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Einleitung

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Wussten Sie eigentlich, dass „Vitamin C“ gar kein Amin ist? Es mag zwar lebensnotwendig sein, wie der erste Teil des Begriffes vita (lat. „Leben“) andeutet, aber ein Amin, wie das Wort endet, ist es definitiv nicht! Amine sind als chemisch nahe Verwandte des hochgiftigen und stechend riechenden Ammoniaks meist ebenfalls stinkende und aggressive Stoffe, die im Körper schnell umgewandelt werden, ehe sie Schaden anrichten können. Auch ein anderer Name für Vitamin C, „L-Ascorbinsäure“, gibt uns keinen Hinweis darauf, dass es gesund sein könnte. Der Stoff hilft zugegebenermaßen gegen Skorbut, deshalb auch die Herleitung aus dem lateinischen scorbutus, eine Krankheit früherer Seefahrer, bei der zuerst das Zahnfleisch blutet und am Ende die Zähne ausfallen. Bei dem Stichwort Säure aber müssten wir schwere gesundheitliche Beeinträchtigungen befürchten, denn die L-Ascorbinsäure ist noch saurer als die Essigsäure, vor der bekanntlich auf jeder Flasche im Haushalt gewarnt wird: „Außer Reichweite von Kindern aufbewahren!“

Nehmen wir ein anderes Beispiel. Sie haben sicherlich schon gehört, dass Omega-3-Fettsäuren gesund sein sollen, fast keine Ernährungsberatung kommt ohne diesen Hinweis aus, obwohl auf vielen Grabsteinen und Friedhofstüren in Deutschland neben dem griechischen Buchstaben α auch ein ω steht. Auch über „freie Radikale“, die einen besonders schlimmen Ruf haben, haben Sie bestimmt schon gelesen. Gesundheitsbewusste Menschen versuchen ihnen mit viel frischem Obst und Gemüse auf den Leib zu rücken. Ungeachtet dessen nehmen wir mit jedem Atemzug unzählige dieser offenbar sehr gefährlichen Radikale in Form des Sauerstoffs zu uns.

Ja, was ist denn hier los? Man versucht, sich richtig zu ernähren und nun diese Verwirrung! Diese Begriffe, die heutzutage in den meisten Gesundheitslehren eine zentrale Rolle spielen, haben ihren Ursprung in der Chemie, genauer gesagt in der organischen Chemie. Wenn man verstehen möchte, was hinter den Begriffen steckt, ist es angebracht, dort einmal nachzuschauen, nach dem Motto: Erklärung bietet die Chemie! Doch davor schrecken fast alle zurück.

„Chemie habe ich nie verstanden.“ Das ist der Satz, den ich am häufigsten höre, wenn ich mich im Gespräch als Professor für Organische Chemie und bekennender Chemiefan oute. Dabei geben sich Lehrende an Schulen und Universitäten redlich Mühe, ihre Schützlinge in die Grundlagen dieser Naturwissenschaft einzuweihen. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die meisten Menschen grundlegende Verständnisprobleme haben, wenn es um die Chemie geht. Schlimmer noch, die meisten stehen ihr äußerst skeptisch gegenüber. Das ist verständlich, wenn man die schlechte Presse kennt, die sie in der Öffentlichkeit hat. Danach vergiftet die Chemie in erster Linie unsere Umwelt. Ein paar Segnungen der Chemieindustrie werden zwar anerkannt, prinzipiell wird jedoch ein Hin oder Zurück – so eindeutig ist die Richtung des gesellschaftlichen Diskurses nicht – zur „chemiefreien Natur“ angemahnt.1

Darüber hinaus ist die Fachsprache des Chemikers verwirrend und offensichtlich nur Eingeweihten verständlich. Man kann hin und wieder die Nachrichtensprecherin bedauern, wenn sie, die sonst so redegewandt ist, beim Aussprechen des langen und komplizierten Namens einer Chemikalie, die schon wieder irgendwo die Umwelt verpestet hat, ins Stocken gerät. Da geht „Dioxin“ viel leichter von der Zunge, nicht nur weil das Wort kürzer ist, sondern weil die giftige Verwandtschaft zum „Toxin“ (altgriech. τοξικός toxikós, „giftiger“ [Pfeil]) auf der Hand liegt. Aber gibt es diese Verwandtschaft wirklich? Nein! Die beiden Begriffe, Dioxin und Toxin, haben etymologisch überhaupt nichts miteinander zu tun. Nach dem Klang eines Wortes sollte man in der Chemie nicht gehen. So ist zum Beispiel eine mit dem Dioxin verwandte Chemikalie, die sich vom „freundlich“ klingenden „Furan“ ableitet, vergleichbar giftig, klingt aber harmlos.2

