Читать книгу Ruhe sanft - Annette Meyers - Страница 18

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Als sie auf die Straße hinauskam, hing der Himmel so tief, daß sie meinte, sie müßte ihn berühren können, wenn sie sich nur auf die Zehenspitzen stellte. Eine schweflige Aura hing über allem.

Es schneite immer noch, aber jetzt nicht mehr so stark. Dennoch waren mindestens schon dreißig Zentimeter gefallen, und der Wind hatte hohe Verwehungen verursacht. Hausmeister oder Faktoten aus den umliegenden Sandsteinhäusern hatten versucht, Bürgersteige freizuschaufeln, und überall hörte man Metallschaufeln über den Zement kratzen, aber zu Fuß kam man dennoch nur mühsam voran. Der Weg zum Bus nach Norden auf der Third Avenue würde eine größere Expedition werden.

Trübe Scheinwerfer kamen um die Ecke von der First Avenue her und krochen durch die 49. Street auf sie zu. Das Auto fuhr vor dem Nebenhaus vor. Es war ein Taxi, und Wetzon stand erfreut an der Tür, als der Fahrgast ausstieg.

»Gott sei Dank«, sagte sie zu der Fahrerin, nachdem sie eingestiegen war. »Und vielen Dank.« Die Frau, eine korpulente Schwarze, die eine Kappe von den Mets tief in die Stirn gezogen hatte, nickte. »Wohin? Ich fahre nicht nach Brooklyn, Queens oder in die Bronx.« Sie trug rote Lederhandschuhe mit abgeschnittenen Fingerspitzen.

Wetzon nannte Hazels Adresse in der East 92. Street.

Die Autos schoben sich Stoßstange an Stoßstange über die Third Avenue. Es dauerte zwanzig Minuten, um nur aus der 49. Street abzubiegen, normalerweise eine Fahrt von drei Minuten. Die Seitenstraßen erstickten im Schnee und hätten dringend Schneepflüge gebraucht.

Vor Hazels Apartmenthaus fragte Wetzon die Fahrerin zögernd, ob sie warten und dann durch den Park zur 86. Street nahe der Amsterdam fahren würde. Der Zähler zeigte schon fast neun Dollar an.

»Alles klar«, sagte die Frau freundlich. »Was halten Sie davon, wenn ich die Uhr abschalte und wir uns auf zwanzig Dollar alles in allem einigen?«

»Prima.« Wetzon öffnete die Tür und trat prompt in eine Schneewehe.

Die Fahrerin streckte den Kopf heraus. »Aber machen Sie schnell. Ich will hier nicht die ganze Nacht festsitzen.« Sie klappte den Hebel hoch und schaltete den Zähler ab.

Hazel kam in einem gesteppten rosa Morgenmantel, der mit rosa Blüten bedruckt war, und einer rosa Haube mit Rüschchen an die Tür. Sie hatte ein Paar Eßstäbchen in der Hand.

»Leslie, Sie hätten nicht kommen sollen. Bei diesem scheußlichen Wetter.« Hazels Augen strahlten, und auf ihren Wangen brannten zwei runde rosige Flecken. Sie machte einen äußerst zufriedenen Eindruck.

»Hazel, was haben Sie vor?«

»Ihr Silvestri hat mir eine Reispfanne mit Shrimps gekauft, nachdem wir mit O’Melvany gesprochen hatten, und dann brachte er mich nach Hause. Er wußte genau, wie man mich glücklich macht.«

»Er ist nicht mein Silvestri«, sagte Wetzon automatisch und dachte, daß Hazel wie ein kleines Mädchen der Jahrhundertwende aussah.

»Na, dann müssen wir daran arbeiten«, meinte Hazel vergnügt. »Aber im Moment möchte ich, daß Sie nach Hause gehen, und ich begebe mich mit meinem Shrimpreis und Woody Allen ins Bett.«

»Woody Allen?«

»Der Schläfer läuft heute abend im Fernsehen.«

Zufrieden, daß es Hazel beträchtlich besserging, saß Wetzon kurz darauf wieder im Taxi.

»Ist die Querstraße offen?« fragte Wetzon, während sie das beschlagene Fenster abrieb und sich anstrengte hinauszusehen. Sie erinnerte sich an die Nacht, in der Barry Stark ermordet worden war, als sie und Silvestri auf der Querstraße gestoppt worden waren und jemand Silvestri angeschossen hatte.

Die Fahrerin brummte etwas, und das Taxi bog in die Querverbindung der 86. Street durch den Central Park ein, die Manhattans East Side und West Side verband. Hier konnte die kurvenreiche, ansteigende und abfallende Straße, die an manchen Stellen als Unterführung verlief, tückisch glatt sein. Die Fahrerin beugte sich über das Lenkrad und wischte mit dem Handschuh Feuchtigkeit von der Windschutzscheibe. Die Scheibenwischer ruckten träge und wenig wirkungsvoll hin und her. Zweimal, als der Verkehr stockte, stieg die Frau aus und reinigte die Wischblätter.

