Читать книгу Ruhe sanft - Annette Meyers - Страница 12

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Wetzon durchstöberte ihren Speiseschrank. Es war nicht viel darin. Seit Carlos Choreograph geworden war, besuchte er sie nur sporadisch, und sie mußte sich selbst mit Lebensmitteln eindecken. Vorjahren, als es mit Carlos’ Karriere als Tänzer bergab ging, hatte er sich auf Haushaltsführung verlegt. Sein Unternehmen war so erfolgreich, daß er bald ein Heer von arbeitslosen Tänzerinnen und Tänzern hatte, die in Häusern überall in der Stadt saubermachten und kochten.

Sie schloß die Tür, machte sie gleich wieder auf, nahm eine Büchse Thunfisch heraus und stellte sie auf die Arbeitsplatte.

»Im Zweifelsfall ist ein Baguette immer richtig«, sagte sie laut und schnitt ein Sesambaguette durch.

Sie ging ins Eßzimmer und schaltete den Anrufbeantworter ein.

»Hallo, Freude meines Lebens, hier ist der junge Choreograph, der dich wissen lassen möchte, daß an der Front alles in Ordnung ist. Ich komme morgen im Lauf des Tages vorbei. Habe es im Büro probiert und den Barrakuda in der Leitung gehabt, und ich bin sicher, daß sie es nicht ausgerichtet hat.«

Carlos. Und er hatte recht. Der Barrakuda, sonst als Smith bekannt, hatte ihr nichts gesagt. Smith und Carlos konnten sich nicht riechen.

»Hallo, Kumpel«, sagte Wetzon zum Anrufbeantworter. »Ich spreche später mit dir.«

Der Apparat piepte. Der nächste Anrufer hatte aufgelegt. Noch ein Piepton. Dann dröhnte »There’s no business like show business« mit großem Orchester vom Band. Ein typischer Carlos-Gag. Das machte er immer, wenn er auf ihrem Band die alten Nachrichten löschte, etwas, das ihr immer zu lästig war.

Die Wohnung war kalt. Sie schleppte sich fröstelnd ins Schlafzimmer und zog einen Trainingsanzug und dicke Socken an. Es wurde an diesem Abend langsam warm, weil der Thermostat mit dem plötzlichen Temperatursturz am Morgen nicht Schritt gehalten hatte. Draußen rüttelte der Nordwind an den Fenstern.

Durch die Holzläden konnte sie die Bäumchen um das Penthouse des Gebäudes hinter ihrem sehen, die sich schüttelten und bogen. Während sie hinausschaute, brach der Stengel einer riesigen Sonnenblume ab und schlug an ihr Fenster. Sie sprang zurück. Die welke Sonnenblume klammerte sich mit winzigen vertrockneten Ranken an das Glas, als wäre sie menschlich, versuchte sich festzuhalten, schaffte es nicht und wurde schließlich weggerissen.

Ganz hinten in Wetzons Kopf tanzte etwas so ähnlich, klammerte sich fest, neckte sie. Peepsie Cunningham in dem dunkelblauen Seidenkleid, wie eine Stoffpuppe im peitschenden Wind inmitten des Unrats, der aufgewirbelt wurde.

Der winzige dunkelblaue Gucci-Straßenschuh mit den goldenen Bügeln. Sie nahm ihn heraus und starrte ihn an. Es war ein echter Gucci, mit Monogramm und allem, kein nachgemachter, und er war kaum getragen. An der Sohle waren nur wenige Kratzer. Sie hob ihn hoch und hielt ihn vergleichend an die schwarzen Wildlederstiefel, die sie vorhin ausgezogen hatte.

»Du hast große Füße, Kind«, imitierte sie Silvestri, wie er Bogart imitierte.

Silvestri. Als sie an ihn dachte, lächelte sie. Sie hatte ihn letztes Jahr kennengelernt, als sie in den Mord an Barry Stark verwickelt worden war. Silvestri hatte Substanz, und es war eine echte Beziehung. So echt, wie das bei zwei Menschen mit zwei Berufen und völlig unterschiedlichen Arbeitszeiten möglich ist.

Sie stellte Peepsie Cunninghams Schuh auf den Teppich neben ihre Stiefel, setzte sich auf und rief Silvestri im 17. Revier an.

»Metzger.«

»Hallo, Artie. Ist er zufällig da?«

»Nein, er ist in der Stadt.« Die Stimme von Silvestris Partner war rauh vor Müdigkeit. »Es ist gerade was passiert, und wir haben, glaube ich, eine lange Nacht vor uns.« Sie konnte sich Metzger vorstellen, sein langes, jämmerliches Gesicht und die Tränensäcke unter den Augen, zusammengesackt vor dem unaufgeräumten Schreibtisch in dem Büro, das er mit Silvestri teilte.

»Okay, ich kann’s hören«, sagte sie. Sie hatte Silvestri drei Tage nicht gesehen, zwei Tage nicht mit ihm gesprochen. Sie vermißte ihn. »Sagen Sie nur, daß ich angerufen habe.«

»Möchten Sie, das ich was Bestimmtes ausrichte?« fragte Metzger halbherzig.