Doch wer kann das alles wissen, zumal sich auch das intellektuell herausfordernde Feuilleton angesehener Tages- oder Wochenzeitungen eigentlich nie mit chemischen Sachverhalten beschäftigt? Ist diese Naturwissenschaft irrelevant!?* Dieser Zustand ist sogar nachvollziehbar, denn viele Medienleute und andere öffentlich wirksame Kulturund Geisteswissenschaftler haben in der Schule das Fach Chemie meist schon frühzeitig abgewählt.** Das bleibt nicht ohne Folgen. Durch die explosionsartige Vermehrung des Wissens und den mithilfe des Internets fast unbegrenzten Zugang dazu steht der moderne Mensch allein und hilflos inmitten einer überbordenden Ratgeberliteratur. Der Medienwissenschaftler Norbert Bolz schlussfolgert daraus, „dass die Differenz zwischen dem, was man als Information erfasst, und dem, was man operativ beherrscht, immer größer wird“.3 Allergische Abwehrreflexe gegen die intellektuellen Zumutungen der Naturwissenschaften sind die logische Konsequenz. Obwohl Naturwissenschaften und Technik die hoch entwickelten Gesellschaften dominieren, spielen sie immer weniger eine Rolle bei der lebensweltlichen Orientierung.

Es drängt sich in diesem Zusammenhang ein Bild auf, das der Philosoph Friedrich Nietzsche seinerzeit vom Menschen der Zukunft malte: „Deshalb muss eine höhere Cultur dem Menschen ein Doppelgehirn geben, […] einmal um Wissenschaft, sodann um Nicht-Wissenschaft zu empfinden.“4 Offenbar hat sich dieses Doppelgehirn bisher nicht durchgesetzt. Stattdessen wächst der Abstand zur Wissenschaft. So ist es beunruhigend, wenn mittlerweile viele Ernährungsberater, praktizierende Ärzte und engagierte Umweltschützer die Brücke zwischen beiden Welten nicht mehr finden und ihre Hilflosigkeit in Sachen Chemie eingestehen. Entweder gehen sie auf respektvolle Distanz oder bekunden Ablehnung. Eigentlich kann man das ihnen nicht krummnehmen. Auch viele Menschen, die sich hauptamtlich mit der Chemie beschäftigen, sehen dies vor allem als Möglichkeit, sich vorrangig mit einem stark eingegrenzten Sachgebiet intensiv zu beschäftigen, um daraus berufliches Auskommen, intellektuelle Befriedigung oder sogar hohe gesellschaftliche Reputation, etwa als Professorin oder Professor, zu beziehen.

Ich möchte am Anfang dieses Buches die Behauptung aufstellen, dass Chemie, insbesondere die organische Chemie, viel mehr ist als nur eine Quelle fürs tägliche Brot und das Image. Sie bietet ein Verfahren zur Welterklärung, indem sie das Basiswissen für Biochemie, Verhaltensbiologie, Anthropologie, Medizin und Ökologie liefert. Karl Jaspers, einer der herausragenden Vertreter der Existenzphilosophie, hätte an dieser Stelle von „Existenzerhellung“ gesprochen, wobei er dabei sicher nicht an die Chemie gedacht hat.5 Die Chemie benennt Ursachen, wo Begründungen nicht mehr hinreichen.*** Als exakte Naturwissenschaft hat die Chemie den Charme, miteinander zusammenhängende und nachprüfbare Aussagen zu liefern, gleichzeitig wirkt sie hinein bis in die Geisteswissenschaften und in den Alltag der Menschen, indem sie Narrativbögen, also Kausalerzählungen mit einem roten Faden, zur Verfügung stellt. Chemiekenntnisse können die Welt strukturieren und somit zur Orientierung im täglichen Leben beitragen.

