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2. HERAKLIT VON EPHESOS (535–475 V. CHR.)

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Wegen der Unmöglichkeit einer absolut sicheren Datierung seines Lebens nimmt man an, dass seine philosophische Blütezeit zwischen 500 und 490 v. Chr. lag – dies bedeutet, dass er jünger war als Xenophanes (den er auch mit Namen erwähnt) und älter als Parmenides (der vielleicht sogar als sein heftigster Kritiker angesehen werden kann).

Herakleitos stammte aus vornehmem Geschlecht (seine Familie führte ihren Stammbaum auf König Kodros von Athen zurück) und blieb auch zeit seines Lebens stets einer extrem aristokratischen Gesinnung treu, weswegen er auch seiner Heimatstadt, die eine für ihn unerträgliche demokratische (besser gesagt: ochlokratische) Verfassung aufwies, den Rücken kehrte. Den offiziellen Anlass dazu bot die Ausweisung seines Freundes Hermodoros mit der Begründung, in Ephesos solle es keine den Durchschnitt überragenden Bürger geben. Er zog sich in das Gebirge zurück und soll sich (nach Diogenes Laertius IX, 1) von Gras und Pflanzen ernährt haben; dieser Lebensweise wird auch seine Wassersucht zugeschrieben, weswegen er doch wieder nach Ephesos zog, um die Ärzte zu fragen, ob sie aus Überschwemmung Dürre machen könnten. Da aber kein Arzt verstand, was er damit meinte, grub er sich selbst in Kuhmist ein, in der Hoffnung, die Wärme des Mistes werde das Wasser verdunsten lassen. So rätselhaft wie seine Frage an die ephesischen Ärzte klang, so rätselhaft erschien er auch späteren Interpreten, die ihm das Epitheton »der Dunkle« verliehen, genauso wie er auch seinen Zeitgenossen und späteren Interpreten als Misanthrop vorkam. Die Tatsache, dass er sich selbst durch Eingraben in Kuhmist heilen wollte, hat nicht nur zu Spott geführt, sondern bekommt einen tieferen Sinn, wenn man seine Ansicht, dass es für Seelen den Tod bedeutet, zu Wasser zu werden, zugrunde legt.

Es ist bedauerlich, dass dieser große Denker, der in mehrfacher Hinsicht einen philosophischen Paradigmenwechsel durchführte, keine eigene Schule gründete und somit bis auf Kratylos (dem bekanntlich Platon einen eigenen Dialog widmete) kein weiterer Heraklit-Jünger von Rang und Namen bekannt ist.

Wie bereits erwähnt, galt Heraklit in der Antike als »der Dunkle«, und in der Tat waren viele seiner Aussprüche kryptisch und somit schwer verständlich oder offen für mehrere Interpretationen und bewusste Umdeutungen. Platon und Aristoteles (die kaum wörtliche Zitate Heraklits benutzten) lehnten seine Ansichten strikt ab. So etwa spannte ihn Aristoteles auf das Prokrustes-Bett seiner rigiden Logik, womit er Heraklit Gewalt antat, und Platon, der Anhänger von Parmenides, konnte mit seiner dynamischen Weltauffassung wenig anfangen.

Ein Zitat aus Aristoteles (de mundo 5, 396 620) soll verdeutlichen, dass Heraklit mit Gegensatzpaaren etwas anderes meinte als Aristoteles mit der Contradictio: »Verbindungen: Ganzheiten und keine Ganzheiten, Zusammentretendes – Auseinandertretendes, aufeinander abgestimmt Klingendes – nicht aufeinander abgestimmt Klingendes; aus allem eins und aus einem alles«; heute würde man zutreffenderweise von Komplementaritäten sprechen und nicht (wie Aristoteles) von Kontradiktionen.

Zwei Fragmente, die in der Hermeneutik zu Heraklit kontrovers interpretiert wurden (und werden), betreffen seine Einstellung zum Krieg: »Man sollte wissen, dass der Krieg etwas Allgemeines und Recht Streit ist und dass alles nach Maßgabe von Streit und Notwendigkeit geschieht« (Fragment 80), sowie »Krieg ist von allem der Vater und von allem der König, denn die einen erwies er als Götter, die anderen als Menschen, die einen machte er zu Sklaven, die anderen zu Freien« (Fragment 53). In erster Näherung denkt man dabei an den Krieg (im Wortsinne), da aus Fragment 53 eindeutig hervorgeht, dass sich als ein Ergebnis eines Krieges die Tatsache des Siegers und der Besiegten mit einer neuen Machtkonstellation ergibt. So gesehen wäre Heraklit ein simpler Verfechter von Krieg und Gewalt gewesen. Die andere Näherung sieht im Begriff »Krieg« bloß eine Metapher für Veränderung, für ein Prinzip der Komplementarität, auch für ein physikalisches Modell, dass »aktiv« und »reaktiv« stets »im Streit« miteinander liegt und sich aufgrund einer stärkeren Wirkung der einen oder anderen Kraft auch ein geänderter Endzustand ergibt. Vielleicht wollte er damit auch ein schwer zu deutendes Diktum Anaximanders fortführen, wonach die Dinge einander Vergeltung für die Ungerechtigkeit der wechselseitigen Übergriffe zu zahlen haben.

