Читать книгу Chemie - Armin Börner - Страница 17

2.7 Ein Wort zum Sauerstoff

Оглавление

Wenn man einem Element in der Chemie des Lebens eine janusköpfige Haltung zusprechen sollte, dann verdient der Sauerstoff diese Zuschreibung. Janus (lat. Ianus) war der römische Gott des Anfangs und des Endes und genau diese Rolle hat der Sauerstoff auf der Erde übernommen. Sie haben bereits gesehen, wie durch Einschub von Sauerstoff in eine C–H-Bindung die ursprüngliche Symmetrie und die elektronischen Eigenschaften des Methans verändert werden. Wenn alle C–H-Bindungen auf diese Art reagiert haben, enden wir letztendlich beim Kohlendioxid, einer äußerst stabilen anorganischen Verbindung. Bei diesen Oxidationsprozessen entsteht sehr viel Energie. Das wäre aber am Ende auch der vorläufige Abschluss aller Lebensprozesse auf der Erde, wenn es nicht die grünen Pflanzen gäbe.

Wie Ihnen sicher bekannt ist, entsteht Sauerstoff durch die Fotosynthese. Grüne Pflanzen sind in der Lage, aus Kohlendioxid und Wasser mithilfe des Sonnenlichtes nicht nur Glucose, sondern gleichzeitig auch Sauerstoff zu erzeugen. Für uns, die wir Sauerstoff „wie die Luft zum Atmen“ brauchen, ist dieser Prozess eine Selbstverständlichkeit.


Die Brisanz dieser simplen chemischen Gleichung ergibt sich aus dem Fakt, dass nicht alle Lebewesen Sauerstoff vertragen.*80 Erste primitive Einzeller in der Uratmosphäre der Erde waren auf diesen aggressiven Neuankömmling nicht vorbereitet. Sie bezogen ihre Energie nicht aus der Verbrennung von Kohlenstoffverbindungen, sondern aus anderen Prozessen. Sie waren noch echte Anaerobier. Mit dem Aufkommen der ersten Cyanobakterien (früher auch Blaualgen genannt), die Sauerstoff in die Umwelt abgaben, wurden diese primitiven Organismen in die Defensive gedrängt. Wer sich nicht schnell genug anpassen konnte, ging zugrunde. Nur wenige haben in sauerstofffreien Nischen überlebt oder sich auf eine duale Lebensweise umgestellt. Wir finden sie und ihre Nachfahren heute noch in Vulkanen und in der Tiefsee. Auch der Mensch trägt im Darm die Zeugnisse dieser ersten gewaltigen Umweltkatastrophe mit sich herum.** Unsere Darmbakterien sind fakultative Anaerobier, das bedeutet, sie können sowohl in Gegenwart als auch in Abwesenheit von Sauerstoff überleben.

„If you can’t beat them, join them“*** war die Maxime der etwas clevereren Einzeller in der Uratmosphäre. Sie haben sich kurzerhand die Sauerstoffproduzenten einverleibt und von deren Kohlenhydratprodukten gelebt. Aus den urzeitlichen Sauerstoffproduzenten sind die Chloroplasten (altgriech. χλωρός chlōrós, „hellgrün“, und altgriech. πλαστός plastós, „gebildet“) hervorgegangen, die in den heutigen grünen Pflanzen Kohlendioxid und Wasser im großen Stil wieder zu Glucose und Sauerstoff konvertieren. Mit der Zuckerproduktion legen sie die derzeitige Basis für die Energieerzeugung für das Leben auf der Erde. Andere Einzeller (wahrscheinlich Bakterien) haben eine andere Strategie gewählt: Sie sind eine Symbiose mit jenen harten Typen von Einzellern (möglicherweise Archaeen) eingegangen, denen Sauerstoff nichts ausmachte. Wir treffen ihre Nachfolger heute in Form von Mitochondrien in den Zellen an, wo sie nicht nur die Energieerzeugung der Wirtszelle organisieren, sondern gleichzeitig die Sauerstoffkonzentration auf ein Niveau herunterregulieren, das für die Wirtszelle erträglich ist. Dass beide Strategien mit erheblichen Risiken verbunden sind, werden Sie in Kapitel 13 sehen, wenn wir die Schutzmaßnahmen biologischer Systeme gegenüber austretenden (freien) Sauerstoffradikalen analysieren.

Die Oxidation von Kohlenstoffverbindungen führt am Ende letztendlich immer zum Kohlendioxid. Auf dem Weg dorthin entfaltet sich jedoch die ganze Pracht und Vielfalt des Lebens. Die Reaktion mit Sauerstoff ist nicht nur ein Mittel zur Generierung von Diversität und zur Energiegewinnung, sondern auch Grundlage für den Aufbau hochkomplexer Strukturen. Einer der eindrucksvollsten Beweise findet sich in Form der Cellulose. Ohne schon an dieser Stelle auf Details dieses Riesenmoleküls einzugehen, möchte ich Sie auf die enorme Anzahl von Sauerstoffatomen in der chemischen Formel aufmerksam machen. Lang gestreckte Celluloseketten, bestehend aus Hunderten bis Zehntausenden von Zuckermolekülen, haben sich aneinandergelagert und werden durch Wasserstoffbrücken (hier gestrichelt dargestellt) zusammengehalten. Cellulose bildet mit bis zu 50 % den Hauptbestandteil von pflanzlichen Zellwänden.