Selbstredend soll in diesem Buch kein einseitiger Chemismus propagiert werden. Es geht auch nicht darum, die Dinge noch komplizierter zu machen. Eine Geschichte ist aber nicht komplett, wenn der Anfang fehlt. Wenn wir über die uns umgebende Welt und damit auch über uns selbst nachdenken wollen, müssen wir die Tatsache akzeptieren, dass wir selbst und unsere Umwelt aus Tausenden von chemischen Verbindungen bestehen, die miteinander in oft noch wenig bekannter und hochkomplexer Weise wechselwirken.6 Ob Bratwurst, Pizza oder ein erlesenes Gericht der französischen Küche, Cola, Tee oder ein edler Rotwein, alles, was wir essen und trinken kann mithilfe der Chemie beschrieben werden. Dieser Sachverhalt ist unabhängig davon, ob Sie vegetarisches Essen oder lieber einen deftigen Schweinebraten bevorzugen. Jedes Mal wenn wir Luft holen, nehmen wir eine Menge Sauerstoff zu uns, der irgendetwas in unserem Körper anstellt. Nur was? Und wenn wir wissen, was da passiert, schließt sich umgehend die nächste Frage an: Wer lenkt das alles? Wenn wir in die freie Natur hinausgehen, sind wir umgeben von Farben, deren Entstehung chemischen Prozessen zu verdanken ist. Chemische Duftstoffe wirken nicht nur zwischen Bienen und Pflanzen, sondern bestimmen gleichermaßen das soziale Verhalten von Menschen. Unser Gehirn, das wahrscheinlich komplizierteste Gebilde im Universum, ist aus chemischen Verbindungen aufgebaut. Bewusstsein und Erinnerung haben eine chemische Basis. Diese mentalen Phänomene sind an chemische Verbindungen, speziell an Lipide und Proteine, die zusammen das Myelin bilden, geknüpft. Alzheimer beim Menschen oder die um die letzte Jahrtausendwende so gefürchtete Krankheit BSE (bovine spongiforme Enzephalopathie) bei Rindern lassen sich zuverlässig durch eine veränderte chemische Struktur im Gehirn diagnostizieren.

Wenn wir bewusst leben wollen, müssen wir uns zunächst Wissen, das heißt Begriffe und Zusammenhänge, aneignen, mit dessen Hilfe wir über uns und unsere Umwelt nachdenken können. Ludwig Wittgenstein, der sich über die Sprachanalyse dem Wesen des Menschen nähern wollte, hat es so formuliert: „Was wir nicht denken können, das können wir nicht denken. Wir können also auch nicht sagen, was wir nicht denken können.“7 Seine These wird mittlerweile durch die moderne Neurochemie und Neurobiologie gestützt. Er hätte es auch „chemischer“ sagen können: Ohne die chemischen Strukturen in unserem Gehirn, die sich vergleichbar zu einer virtuellen dreidimensionalen Landkarte mit all ihren Autobahnen, Bundesstraßen, Landstraßen und Feldwegen entfaltet, sind wir auch bei bestem Willen nicht in der Lage, über bestimmte Angelegenheiten nachzudenken, geschweige denn sie sprachlich zu benennen. Sie sind terra incognita.

Keine Angst, ich möchte Sie nicht mit Orbitaltheorien oder detaillierten Reaktionsmechanismen traktieren, also mit dem, worüber sich Berufschemiker tagsüber den Kopf zerbrechen. Dafür gibt es diese Spezialisten. Mit diesem Wissen werden Sie auch nicht weiterkommen, wenn Ihnen Ihre Hausärztin Aspirin gegen Schmerzen verordnet oder Ihre Zucker- oder Cholesterolwerte analysiert. Sie sollten aber misstrauisch werden, wenn Ihnen Ihr Apotheker bei einer Erkältung eine Tasse heiße Zitrone empfiehlt, „damit das Vitamin C richtig zur Wirksamkeit gelangt“.

Anliegen dieses Buches ist es, mittlerweile verschüttetes und wahrscheinlich nie angewendetes Wissen aus Ihrem Chemieunterricht hervorzukramen und am Beispiel unserer Lebenswelt zu interpretieren. Gleichgültig, ob Sie noch studieren, Arzt, Ökobäuerin, Koch oder Rentnerin sind, ich verspreche Ihnen, dass Sie nach der Lektüre einen völlig neuen Blick auf sich selbst und die Sie umgebende Natur haben werden.

