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2.4 Zu viel Appetit auf Sauerstoff – Phosphor

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Der Phosphor steht in der V. Hauptgruppe des Periodensystems und damit direkt unter dem Stickstoff.** Das Phosphan mit der Summenformel PH3 ist im Vergleich zum NH3 weniger basisch, eine Eigenschaft, die für Leben im Wasser ein Evolutionsvorteil sein sollte. Leider führt uns das Phosphan im wahrsten Sinn des Wortes in die Irre. Es ist zusammen mit Methan die Ursache der Irrlichter, die hin und wieder in der Dunkelheit über Grabstätten, Torfmooren und Sümpfen zu beobachten sind. Für die „Winterreise“ von Franz Schubert textete Wilhelm Müller: „In die tiefsten Felsengründe lockte mich ein Irrlicht hin: Wie ich einen Ausgang finde/Liegt nicht schwer mir in dem Sinn.“61 Die chemische Erklärung für dieses leuchtende Phänomen liegt in der enormen Affinität des Phosphans zum Sauerstoff.*** Phosphan kann sich nur unter sauerstofffreien oder, anders gesagt, anaeroben (altgriech. ἀήρ āḗr, „Luft“ mit Alpha privativum) Bedingungen aus organischen Zersetzungsprodukten bilden. Entweicht PH3 in die Luft, verschwindet dessen knoblauchartiger Geruch schnell; es wird innerhalb kürzester Zeit vollständig oxidiert. In größeren Konzentrationen entzündet sich PH3 spontan. Phosphor selbst und möglicherweise auch PH3 gehörten zusammen mit Eisen und Schwefelwasserstoff zu den wichtigsten Sauerstoffsammlern in der Frühzeit unserer Erde. Der erste molekulare Sauerstoff, der von Cyanobakterien in die Uratmosphäre entlassen wurde, akkumulierte sich zunächst in Form mächtiger Phosphat-, Eisenoxid- und Sulfatlagerstätten, so lange, bis keine oxidierbaren Verbindungen mehr vorhanden waren. Erst danach stieg der Sauerstoffanteil in der Erdatmosphäre allmählich an, und höheres Leben, wie wir es heute kennen, konnte entstehen.*

Chemiker, die im Labor mit PH3 arbeiten, müssen sorgfältig darauf achten, Sauerstoff fernzuhalten, damit nicht nacheinander sämtliche P–H-Bindungen oxidiert werden.


Am Ende reagiert auch noch das freie Elektronenpaar am Phosphor, wie schon bei der Oxidation der salpetrigen Säure zur Salpetersäure beschrieben, und die stabile Phosphorsäure (Summenformel: H3PO4) entsteht.62

Selbst die Zwischenverbindungen mit geringerem Sauerstoffanteil kommen mit wenigen Ausnahmen in der belebten Natur nicht vor. Während der Totaloxidation verliert der Phosphor quasi alle Energie, ein Zurück zum PH3 ist unter den derzeitigen Bedingungen auf der Erde mit dem massiven Sauerstoffüberangebot nicht möglich. Damit scheidet auch der Phosphor aufgrund mangelnder Flexibilität im Rennen um das zentrale Element des Lebens aus.

Möglicherweise stören Sie sich an den vielen Hydroxygruppen, die sich im Laufe der vier Oxidationsschritte um den Phosphor herum versammelt haben, weil Sie die Erlenmeyer-Regel außer Kraft gesetzt sehen. Aber keine Sorge, da das zentrale Phosphoratom wesentlich größer ist als die Atome von Kohlenstoff oder Stickstoff, gilt diese Regel nicht mehr. Selbst drei Hydroxygruppen stellen kein Problem für das große Phosphoratom im Zentrum dar. Alle drei Hydroxygruppen können beispielsweise mit Hydroxygruppen anderer Verbindungen reagieren und bilden dann einen wichtigen Bestandteil der Polynucleinsäuren RNA und DNA. Die Suspendierung der Erlenmeyer-Regel ist auch die Voraussetzung, dass sich zwei Phosphorsäuremoleküle unter Wasserabspaltung zu einem Anhydrid (altgriech. ἄνυδρος ánhydros, „wasserarm“) vereinigen.


Im Unterschied zur Kohlensäure wird Wasser nicht innerhalb des Moleküls (was dort zu CO2 führt) eliminiert, was man als intramolekular (lat. intra, „innerhalb“) bezeichnet, sondern zwei Phosphorsäuremoleküle reagieren über die molekularen Grenzen hinweg in einer intermolekularen (lat. inter, „zwischen“) Reaktion. Ursprünglich wurde die Wasserabspaltung aus zwei Phosphatmolekülen durch Erhitzen durchgeführt, woran eine andere Bezeichnung für das Anhydrid, Pyrophosphorsäure (altgriech. πῦρ pûr, „Feuer“), erinnert. Die Pyrophosphorsäure ist sehr energiereich. In Form ihres Magnesiumsalzes und in Kombination mit Zuckermolekülen gehört sie zu den wichtigsten Energiespendern in Lebensprozessen in Form des Adenosintriphosphates (ATP). Auf dessen herausragende Rolle werde ich später noch gesondert (Kapitel 9) eingehen. Sie können sich aber schon an dieser Stelle merken, dass die Mitochondrien jedes Menschen pro Tag viele Kilogramm von dieser phosphorhaltigen Verbindung herstellen und für Lebensprozesse zur Verfügung stellen, was die wichtige Rolle des Phosphors als Teamplayer bei Lebensprozessen unterstreicht.

Es gibt nur sehr wenige Phosphorverbindungen in der belebten Natur, in denen der Phosphor direkt mit einem Kohlenstoffatom verknüpft ist. Zu diesen Ausnahmen gehört das Antibiotikum Fosfomycin.


Zur Herstellung sind nur Bakterien der Gattung Streptomyces in der Lage. Voraussetzung für die Synthese ist die Wanderung eines Protons innerhalb der Phosphonsäure von einer der drei Hydroxygruppen zum Phosphoratom.* Wie die beiden ungleich langen Reaktionspfeile anzeigen, ist die Form mit der P–H-Bindung stabiler als die mit der P–OH-Gruppe. Sie ist eine vorübergehende „Ruheform“ auf dem oben beschriebenen Weg zur Phosphorsäure. Wird dieses H-Atom durch einen Kohlenstoffrest ersetzt, unterbleibt die Weiteroxidation und es entsteht z.B. das Fosfomycin. Fosfomycin stellt eine Singularität der Phosphorchemie in lebenden Organismen dar und ist ein wirksames Mittel gegen schwere bakterielle Infektionen. Die herbizide Wirkung einer anderen, synthesechemisch hergestellten Phosphonsäure, dem Glyphosat (Handelsname „Round-up“), wird mittlerweile weltweit genutzt und hat derzeit eine heftige Diskussion in der Europäischen Union über die Vorteile für Agrarbetriebe und Nebenwirkungen auf Insekten und Menschen ausgelöst.

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