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BURN–OUT

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Burn-out ist zwar derzeit noch keine definierte, medizinisch anerkannte Gesundheitsstörung. Die Weltgesundheitsorganisation hat aber nun 2019 (in Kraft tritt die neue Klassifikationsliste mit dem Namen ICD-11 erst im Januar 2022) Burn-out als Krankheit anerkannt, wobei mit der bekanntgegebenen Entscheidung Experten eine Definition vorlegen, in der sie das Phänomen auf chronischen Stress am Arbeitsplatz, der nicht erfolgreich verarbeitet wird, zurückführen. Dabei werden drei Dimensionen der Krankheit hervorgehoben: ein Gefühl von Erschöpfung, eine zunehmende geistige Distanz oder negative Haltung zum eigenen Beruf sowie verringertes berufliches Leistungsvermögen. Zudem weist die WHO darauf hin, dass der Begriff Burn-out ausschließlich im beruflichen Zusammenhang und nicht für Erfahrungen in anderen Lebensbereichen verwendet werden sollte.

Das Burn-out-Syndrom bezeichnet einen vollständigen und für die Betroffenen zunächst unerklärlichen Motivationsverlust. Dieses ‚Ausbrennen‘ geschieht nicht schlagartig, sondern geht schleichend voran. Zentrale Faktoren bei der Entstehung von Burn-out sind oft mit großem Ehrgeiz verfolgte Ziele und Bedürfnisse, die nicht oder nur mit großen Opfern erreicht werden können. Daraus können dann bei Nichterreichen der Ziele Verzweiflungsgefühle und bei Erreichen Erschöpfungszustände resultieren. Dies geht meist mit einem Rückzug aus dem gewohnten sozialen Umfeld einher. Das Endstadium des Burn-outs – ‚Meltdown‘ – ist durch chronische Hilflosigkeitsgefühle und Suizidgedanken geprägt.2

Nach der Panikattacke hatte ich also glücklicherweise fast zwei Wochen Ruhe vor mir. Ich hatte eine wunderschöne Wohnung mit einem hübschen kleinen Balkon am Stadtrand. Da draußen war ich, wann immer ich es wollte, ungestört. Wenn jemand klingelte, konnte er oder sie nicht einmal sehen, ob ich zu Hause war. Dafür mussten Besucher*innen erst durch einen großen Garten gehen, um zum Haus zu kommen. Ich konnte mich dort komplett zurückziehen. Und das tat ich auch. Es war Anfang September. Ich wollte viel schlafen, gesund essen, Sport machen und den Spätsommer auf meinem Balkon genießen – solche Phasen halfen mir eigentlich immer, schnell wieder in Form zu kommen.

Aber diesmal war es anders. Ich konnte nicht mal schlafen. Mein Kopfkino hatte durchgehend Programm. Vor meinem inneren Auge spielte sich immer wieder die Attacke ab und die Gedanken kreisten: „Oh mein Gott, was war da mit dir los? Warum hattest du so eine Panik und was sollte das alles überhaupt?“ Während mich diese Fragen quälten, wuchs meine innere Unruhe, so etwas wieder zu erleben. Wie sollte ich dann meinen Job machen? Ich wusste ja gar nicht, wie es zu diesem Anfall gekommen war und was ihn ausgelöst hatte, außer dass ich eben falsch geatmet hatte. Aber das war doch im Grunde nicht so schlimm. Mein Gehirn ratterte wie ein alter Filmprojektor und zeigte die immer gleichen Szenen des letzten Moments im Studio. Ich konnte es nicht abstellen. Ich bekam Schweißausbrüche und gleichzeitig liefen mir kalte Schauer über den Rücken. Mein Herz klopfte wie wild, und das alles, obwohl ich mich nicht im Geringsten bewegte. Ich hatte von heute auf morgen unfassbar große Angst! Angst, dass alles wiederkommen und mich erneut überfallen würde, dass dies das Ende meiner Karriere sein würde und ich plötzlich vor dem Nichts stünde. Ich, die immer die Zügel in der Hand hielt. Die immer nach vorn ging und sich ihren Weg suchte.