Nachdem Sie dieses Buch gelesen haben, werden Sie wissen, was uralte Höhlenzeichnungen in Spanien, die Erfindung der räumlichen Perspektive während der Renaissance und die Formelsprache der Chemie gemeinsam haben. Sie werden weiterhin erfahren haben, warum Erdöl Millionen von Jahren unbeschadet in der Erde liegen konnte, bis wir es heutzutage innerhalb von Sekundenbruchteilen in unseren Autos verbrennen können. Auf der anderen Seite möchte ich Ihnen erzählen, warum Stoffwechselvorgänge unterschiedlich schnell in unserem Körper ablaufen und dass eine oftmals diagnostizierte „Dehydrierung“ nichts, aber auch überhaupt nichts mit krankhaftem Wasserverlust zu tun hat, was uns Sportreporter und Mediziner so gern einreden möchten. Wir wollen uns fragen, warum sich in unseren geografischen Breiten die Laubblätter im Oktober bunt färben und letztendlich abfallen. Die Antwort soll über die romantischen, aber unbefriedigenden Verszeilen von Theodor Storm: „Das ist der Herbst; die Blätter fliegen …“,8 hinausreichen. Gleichzeitig sollen Sie verstehen, weshalb es für Menschen, aber auch für eine Robbe oder einen Wal besser ist, Fette anstelle von Kohlenhydraten unter der Haut zu speichern. Die Antwort wird uns geradewegs zum Problem von scheiternden Diäten führen. Wir wollen uns der Bedeutung des Kochens aus chemischer Sicht nähern und den Einfluss von Zucker auf die Entscheidungsfreudigkeit von Richtern an einem israelischen Bewährungsgericht analysieren. In einem gesonderten Kapitel werden wir Ähnlichkeiten bei der Energieversorgung in biologischen Zellen mit wirtschaftlichen Abläufen in modernen Gesellschaften wie der Just-in-time-Lieferung von Vorprodukten herausfinden. Wir wollen auch den Fragen nachgehen, warum Koalas in Australien so friedliche Zeitgenossen sind, weshalb ein „blauer Fleck“, also ein Hämatom, alle Farben des Regenbogens annimmt und warum der berühmte Geiger Niccolò Paganini so verflixt schwierige Stücke mit der Violine spielen konnte.

Um die Antworten zu verstehen, müssen wir uns auf die Chemie und ihre Besonderheiten einlassen. Sie werden in diesem Zusammenhang die Symbolsprache, also die berühmten chemischen Formeln, kennen- und auch interpretieren lernen. Chemische Formeln sind nicht nur Fenster in die Welt der Atome und Moleküle, sondern verbinden auch gleichzeitig dieses geheimnisvolle Universum mit unserer erfahrbaren Lebenswelt. Die Formeln sind ausgesprochen logisch, aber, und davor hat der britische Kulturwissenschaftler Terry Eagleton gewarnt: „Eine chemische Formel verstehe ich nicht dadurch, dass ich mich in sie einfühle. Das zu glauben, wäre ein krass romantischer Irrtum über das Wesen des Verstehens.“9 Wir müssen uns daher die Mühe machen und uns einige Grundlagen der Formelentstehung vor Augen führen. Aber keine Angst, Sie werden in diesem Buch nur dann auf Formeln stoßen, wenn sie wirklich notwendig sind, und wir werden dann gemeinsam nur deren Besonderheiten analysieren. Teile einer chemischen Formel, die für unsere Diskussion nicht relevant sind, werden einfach mit R, das bedeutet „Rest“, abgekürzt.* Gleichzeitig werde ich Ihnen erzählen, warum im letzten Jahrhundert die vertrauten, oftmals sehr poetischen Trivialnamen in der modernen Chemie keine Perspektive mehr hatten.

