachrichten im neuen Job, als ich an meinem Schreibtisch in der Redaktion saß und mitbekam, dass ein Magazin des Senders gerade mit einer ehemaligen Moderationskollegin aus meiner Zeit in Hamburg besetzt wurde. Sie, ein freundlicher, aber kühler Typ, der für mich perfekt in die Nachrichten gepasst hätte – ich, der lebenslustige, emotionale Typ, der doch viel besser dieses Magazin mit unterhaltsamen, leichten Themen moderieren hätte können – zumindest in meiner Selbstwahrnehmung. Warum sah das keiner? Warum war es nicht umgekehrt? Wie konnten meine und die Sicht der anderen nur so unterschiedlich sein?

Die Antwort war ganz einfach: Weil niemand von dem wusste, was in meinem Inneren ablief. Weil ich die Rolle perfekt ausfüllte. Mit meinen 29 Jahren saß ich da, hatte nie Politik studiert, stattdessen eine Schauspielschule besucht. Aber ich hatte gezeigt, dass ich moderieren konnte, selbst Themen, von denen ich meinte, keine Ahnung zu haben. Keine*r – außer mir – schien auch nur den geringsten Zweifel an mir zu haben.

Warum ich? Hatte

ich diese Aufgabe

verdient?

Ich erinnere mich noch an eine Situation in der Anfangszeit beim Sender, in der mich das Gefühl, fehl am Platz zu sein, vollkommen vereinnahmte. Es war eine außergewöhnliche Wetterlage, deswegen wurde unser Wettermoderator direkt mit ins Studio geholt. So stand er, erfahren und kompetent, rechts neben mir, und meine Kollegin für den Sport, seriös und lange dabei, saß links von mir. Beide hätten meine Eltern sein können, beide hatten schon Jahrzehnte erfolgreich vor der Kamera gestanden. Und da saß ich in der Mitte und war der Anchor der Sendung. Ich fand das surreal und fragte mich, wie ich dazu kam. Warum ich? Hatte ich diese Aufgabe verdient? Diese innere Stimme verstummte einfach nicht.

In einer bunten Sendung hätte das für mich keine Bedeutung gehabt. Da wäre ich innerlich total selbstbewusst gewesen. Aber in diesem Kontext setzte mich das enorm unter Druck.

Anders ging es mir damit nur in einer einzigen Situation. Es war noch vor meiner ersten Panikattacke, als ich die Gelegenheit bekam, ins Hauptstadtstudio zu gehen und dort redaktionell zu arbeiten. Ich ging im Bundestag ein und aus und führte zahlreiche Interviews. Dort war ich am Puls der Zeit, war bei Hintergrundgesprächen dabei und erarbeitete Beiträge zum aktuellen politischen Geschehen, die am Abend auf Sendung gingen. Ich hatte das Gefühl, wirklich drin und dran zu sein, zu wissen, worüber ich spreche. Dieses Gefühl ist mir, zurück in Köln, wieder abhandengekommen. Da war ich gefühlt weit ab vom Schuss. Klar, ich beschäftigte mich auch jeden Tag mit der Hauptstadtpolitik, aber ich war einfach nicht im Inner Circle, hatte keine Menschen zum Thema befragt, keine Stimmungen erlebt, keine Atmosphäre aufgesogen. Bei dem, was ich da in Köln im Studio jeden Tag machte, konnte ich nicht so tief eintauchen. Und so konnte ich die Angst, es nicht draufzuhaben, mich nicht auszukennen, nicht zu wissen, wovon die da sprechen, nur schwer kompensieren. Ich hatte immer den Standpunkt: Wenn ich einen Beitrag zu einem Thema moderiere, muss ich richtig tief in der Materie sein. Jedes noch so kleine Detail kennen. Das erzeugte natürlich enormen Druck. Und befeuerte sicher meine Panikattacke. Nächtelang las ich Zeitung, erarbeitete mir die Profile meiner nächsten Interviewpartner*innen, ihre Standpunkte und Meinungen, und formulierte riesige Fragenkataloge für Gespräche von drei Minuten.

Ich war parallel zu meinem neuen Job weiterhin auch bei meinem anderen Sender in den Nachrichten tätig – die zusätzlichen Nachtschichten zu Hause sorgten daher für ein enormes Arbeitspensum. Aber diese Vorbereitung war für mich ein Sicherheitsnetz und gab mir Selbstvertrauen. Es nicht zu tun, hätte mir Angst gemacht, mich verunsichert. Die Stimmen, die in meinem Kopf riefen: „Das kannst du nicht. Das schaffst du nicht. Das willst du doch eigentlich gar nicht“, konnte ich so wunderbar ruhigstellen und ihnen zeigen, dass ich es eben doch konnte und immer besser wurde.

Liebe Angst, Zeit, dass du gehst

Подняться наверх