Um daraus dauerhafte Stämme, Äste und Astverzweigungen zu schaffen, sind Lignine erforderlich, die die Cellulosematrix durchwirken. Bei ihnen handelt es sich um sehr große Moleküle, die ebenfalls einen hohen Sauerstoffanteil aufweisen.


Sie wirken als Stütz- und Füllmaterial für pflanzliche Gewebe, indem die Druckfestigkeit der Cellulosefasern erhöht wird. Die Evolution der landlebenden Pflanzen und vor allem der Bäume ist sehr eng mit der Biosynthese von Ligninen verbunden.* Die Gesamtproduktion der verschiedenen Lignine auf der Erde wird auf etwa 20 Milliarden Tonnen pro Jahr geschätzt. Deshalb werden wir uns in Kapitel 5 ausgiebig mit ihrer Synthese in Pflanzen beschäftigen.

Man könnte meinen: Je mehr Sauerstoff, desto besser. Tatsächlich war Sauerstoff in den ersten zwei Milliarden Jahren der Erdgeschichte nur in geringen Konzentrationen vorhanden, wie nachstehendes Diagramm illustriert.81

Ausschließlich primitive Einzeller lebten unter diesen Bedingungen. Höhere Organismen konnten sich auf dieser chemischen Basis nicht entwickeln. Erst nachdem die „Sauerstoffsammler“ wie beispielsweise eine Reihe von Metallen (vor allem Eisen), Phosphor und Schwefelwasserstoff durch Oxidation verbraucht waren, reicherte sich Sauerstoff in der Atmosphäre an. Es kam zu dem bereits berichteten Massenaussterben sauerstoffsensibler Einzeller. Sie wurden von robusteren Arten verdrängt. Besonders hohe Sauerstoffkonzentrationen in der Vergangenheit ermöglichten die Evolution sehr großer Organismen. Sauerstoffpeaks in der Kreidezeit, weit über dem heutigen Niveau von 21 %,* begünstigten das Wachstum von Riesenmammutbäumen mit Höhen von über 100 m. Bei solch hohen Sauerstoffkonzentrationen fängt Papier bereits an zu brennen. Die Ursache für dessen geringe Feuerbeständigkeit liegt an der Entfernung des Lignins während der Papierherstellung. Lignin enthält nicht nur den feuerunterhaltenden Sauerstoff, sondern auch aromatische Ringe. In Kapitel 4 werde ich am Beispiel vom Benzen zeigen, dass Aromaten sehr stabil und somit ziemlich haltbar sind. Sie kommen sogar im Erdöl vor, das bekanntlich schon viele Millionen Jahre alt ist. Durch die Einlagerung von Aromaten wird die Voraussetzung geschaffen, dass Bäume auch sehr hohe Sauerstoffkonzentrationen in der Atmosphäre ohne Brandschaden überstehen.


Nicht nur Pflanzen profitieren von hohen Sauerstoffanteilen in der Atmosphäre. Riesenlibellen wie Meganeura monyi lebten vor etwa 300 Millionen Jahren. Da das diffusionsbasierte Tracheensystem von Libellen weniger effizient funktioniert als die Atmung von Wirbeltieren, werden sie unter den heutigen Bedingungen auf der Erde nicht groß. Die Flügelspannweite der Tiere beträgt in der Regel zwischen 20 und 110 mm. Ein Sauerstoffanteil von über 30 % in der Atmosphäre brachte Libellen mit einer Flügelspannweite von bis zu 700 mm hervor.82 Damit gehören sie zu den größten Insekten, die je gelebt haben.

Auch Collagen, wichtiger Bestandteil des Bindegewebes in tierischen Knochen, Zähnen, Sehnen und Bändern, erlangt durch eine zusätzliche Sauerstofffunktion in der Aminosäure L-Prolin, die damit zum Hydroxyprolin konvertiert, seine Festigkeit.*


Natives Collagen schmilzt bei 39 °C, während Collagen ohne die Extra-Hydroxygruppe schon bei 24 °C seine stabilisierenden Eigenschaften verliert. Menschen ohne Hydroxyprolin entwickeln das Ehlers-Danlos-Syndrom (EDS), wobei der Zusammenhalt und die Elastizität des Collagens verloren gegangen sind. Die Erbkrankheit äußert sich durch eine ungewöhnlich starke Dehnbarkeit der Haut und überbewegliche Gelenke.

Der wohl berühmteste EDS-Patient der Geschichte war der Geigenvirtuose und Komponist Niccolò Paganini (1782–1840). Aufgrund seiner für das damalige Publikum unerklärlichen Virtuosität auf der Geige wurde er zum „Teufelsgeiger“ stilisiert. Dabei fehlte ihm wahrscheinlich nur die notwendige Dosis an Sauerstoffatomen in den Fingern.

Chemie

Подняться наверх