Ich möchte Sie auf die Sonderstellung des Kohlenstoffs hinweisen und erklären, warum sich ausgerechnet dieses Element und seine Verbindungen aus der Vielzahl der Elemente, die das Periodensystem der chemischen Elemente (abgekürzt PSE) noch zu bieten hat, durchsetzen konnte. Offenbar haben wir es mit einer Form von Evolution zu tun. Evolution würden Sie an dieser Stelle möglicherweise nicht vermuten. Der Grundsatz von Herbert Spencer: survival of the fittest, der die Evolutionstheorie von Charles Darwin am besten auf den Punkt bringt, ist aus der Biologie bekannt. Dass „Gene“ Träger der Erbinformation sind und an nachfolgende Generationen leicht verändert weitergegeben werden – daran haben wir uns gewöhnt. Dass es sogar „Meme“, also Bewusstseinsinhalte (zum Beispiel Ideen), die soziokulturell vererbt werden, gibt, haben wir zur Kenntnis genommen, seit es uns Richard Dawkins erklärt hat.10 Solche Schöpfungen des Menschen finden wir beispielgebend in den großen Weltreligionen, die sich, nachdem sie ihre punktuellen Anfangsstadien überwunden hatten, über historisch lange Zeiträume reproduzieren konnten und gleichzeitig kontinuierlich an veränderte Rahmenbedingungen anpassten, sozusagen ihre kulturelle DNA veränderten. Nun soll es sogar eine chemische Evolution auf dem Gebiet der Atome und Moleküle geben? Wir werden uns daran gewöhnen müssen, dass Leben auf der Erde nicht erst mit Einzellern wie Viren, Archaebakterien und Bakterien begann, sondern dass die Chemie davor, die Wechselwirkungen zwischen Atomen und Molekülen, eine ganz wichtige Voraussetzung für Entwicklung war und bis heute ist.

Das vorliegende Buch soll die Vorzüge einer angeregten Plauderei mit den mentalen Anstrengungen angewandter Naturwissenschaft verbinden. Es kann als Lesebuch und gleichermaßen als einführendes oder ergänzendes Lehrbuch dienen. Das Buch ist für jene geschrieben, die sich auch ohne ein Chemiestudium für die Abläufe im eigenen Körper und für die belebte Natur interessieren. Auch Lehrende der Chemie, Biochemie, Biologie und Medizin werden Argumente finden, warum die Chemie jenseits von mehr oder weniger abgelegenen Wissensinseln ein gehöriges Rationalisierungspotential besitzt. Sie ist nicht vorrangig das, „was knallt und stinkt“, sondern zuallererst ein Mittel, um zu verstehen, warum wir selbst und unsere Umwelt so aussehen und funktionieren, wie wir es täglich erfahren. Die angebotene chemische Bildung soll dabei im Sinne des großen Naturforschers Alexander von Humboldt helfen, „soviel Welt als möglich zu ergreifen und so eng, als [man] nur kann, mit sich zu verbinden“.11

Mein besonderes Anliegen ist es, vor allem weniger chemieaffine Menschen davon zu überzeugen, dass sich ein klein wenig Verständnis der Chemie lohnt, weil sich daraus neue und meist sehr überraschende Zusammenhänge ergeben. Zitate aus dem kulturwissenschaftlichen, darunter auch philosophischen Bereich sollen bezeugen, dass sie sich als Fortsetzung der Chemie mit anderen Mitteln interpretieren lassen. In einigen Fällen sollen allzu freizügige Adaptionen aus der naturwissenschaftlichen Fachsprache in die Alltagssprache kritisch beleuchtet werden. Diese Methodik soll dazu beitragen, die neuen Erkenntnisse in bereits Bekanntes einzubetten und damit die Scheu vor der Chemie abzubauen. Chemische Fachbegriffe und Abläufe auf molekularer Ebene werden hin und wieder in verständliche Metaphern und Allegorien übersetzt. Dazu zählt auch der fast schon trivial anmutende Rückgriff auf Verkehrszeichen, die ich nutzen möchte, um den Verkehr auf molekularer Ebene zu deuten. Für näher Interessierte habe ich in den Fußnoten zusätzliche Beispiele beschrieben und für Fortgeschrittene werden vertiefende Erklärungen im Literaturteil angeboten.

