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Wenn die Abenteuerlust über den Zweifel siegt

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Sonntagmorgen, sonnig, aber kalt im November 2017. Ich wachte auf und hatte ein Lächeln im Gesicht, streckte meine Faust nach oben und rief laut: »Tschakka, ich schaff das!« Ich sprang aus dem Bett und tanzte förmlich freudestrahlend durch meine kleine Wohnung, startete die Kaffeemaschine und genoss lächelnd einen Espresso in der wärmenden Morgensonne auf meinem Balkon.

Tags darauf, Montag, 7.30 Uhr. Der Wecker klingelte, ich schaltete mehrmals auf »snooze«, bevor ich total frustriert aufstand mit dem Gedanken »Das geht nie gut. Ich kann das nicht, ich werde das wahrscheinlich nicht überstehen.«

So ging das nun schon seit mehr als zwei Monaten. Seit meiner Trennung ein Jahr zuvor, kurze Zeit nach meinem 50. Geburtstag, war ich an einem Punkt angelangt, an dem ich mir immer öfter die Frage stellte: »War’s das jetzt?«

Alles, was meine letzten 30 Jahre prägte, war Geschichte. Wie sollte mein weiteres Leben nun verlaufen? Ich hatte in meinem unmittelbaren Umfeld niemanden, der mir mit seiner Erfahrung weiterhelfen konnte. Ich war mir aber ziemlich schnell darüber im Klaren, dass es das nicht gewesen sein kann. 50 ist zu jung, um zu resignieren! Und mir wurde immer mehr bewusst, dass alles, wonach ich die letzten Jahre strebte, von Karriere über den dicken Dienstwagen bis hin zum schicken Eigenheim, mich nicht dauerhaft glücklich machte.

Und so erwachten nach und nach alte Erinnerungen an meine aktive Motorradzeit, die nach einem Unfall nun schon fast zehn Jahre zurücklag. Ich kramte alte Bilder und Dias hervor, schwelgte in Erinnerungen und bekam immer mehr Lust auf Reisen mit dem Motorrad. Ich kaufte mir also spontan eine Maschine und war bereits nach wenigen Kilometern wieder von diesem Motorradvirus infiziert.


Wir mussten oft schwierige Strecken überwinden, um in den Genuss solcher unfassbaren Ausblicke, wie hier in Argentinien zu kommen.


Manchmal konnten wir uns nicht mehr auf dem Motorrad halten.

Als ich im August 2017 nochmals mit meinem Wohnwagen nach Süditalien reiste, wurde mir Tag für Tag mehr bewusst, dass ich, was mein bisheriges Leben anbetraf, einen radikalen Schnitt machen musste. Mich belasteten zunehmend Erinnerungen und frühere Zukunftspläne. Mein Job, auf den ich jahrelang hingearbeitet hatte, war in der aktuellen Situation ebenfalls nicht mehr die Erfüllung. Nachdem ich dann noch zwei Bücher von einem Weltreisenden-Paar mit ihren Motorrädern gelesen hatte, spukte die Idee zu einer größeren Reise immer häufiger in meinem Kopf herum. Schnell verfestigte sich diese zu einer Weltreise, und mir wurde klar, dass ich dann auch meine bisherige Lebensbühne komplett kippen musste – und auch wollte.

Als ich dann meinen Sohn – als Ersten überhaupt – in meine Hirngespinste einweihte und dachte, er würde meine Bedenken bestätigen (zu alt, so einen Job gibt man nicht auf, Sprachkenntnisse und Erfahrung reichen nicht aus, und, und …), kam ganz spontan: »Voll geil! Wenn nicht jetzt, wann dann? Keine Frau, keine kleinen Kinder, kein Hund, kein Haus, keine großen Verpflichtungen, und Motorradfahren kannst du auch.«

Wie recht er doch hatte …, eigentlich!

In den darauffolgenden sieben Monaten fuhren meine Gefühle Achterbahn. Abenteuerlust und große Zweifel an der Machbarkeit wechselten sich fast täglich ab. Immer wieder trieb mich die Sorge um meine betagten Eltern und meinen vermeintlich sicheren Job um. Die »Tschakka, ich schaff das!«-Momente wechselten sich immer wieder ab mit »Das geht nie gut. Du kannst das nicht. Du bist noch nie so lange und vor allem allein unterwegs gewesen. Du hast noch nie ein Visum beantragen müssen, du wirst das (wahrscheinlich) nicht überstehen …« Vielleicht sollte ich doch erst wieder langsam anfangen, mit dem Motorrad zu verreisen und irgendwann dann mal …?

Mehrere Bücher anderer Weltreisender, Vorträge und intensive Gespräche mit meinem Sohn sowie meinem besten Freund, den ich ebenfalls schon sehr bald in meine Pläne eingeweiht hatte, ließen meine Zweifel zusehends schwinden, und die Abenteuerlust gewann mehr und mehr die Oberhand.

Am 24. April 2018, dem Tag, an dem ich die letzte »Verbindlichkeit« aus meinem alten Leben geregelt hatte, traf ich meine Entscheidung. Innerhalb eines Jahres wollte ich starten, denn mir war bewusst: IRGENDWANN ist irgendwann zu spät!


Armin Thalhofer, im Mai 2021

Irgendwann ist irgendwann zu spät

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