Als sie vor ihrem Apartmenthaus ankamen, reichte Wetzon der Frau einen Zwanzig-Dollar-Schein. »Danke für die sichere Fahrt«, sagte sie. »Sie fahren prima.«

Die Frau tippte an den Schirm der Baseballkappe. Die Augen, in die Wetzon kurz sah, waren pfiffig. »Ich bin Judy Blue, und wenn Sie wieder mal ein Taxi brauchen, rufen Sie mich an.« Sie hielt ihr eine blaue Geschäftskarte hin, die Wetzon in die Manteltasche steckte.

»Vielen Dank, Judy Blue.«

Sie sang »Leise rieselt der Schnee …« verhalten vor sich hin, während sie den Schlüssel suchte und den Schnee auf der Fußmatte von den Stiefeln abtrat. Es brauchte nicht viel, damit sie sich gut fühlte. Hazel, die soviel besser aussah, Silvestri …

Ihre Tür flog auf, als sie gerade den Schlüssel ins Schloß stecken wollte.

»Junge, bin ich froh, dich zu sehen, Kleine«, rief Carlos, zog sie an sich und drückte sie fest.

Sie ließ die Einkaufstasche fallen, und sie tanzten zusammen in einer improvisierten Fred-und-Ginger-Nummer durch die Diele und schrammten haarscharf an der weißen Bank und dem Messingschemel vorbei. Schließlich landeten sie in Wetzons schwarzen Mantel verheddert auf dem Boden und lachten.

»Du bist so was von verrückt«, schimpfte sie. »Was soll ich bloß mit dir machen.«

»Bleib bei mir, und ich verspreche dir, wir werden ewig jung bleiben«, sagte Carlos ganz ernst.

»Du wirst immer jung sein, lieber Mann«, sagte Wetzon. »Aber ich, au contraire, werde rapide alt.«

Sie stand auf und half ihm auf die Beine. Er nahm ihren Mantel und hängte ihn in den Flurschrank.

»Was rieche ich denn da?« fragte sie, während sie an der Wand lehnte, um die Stiefel auszuziehen. Sie stellte sie auf die Matte vor der Tür. »Heißen Kakao?«

»So ist es. Für dich ganz frisch bereitet. Obwohl du nicht den Anstand hattest, meinen Anruf zu beantworten.«

»Mm, lecker.« Sie leckte sich die Lippen und folgte ihm in die Küche. »Wie ich dich vermißt habe, Carlos.«

»Na, das sieht man«, erwiderte Carlos streng. »Du solltest dich schämen …«

Sie sah ihn hochnäsig an.

»Du bist die schlechteste Hausfrau der Welt. Überall Staub, nichts zu essen im Kühlschrank außer Baguette, die Küchenschränke leer bis auf Thunfisch, Nudeln und Schokolade.« Er hörte auf. Sie grinste ihn an. »Also du könntest wenigstens versuchen, beschämt auszusehen.«

Sie spielte beschämt, indem sie den Kopf hängen ließ. Dann sahen sie sich an und lachten.

»Du bist unverbesserlich«, sagte er, während er auf den Topf aufpaßte, in dem er die Schokolade auf dem Herd heiß werden ließ.

»Du auch«, erwiderte sie. »Vergessen wir nicht, daß du mich verlassen hast. Ich habe darauf gebaut, daß du mir den Haushalt machst, und dann bist du wieder zur Bühne gerannt …«

»Meine Kunst rief mich«, intonierte Carlos dramatisch, die Hand an der Stirn.

»Darauf würde ich wetten. Und wie heißt das Kunstwerk mit bürgerlichem Namen?«

Er rührte die heiße Schokolade um und goß sie in zwei Becher. »Um die Wahrheit zu sagen«, kam es sehr beiläufig, »Arthur Margolies, Esquire.«

»Carlos, du Teufel. Eine neue Liebe in deinem Leben. Esquire, drunter tust du’s nicht.«

Carlos lächelte nur und blickte blasiert. »Los, mach schon«, bettelte sie. »Raus mit der Sprache.«

»Ja, er ist Rechtsanwalt und arbeitet in einer großen Kanzlei. Sieht sehr gut aus. Die Wahrheit ist, ›Ich bin verliebt‹«, sang er.

»›Ich bin verliebt‹«, sang Wetzon als Refrain und legte einen Arm um seine schlanke Taille.

»›Wir sind verliebt … wie schön‹«, sangen sie zweistimmig und stießen mit den Bechern an.

»Ich meine, das ist nur recht und gut.« Sie strahlte ihn an. Sie hatte Carlos sehr gern. Zusammen hatten sie in Musicals getanzt, am Broadway, im Repertoiretheater, auf Tourneen, zusammen Unterricht genommen, zusammen über Männer und Beruf geweint, und sie hatten beide ungefähr zur gleichen Zeit das Theater verlassen. Oder, wie sie es sahen, das Theater hatte sie verlassen. Es war einfach nicht mehr dasselbe. Es machte keinen Spaß mehr, nachdem Gower Champion, ihr Mentor, gestorben war.

