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Der Pilger
ОглавлениеBei Joseph von Eichendorff, dem romantischen Dichter, treten Vaganten und Heimatlose auf, denen das bürgerliche Leben mit seinen Zwängen nichts bedeutet. Auch den Soldaten, der immer unterwegs und immer in Gefahr ist, hat er oft erwähnt. Ein solcher sagt bei Eichendorff: „Und spricht sie vom Freien: / So schwing ich mich auf mein Ross -/ Ich bleibe im Freien, / Und sie auf dem Schloss.“
Heimweh drückt sich bei ihm aus, aber Heimweh nach der Ferne, und das Unglück in der Liebe könnte nur Alibi sein. „Ich möchte als Spielmann reisen / Weit in die Welt hinaus / Und singen meine Weisen / Und ziehn von Haus zu Haus.“ Und weiter: „Ich möchte als Reiter fliegen / Wohl in die wilde Schlacht. / Um stille Feuer liegen / Im Feld bei dunkler Nacht.“ (Das zerbrochene Ringlein)
Eine Erfüllung gibt es nicht; sie liegt bei Armando im Fahren und dann im Ankommen, im eventuellen begrüßt werden und im Weiterfahren, in der Magie der Städtenamen und den Launen des Wetters und im überlebt haben. Wo Eichendorffs Dichtung aus der Sprache und durch sie lebt, entstehen Armandos Reisewerke durchs Fahren. Dadurch entsteht Erfahrung, und sie ist eingebettet in den Fluss der Dinge, ins Unvorhersehbare. Ohnehin trügt die Hoffnung, man werde auswärts eine Erleuchtung erlangen; auch da sind die Wiesen grün und die Berge steil; die Sonne sticht und der Wind stört. Das Glück kommt von innen, und verzaubert sind wir, weil das Außen eine Saite in unserem Inneren anschlägt, die dann zu schwingen beginnt.
Vielleicht ist Armando ewig auf Pilgerreise. Der Pilger ist zwar religiös, er sucht einen heiligen Ort auf und tut sich dort um, badet sich in der Aura des Übernatürlichen und fühlt sich so der Erlösung näher. Doch dann in den Alltag zurückzukehren zieht einen herunter. Man müsste wieder los. Ein Buch heißt „Das Ziel bist Du – das Leben als Pilgerreise“. So könnte man es sehen. Wir sind nur Gast auf Erden; was wir besitzen, müssen wir dereinst zurücklassen. Mitnehmen können wir nur, was wir gelernt haben. In früheren Jahrhunderten war dieser Gedanke stark. Bettelmönche durchzogen im 15. Jahrhundert die verarmten, von der Pest gequälten Länder, im 16. Jahrhundert kam der „Totentanz“ auf, und die Barockdichtung des 17. Jahrhunderts widmete sich der Vergänglichkeit. Nietzsche und der russische Nihilismus! Armando wirkt wie ein östlicher Zen-Priester, ohne Lehre und ohne Schüler.
Und Armando ist wie viele Pilger. Eine einjährige Reise bestreitet er mit umgerechnet 11.000 Dollar – tausend pro Monat, die Flüge inbegriffen. Das schafft nur, wer immer im Zelt schläft, sich viel schenken lässt und die Kost des Landes genießt, höchstens einmal Bohnen und Käse, als Luxus Bananen, Cola und Schokolade. Armando Basile hat eine Rente, aber bestimmt kein Vermögen in der Hinterhand. Schon unter normalen Umständen muss man bei einer Radreise mit Ausgaben von dreißig Euro pro Tag rechnen. Indien und Malaysia sind gewiss günstig und man spart, was aber Australien und die Vereinigten Staaten wieder zunichtemachen. Armando ist ein Sparfuchs mit Kreditkarte. Jemand, der bei einer Tour in der Region nach erst einhundert Kilometern eine Banane zu sich nimmt, kann leiden und auch mit geringem Budget auf Weltreise gehen. Sonst hilft eine Portion Gottvertrauen oder die Naivität des Cowboys, um durchzukommen.
Ein Mädchen fragte einmal einen Bekannten: „Hat Armando ein normales Fahrrad? Dieser antwortete: „Das Fahrrad ist schon normal, aber er ist nicht normal.“ Der Sohn eines Türken wollte ein Fahrrad kaufen und sagte: „Ich möchte ein Fahrrad wie Basile.“ Der Held auf zwei Rädern gibt gern zu, er sei verrückt, jedoch glücklich und frei. Armando Basile ist ein lokaler Held, ein „local hero“, und hätte es verdient, ein internationaler Held zu sein.
Erst fuhr er um Badenweiler, Schliengen und Mulhouse herum, dann in andere europäische Länder ein, und schließlich eroberte er die Welt, die letztlich nur eine Aneinanderreihung von Plätzen ist, und wenn er eine Szene genauer beschreiben will, sagt er: „Zwischen zwei Dörfern wie Heitersheim oder Seefelden“, und der Spruch wird wahr: Die Welt ist ein Dorf. Il mondo è lo stesso buco. Die Welt ist klein. Die Menschen sind überall gleich.