Читать книгу Ruhe sanft - Annette Meyers - Страница 15

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Peter Tormenkov hatte Verspätung, was nicht überraschend war. Börsenmakler kamen immer zu spät. Wetzon brachte ihr Leben damit zu, auf Makler zu warten. Sie hatte der Empfangsdame ihren und Tormenkovs Namen genannt und um einen Platz in der Nähe der Eisbahn gebeten.

»Koffeinfreien Kaffee, bitte«, sagte sie zur Bedienung. »Es kommt noch jemand, und wir bestellen dann zusammen.« Die Kellnerin ließ zwei Speisekarten da und kam sofort mit einer kleinen Kaffeekanne und einem Korb mit gemischten Muffins zurück. Wetzon trank einen kleinen Schluck Kaffee – er war kochend heiß – und schlüpfte aus Mantel und Schal, dann setzte sie vorsichtig, um den Knoten nicht zu lösen, die Baskenmütze ab. Sie rieb die kalten Ohren, damit sie warm wurden.

Das Café war fast leer, aber es würde sich bald zu den »Arbeitsfrühstücken« füllen, die überall in der Stadt stattfanden. Es war ihr Lieblingstreffpunkt für frühe Termine in der Stadtmitte, weil es hier weniger hektisch zuging als im Rendezvous oder im Drake oder auch im Crystal Fountain im Grand Hyatt.

Ein Motorgerät, das wie eine Kombination aus Staubsauger und Rasenmäher aussah, wurde über das Eis auf der Bahn gefahren, um sie für die ersten Schlittschuhläufer herzurichten. Die zaghaften Flöckchen vom frühen Morgen waren nun ausgewachsene Schneeflocken geworden, die vom auffrischenden Nordwestwind verwirbelt wurden.

Smith würde wütend werden, wenn das Wetter ihre Party ruinieren sollte. Sie hatte dieses Fest seit Wochen geplant.

Stimmen zogen Wetzons Aufmerksamkeit auf sich, als zwei Personen in ihrer Nähe Platz nahmen. Eine sehr attraktive hellhäutige Schwarze, vielleicht in Wetzons Alter, tadellos gekleidet mit einem schwarzen Chanel-Strickkostüm und einem nerzgefütterten Mantel über der Schulter, und ein jüngerer Mann mit Bart, der eine ausländisch aussehende Pelzmütze und einen langen L.-L.-Bean-Mantel über einem Straßenanzug trug.

»Ms. Wetzon?« fragte ein Mann in einem gelbbraunen Regenmantel, während er die anderen Tische im Café überblickte. Er war groß, sehr schlank, hatte krauses braunes Haar, das unbedingt geschnitten werden müßte, und er war sehr jung. Er hatte einen kaum merklichen Akzent. Osteuropäisch vielleicht.

»Peter?« Lächelnd streckte Wetzon die Hand aus. Er hatte einen schlaffen, feuchten Händedruck. »Sie müssen frieren. Trinken Sie erst einmal einen Kaffee, und dann bestellen wir.«

Eine zweite Kanne Kaffee und ein Korb mit süßen Brötchen kamen im Handumdrehen.

»Ich bin Ihnen wirklich dankbar, daß Sie mich so kurzfristig treffen konnten, Ms. Wetzon«, begann Tormenkov nervös. Unter dem Regenmantel trug er einen elegant geschnittenen blauen Nadelstreifenanzug, ganz ähnlich Wetzons Kostüm, und ein gestärktes weißes Baumwollhemd.

»Alle nennen mich Wetzon, ohne das Ms.«, sagte sie, um ihm die Befangenheit zu nehmen. »Howie sagt, Sie sind sehr erfolgreich.«

»Howie? Ach ja, richtig, Howie Minton.« Er spielte mit dem Zuckertütchen herum, riß es auf, faltete es wieder zu, machte es wieder auf und leerte es in den Kaffee.

»Bestellen wir, damit wir uns dann unterhalten können«, schlug sie ungeduldig vor, um das Gespräch voranzubringen.

Er bestellte Rührei und Speck, und sie bestellte das Übliche, Joghurt und frisches Obst. Als die Bedienung gegangen war, sagte Wetzon: »Sie haben mir am Telefon nicht sehr viel von sich erzählt. Wie kann ich Ihnen helfen?«

»Sie wissen, daß ich bei L.L. Rosenkind bin …«

Sie nickte. Zwei alternde übergewichtige Schlittschuhläufer kamen auf das Eis und begannen einen Walzer, indem sie mühelos ihre Kreise und Achten um die Eisbahn zogen.