»Nein, Artie, danke.« Sie hielt inne und runzelte die Stirn. »Doch. Daß er mich nicht anrufen soll. Ich habe ein Frühstück um halb acht und gehe zeitig schlafen. Ich spreche morgen mit ihm.«

Die Geschichte mit Peepsie Cunningham konnte warten. Mrs. Cunningham war schließlich ein Selbstmord, kein Mord.

Wetzon legte sich wieder aufs Bett und faltete die Wolldecke in Rot, Weiß und Blau auf, die sie und Carlos in den Pausen hinter der Bühne zu Ehren der Zweihundertjahrfeier gehäkelt hatten, als sie 1976 für Bob Fosse in Chicago tanzten. Sie hatten ausgemacht, sich die Decke zu teilen, jeweils für ein Jahr, und dies war ihr Jahr – wenigstens bis zum 4. Juli. Sie dachte an die Choreographen, mit denen sie und Carlos gearbeitet hatten und die nicht mehr lebten. Zuerst Gower Champion. Und dann waren Michael Bennett und Bob Fosse beide 1987 gestorben. Es machte sie traurig und melancholisch.

Sie zog die Wolldecke bis über die Ohren hoch und dachte an Silvestri.

In Wahrheit war sie verrückt nach ihm, aber es fiel ihr nicht leicht, das einzugestehen. Sich selbst nicht. Und erst recht nicht ihm. Würde sie nicht, wenn sie es zugab, allmählich immer abhängiger von ihm werden und weniger selbständig? Sie war lange allein gewesen, und außer einigen kurzen – sehr kurzen – Affären hatte es niemanden mehr gegeben seit Bud Silverberg, den sie auf dem College kennengelernt hatte. Er war bei der Air Force im exotischen Marokko gewesen. Er hatte einfach aufgehört zu schreiben, und sie hatte nicht lange danach von einem gemeinsamen Freund erfahren, daß er sich in eine Marokkanerin verliebt und sie geheiratet hatte.

»Ich kann es nicht fassen, daß er dir nichts gesagt hat«, hatte der Freund gemeint.

Ich auch nicht, hatte sie gedacht.

Sie rollte sich unter der Wolldecke zusammen. Silvestri. Smith hatte keinen Schimmer, wenigstens hoffte Wetzon das inbrünstig. Nur Carlos ahnte es und das nur, weil er sie so gut kannte. »Er paßt gut zu dir«, sagte Carlos. Sie hatten gemeinsam Grundübungen an der Barre gemacht. »Und du weißt, daß ich das nicht so dahinsagen würde. Ich mag Bullen nicht.«

»Er ist Detective«, korrigierte sie automatisch, während sie ein Bein leicht beugte und streckte und langsam an die Barre hob.

»Scheiße, er ist ein Bulle.« Carlos hatte ihr den Rücken zugewandt und machte die gleiche Bewegung. »Aber ich mag ihn trotzdem, und ich mag, wie er zu dir ist.« Er kam wieder in die erste Position. »Und sieh dich einmal an – du strahlst in letzter Zeit immer so. Komm, ich zeige es dir.« Er drehte ihren widerstrebenden Körper zum Spiegel um, und sein hübsches Gesicht war dieses eine Mal ernst. »Sieh doch. Alle Kanten werden weich. Das ist die Nebenwirkung von gutem Sex«, fügte er mit einem anzüglichen Grinsen hinzu.

Sie hatte gespürt, daß sie rot wurde, aber es stimmte. Wenn sie mit Silvestri zusammen war, konnte sie fühlen, wie alle Spitzen, wie Carlos dazu sagte, weich wurden. Kinn, Nase, Ellbogen, Knie. Sie fühlte sich dahinschmelzen, und sie konnte sich nur zum Teil darüber freuen. Sie mochte es nicht, wenn sie nicht alles unter Kontrolle hatte.

»Verdammt, Carlos«, hatte sie gesagt und mit dem Handtuch nach ihm geschlagen. »Du hast in meinen Gedanken nichts zu suchen.«

»Hör zu, Herz«, sagte er zärtlich und duckte sich zu spät. »Ich bin dein bester Freund, und ich liebe dich wie eine Mutter, wie ein Bruder. Und ich weiß, daß du mich liebst. Aber es ist ungefährlich, mich zu lieben, weil du weißt, daß ich nie etwas anderes tun werde, als dich lieben.«

Sie kehrte ihm den Rücken, über die Barre gebeugt, und Carlos trat hinter sie und legte die Hände auf ihre gekrümmten Schultern. Sie starrte ihn im Spiegel an.