Vor allem aber hat sein sog. »Fluss-Gleichnis« große Interpretationsprobleme aufgeworfen; es lautet: »Denen, die in dieselben Flüsse hineinsteigen, strömen andere und immer wieder andere Gewässer zu … [Der Fluss] zerstreut und … bringt zusammen … sammelt sich und fließt fort … nähert sich und entfernt sich« (Fragment 12) und ist allgemein als »panta rhei-Prinzip« bekannt. Vielleicht tat man sich mit der Vorstellung des »panta rhei« stets deshalb so schwer, weil die Betonung des dynamischen Aspekts in der Natur mit ihm aufkam und (mit Kratylos vielleicht) auch wieder verschwand. Denn es war Parmenides – vor allem sein Beweis, dass die Sinne trügerisch seien – mit seiner statischen Ausrichtung des Denkens, der auf Platon, Aristoteles und die gesamte folgende Geschichte der Philosophie in Griechenland den größten Einfluss ausübte.

Wenn man das »panta rhei« nicht sensu strictu (dass alles stets in Veränderung ist) auffasst, sondern eher im aristotelischen Sinn mit einer genauen Unterscheidung zwischen Substanz und Akzidenz, kann widerspruchsfrei angenommen werden, dass bei einer gleich bleibenden Substanz sich die Akzidenzen ändern.

In anthropologischer Hinsicht kann konstatiert werden, dass er in vielen Belangen neue Wege beschritt, so etwa wenn er im Hinblick auf die menschliche Seele feststellte: »Für Seelen ist der Tod, Wasser zu werden, und für Wasser der Tod, Erde zu werden«; aber auch: »Der Seele Grenzen kannst du nicht entdecken gehen, selbst wenn du jeden Weg abschreitest, so tief ist die Erklärung, die sie hat« (Fragment 45).

Gemäß seiner physikalischen Ansicht, dass die Welt ein ewiges, doch lebendiges Feuer ist, von dem allerdings Teile stets gelöscht werden, um die weiteren Elemente, nämlich Meer und Erde, erscheinen zu lassen, ist auch die (weise) Seele Feuer und die schlechte verderbte Seele Wasser. Ob bei seiner Charakterisierung der Seele als grenzenlos die alte ápeiron-Vorstellung des Anaximandros eine Rolle spielte, kann nicht entschieden werden. Offensichtlich meinte er wohl, dass die Seele mit ihrem Wesen bis an die äußersten Grenzen des Kosmos reicht.

Man geht auch kaum fehl, wenn man behauptet, dass Herakleitos der erste griechische Philosoph war, der den lógos-Begriff stark akzentuierte. Dabei kommt seine Abwertung der »gewöhnlich Sterblichen« besonders stark heraus, etwa in folgender Stelle: »Dies Weltgesetz (lógos), das doch ewig ist, begreifen die Menschen nicht, weder bevor sie davon gehört, noch sobald sie davon gehört haben. Denn obgleich alles nach diesem Gesetz geschieht, machen sie den Eindruck, als ob sie nichts davon ahnten« (Fragment 50). Hierbei kommt seine elitäre Ansicht besonders klar heraus, seine Usurpation einer ihm vorbehaltenen, privilegierten Erkenntnisweise. Auch wenn es schwierig ist, den lógos-Begriff bei ihm definitorisch klar zu machen (da wir seit rund 2000 Jahren dazu neigen, diesen Begriff in rein christlichem Kontext zu deuten), so kann doch behauptet werden, dass der lógos bei ihm identisch war mit der Gottheit, die gleichzeitig das Weltgesetz, aber auch das Sittengesetz bedeutet; ein Konnex, der auch für das neuzeitliche Naturrechtsdenken konstitutiv war und ist. Wenn er vom »Gemeinsamen« spricht, dem alle folgen sollten, das aber, obwohl es allem gemeinsam ist, von »den Vielen« nicht erkannt werde, so kann man zu Recht annehmen, dass das »Gemeinsame« als synonym mit dem lógos-Begriff anzusehen ist.

Vielleicht sollte Heraklit nicht so sehr als »der Dunkle« apostrophiert werden, sondern als großer, geistiger Prometheus – und das bis heute.

Werke: Ca. 130 Fragmente einer Schrift.

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