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DIE ZWEITE ATTACKE

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Ich hatte ein mulmiges Gefühl. Die Angst davor, dass die Panik vor der Kamera wiederkommen könnte, quälte mich. Ich fühlte mich hundeelend, kraftlos, ausgelaugt. Ich hatte gehofft, nach diesen zwölf Tagen wieder ausgeruht und voller Elan zur Arbeit zu gehen. Aber es war alles andere als das.

Selbst das Halten meiner Teetasse am Morgen war mir schon zu viel. Dieser kraftlose Zustand nahm mich gedanklich dermaßen ein, dass meine negativen Gedanken alles zusätzlich verschlimmerten. Ich hätte so gern die Reißleine gezogen und mich krankgemeldet. Aber mein schlechtes Gewissen war stärker. Ich wusste, wenn ich kurzfristig absagte, würde es für die Redaktion ein Riesenakt werden, einen Moderationsersatz zu bekommen. Am Wochenende war das ein großes Problem. Ich wollte niemandem Stress bereiten und wollte nicht als unzuverlässig dastehen. Also versuchte ich, es durchzuziehen.

Selbst das Halten

meiner Teetasse

am Morgen war

mir schon zu viel

Nach dem knapp zweiwöchigen Urlaub, der definitiv das Gegenteil von erholsamen Ferien gewesen war, kam ich an einem Samstag wieder zurück in die Redaktion. Der gefürchtete Nachrichtenüberblick am Nachmittag blieb mir an diesem Tag glücklicherweise erspart.

Ich erinnere mich aber, als wäre es gestern gewesen, wie ich an dem Samstag das erste Mal wieder die Abendsendung moderierte. Ich hatte befürchtet, dass sich die Angst auch dann wieder zeigen würde. Den mächtigen Schlag, der dann kam, hatte ich aber beim besten Willen nicht vorausgeahnt.

Zwei Minuten vor der Livesendung versuchte ich, mich gedanklich von meiner Aufregung und der aufkommenden Übelkeit abzulenken. Ich konzentrierte mich noch einmal auf die Texte auf den Blättern vor mir, doch mein Gehirn war wie benebelt. Ich konnte gar nicht verarbeiten, was da stand. Ich war schrecklich nervös. Hatte ich bis eben noch die leise Hoffnung gehabt, dass ich es ohne Zwischenfall überstehen würde und die Panik nicht wiederkäme, wusste ich jetzt mit jeder Sekunde, die der Anfang der Sendung mit der Openingmusik näher rückte, dass das nicht so sein würde. Und Millionen Zuschauer*innen würden an ihren Fernsehern live dabei sein und alles mitbekommen. Es gab kein Entkommen. Ich fühlte eine immer stärker werdende innere Unruhe. Während meiner einleitenden Begrüßungsmoderation spielte sich in mir erneut ab, was ich vor ziemlich exakt zwei Wochen auf diesem Stuhl erlebt hatte: schiere Panik – ich spürte, wie sie mit jedem Wort, das ich zu sagen hatte, immer größer und größer wurde. Ich konnte vor meinem inneren Auge direkt sehen, wie sich eine riesige schlammige Panikwelle vor mir aufbaute, immer weiter anwuchs und näher kam. Und ich stand da, sah sie voller Angst auf mich zukommen, wollte eigentlich schreiend weglaufen und musste doch so tun, als wäre alles in Ordnung.

Diese irren Szenen spielten sich in meinem Kopf ab und nahmen langsam Besitz von meinem Körper, während ich mich lächelnd zur Sportmoderatorin neben mir wandte und sie begrüßte, um mich danach in die nächste Kamera zu drehen und die erste richtige Beitragsanmoderation vorzutragen. Ich hatte den Text schon in der Redaktion zur Sicherheit gefühlt hundertmal gelesen und schaffte es, zumindest die Sätze, trotz meines inneren Überlebenskampfes, fehlerfrei abzulesen.

Und während ich all das tat, wuchs die Welle weiter an. Mir schoss der Gedanke durch den Kopf: Entweder falle ich jetzt tot vom Stuhl und alles ist endgültig vorbei, oder ich kämpfe und bleibe da, wo ich bin.

Und wieder blieb ich sitzen, mein Körper verkrampfte sich, um auch wirklich nicht vom Stuhl zu fallen, meine Füße versuchten sich in den Boden zu krallen, als die Panikwelle innerlich über mich hereinbrach und mich mit sich riss.