»Wir sind im Grunde … ein Aktien- und Wertpapierhaus, nicht wahr, und ich mache ein ordentliches Geschäft …«

Das sagen sie alle, dachte Wetzon. Als nächstes würde er sagen, daß er viel mit börsenfähigen Wertpapieren zu tun hatte. Sie wartete darauf, daß er wieder anfing, aber er starrte auf seinen Heidelbeermuffin und blieb stumm.

»Sie handeln also sowohl mit Aktien als auch mit Anleihen?« half sie nach.

»Nein, nein, ich handele viel mit … nicht wahr … börsenfähigen Aktien, nicht wahr … die Dow-Aktien und … nicht wahr … Optionen. Keine Anleihen.«

»Was haben Sie gemacht, bevor Sie zu L. L. Rosenkind kamen?« Wenn er noch einmal »nicht wahr« sagte, würde sie an die Decke gehen.

»Ich war bei einem Pennystock-Haus. Randall, Patchin. Haben Sie von ihnen gehört?«

»Ja.« Randall, Patchin war eine anrüchige Firma, die ständig Probleme mit der Börsenaufsicht hatte und immer nahe daran war, von der SEC geschlossen zu werden.

»Ich weiß.« Tormenkov las ihre Gedanken. »Ich weiß, was Sie von Randall, Patchin halten. Das dachte ich auch, aber sonst bot mir keiner eine Stelle in der Wall Street an, also griff ich zu und ging weg, sobald ich eine andere Stelle bekommen konnte.«

Wetzon nickte. Sie hatte viele Makler kennengelernt, die ihre berufliche Laufbahn in schlechten Häusern begonnen hatten und dann bei den großen Firmen erfolgreich waren, aber viele Makler von den Pennystock-Häusern schafften den Wechsel nicht. Sie waren nicht fähig, die soliden Aktien zu verkaufen. »Und wo waren Sie vor Randall, Patchin?«

»Brooklyn College.«

»Hauptfach Betriebsführung?« Selbstverständlich.

»Und Volkswirtschaft.«

Die Bedienung stellte das Frühstück unauffällig auf den Tisch und verschwand.

»Wie lange sind Sie dann schon bei Rosenkind?«

»Ungefähr ein Jahr. Ich arbeitete … nicht wahr … als Kundenwerber bei Lehman … nicht wahr … sechs Monate davor …« Tormenkov strich dicke Klumpen Butter auf seinen Toast und sprach mit einem Bissen Ei im Mund. »Ich wollte dort bleiben … und Börsenmakler werden, nicht wahr, aber die sagten mir … nicht wahr … ich soll zu einer anderen Firma gehen und mir einen Kundenstamm aufbauen, nicht wahr, und dann wiederkommen. «

»Warum haben Sie sich Rosenkind ausgesucht? Sie hätten wahrscheinlich zu Merrill oder Dean Witter oder einem beliebigen anderen großen Haus mit einem Trainingsprogramm gehen können.«

»Na ja … ich habe keinen Abschluß am Brooklyn, nicht wahr. Ich habe nur zwei Jahre studiert. Sie wollen alle ein Collegeexamen sehen, also mein Onkel, nicht wahr, kannte durch die Gewerkschaft jemand bei Rosenkind. Mein Onkel ist Glaser. Jedenfalls wollte er mir helfen, nicht wahr, einen Fuß in die Tür zu bekommen.«

»Und?« Tormenkov brauchte eine Ewigkeit, um auf den Punkt zu kommen. Wenn er auf die gleiche Art Aktien verkaufte, würde er es nie schaffen, dachte sie.

»Er half mir auch. Aber er … na ja … ich kann dort nicht bleiben.« Er wischte den Rest des Rühreis mit dem letzten Stück Toast auf.

»Warum? Können Sie sich nicht genauer ausdrücken? Wenn ich Sie einer Kundenfirma empfehlen will, Peter, muß ich alles wissen. Liegen irgendwelche Beschwerden von Kunden gegen Sie vor? Schwierigkeiten mit der Börsenaufsicht?«

Er schüttelte den Kopf. »Nein. Meine Akte bei der SEC ist einwandfrei.«

»Warum möchten Sie dann weggehen? Das wird man Sie fragen, wenn Sie sich woanders vorstellen. Was werden Sie sagen?«

»Ich möchte nicht darüber sprechen.« Endlich hob er den Blick von seinem Teller und sah sie zum erstenmal direkt an. »Ich kann dort nicht bleiben.«

»Was möchten Sie also machen?« Irgend etwas stimmte nicht mit ihm. »Wenn Sie Ihre Tätigkeit nicht erweitern wollen, werden Sie in einer großen Firma nicht glücklich sein. Falls Sie bei Aktien und Optionen bleiben wollen, fahren Sie besser bei Bear, Oppenheimer oder Lehman. Wie sind Ihre laufenden zwölf brutto?«

Er runzelte die Stirn.