Natürlich war es ein Wagnis für mich, die gewohnten Pfade der organischen Chemie zu verlassen. Das Ziel und das damit verbundene Risiko eines solchen Vorhabens hat der Physiker Erwin Schrödinger im Vorwort seiner Schrift über die biologischen Grundlagen der Vererbung, „Was ist Leben?“, beschrieben: „[…] daß einige von uns sich an die Zusammenschau von Tatsachen und Theorien wagen, auch wenn ihr Wissen teilweise aus zweiter Hand stammt und unvollständig ist – und sie Gefahr laufen, sich lächerlich zu machen [ist notwendig, um] unser gesamtes Wissensgut zu einer Ganzheit zu verbinden.“12

Dieses Buch ist im Laufe von einigen Jahren parallel zu meinen Fachvorlesungen an der Universität Rostock entstanden. Ich danke allen, die durch Diskussionen und Anregungen beitrugen, verschiedene Aspekte tiefer zu durchdenken, und mich auf zusätzliche Beispiele aufmerksam gemacht haben. Zuallererst möchte ich meinen beiden Töchtern Anna und Lisa danken, die aufgrund ihrer Expertisen in den Kulturwissenschaften mir eine Reihe wertvoller Hinweise aus diesen für mich etwas ferner liegenden Sachgebieten gegeben haben. Gisela Boeck und Christian Vogel haben das Manuskript kritisch und sehr akribisch gelesen; beiden bin ich für viele und höchst interessante Anregungen zu großem Dank verpflichtet. Bei den Kolleginnen und Kollegen Uwe Bornscheuer, Robert Franke, Detlef Heller, Jens Holz, Klaus Neymeyr, Stefan Meldau, Bettina Ohse, Axel Schulz, Wolfram Seidel, Andreas Seidel-Morgenstern, Anke Spannenberg und Joachim Wagner möchte ich mich für zahllose Anmerkungen und Hinweise auf chemischem bzw. biologischem Gebiet bedanken. Elisabetta Alberico, Haijun Jiao, Uwe Rosenthal, Ivan Shuklov und Baoxin Zhang danke ich für die Unterstützung bei fremdsprachlichen Übersetzungen von Begriffen und Zitaten. Mein Dank gilt ebenso Stephan Rüther für die vielfältigen Anregungen aus seinem philologischen Wissensfundus, namentlich von Gräzismen und Latinismen mit Bezug zur Chemie.

Dieses Buch wäre nicht in der vorliegenden Form erschienen ohne das kompetente und konsequente Lektorat von Ulrike Hollmann. Sie hat viele Scharten erkannt und ausgewetzt. Beatrix Föllner hat das Manuskript sehr sorgfältig für den Druck vorbereitet. Im gleichen Maße bin ich Oliver Zeidler für die äußerst professionelle Hilfe bei der Überarbeitung der Abbildungen zu Dank verpflichtet. Darüber hinaus hat er mir unschätzbare Rechtsbeihilfe bei der Drucklegung geleistet. Fatoumata Diop danke ich zusammen mit dem Verlag wbg Theiss für den Mut, dieses Wagnis einzugehen und Naturwissenschaften auf weniger ausgetretenen Wegen zu erkunden.

Last but not least danke ich Barbara Heller und Matthias Beller vom Leibniz-Institut für Katalyse für das immerwährende Interesse und die finanzielle Unterstützung.

* Noch im Jahr 2002 konnte der Professor für Englische Literatur und Kultur Dietrich Schwanitz in seinem Buch „Bildung. Alles, was man wissen muß“ (Goldmann Verlag, München) urteilen: „So bedauerlich es manchem erscheinen mag: Naturwissenschaftliche Kenntnisse müssen zwar nicht versteckt werden, aber zur Bildung gehören sie nicht.“ Daran hat sich auch 15 Jahre später nichts geändert.

** Diese Tendenz spiegelt sich folgerichtig in der Berichterstattung über chemische Themen in den Medien im Rahmen von Naturwissenschaften, Medizin und Technik wider. Hier stehen 3 % Chemiethemen zehnmal mehr Themen aus der Medizin gegenüber. Die Biologie bringt es auf viermal mehr Themen und selbst die Physik liegt noch vor der Chemie (H. Wormer, Nachrichten aus der Chemie, 2015, 63, 1155).

*** Das Präfix „be“ in Begründung hat die Bedeutung „bei“ oder „nahe“, was eine abschwächende Wirkung auf das Stammwort „Grund“ hat. Eine Begründung ist daher meist subjektiven Intentionen unterworfen. Eine „Ursache“ (auch Ursprung, Urgeschehen) beschreibt hingegen tiefere und objektive Zusammenhänge, die wir subjektiv nicht beeinflussen können.

* „R“ hat den Vorzug, dass kein Element des chemischen Periodensystems mit diesem Symbol belegt wurde. Auf diese Weise vermeiden wir Missverständnisse.

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