Ich versuchte, weiterzulesen und zu atmen. Irgendwie. Ich hatte Todesangst – doch der Instinkt zu überleben war größer. Ich wollte aus dieser Welle wieder auftauchen und weitermachen. Ich musste da durch, wenn ich nicht für immer untergehen wollte. Atemlos rettete ich mich zum nächsten Beitrag. Jetzt hatte ich gut zwei Minuten Zeit, mich wieder zu sammeln.

Niemand von außen sah diesen unfassbaren Kraftakt, der sich in mir abspielte. Meine Kollegin neben mir verfolgte interessiert die Sendung und niemand aus der Regie sprach mich an. Ich konnte also für einen Moment atmen. Nur leider war die Sendung längst nicht zu Ende. Ich hangelte mich irgendwie von Moderation zu Moderation, die Welle kam wieder, war jedoch nicht mehr ganz so groß – und irgendwie schaffte ich es, den Kopf bis zum Ende über Wasser und diese Sendung durchzuhalten. In der anschließenden Redaktionskonferenz, die immer nach der Sendung stattfand und eine kurze Auswertung beinhaltete, hatte niemand eine Anmerkung zu meiner Performance. Ich war unglaublich erleichtert. Und konnte es gleichzeitig kaum glauben, dass tatsächlich niemand etwas wahrgenommen hatte. Heute weiß ich, dass solche Attacken oft im Verborgenen stattfinden, die Menschen um einen herum es gar nicht wahrnehmen. Genauso war es bei mir und blieb es all die Jahre, die ich vor der Kamera mit Panikattacken zu kämpfen hatte.

Dass meine Kolleg*innen nichts mitbekommen hatten, tröstete mich allerdings nicht über mein Unglück hinweg: Nach dieser weiteren Attacke war ich vollkommen niedergeschlagen. Ich hatte inständig gehofft, durch die vorangegangene zweiwöchige Pause wieder zu mir gefunden zu haben. Mein Zustand, in dem ich angetreten war, hatte mir dazu nicht gerade Anlass gegeben, aber dennoch hatte ich mich an diese Hoffnung geklammert. Und was wäre mir auch anderes übrig geblieben? Ich wusste nicht, wie ich sonst hätte mit der Situation umgehen sollen. Ich konnte nicht im Geringsten einschätzen, was überhaupt mit mir los war. Und weil ich davon überzeugt war, es müsse weitergehen, hatte ich all meine Kraft zusammengenommen und einfach versucht, da durchzukommen. Ich war mal wieder ins eiskalte Wasser gesprungen. Nach dem Motto: Augen zu und durch, wird schon irgendwie werden.

Im zweiten Teil des Buches erkläre ich dir unter „Die Macht der Gedanken“, S. 143, wie du durch deine Gedanken dein eigenes Erleben erschaffst und was das mit deiner Angst zu tun hat.

Doch das Gegenteil war der Fall. Ich hatte mich, ohne es damals bewusst wahrzunehmen, selbst in diese Spirale aus Angst vor der Panik hineinmanövriert. Mit meinen eigenen Gedanken. Und ab einem gewissen Punkt ist die Spirale nicht mehr zu stoppen. Es konnte gar nichts anderes folgen als eine erneute Panikattacke. Ich hatte sie unbewusst herbeigeführt.

Die erste Panikattacke war scheinbar aus dem Nichts gekommen. Wie eine Naturgewalt. Als gigantische Flutwelle war sie über mich hereingebrochen und hatte mich weggerissen. Und genauso plötzlich, wie sie gekommen war, war sie auch wieder verschwunden. Doch sie hatte eine Spur der Verwüstung in mir hinterlassen. Zurück blieb eine Angst, die mir wie schwarzer, klebriger Schlick in den Knochen saß und mich fast bis zur Bewegungsunfähigkeit lähmte.

Nach der zweiten Attacke wusste ich, dass es sich nicht um ein einmaliges Unwetter gehandelt hatte, das einfach wieder vorbeigezogen war. Vielmehr hatte ich es hier mit etwas zu tun, das mein Leben radikal veränderte. Nichts war mehr wie zuvor. Mir war klar, dass diese Angst jederzeit wieder die Panik in mir heraufbeschwören konnte und dass diese Panik mir erneut den Boden unter den Füßen wegziehen würde. Irgendwann würde ich in der Wucht dieser Panikwelle ersticken. Was sollte ich dagegen tun?

Liebe Angst, Zeit, dass du gehst

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