»Laß es darauf ankommen«, sagte er leise. »Dir zuliebe. Ich möchte nicht, daß du allein bist.« Sie hatte ihn betroffen im Spiegel angesehen. Es war die Zeit der Pest, und zu viele Menschen, die sie kannten, waren gestorben und würden sterben, an AIDS. »Nein, es geht mir gut, aber ich meine, ich werde nicht ewig dasein«, sagte er traurig. »Keiner von uns kann heute noch langfristig denken.« Sie hatte sich von ihren Spiegelbildern abgewandt, und sie hatten einander festgehalten und geweint.

Also versuchte sie es, aber sie fürchtete sich vor der Starke ihrer Gefühle für Silvestri.

Sie schüttelte die Wolldecke ab, setzte sich auf und wählte die Auskunft wegen der Nummer des Lenox Hill Hospital, dann rief sie an, um sich nach Hazels Befinden zu erkundigen.

»Wir stellen heute abend keine Anrufe zu Ms. Osborn durch«, erfuhr sie von der Vermittlung, »aber ihr Zustand ist zufriedenstellend.«

»Schön, dann sagen Sie ihr doch bitte, daß Ms. Wetzon angerufen hat und sich morgen wieder meldet.«

»Ms. Weston.«

»Wetzon. W-e-t-z-o-n.«

»Weston.«

Wetzon lachte, als sie den Hörer auflegte. Sie hob den dunkelblauen Gucci-Straßenschuh auf, schaltete den Fernseher an und legte den Schuh auf dem Fernseher ab.

Das Bild kam deutlich und scharf, und plötzlich sah sie ihren Freund Teddy Lanzman an, der mit feierlichem Gesicht für eine Sondersendung warb, die sich mit der Misere der Alten in der Stadt befaßte. Er hatte es seit seiner Zeit als Vorzeigeschwarzer bei Kanal 8 weit gebracht. Es war eine Ewigkeit her, seit sie ihn zum letztenmal gesehen hatte. Sie erinnerte sich, daß er mit jemandem befreundet war, Produktionssekretärin oder etwas in der Richtung in David Merricks Büro, als Wetzon in 42nd Street mitwirkte. Er war vom Lokalredakteur zum Featureschreiber und Produzenten aufgestiegen. Sie starrte auf den Bildschirm, in Gedanken ganz woanders, dann schaltete sie die Nachrichten aus und ging wieder in die Küche.

Der Kessel war gefüllt, der gemahlene Koffeinfreie von Zabar’s abgemessen im Melittafilter, der Thunfisch abgegossen und mit italienischer Knoblauchsoße gemischt. Sie legte die Baguettehälften in den Toaster und setzte sich an die Küchentheke. Sie liebte ihre kleine Küche mit den blau-weißen französischen Bauernkacheln an der Wand und den weißen Arbeitsflächen. Sie schaltete den winzigen Fernseher an und hörte die Wirtschaftsnachrichten um halb sieben, während sie eine Tomate in Scheiben schnitt. Mit der Nase am Teller zog sie den wundervollen Duft der sommerreifen Tomaten ein.

Verdammt, jemand war wegen Börsengeschäften aufgrund von Insider-Informationen festgenommen worden. Würden sie es denn nie lernen? Erinnerte sich niemand an Ivan Boesky? Es war wirklich beunruhigend, weil diese Männer fast alle jung waren, jünger als sie, Absolventen der besten Hochschulen, und schon das große Geld verdienten. Es war eine andere Art von Pest. Man starb nicht an ihr, aber sie verdarb die ganze Finanzgemeinde. Sie hörte noch die Börsenkurse und schaltete dann auf die überregionalen Nachrichten um.

Als der Kaffee durchgelaufen war, warf sie den Papierfilter mit dem Satz weg und goß sich einen Becher Kaffee ein. Sie schichtete Thunfisch und Tomatenscheiben auf jede Baguettehälfte und aß sie nacheinander, während sie ihre Notizen über Peter Tormenkov las.

Sie spürte immer noch Hunger, aber es war kein echter. Sie brauchte Schokolade zum Abschluß. Die Brocken dunkler Schokolade von Li-Lac in der Christopher Street, die Silvestri letzte Woche mitgebracht hatte. Sie waren im Speiseschrank. Sie nahm ein kleines Stück und legte den Rest wieder auf das Brett.

Teddy Lanzman erschien wieder auf dem Bildschirm mit einer weiteren Werbung für seinen Sonderbericht über alte Menschen, der in der kommenden Woche beginnen sollte. » …welche helfen und welche betrügen«, sagte Teddy. »Bitte machen Sie mit, und sagen Sie es Ihren Freunden. Sie gehören jetzt vielleicht nicht zur alten Bevölkerung dieser Stadt, aber eines Tages werden Sie es. Und wir alle kennen auch heute Menschen, die dazugehören.«

»Dazugehören und dazugehörten«. Wetzon dachte über Peepsie Cunningham und ihre Freundin Hazel Osborn nach.

Die schmackhafte, bittersüße Schokolade zerging in ihrem Mund und erfüllte sie mit einem warmen Gefühl der Zufriedenheit. Ich bin in Sicherheit, dachte sie mit schlechtem Gewissen. Sie war gesund. Sie war jung.

Ruhe sanft

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