»Ich meine«, sagte sie geduldig, »wie ist Ihre Bruttoleistung für die letzten zwölf Monate?«

Tormenkov stand abrupt auf. »Würden Sie mich kurz entschuldigen?«

»Bitte.« Ihr wurde kalt. Jedesmal, wenn ein Makler sie dieser Tage mitten in einem Gespräch allein ließ, dachte sie an Barry Stark. Sie fühlte, gegen ihre Vernunft, daß er nie mehr zurückkommen würde oder, schlimmer noch, daß er tot sein würde wie Barry, als sie ihn suchen gegangen war. Dummes Zeug, schalt sie sich, Peter Tormenkov hatte seinen Mantel dagelassen. Aber was machte das schon für einen Unterschied? Barry hatte schließlich seinen Diplomatenkoffer stehenlassen.

Komm schon, Wetzon, altes Mädchen. Denk nicht mehr dran. Sie konzentrierte sich auf die Schlittschuhläufer, die sich zu für sie unhörbarer Musik wiegten und drehten. Das ältere Paar tanzte immer noch Walzer, hielt ab und zu inne, um im Bewußtsein, daß sie Zuschauer hatten, unsichere kleine Drehungen auszuführen. Ein kleines Mädchen drehte sich in einer entzückenden Pirouette.

»David, Sie müssen für alles aufgeschlossen sein«, hörte sie jemanden in herzlichem, aber bestimmtem Ton sagen. »Sprechen Sie mit ihnen, und schauen Sie sich um. Sie bekommen Aufträge erster Güte. S und C läßt bei Ihnen arbeiten.«

Von David kam eine gemurmelte Antwort. Wetzon drehte ein wenig den Kopf und versuchte, die Sprecherin zu entdecken. Es gab bestimmte Codewörter, Wendungen, die Headhunter gebrauchten: »Seien Sie aufgeschlossen«, »Schauen Sie sich um«, »Klopfen Sie auf den Busch«, »Erkunden Sie die Möglichkeiten« und ihr Lieblingssatz »Das sind Sie sich schuldig«.

»Lassen Sie nicht einen anderen für Sie urteilen«, fuhr die weibliche Stimme eindringlich fort. »Das sind Sie sich schuldig …«

Volltreffer, dachte Wetzon.

»Gut«, sagte der Mann. »Ich erkundige mich. Wie geht das vor sich? Ich habe so etwas noch nie gemacht.«

»Ich weiß, daß sie sich von jemandem mit Ihren Referenzen vor Gericht vertreten lassen wollen, also schicke ich Ihren Lebenslauf an Larry Simpson, den Partner, der für die Einstellungen …«

»Entschuldigung«, sagte Peter Tormenkov, indem er seinen Stuhl vorzog und sich setzte.

Beinahe enttäuscht, daß er zurückgekommen war, drehte sich Wetzon um und sah, daß die Leute, deren Gespräch sie mitgehört hatte, die attraktive Schwarze und ihr jüngerer Begleiter waren.

»So, Peter Tormenkov«, sagte Wetzon und widmete ihm nun ihre ganze Aufmerksamkeit. »Ich würde Sie gern wieder an die Arbeit gehen lassen. Sprechen wir darüber, was Sie tun möchten.«

»Tja … Also im Moment … nicht wahr … kann ich gar nichts machen. Ich habe diese Sache … nicht wahr, an der ich arbeite … ich soll eigentlich nicht … nicht darüber sprechen.«

»Ich dachte, Sie könnten dort nicht bleiben. Jetzt haben Sie beschlossen zu bleiben?«

»Ja.« Tormenkov sah sie nicht an.

»Also gut. Tun Sie, was Sie tun müssen.« Warum saß sie hier und vergeudete Zeit mit ihm? Ihre Laune verschlechterte sich entschieden.