»Der Kakao schmeckt herrlich«, sagte sie und leckte den Schnurrbart aus Schokolade von den Lippen. »Und ich bin so froh, daß du hier bist.« Sie sah auf die Uhr. »Ich muß mich umziehen und auf Smith’ Party gehen.«

»Du wirst doch nicht an einem Abend wie heute ausgehen?« Carlos schüttelte den Kopf. »Und zu dieser …«

»Ich muß. Smith würde es mir nie verzeihen.«

»Du mußt nicht gehen – das weißt du.«

»Carlos, misch dich nicht ein. Smith ist wegen dieser Party so nervös gewesen. Ich kann ihr das nicht antun.«

»Dir würde sie es ohne weiteres antun.«

»Das glaube ich nicht. Ich kann nicht. Sie ist meine Partnerin, und sie ist meine Freundin. Sie ist einfach ein bißchen exzentrisch …«

»Ha!« rief Carlos. »Das ist die Untertreibung des Jahres.« Er goß den Rest des Kakaos in die Becher, und sie gingen ins Wohnzimmer und machten es sich auf dem Sofa bequem.

»Es wird für dich schwierig sein, runter zum Village zu kommen«, sagte sie. »Möchtest du hier übernachten?« Sie wußte nicht, ob Silvestri jetzt kommen würde oder nicht. » … hm … Silvestri kommt vielleicht später vorbei.« Sie versuchte, gleichgültig zu tun, aber Carlos konnte sie nichts vormachen.

»Hört, hört, mein Schatz«, sagte Carlos erfreut. »Du glaubst doch nicht, daß ich mich da eindränge.«

»Aber …«

Er tat ihre zögernden Proteste mit einer Handbewegung ab. »Außerdem wohnt Arthur Margolies, Esquire, Ecke West End Avenue und 90. Street.« Er lächelte sehr selbstzufrieden.

»Wie bequem, du kleiner Teufel.« Wetzon trat ihn aus Spaß mit den Zehen.

»Hör zu, Schatz, ich meine, es ist nur recht und billig, daß wir zwei, die guten, anständigen Junggesellen, im hohen Alter noch Gefährten gefunden haben.« Er grinste sie anzüglich an.

»Auf Safer Sex«, sagte sie feierlich, indem sie ihren Becher hochhielt.

»Safer Sex«, wiederholte er und berührte ihren Becher mit seinem. Sie sahen einander lange in die Augen.

»Was macht die Show?« fragte sie.

»Die Show macht sich prima. Es ist, als ob ich auf Rente wäre«, sagte Carlos fast entschuldigend. »Ich gehe hin und nehme die Verbesserungen heraus – du weißt, wie diese Zigeuner sind.« Er lachte in sich hinein. »Sie versuchen immerzu, die Show besserzumachen.«

»Woher sollte ich so was wissen?« erwiderte Wetzon fröhlich, die genau wußte, daß sie und Carlos sich vor nicht allzu langer Zeit der gleichen Sache schuldig gemacht hatten.

»Und Marshall liest und liest und hält Ausschau nach einer weiteren Show, die wir machen könnten.«

»Warum Marshall? Was ist mit dir, warum nicht solo?«

»Oh, Les, du weißt, daß ich diesen Ehrgeiz nicht habe. Ich brauche bloß ein bißchen Liebe, ein bißchen Geld, gute Freunde, Gesundheit, glückliche Tage.«

»Carlos, ich habe dich so gern, daß ich dich zerdrücken könnte.« Sie warf sich auf ihn und gab ihm einen Kuß.

Dann erzählte sie ihm von Hazel und Peepsie Cunningham.

»Die arme Hazel«, sagte Carlos. »Nein – falsch – die gute, anständige, wunderbare Hazel. Ich rufe sie morgen an. Vielleicht können wir sie dazu bringen, daß sie uns erzählt, woher Peepsie wirklich kommt.«

»Da ist noch eine Sache, die ich ausgelassen habe«, fuhr Wetzon fort.

»Aha, hm, ich wußte, daß es zu einfach war. Raus mit der Sprache.«

»Na ja, da ist noch dieser Schuh, den ich fand.«

»Was für ein Schuh?«

»Ich fand einen kleinen dunkelblauen Gucci-Straßenschuh, genau wie der, den Peepsie Cunningham trug, im Rinnstein vor dem Haus, als Hazel und ich ins Taxi stiegen.«

»Und?«

»Und ich hob ihn auf und steckte ihn in meine Tasche.«

Carlos stöhnte laut auf.

»Ich bin sicher, daß er Peepsie Cunningham gehörte.«

»Aber?«

»Aber die Zeitung schrieb, daß sie Haussandaletten trug, als sie sprang … oder stürzte.«

»Oder stürzte?« Carlos warf sich rücklings auf das Sofa. »Mädchen, Mädchen, du hast es wieder getan. Ich kann’s nicht glauben. Du bist direkt in einen Mordfall hineinspaziert.«

Ruhe sanft

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