An Sport als Ausgleich, wie ich es eigentlich geplant hatte, war in diesen zwei Wochen nicht zu denken. Mein Körper fühlte sich krank und kraftlos an. Langsames Spazierengehen war das Einzige, was ich an manchen Tagen noch irgendwie zustande brachte, und selbst das war ein enormer Kraftakt. Ich weinte viel, mein Gesicht war davon aufgequollen und ich mochte schon deshalb nicht aus dem Haus gehen. Der Blick in den Spiegel auf diese traurige Gestalt, zu der ich urplötzlich geworden war, erschreckte mich und ließ mich innerlich noch tiefer fallen. Ich hatte das Gefühl, gegen etwas in mir zu kämpfen, von dem ich nicht einmal wusste, was es war. Ich konnte meinen Gegner nicht sehen, kannte ihn nicht und wusste überhaupt nicht, wo ich ansetzen sollte.

Ich war so unendlich müde und erschöpft von alldem. Ich wollte schlafen, wollte Ruhe, und gleichzeitig lief in meinem Kopf pausenlos der Angstfilm, in dem sich alles, was passiert war, stetig wiederholte. Und ich fühlte mich, als wäre ich ganz allein in diesem schrecklichen Kino.

Die Tage vergingen einfach so, ohne dass ich irgendetwas tat. Manchmal schaffte ich es an einem ganzen Tag nur, mich vom Bett zum fünf Meter entfernten Sofa in mein Wohnzimmer zu schleppen. Wenn ich nicht mehr konnte, und das war öfter der Fall, blieb ich auch mal für ein paar Stunden auf halber Strecke am Boden liegen.

Gab es Momente, in denen ich irgendwie dazu in der Lage war, telefonierte ich. Ich rief meine Freundinnen an oder sprach mit Bekannten und wollte von ihnen erfahren, ob sie so etwas Ähnliches auch schon erlebt hatten. Es beruhigte mich, mich mitzuteilen und von anderen zu hören, dass ich vielleicht doch nicht ganz allein mit meinem Problem war, dass es Menschen gab, die mich verstanden.

Aber wirklich helfen konnte letztlich keiner. Und ich wollte auch niemanden damit zu sehr in Beschlag nehmen oder gar irgendwem zur Last fallen. Also versuchte ich, den ganzen Wahnsinn möglichst allein zu bearbeiten.

Ich fing an, nach Büchern zu recherchieren, die mir helfen könnten. Aber damals war es noch nicht so, dass eine Bücherbestellung schon am nächsten Tag vor der Haustür lag. Und die Vorstellung, in eine Buchhandlung zu gehen, um nach Literatur zum Thema Angst und Panik zu fragen, stresste mich. Ich wollte in meinem Zustand auf keinen Fall irgendwo gesehen werden.

Meine Mittel zur Selbsthilfe waren entsprechend begrenzt.

Der Gang zum Arzt erwies sich nach gut einer Woche als unabwendbar. Es ging mir einfach nicht besser, und der Tag, an dem ich zurück vor die Kamera musste, rückte näher.

Ich hatte ein lockeres Verhältnis zu meinem Hausarzt und wir pflegten einen freundschaftlichen Umgangston. Als ich ihm von meinem Erlebnis erzählte und wie es mir damit ging, sah er mich über den Rand seiner Brille an: „Das ist nicht so schlimm, Annett. Ich kann dir einen Tranquilizer verschreiben. Das wird dir erst mal helfen und dich beruhigen. Viele Schauspieler und Leute vor der Kamera, die in der Öffentlichkeit stehen und Druck aushalten müssen, nehmen das.“ Er drückte mir ein Rezept in die Hand, gab mir noch den Rat mit auf den Weg, mich gut auszuruhen und mal ein bisschen runterzufahren, und schickte mich damit zur Apotheke.

Über die Option, dass sich meine Panikattacke wiederholen könnte, sprachen wir nicht. Genauso wenig wie über eine weitere Behandlung, Therapie oder Ähnliches. Wahrscheinlich hielt er mich einfach nur für etwas überarbeitet. Schließlich kannte er mich als eine lebensfrohe und lockere, fröhliche Patientin, die selbst mit größeren Schmerzen noch Scherze machte.

Liebe Angst, Zeit, dass du gehst

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