Er sah sich gründlich im Restaurant um, dann zog er seinen Stuhl näher zu ihrem. »Können Sie das … hm … vertraulich behandeln?«

»Das gehört zu meinem Beruf, Peter.« Sie lächelte mit zusammengebissenen Zähnen. »Ich wäre nicht mehr lange im Geschäft, wenn ich vertrauliche Mitteilungen nicht für mich behalten würde.« Sie sah auf die Uhr. Viertel vor neun. Gott, was für ein Langweiler. Zeit, einen Punkt zu machen. Tormenkov war eindeutig in Schwierigkeiten, also war er mit Sicherheit unvermittelbar. Bei dem würde kein Honorar herausspringen. Smith hatte recht.

Tormenkov legte eine Hand vor den Mund. »Ich arbeite für das FBI.«

Sie blickte ihn überrascht an. Das war etwas ganz Neues. »Was sagen Sie?«

»Es handelt sich um einen Betrug … nicht wahr. Ich wurde … von dieser Gruppe angesprochen … nicht wahr … sie arbeiten als Pflegerinnen für solche … für alte Leute, nicht wahr.« Er sah sich nervös um, als glaubte er, die Schlittschuhläufer hinter der Glasscheibe könnten ihn hören. »Ich sage lieber nichts mehr … nicht wahr … es ist ein Geheimnis. Ich habe sie gerade angerufen und erfahren … also ich kann nicht aufhören, nicht wahr … ich muß weiter für sie arbeiten, bis es vorbei ist … ich könnte sonst meine Lizenz verlieren.« Er stand schon wieder und zog ungeschickt seinen Mantel an. »Ich dachte, vielleicht … könnten Sie … danach, nicht wahr …« Seine Stimme verlor sich.

»Warum rufen Sie mich nicht an, wenn Ihre Arbeit für das FBI beendet ist?« sagte sie. Das war eine ganz neue Verrücktheit. Allein bei dem Gedanken, daß das FBI diesen Trottel beschäftigte, wurde ihr schwindlig. Und sie hatte geglaubt, sie könnte nichts mehr schockieren. Börsenmakler neigten dazu, das ohnehin aufregende Geschäft noch zusätzlich zu dramatisieren. Die ganze Branche war auf Aufschneiderei und Übertreibung aufgebaut. Man durfte nichts davon allzu ernst nehmen.

»Danke für das Frühstück«, sagte er. Wenigstens ging er ohne ein letztes »nicht wahr« weg.

»Puh! Nun zum Frühstück, Wetzon«, murmelte sie, während sie Tormenkov nachsah, wie er tapsig um die vollen Tische steuerte. Sie goß den restlichen Kaffee aus dem Kännchen in die Tasse. Draußen gab ein Lehrer einem ungeschickten schlanken Mann in einem handgestrickten Skipullover eine Übungsstunde. Der Wind blies pulvrigen Schnee über die wenigen Abgehärteten.

Sie fürchtete sich, wieder ins Freie zu gehen, aber das Hinauszögern machte es nur schlimmer. Sie legte ihre Kreditkarte auf die Rechnung, und die Kellnerin, die sie im Auge gehabt hatte, kam und nahm alles mit.

»Guten Tag, entschuldigen Sie, ohne zu wollen, erkannte ich …«

Wetzon hob den Kopf und sah in die dunklen lebhaften Augen der Frau vom Nebentisch. Ihre mutmaßliche Waffengefährtin. Die Frau lächelte und streckte die Hand aus. »Diantha Anderson«, sagte sie.

»Leslie Wetzon.« Wetzon drückte ihr die Hand. »Ich erkannte selbst ab und zu ein paar vertraute Sätze.«

»Juristen«, sagte Diantha Anderson lächelnd, indem sie ihre Karte überreichte. Sie schlang einen langen schilfgrünen Schal um Kopf und Hals.

»Börsenmakler.« Wetzon stand auf und gab ihr ihre Karte.

»Kann ich Sie irgendwo absetzen?« fragte Diantha Anderson. »Mein Büro ist im Chanin-Bau, 42. und Lex.«

»Nein, danke, die falsche Richtung. Mein Büro ist in der 49., fast an der Second.«

Diantha Anderson nickte. »Freut mich, Sie kennengelernt zu haben, Leslie. Treffen wir uns doch mal auf einen Drink, dann können wir fachsimpeln.«

»Gern«, meinte Wetzon. »Ich rufe Sie an.«

Sie verabschiedeten sich und trennten sich auf der Fifth Avenue, wo Diantha Anderson in ein Taxi stieg, während Wetzon den trockenen Schnee vom Mantel wischte und in östlicher Richtung zu ihrem Büro marschierte.

Ruhe sanft

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